7ème art: Nicolas Winding Refn

Die Definition was genau Regiesseur Nicolas Winding Refn in der Filmbranche ist, steht noch aus. Enfant-Terrible? Schöpfer verschwurbelter, überspitzt blutiger Kunstfilme? Ryan-Gosling-Fan? Mads-Mikkelsen-Fan? Genie? Man weiß es nicht, da hat jeder eine andere Meinung. Er macht definitiv keine leicht zu verdauenden Filme. Jeder, den ich bisher gesehen habe hatte entweder eine kryptische oder schwer nachvollziehbare Handlung (Walhalla Rising, Bronson) oder einen deprimierenden Realismus (Pusher I – III, Bleeder). Alle Filme haben aber eins gemein: fantastische Kameraarbeit und Einstellungen, unkonventionelle Geschichten und Handlungsaufbau; minutiös geplante Szenen, Bilder und Kompositionen und früher oder später rohe Gewalt. Sein Stil sticht heraus und ist erkennbar, entgegen dem was das Standard-Hollywood-Kino so allgemein fabriziert. Da bald ein neuer Film von ihm in die Kinos kommt (Neon Demon), feiern wir das mal mit einer Werkschau. Also heute: sieben Filme mit dem gemeinsamen Nenner – sie wurden von Nicolas Winding Refn gedreht.

Pusher

Frank (Kim Bodnia) und Tonny (Mads Mikkelsen) haben’s verkackt. Um beim Heroin dealen nicht von der Polizei geschnappt zu werden, verlieren sie die ganze Ware. Ihrem Boss Milo (Zlatko Burić) schulden sie eine immense Summe und er gibt ihnen nur 48 Stunden Zeit das Geld aufzutreiben. Ansonsten ist es aus mit Frank. Letzte Chance. Für ihn beginnt ein verzweifelter Wettlauf mit der Zeit in der er absurde, gefährliche und traurige Aktionen reißt, um das Geld aufzutreiben und zu überleben.

Pusher ist der Auftakt von Nicolas Winding Refns Trilogie über Menschen, die sich im Drogenmilieu ihren Lebensunterhalt verdienen, selber abhängig sind und deren Leben nicht nur einmal seidenen Faden hängt. Es war dem Regiesseur wichtig, dass das Leben der Drogendealer möglichst realistisch und unglamourös dargestellt wird. Die Charaktere sind einfache Menschen, die am Limit leben und durch nur wenige Fehlgriffe damit rechnen müssen, dass sie sang- und klanglos tot in irgendeiner Gasse enden. Weil der Deal geplatzt ist. Oder weil sie sich mit den falschen Leuten umgeben. Um alles umso realistischer darzustellen wurde nur mit einer Handkamera gedreht und es entsteht ein ungeschliffener Dokumentarfilm-Look. Faszinierend ist wie Nicolas Winding Refns als Bewerbungsfilm für die Filmhochschule geplanter Kurzfilm in einem Spielfilmangebot mündete und letztendlich zur Trilogie. Der erste der Pusher-Filme erhielt sogar sehr zeitnah ein britisches Remake. Der Clou ist die Nüchternheit und der Realismus des Films. Neben Schauspielgrößen wie Kim Bodnia finden sich Bekannte der Crew und Leute von der Straße in Nebenrollen. Und das funktioniert, ist aber eben kein Vergnügen. Der Realismus ist nüchtern und pessimistisch. Es gibt kaum Charaktere, deren Schicksal einen berührt. Kaum Menschen, denen man im echten Leben begegnen möchte. Und dementsprechend wirkt die Geschichte dunkel und perspektivenlos. Das kann den unvorbereiteten Zuschauer ziemlich runterziehen.

Pusher, Dänemark, 1996, Nicolas Winding Refn, 106 min, (6/10)

Sternchen-6

Bleeder

Die Freunde Leo und Lenny könnten kaum unterschiedlicher sein. Leo (Kim Bodnia) ist vom Leben enttäuscht. Er hasst seinen Job und dass seine Freundin Louise (Rikke Louise Andersson) schwanger ist, gibt ihm das Gefühl, dass sein Leben aus der Bahn läuft. Dass er nicht gefragt wird, was er will und was er sich von seinem Leben erhofft. Als ob alle Entscheidungen über seinen Kopf hinweg getroffen werden. Alle freuen sich über das Kind, selbst sein gewalttätiger Schwager Louis (Levino Jensen). Nur Leo kann sich nicht freuen. Lenny (Mads Mikkelsen) hingegen ist ein zurückgezogener Filmfreak, der im Stillen Lea (Liv Corfixen: Winding Refns Ehefrau) anhimmelt und sich nicht traut sich mit ihr zu treffen. Der Kontrast zwischen den Beiden könnte kaum größer sein, v.A. als Leos Verzweiflung in Gewalt umschlägt.

In Bleeder erwartet uns ein Wiedersehen mit einigen aus Pusher bekannten Darstellern, die hier mal ein bisschen anders sein dürfen. Zumindest Mads Mikkelsen, der ist hier ein schüchterner Filmfan und es macht irgendwie Laune seinen etwas ungeschickten Annäherungsversuchen zuzuschauen. Ebenso wenn er gefühlt das ganze Repertoire der Videothek in der er arbeitet rezitiert. Filmfans eben 😉 Das lockert die Stimmung auf. Zlatko Burić (Milo aus den Pusher-Filmen) ist wieder mit von der Partie und spielt einen Kollegen von Lenny. Kim Bodnia spielt wieder eine Rolle in einem Umfeld, das nüchter-realistisch, aber pessimistisch wirkt und daher der Handlungsstrang ist, der eine ebenso grau-düstere Atmosphäre schafft. Seine Figur Leo verzweifelt an dem Umfeld, in dem er lebt. Perspektivenlosigkeit, Rassenhass, raue Sitten und niedere Moral. Und nicht zu vergessen die Gewalt und der Sexismus. Anstatt das aber ins Positive zu kehren und mit gutem Beispiel voranzugehen, lässt er sich davon beeinflussen. Dem schüchternen Lenny, der eigentlich eine sympathische Einstellung gegenüber Frauen hat und offensichtlich ja auch Probleme seine Angebetete anzusprechen, predigt er, dass Frauen schließlich zum flachlegen da sind. Und die Gewalt die Leo eigentlich zu schaffen macht, greift auf ihn über. Bleeder ist damit in seinem Realismus etwas weniger hart als die Pusher-Trilogie, zeigt aber trotzdem das Unvermögen der Menschen sich aus ihren Zwangslagen zu befreien und mit gutem Beispiel in einer Welt voranzugehen, die wenig gute Beispiele vorlebt. Der Hoffnungsschimmer ist Lenny, weswegen Bleeder einen Tick weniger ausweglos und dunkel wirkt als andere Filme Refns. Die Refn-typische Gewalterruption gegen Ende wirkt hier aber etwas absurd und deplatziert.

Bleeder, Dänemark, 1999, Nicolas Winding Refn, 94 min, (7/10)

Sternchen-7

Fear X

Harry Cain (John Turturro) arbeitet als Sicherheitsmann in einem großen Einkaufszentrum. Bittere Ironie – seine eigene Frau wurde vor einiger Zeit in der Tiefgarage des Zentrums ermordet. Wie in einem Wahn erledigt er doppelt misstrauisch seinen Job und sichtet nach der Arbeit die Bänder der Überwachungskamera, prägt sich jedes Gesicht und macht wie besessen Notizen. In Traumsequenzen scheint ihm seine Frau Hinweise zu geben, denen er nachgeht um ihren Mörder zu finden.

Fear X war ein fataler Flop für Winding Refn, der den Film selbst finanzierte und sich damit fast in den Ruin trieb. Es existiert sogar eine Dokumentation darüber wie er das Geld verlor, wie seine Frau und er damit umgingen und wie sie dem Bankrott entkommen sind: The Gambler. Dabei ist Fear X kein schlechter Film. Er erinnert an David Lynchs Filme, allen voran Lost Highway, ist aber um einiges leichter zu entschlüsseln und kann bis zur Lösung durchinterpretiert werden. Er ist nicht zu surreal und weiß mit starken Bildern und albtraumhaften Sequenzen zu überzeugen. Manches davon etwas zu aufdringlich, einfach und offensichtlich gehalten. Gerade das ist aber der Schlüssel zu einem Mittelweg zwischen Mainstream-Kino und Surrealem Kino. Manche Szenen wirken wie eine Hommage an Genrekollegen. Vom Titel sollte man sich allerdings nicht in die Irre führen lassen. Mit Angst hat der Film wenig zutun, auch wenn er atmosphärisch erstklassig ist, ist er doch hier und da relativ spannungsarm und Harrys Ermitteln auf eigene Faust wirkt etwas mau. Aber zum ermitteln und interpretieren ist auch scheinbar der Zuschauer da. Und Obacht: es lohnt sich bis ganz zum Ende des Abspanns sitzen zu bleiben, auch wenn der versteckte Hinweis winzig ist. Wer Lust auf eine umfassendere Analyse des Films und einen Vergleich zu Genre-Kollegen hat, folge mir bitte zum Artikel auf Offscreen.

Fear X, Dänemark/UK, 2003, Nicolas Winding Refn, 91 min, (7/10)

Sternchen-7

Pusher II

Der bereits aus dem ersten Pusher-Film bekannte Tonny (Mads Mikkelsen) kommt aus dem Knast frei und versucht wieder Fuß im Alltag zu fassen. Viel dazugelernt hat er nicht, denn er fängt da an wo er aufgehört hat. Auftrags-Autoklau für seinen Vater und Drogendeals. Aber es hat sich etwas verändert. Nämlich Tonny. Der hat ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass dieses Leben nicht gut funktioniert und dass er den Respekt seines Vaters nie bekommen wird, egal wie groß er sich Respect auf seinen Hinterkopf tätowieren lässt. Als seine Exfreundin Charlotte mit dem gemeinsamen Sohn und Unterhaltsforderungen auftaucht, wird es nicht einfacher. Und wenn Tonny sieht wie seine Ex und seine ‚Freunde‘ neben dem Kind sitzen und Drogen nehmen, dann brennt ihm die Sicherung durch. Mads Mikkelsen hatte zu dem Zeitpunkt als Pusher II rauskam seinen Durchbruch zwar schon gefeiert, etabliert sich aber als Charakterdarsteller in einer Hauptrolle und zeigt fein nuanciert und überaus glaubhaft wie aus dem pervers-debilen Tonny aus Pusher der geläuterte Tonny aus Pusher II wurde, dem schon mindestens einmal fast der Schädel eingeschlagen wurde. Dieser Tonny realisiert, dass das Milieu in dem er um Respekt kämpft, zu respektlos ist. Der Verfall seines maroden Wertekonstrukts zeigt sich überall. Spätestens wenn es im Bett nicht mehr klappt, obwohl Tonny immer ein großer Sprücheklopfer war, weiß der Zuschauer, dass sich hier sogar noch mehr bewegt und v.A. mehr reflektiert wird als im Vorgängerfilm. Wahrscheinlich der beste Teil der Pusher-Trilogie.

Pusher II, Dänemark, 2004, Nicolas Winding Refn, 100 min, (8/10)

Sternchen-8

Walhalla Rising

Nach Nicolas Winding Refns Filmen voller pessimistisch-realistischer Geschichten aus dem Drogenmilieu und der Perspektivenlosigkeit, wagt er sich in das Metier des Kunstfilms und kann sich das offensichtlich leisten. Walhalla Rising erzählt die Geschichte eines namenlosen Sklaven (Mads Mikkelsen), der in Schottland gehalten wird, um an Kämpfen auf Leben und Tod zur Belustigung der Wikinger teilzunehmen. Es ist offensichtlich, dass er ein Krieger ist und nicht immer ein Sklave war. Allerdings redet er nicht, er scheint auch auf einem Auge blind zu sein. Was keiner weiß ist, dass er Zukunftsvisionen hat. Sein einziger Verbündeter ist ein Junge namens Are (Maarten Stevenson), der den wortkargen Krieger Einauge nennt. Eines Tages gelingt es Einauge sich zu befreien und Are folgt ihm. Ihr Weg auf der Suche nach Freiheit wird sie aber von einer Gefahr und misslichen Lage zur nächsten bringen. Freiheit hat einen Preis und der wird mit Blut bezahlt. Die fantastischen, rauen Landschaftsaufnahmen werden schon von der ersten Minute an mit harten Kontrast konfrontiert. Die gewalttätigen und blutigen Kampfeinlagen sind kompromisslos und hart – fast bis zum Gore. Dazu Mads Mikkelsen, der sich urig mit blanker, behaarter Brust und totem Auge durch die Mitte metzelt. Die Geschichte ist kryptisch – man erfährt nichts über Einauge und Are. Auch nicht über die zweifelhaften Figuren denen sie begegnen. Das macht es nicht einfach der Geschichte zu folgen – der Film dürfte nicht eine Minute länger sein. Doch so schwer verständlich das Geschehen ist, so faszinierend ist es die Intention der Charaktere und das Ziel aller zu entdecken. Oder zu erraten? Denn der Zuschauer hat definitiv was zutun und muss Interpretationsarbeit leisten. In Quellen heißt es über den Film es wäre eine Mischung aus Abenteuer und Kunstfilm. Das trifft es ganz gut. Die Mischung ist faszinierend und man kann nicht wegschauen. Walhalla Rising ist einfach interessant und anders. Nur die lückenhafte, unerklärte Handlung muss man abkönnen.

Walhalla Rising (OT: Valhalla Rising), Dänemark/UK, 2009, Nicolas Winding Refn, 89 min, (8/10)

Sternchen-8

Drive

Der namenlose Hauptcharakter in Nicolas Winding Refns Literaturverfilmung wird von Ryan Gosling gespielt. Tagsüber ist der Driver Stuntfahrer oder schraubt in der Werkstatt seines Freundes Shannon (Bryan Cranston). Nachts vermittelt er sich selber beispielsweise als Fluchtwagenfahrer. Und er ist der Beste. Shannon plant für sich und ihn aber ein besseres und (vielleicht) ehrlicheres Leben im Stockcar-Geschäft und leiht sich eine nicht unwesentliche Summe vom ‚Geschäftsmann‘ Bernie Rose (Albert Brooks). Derzeit lernt der Driver seine Nachbarin Irene (Carey Mulligan) und ihren kleinen Sohn kennen. Er hilft ihnen hier und da aus der Patsche. Zwischen den Beiden ist was, eine unausgesprochene Anziehung. Irenes Mann Standard (Oscar Isaac) kommt aber aus dem Gefängnis frei, zieht wieder zuhause ein und zerreißt das zarte Band. Als sich Standard in linke Geschäfte verstrickt, versucht der Driver ihm zu helfen und tritt eine Gewalterruption sondergleichen los.

Drive setzt sich von anderen Filmen Nicolas Winding Refns dadurch ab, dass sie auf dem gleichnamigen Buch von James Sallis basiert und eine zarte Liebesgeschichte erzählt. Zumindest anfangs. Die Art Liebesgeschichte, bei der man sich unendlich wünscht, dass es funktioniert. Aber von dem Moment an ahnt, dass es nicht oder kaum klappen kann, wenn Irenes Mann vor der Tür steht. Und dann ist da noch der Traum von einem geregelteren Leben. Eine Familie. Vielleicht auch ein Job, der mehr abwirft. Und diese schönen Träume machen Drive auch zu einem kommerzielleren Film als die Pusher-Trilogie, der ein breiteres (und fröhlicheres?) Publikum anspricht. Bis zur ersten Hälfte zeichnet Drive das Bild eines Mannes, den man zu kennen glaubt. Oder zumindest dessen Ziel und Traum man nachempfinden kann. Und dann kommt die zweite Hälfte, in der der Driver die Grenzen der Legalität sprengt, um zu überleben und man merkt, dass man ihn nie gekannt hat. Das Schauspiel aller Beteiligten ist glaubwürdig, wobei den meisten eine sehr eng gefasste Rolle ohne viele Facetten zuteil wird. Irene ist zart und wirkt verletzlich und die Gangster sind eben die Gangster. Ryan Gosling ist möglicherweise mit diesem Film ein Frauenheld geworden. Der Wechsel in der Atmosphäre zu einer Gewaltorgie geschieht mit überraschender Härte, sodass es für kurze Zeit fast an ein Splattermovie erinnert und für mich kurzzeitig etwas an Wertigkeit verloren hat. Das ist allerdings Geschmackssache. Der Stilbruch innerhalb des Filmes kommt plötzlich und ist krass und wirkt langanhaltend wie die Zerstörung eines schönen Traumes. Bildgewalt, Symbolcharakter der Szenen und Abstimmung mit dem grandiosen Soundtrack sind das weitere Plus des Films. Drive wirkt ein Film von jemandem, der Filme liebt. Und gute Musik. Der Film-Soundtrack von Cliff Martinez ist schon einer der besten, die ich kenne. Möglich, dass Drive ein kommerziellerer Film ist als andere von Nicolas Winding Refn. Den Vorwurf wird man noch oft hören, aber es ist nicht umsonst einer seiner größten Erfolge, denn er erzählt ein bisschen mehr als nur eine realistische, deprimierende Geschichte.

Drive, USA, 2011, Nicolas Winding Refn, 100 min, (9/10)

Sternchen-9

Only God Forgives

Die Brüder Julian (Ryan Gosling) und Billy Thompson (Tom Burke) betreiben einen Muay-Thai-Boxclub in Bangkok. Während der Kämpfe wechseln Drogen und Geld unauffällig die Besitzer – das ist das wahre Geschäft. Billy ist aber ein gewalttätiger Triebtäter, der eine minderjährige Prostituierte brutal tötet. Das ruft den Polizisten Chang (Vithaya Pansringarm) auf den Plan. Der wird behandelt wie eine Lichtgestalt, bewacht und beschützt. Er ist wie ein stiller Henker und richtet blutig und gnadenlos. Sünden müssen gesühnt werden. Er holt den Vater der Ermordeten und lässt ihn selbst Billy richten. Als aber die Mutter der Beiden, Crystal (Kristin Scott Thomas), vom Tod ihres Sohnes erfährt, reist sie nach Bangkok und fordert Vergeltung. Julian soll den Tod seines Bruders rächen. Der ist die Gewalt aber schon längst müde geworden. Only God Forgives ist pathetisch und nicht annähernd so stringent wie andere Filme. Motive des Films wie Muay-Thai-Boxen werden aufgegriffen, bleiben aber zusammenhangslos in der Luft schweben und wirken unausgeschöpft. Mehr ein Mittel zum Zweck als ein wirkliches Motiv. Die Charaktere sind schwach und ausdruckslos. Diesmal ist der Kunstfilm zu gewollt. Wie oft kann man Ryan Gosling beim Wände anstarren zugucken? Die Charaktere sind undurchsichtig und unsympathisch. Dass der Polizist der Hauptcharakter ist, leuchtet nur schwer ein, weil Ryan Gosling so oft beim Wände anstarren gezeigt wird. Dass Julian das unverbesserliche Muttersöhnchen eines Miststücks ist, die nur Gewalt sät und damit scheinbar über lange Strecken durchkommt, macht den Film nicht erträglicher. Und obwohl Nicolas Winding Refn sonst oft mit der Optik und Machart seiner Filme punktet, ist Andersartigkeit nicht immer ein Garant für positives Herausstechen. Auch wenn der Film einige geniale Szenen hat – daher immerhin drei Punkte. Aber die zerfaserte Handlung lässt nicht erkennen, was der Film einmal werden sollte. Julians alptraumhafte Sequenzen hier, ätzendes Abendessen mit Mutti da, Prostituierten bei der Selbstbefriedigung zugucken und zwischendurch Polizisten, die Karaoke singen und das Gefühl vermitteln, dass sie der Erleuchtung nahe sind. Aber Erleuchtung mit ganz schön viel Blut. Ist es übertrieben Only God Forgives einen Exploitation-Streifen zu nennen? Vermutlich nicht.

Only God Forgives, Frankreich/Dänemark, 2013, Nicolas Winding Refn, 90 min, (3/10)

Sternchen-3

Welche Filme habe ich ausgelassen? Pusher III, den ich persönlich als sehr schwachen Abschluss der Reihe erlebt habe. Fun-Fact am Rande: es war ein vierter Teil geplant, aber der Darsteller („Muhammed“ Ilyas Agac aus ‚Pusher III‘) wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Außerdem fehlt ‚Bronson‘, den brauche ich noch für eine Tom Hardy-Werkschau. Welche Filme von Winding Refn kennt ihr? Mögt ihr seine Werke oder eher nicht? Mich würde mal interessieren wie sich Quentin Tarantino, Winding Refn und Lars von Trier gegenseitig bewerten würden. In jedem Fall sind sie alle zeitgenössische Regiesseure, die sich mit ihrem eigenen markanten Stil durchsetzen. Man muss ‚NWR – Die Nicolas Winding Refn Doku‘ nicht unbedingt gesehen haben, um seine Filmografie und seinen Werdegang zu entschlüsseln. Aber allen, die sich dafür interessieren, kann ich die Doku sehr empfehlen. Dass er seinen Durchbruch mit den Pusher-Filmen hatte und spätestens seit seinem Cannes-Erfolg mit ‚Drive‘ große Budgets zur Verfügung gestellt bekommt, ist kein Geheimnis. Interessant ist es aber schon den egozentrischen Typen zu beobachten, der in der Doku von seiner Laufbahn erzählt. Seinem Hang zu brutalen Trashfilmen – und man erkennt direkt, dass Lenny aus ‚Bleeder‘ ihm direkt nachempfunden ist. Dass Winding Refn erst mit 13 Jahren lesen lernte und sich die Welt immer durch Bilder erklärt, erfährt man dort ebenfalls. Und die Bilder in Winding Refns Filmen sind deswegen so farbintensiv, weil er farbenblind ist und Mitteltöne schwer erkennen kann. Das derbe, vorherrschende Rot und wahrscheinlich auch die Faszination für blutige Szenen kommt also nicht von ungefähr.

Um Pusher zu drehen, schmiss er die dänische Filmhochschule, die alle zwei Jahre nur 6 Auserwählte annimmt. Mutig und ein bisschen arrogant. ‚Fear X‘ war sein größter Flopp, danach hatte er mehrere Millionen Schulden. Obwohl ‚Pusher II‘ und III diese nur ausgleichen sollten, hat es Spaß gemacht. Das handwerkliche Geschick war inzwischen auch da. Und ‚Walhalla Rising‘ war vielleicht der erste Film, der so geworden ist, wie Winding Refn seine Filme haben will. So führte ihn der Weg von Experimenten und Flops, von gefeierten pessimistischen Drogenmilieu-Filmen hin zu den Kunstfilmen mit viel Kunstblut, die er sich gewünscht hat. Seine Helden waren schon immer welche, bei denen man befürchtet, dass sie dem Untergang geweiht sind. Und jetzt hat er auch das Budget und die Aufmerksamkeit um diese Geschichten angemessen zu erzählen und seine Protagonisten standesgemäß untergehen zu lassen. Es folgt ‚Drive‘ und damit einhergehend sein Erfolg bei den Filmfestspielen von Cannes, aber auch der verschriene ‚Only God Forgives‘. Es ist ein ziemliches Auf und Ab. Aber egal wie sehr gefällt (oder nicht gefällt) was er tut, er bleibt eine Ausnahme. Man kann ihm schon ruhig ein bisschen dankbar sein, dass er den europäischen Film verändert hat und die Filmlandschaft ein bisschen aufräumt. Schauen wir mal was ‚Neon Demon‘ bringt.

„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen zu meinem bestimmten Thema – eine Mini-Werkschau. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.

17 Antworten

  1. Walhalla Rising habe ich nicht mal zu Ende geguckt…
    Sind andere Werke weitaus besser?

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hehe 😉 du siehst ja meine Bewertungen, demnach ist Walhalla Rising schon einer der guten Filme von Winding Refn. 😉
      Aber ich denke, dass das auch ein bisschen eine Geschmacksfrage ist. Wenn du Filme von David Lynch magst, würde dir beispielsweise Fear X möglicherweise besser gefallen. Wenn du mit Kunstfilmen nicht soviel anfangen kannst, dann ist wahrscheinlich Drive am ehesten deins. Einfach weil der eine stringente Geschichte erzählt – und dazu eine die über lange Strecken wirklich schön und spannend ist.

      1. Ich mag schon schräge filme… ebenso wie teilweise Independentfilme… aber dieses Walhalla war eine echt Zumutung 😉

  2. Ich muss gestehen, ich habe bisher noch keinen einzigen davon gesehen, nur bei einer Verlosung mal ein Pusher-T-Shirt als Trostpreis gewonnen. Aber jetzt würde ich mir doch mal Walhalla Rising anschauen, denn wie es der Zufall so will, waren wir 2008 auf unserer Schottlandreise genau in der Gegend, wo sie per aufgestellter Schilder die Dreharbeiten zu einem Film angekündigt haben, der dort gedreht werden sollte „Valhalla…. irgendwas“, von dem ich den Titel vergessen hatte. Bis jetzt. Heute bin ich mir sicher, dass es genau dieser war.

    LG Ulrike

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Wow krass 😀 Das ist ja ne tolle Geschichte. Ich wette dann werden die Landschaftsaufnahmen einige Urlaubserinnerungen wecken. Die blutige und brutale Handlung vielleicht eher wenig 😉 Aber ich kann den schon empfehlen, man muss nur damit klarkommen, dass einem keiner erklärt, was in dem Film passiert. Ist alles etwas rätselhaft, aber irgendwie … interessant.
      Aber Mads Mikkelsen habt ihr damals in Schottland nicht zufällig irgendwie oberkörperfrei rumlaufen sehen? Das wäre mein Fangirl-Moment gewesen …
      Danke für deinen Kommentar! 🙂

      1. Nein, ich glaube, da wurden nur die Dreharbeiten angekündigt – es war 2008, und bestimmt wurde der Film erst viel viel später gedreht.

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Da er 2009 erschienen ist, ist es durchaus realistisch, dass er 2008 gedreht wurde.

  3. Ich bin ja weit davon entfernt, „OGF“ zum Meisterwerk hochzuschreiben, aber ich fand ihn jetzt nicht oberflächlicher als die ziemlich öden „Pusher“-Filme, und zumindest visuell um Vieles interessanter. Kein „Drive“, kein „Walhalla“, aber ein nettes Exponat. Aber mich zieht es auch eher zu überstilisierten Filmen – obwohl ich „Bronson“, dank Hardy, ebenfalls recht unterhaltsam fand. Im Rückblick wird „OGF“ wohl das Zwischenstück in seinem Werk bleiben, mit dem Winding Refn seinen „Drive“-Style gefestigt hat. Im dem Sinne erwarte ich von „Neon Demon“ natürlich Großes. 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ah, weiß nicht … im Gegensatz zu OGF sind die Pusher-Filme wenigstens weitaus weniger pathetisch. Der strotzte nur so vor religiösem Schnickschnack und Pathos. Aber ja, die Pusher-Filme sind auch nicht das Gelbe vom Ei. Warum der erste so gehypt wurde, werde ich wohl nie verstehen. Und dass das ein Remake brauchte? Irgendwie überflüssig. Den dritten fand ich aber am schlimmsten, der führt auch die ersten beiden irgendwie ad absurdum. Den zweiten allerdings finde ich aber nicht übel. Wahrscheinlich der einzige aus der Reihe, den man mehr als einmal gucken kann.
      Bronson war wirklich stark, aber da finde auch ich, dass Tom Hardy das Ass im Ärmel ist.
      Auf Neon Demon habe ich mich auch sehr gefreut, habe allerdings schon einige ziemlich schlechte Kritiken gelesen und in Cannes soll er ausgebuht worden sein? Verstehe noch nicht warum.

  4. Ich kenne bisher nur 3 Filme von Nicolas Winding Refn und stehe ihm ziemlich zwiegespalten gegenüber. Drive ist für mich ein Meisterwerk, einer der besten Filme, die ich je gesehen habe und wenn man mich nach meinen Lieblingsfilmen fragt, ist Drive ganz oben dabei.
    Danach habe ich es mit „Only God Forgives“ versucht, denn nicht nur Refn ist Ryan Gosling Fan, ich auch 😉 Der hat mir absolut gar nicht zugesagt. Ich fand ihn einfach öde, verschwurbelt, vielleicht grad noch so ein eye candy, aber das reicht mir nicht. Und, sorry, aber Walhalla Rising war noch schlimmer. Ging für mich gar nicht, ich kann die „lückenhafte, unerklärte Handlung“ wohl nicht ab.
    Trotz dieser zwei Fehlschläge möchte ich Refn aber noch nicht aufgeben. Pusher und Bronson stehen schon noch auf meiner Watchlist. Mal sehen, wann ich mich da ran wage… 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja, die sind schwierig … man merkt bei der Filmografie extrem, dass er sich dem Kunstfilm zugewandt hat, als er die Kohle und den vertrauenswürdigen Ruf hatte. Und da kommt dann wohl sowas wie Only God Forgives dabei raus. Der hat mir auch nix gegeben, Walhalla Rising schon. In Bronson merkt man von dem Kunstfilmer in ihm ein kleines bisschen was. Aber Tom Hardy macht den Film wesentlich interessanter als er ist. Ich sag mal so … er hat mir nicht gefallen, aber er war trotzdem beeindruckend.
      Und Pusher … joar … ich bin gespannt auf deine Meinung! 🙂
      Aber wenn man einmal so gar keinen Bock mehr auf einen Regiesseur hat, dann ist es schwer sich nochmal ein paar angebliche Klassiker von ihm vorzunehmen. Ich hatte z.B. auf Only God Forgives null Bock. Zu recht anscheinend.

  5. Mit Herrn Winding Reff kann ich irgendwie nicht so wirklich etwas anfangen. „Drive“ hat zweifellos einen schönen Soundtrack, aber die Geschichte hat mich so überhaupt nicht eingefangen. „Walhalla Rising“ war nett. Und du weißt ja: Nett ist die kleine Schwester von… 😉 Oder so. „Only God forgives“ habe ich zwar auch gesehen, aber kann mich nicht einmal daran erinnern. Der Rest ist mir völlig unbekannt.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Mich wundert es schon, dass sich hier bisher noch nicht die Winding-Refn-Fanboy-Fraktion gemeldet hat … er wird ja schon ziemlich gehypt. ich teile das auch nicht unbedingt. Finde er hat ein paar gute, ein paar schlechte Filme und einige Totalausfälle gehabt (Only God Forgives und Pusher III). Und ich würde sagen, die die du gesehen hast, sind auch die, die man mal gucken kann. Und die, die dir nix sagen, sind auch die, die man getrost auslassen kann …

      1. Also alles richtig gemacht…

  6. […] man schon eine Werkschau eines Regiesseurs macht und es gibt Dokumentationen über ihn, kann man schon Mal zugreifen. Habe […]

  7. […] und vielen anderen sprechen. Ein paar Meinungen zu dänischen Filmen findet man u.a. hier oder auch hier. Schon länger wollte ich das Land von Dogma 95, Heimat von Hans Christian Andersen und seiner […]

  8. […] ich mich nur vier männlichen Regiesseuren (M. Night Shyamalan, Park Chan-Wook, Hayao Miyazaki, Nicolas Winding Refn) gewidmet. Das Problem dabei: es gibt wenige Regiesseurinnen die mindestens sieben Filme gemacht […]

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