Neulich im Kino … Review zu „Spotlight“

Tatsächlich war der Kinobesuch schon geplant, bevor ‚Spotlight‘ vor etwas über einer Woche den Oscar in der Kategorie ‚Bester Film‘ gewonnen hat. Und dann war es soweit. Es geht sich etwas anders mit dem Gedanken ins Kino ‚Der Film hat einen Oscar gewonnen‘. Die Erwartungen sind hoch, irgendwas muss an dem Film anders sein als an anderen. Geht euch das ähnlich? Review ist spoilerfrei.

The Boston Globe ist eine Tageszeitung mit über hundertjähriger Geschichte. Spotlight ist der Name des Teams investigativ arbeitender Journalisten, die durchaus viele Monate an einer Story arbeiten und selber ermitteln. Im Jahr 2001 bekommen sie mit Marty Baron (Liev Schreiber) einen neuen Herausgeber, der trotz seiner ruhigen Art schnell das Tagesgeschäft durcheinander bringt. Spotlight soll zugunsten einer Story, die einstmals nicht weiterverfolgt wurde, ihre aktuelle Arbeit auf Eis legen und in dem anderen Fall ermitteln. Das Team um Walter Robinson (Michael Keaton), Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams) und einige andere erkennt die Dringlichkeit und arbeitet auf Hochdruck. Es geht um nichts geringeres als sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Priester der römisch-katholischen Kirche, die dem Erzbistum Boston bekannt waren und vertuscht wurden. Im Zuge der Ermittlungen wird klar, dass das Ausmaß noch viel größer ist als anfangs angenommen.

Die Geschichte basiert auf wahren Begebenheiten. Wer vor etwas über einer Woche die Oscarverleihung angeschaut hat, sah im Publikum auch den echten Michael Rezendes sitzen. Sowohl Mark Ruffalo, als auch Rachel McAdams waren für einen Goldjungen nominiert, haben ihn aber nicht nach Hause getragen. Das wundert wahrscheinlich niemanden, denn der Film ist wirklich kein Charakterfilm, der Heldenlobeshymnen für einzelne Charaktere singt. Es geht deutlich um die Arbeit der Journalisten und die damit verbundenen Anstrengungen und Zwickmühlen, nicht aber um die Personen an sich. Man spürt wirklich, dass der Film die Geschichte erzählen will. Obwohl Stanley Tucci als Anwalt Mitchell Garabedian bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen hat – den hätten sie nominieren können. Ich selber war noch viel zu klein, um den Fall Anfang der 2000er wahrzunehmen. In den nachfolgenden Jahren wurde so oft von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche geredet, dass das für mich – so schlimm es klingt – seit jeher ein bekannter Fakt war. Anfangs hat der Film deswegen nicht die Einschlagkraft entwickelt, die die Geschichte eigentlich hat. Erst nach und nach fiel bei mir der Groschen, dass das wirklich der Moment war, bei dem das allererste Mal bekannt wurde, dass es diese Missbrauchsfälle gibt. Damit geht die Fassungslosigkeit einher, dass Vertrauenspersonen ihre Schützlinge benutzt haben. Teilweise sogar unter komplett verblendeten Annahmen nichts falsches zutun. Wenn dann die krassen Zahlen deutlich werden, dann hat Spotlight einen am Haken. Mitsamt der Fassungslosigkeit. Aber ja, es braucht einen Moment bis Spotlight sich entwickelt. Und hier und da verallgemeinert der Film etwas stark, lässt einen fragend zurück. Das muss man bei dem Thema wissen: es ist kein Film, den man in der Erwartung guckt, lächelnd aus dem Kino zu gehen.

Aber im Prinzip tut der Film das, was Filme bestenfalls tun können. Aufmerksam machen, berühren und aufrüttelnd. Hier vor Allem ersteres und letzteres. Die Machart ist verhältnismäßig nüchtern und der größte Darsteller ist die Geschichte selber. Die Schauspieler stehen etwas abseits und geben der Handlung Raum sich zu entfalten. Den Oscar für den besten Film hat er dementsprechend auch vorrangig der Handlung zu verdanken und dass er uns und der Nachwelt davon erzählt und auf den Einfluss hinweist, den Medien haben können. Vor Allem dann, wenn die Sache richtig angepackt wird und sie nicht nur versuchen sich möglichst gewinnbringend zu verkaufen. So richtig erwartet habe ich das von Tom McCarthy nicht, der zuvor v.A. als Schauspieler tätig war und zuletzt bei Cobbler: Der Schuhmagier Regie führte. So kann man wahre Begebenheiten erzählen: ohne Pomp und Luxus, sondern die Geschichte sein lassen was sie ist und wie sie war.

Tom McCarthy, USA, 2015, Tom McCarthy, 128 min, (8/10)

Sternchen-8

Habt ihr den Film gesehen? Wie hat er euch gefallen? Könnt ihr euch an den Skandal noch erinnern? Und denkt ihr, dass ‚Spotlight‘ zu Recht den Oscar für den besten Film gewonnen hat?

4 Antworten

  1. Hab ihn sogar noch vor den Oscars gesehen und kann dir eigentlich nur zu stimmen. Die Geschichte ist der Star des Film und ich fand, er wirkt besonders durch die nüchterne Erzählung, ohne irgendwelche kitschigen Effekte. Eines aber noch: Wie du ja schreibst, ist man ja von den ganzen bekannt gewordenen Missbrauchsfällen etwas abgestumpft. Was mich dann gecacht hat, war die systematische Vertuschung, der sie hier auf die Spur kommen, dass es eben nicht nur Einzelfälle waren.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja – das war auch bei mir exakt der Punkt, an dem der Film angefangen hat, mich zu bewegen und mich fassungslos zu machen. Die Szene in der einer der Journalisten eine Adresse eines Heims in seiner Nachbarschaft entdeckt, hat sich ziemlich in mein Hirn gebrannt.

  2. Ich war gestern nun auch im Film und mich hat er wirklich umgehauen.

    Ich war 2001 14 Jahre, habe damals tatsächlich fast täglich Zeitung gelesen und hätte die Sache theoretisch mitbekommen können. Dennoch kann ich mich nicht daran erinnern. Vielleicht wurde die Story damals auch in Deutschland nicht so publik gemacht?! Oder sie ging in der Post-9/11-Zeit einfach unter? Überhaupt erstaunt mich ja, dass die Redaktion damals so kurz nach 9/11 mit der Story eine hohe Öffentlichkeit / Aufmerksamkeit erreicht hat. Den Pulitzer-Preis haben die Journalisten zu recht verdient und manchmal habe ich das Gefühl, dass Journalismus dieser Art aufgrund der heutigen Billig-und-Schnell-Mentalität in den Redaktionen kaum noch umgesetzt wird.

    Was die Bestürzung angeht: Auch ich kann mich eigentlich an keine Phase in meinem Leben erinnern, in dem ich über Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche geschockt gewesen wäre. Für mich war das immer klar, vielleicht weil man so oft irgendwo irgendetwas dazu gehört hat oder weil die Kirche ja generell keine makellose Vergangenheit hat… Trotzdem hat mich der Film von Beginn an gepackt und die Story mitgenommen, denn auch wenn diese Fälle für uns keine Überraschung sind, macht es sie nicht weniger schlimm. Dass in einer Institution, die nach außen für Menschlichkeit und Nächstenliebe steht, so etwas getan und geduldet wird, war und bleibt in meinen Augen immer abartig.

    Dass die Fälle von allen kirchlichen Vertretern vertuscht wurden, überraschte mich aber keineswegs – jede Einrichtung würde vermutlich versuchen, zu vertuschen, und gerade die Kirche, die über die Jahrhunderte immer mehr Macht verlor, ist natürlich bestrebt, Schandflecke aus dem Bewusstsein zu verdrängen, um nicht noch mehr in Ungnade zu fallen.

    Schockierend fand ich viel mehr die Anzahl der (aufgedeckten!) Fälle. Über 400 allein in Boston – das ist schon ernüchternd, v.a.wenn man bedenkt, dass es noch eine Dunkelziffer gibt…

    Zuletzt noch zu deiner Oscar-bezogenen Frage. Auch wir hatten Spotlight schon vor Monaten auf unsere Kinobesuch-Liste gesetzt, ebenso Trumbo. Eine Oscar-Nominierung oder Auszeichnung ändert nichts daran, mit welchen Erwartungen ich an den Film gehe. Bei mir bewirken diese Auszeichnungen eher das Gegenteil: Sie rauben mir die Lust auf einen Kinobesuch, weil plötzlich alle diesen Film sehen wollen, selbst jene, die sich solche anspruchsvolleren Filme nie angesehen hätten. Ich entwickle dann immer eine Art Abneigung bzw.habe ich immer das Gefühl, dass ich mich jetzt in die Masse der Hype-Aufspringer einreihe (blöder Gedanke, ich weiß, aber ich kann diese Denkweise nicht abstellen ;)).

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ist bei mir ähnlich. Ich war auch so um die 14 und kann mich gar nicht an den Skandal erinnern. Zuerst habe ich mich auch etwas gesträubt zu schreiben, dass mich die Geschehnisse im Film anfangs nicht so umgehauen haben, weil ich nicht kalt oder herzlos wirken möchte. Es hat ein bisschen gebraucht. Insbesondere als man dann erfährt wie extrem alles vertuscht wurde, dann gings richtig los … das ungute Gefühl im Bauch und die Fassungslosigkeit.
      Mit dem Journalismus sagst du was … . Die Journalisten sind ja richtige Idealisten, die die Story so schnell wie möglich rausbringen und nicht zögern wollen, damit es Wirkung entwickelt und einschlägt, wo andere vorrangig an Profit denken. Wäre schön, wenn die Medienlandschaft so wäre. Die von dir so treffend bezeichnete Billig-schnell-profitabel-Mentalität ist mir nämlich in den letzten Monaten einige Male so offensichtlich begegnet. Egal ob es wahnsinnig schlecht recherchierte Aufreger über Programmierer (https://miss-booleana.de/2016/02/15/netzgefluester-haben-algorithmen-wirklich-vorurteile/) sind oder die, die sich auf der einen Seite über Buchblogger aufregen und auf der anderen Seite ihre Rezensionen klauen … Journalismus ist nicht mehr das was es mal war. Ob sich die überhaupt noch dessen bewusst sind, dass sie Menschen anleiten bestimmte Meinungen zu bilden?

      Ja, das was du zum Thema Oscar-prämierte-Filme sagst, kann ich nachvollziehen. Man stößt manchmal auf seltsame Meinungen unter den Menschen, die nur in den Film gehen, weil er einen Oscar bekommen hat. Andererseits … wenn es denen hilft auch mal was anderes als Romcoms oder Superheldenstreifen zu sehen 😉 Dann hats ja was gebracht.

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