Fantastischer Film: L’Accordeur (Der Klavierstimmer)

Dieser 13-minütige französische Kurzfilm von Olivier Treiner schlägt locker den einen oder anderen Blockbuster. Dabei klingt die Geschichte anfangs nicht unbedingt reißerisch: sie beginnt mit Adrien (Grégoire Leprince-Ringuet), der ein Klavier-Wunderkind war aber durch einen Zwischenfall nichts mehr mit der Bühnenwelt zutun haben möchte. Stattdessen gibt er sich als blind aus und arbeitet als Klavierstimmer, um mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum einen wird angenommen, dass Blinde ein besseres Gehör haben und deswegen für solche Jobs unschlagbar sind. Kann sein, dass da Wahrheit drinsteckt, den Sachverhalt umweht aber auch ein bisschen Mystizismus möchte man behaupten. Für Adrien ist es neben der guten Auftragslage aber auch v.A. der Umstand, dass er so auch die Leute ungehemmt auszuspionieren kann, die ihn zu sich rufen. Einer seiner Aufträge geht aber in eine unerwartete Richtung und wird für ihn gefährlich. Lebensgefährlich.

Dieses feine Filmchen beginnt als Komödie mit einem gewieften Hauptcharakter, wird aber zunehmend zu einem wendungsreichen Thriller. Gegen Ende wird es so spannend, dass der Puls kocht. Dabei schafft es der Regiesseur eine so komplexe und spannende Geschichte mit einer atmosphärischen Ausstattung und guten Darstellern in nur 13-14 Minuten zu packen. Davon könnte sich so mancher abendfüllende Spielfilm eine Scheibe abschneiden. Die Idee des vermeintlich blinden Klavierstimmers ist zwar morbide (und wird gegen Ende auf eine sehr bittere, düstere Art noch viel morbider) aber so genial, dass man sich fragt, warum nicht schon zig Mal ein Film oder Buch nach dem Schnittmuster gemacht wurde? Aber das ist eben genau diese eine Zutat, die heute oftmals leider viel zu kurz kommt und auch nicht unbedingt einfach ‚zu erlernen‘ ist: Originalität.

Wie konnte ich bisher nur beim Fantastischen Film das Genre des Kurzfilms so sträflich vernachlässigen? Immerhin können Kurzfilme sehr sehr viel. Sie müssen in viel kürzerer Zeit eine umfassende Geschichte vermitteln. Da bleibt keine Zeit für 30 Minuten Spannung aufbauen und Charaktere einführen. V.A. deswegen weil der gemeine Kurzfilm in der Regel kürzer ist als 30 Minuten. Da muss viel zwischen den Zeilen gelesen werden, was bedeutet, dass man zwischen den Zeilen erstmal etwas vermitteln muss. Der Einsatz von Stilmitteln und der punktgenaue Einsatz aller filmischen Werkzeuge muss sitzen. Kurzfilme können viel und sind meist unterschätzt, bringen vielleicht nicht den Berg Kohle wie der Langfilm und verschwinden leider viel zu oft vom Radar. Ich habe L’Accordeur vor Jahren auf einem Kurzfilmabend (Hot Shorts in Freiberg, Sachsen) im Kino gesehen als ein Best-Of des Kurzfilmfestivals Dresden. Danach verschwand der Film erstmal aus dem Netz. Wie ich später erfuhr, wurde er depubliziert. Im Netzfilmblog der Zeit hieß es, dass Kurzfilme die an Wettbewerben und Filmfesten teilnehmen oftmals depubliziert werden, da es nicht gestattet ist, dass sie parallel zum Wettbewerb irgendwo veröffentlicht werden. Aber siehe da … das Internet wäre nicht das Internet, wenn es einem nicht früher oder später geben würde, wonach man sucht. Der vollständige Film ist inzwischen auf Vimeo auf dem Profil von Raphaël Treiner zu finden, der für die Filmmusik verantwortlich war.

L’Accordeur, Frankreich, 2010, Olivier Treiner, 14min

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

3 Antworten

  1. Vielen Dank für das Teilen des schönen Films. 🙂

  2. wow – echt ein grandioser Film. Danke fürs Teilen – und jetzt schau ich mir diese Kategorie von Dir mal in Ruhe an, bisher noch gar nicht entdeckt 😉

  3. Er spielt um sein Leben. Irgendwie…

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