ausgelesen: Harper Lee „To Kill A Mockingbird“ (engl. Ausgabe)

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In den 1930er Jahren begleiten wir die achtjährige, burschikose Scout und ihren älteren Bruder Jem bei ihrem Alltag im Südstaaten-Örtchen Maycomb, irgendwie in den USA. Anfangs dreht sich ihr Leben um die Nachbarn, über die man sich Geschichten erzählt, eine gruseliger und wilder als die andere. Um Spielzeug, die Schule, Lehrer die keine Ahnung haben und grantige alte Damen. Ihr Vater Atticus Finch ist Anwalt und hat hohe Moralvorstellungen, die er nicht nur bei anderen verlangt, sondern auch selbst vorlebt. Er zieht seine Kinder quasi alleine groß, außerdem gibt es im Haus der Finchs noch die Haushälterin Calpurnia, die zeitgleich Scout und Jems Kindermädchen ist. Die freigeistige und gerechte Art der Finchs kommt aber icht nur gut an und spätestens als Atticus den Fall übertragen bekommt Tom Robinson zu verteidigen, brennt der Asphalt in Maycomb. Robinson ist ein Schwarzer und soll eine Weiße vergewaltigt haben.

Für To Kill A Mockingbird wurde Harper Lee mit Preisen überhäuft – nicht umsonst. Das humanitäre Werk schildert die damaligen Rassendiskriminierungen und die Gesellschaft in den Vereinigten Staaten, erzählt gleichzeitig bittersüß vom Heranwachsen und schafft es auch noch witzig zu sein. Was für eine Mischung. Was für ein Spagat. Lange Zeit war es von Kurzgeschichten mal abgesehen ihr einziges Buch, bis 2015 Go Set A Watchman (Stelle einen Wächter erschien). Einfach mal über 50 Jahre nachdem sie für To Kill A Mockingbird mit dem Pulitzer-Preis geehrt wurde. Allerdings existierte das Manuskript bereits seits 1957.

Die Figur Atticus Finch gilt noch heute als Inbegriff von Moral und Gerechtigkeitsempfinden, dass nicht zwischen Hautfarben unterscheidet. Im Jahr 1962 wurde das Buch sogar verfilmt. Im Blog gab es zu dem Buch eine kleine Blogaktion von Kathrin von phantasienreisen.de und mir. Wir haben gemeinsam das Buch gelesen (das ich übrigens bei Amerdale gewonnen habe 😉 ) und immer mal einen Zwischenbericht abgeliefert. Am Ende des Artikels sind alle Beiträge dazu verlinkt. Auf Twitter könnt ihr einige Zitate und unsere Meinungen und Diskussionen unter dem Hashtag #ToReadAMockingbird nachverfolgen.

To Kill A Mockingbird behandelt ein eigentlich sehr schwerwiegendes Thema, aber auf so sympathische und spielerische Weise, dass man zu keiner Minute bedauert das Buch in die Hand genommen zu haben. Unser Erzähler ist eine zukünftige Scout, die quasi ein allwissender Erzähler ist, das aber nicht durchblicken lässt. Wir sehen die Welt in den Südstaaten der 30er durch die Augen Scouts und das versetzt uns erstmal in unsere Kindheit zurück. Die Konflikte mit so manchen Lehrern, Spielen mit den Freunden in den Sommerferien bei sängender Hitze, die Raufereien mit dem großen Bruder – gut, ich habe keinen großen Bruder, aber trotzdem 😉 Am Rande erklärt uns Scout die feinen sozialen Netze in Maycomb, welche Familie welche Eigenheiten hat, von wem man sich fernhält und fast beiläufig bekommen spüren wir wie Schwarze behandelt werden. Von sehr wenigen mit Respekt, von den meisten aber mehr wie ein Tier als ein Mensch. Das ist nur erträglich, weil Atticus ein wahrer Gutmensch ist und Scout und Jem bei ihm aufgewachsen sind und noch nicht von der Gesellschaft verdorben wurden. Wir erfahren nur so nebenbei von Atticus Fall und der Härte, die Maycomb auch zeigen kann. Die Kinder werden auf offener Straße beschimpft und Atticus wird gedroht – da wird klar: Atticus aktueller Fall muss was spezielles sein. Etwas, dass Maycomb in seinen Grundmanifesten erschüttert. Den Angeklagten, Tom Robinson, lernen wir auch erst kennen, als Scout und Jem ihm im Gerichtssaal begegnen. Und der Fall raubt einem den Atem. Dass wir nur wissen, was die Kinder erfahren und sehen, macht es zunehmend spannender. Atticus‘ Lehren und Meinungen sind wie ein Zitatschatz und gerade in Zeiten wie diesen wo man das Gefühl hat, dass die ganze Welt verrückt wird, würde ich mir wünschen, dass es mehr Leute wie Atticus da draußen gäbe. To Kill A Mockingbird ist somit zutiefst sympathisch und geschrieben und trotzdem ein Wachrüttler über Moral und Diskriminierung. Ich hatte meine Bedenken, ob ich in der englischen Ausgabe mit dem Südstaaten-Slang klarkomme. Die Sorgen waren unbegründet. Das Buch ist größtenteils in einem gut verständlichen Englisch geschrieben und die Dialekt-Passagen ergeben sich im Zweifelsfall aus dem Kontext. Eines der besten Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe!

Fazit:

Vielleicht sogar ein Buch, das jeder gelesen haben sollte – und das auch unbesorgt tun kann. Es ist toll.

Mehr darüber lesen …

Kathrin 27.09.: Ankündigung: Miss Booleana und Phantásienreisen lesen die Spottdrossel
Booleana 08.10. : Wir lesen … “Wer die Nachtigall stört” #ToReadAMockingbird (I)
Booleana 15.11. : Wir lesen … “Wer die Nachtigall stört” #ToReadAMockingbird (II)

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

10 Antworten

  1. Aw, freut mich, dass es dir so gut gefallen hat.

  2. Aaah, du bist so schnell 😀 Da bekomme ich ja fast ein schlechtes Gewissen… Momentan brauche ich eine kleine Pause vom Buch, da meine Lesestimmung bzw.mein Bauchgefühl gerade einfach etwas anderes wünscht (was genau,habe ich noch nicht herausgefunden und daher in den letzten zwei Wochen drei Bücher begonnen -.-).

    Aber ich freue mich, dass es dich so gepackt hat – und vor allem, dass du mir hier keine Spoiler lieferst 😉

  3. Es ist wirklich ein ganz wunderbares Buch, wird Zeit, dass ich es mal wieder lese 🙂

  4. […] sich gelassen. Wie sie die Zeit mit Jem, Scout und Atticus Finch empfand, könnt ihr in ihrer Besprechung von Harper Lees „To Kill a Mockingbird“ […]

  5. […] ♦ MissBooleanas Rezension: „ausgelesen: Harper Lee ‚To Kill A Mockingbird‘ (engl. Au… […]

  6. […] To Kill A Mocking­bird, Har­per Lee […]

  7. […] Lee ging in die Geschichte ein als die Autorin des Südstaaten-Romans „To Kill A Mockingbird“ (dt.: „Wer die Nachtigall stört“), der die Rassendiskriminierung im Alabama der 1930er Jahre […]

  8. Ich habe vor ein paar Tagen den Film gesehen und war total begeistert – ich wusste ja schon, worum es ging, denn „Wer die Nachtigall stört“ kennt man irgendwie einfach. So wie Anna Karenina und Faust. Und ich muss sagen, du hast es gut getroffen, in dem du sagst, dass es etwas spielerisches hat. Das schwere Thema drück einem nicht auf den Magen. Ich vermute auch, weil es aus einer recht knidlichen Perspektive geschrieben ist. Ich werde ohne Zweifel (hoffentlich bald) dieses Buch lesen, manchmal sehe ich gerne den Film zuerst, mir machst so wasüberhaupt nichts aus. Meistens freue ich mich dann sogar noch mehr auf das Buch!

    Kurz gesagt; schöne, gut struktierte Rezi, die definitiv zum Lesen einlädt

    Grüße
    Katha

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das ist ein guter Vergleich – auch wenn ich nicht wusste worum es genau bei „To Kill a Mockingbird“ geht, habe ich doch gewusst, dass Diskriminierung und Rassenkonflikte eine Rolle spielen. Und ich bewundere ja, dass du Bücher auch nach der Sichtung ihrer Verfilmungen liest. Ich ertappe mich dann immer dabei, dass ich mir die Schauspieler in den Rollen vorstelle und habe das Gefühl, dass mir das meine Vorstellung und Interpretationsspielräume wegnimmt. Deswegen habe ich selten Lust das Buch zu lesen, wenn ich den Film schon kenne. Ich kann mich nicht mal so wirklich dazu bewegen das Buch dann in die Hand zu nehmen. Vermutlich aber alles Einbildung …
      Vielen Dank für deinen Kommentar und die lieben Worte – freut mich sehr, dass dir die Review gefällt. 😀
      Liebe Grüße

  9. […] besondere und unerwartete Freundschaft verbindet. Oder Alice und ihre Reise ins Wunderland. Oder Scout, die jung und wild und frei und boyish ist und viel über Gerechtigkeit lernt. Oder von Louise, […]

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