Fantastischer Film: Der Elefantenmensch

Der Elefantenmensch – so wird eine Kreatur in einer Freak Show in Großbritannien um 1880 angepriesen. Sein übergroßer Kopf und sein deformierter, enormer rechter Arm haben ihm diesen undankbaren Namen eingebracht. Als der Arzt Dr. Frederick Treves (Anthony Hopkins) zufällig über den Jahrmarkt läuft und den als Kreatur zur Schau gestellten sieht, ist seine Neugier geweckt. Er will erforschen, worunter der ‚Elefantenmensch‘ genau leidet, denn so etwas hat er noch nie gesehen. Dr. Treves sorgt erstmal dafür, dass der Mann gesund wird, da er in einem sehr schlechten Zustand ist und versucht herauszubekommen, ob er sprechen kann und ihn versteht. Er ist vollkommen verschüchtert von den Schlägen und Buh-Rufen und den Reaktionen der Menschen um ihn. Aber nach einer kurzen Weile traut er sich und lässt Dr. Treves wissen, dass er John Merrick (John Hurt) heißt und ihn sehr wohl versteht. Treves entdeckt in Merrick ein intelligentes und empfindsames Wesen und versucht ihn in die Gesellschaft zu integrieren.

Merricks Figur ist vielfach tragisch, egal in welcher Dimension. Wird er als Kreatur zur Schau gestellt und geschlagen, geht es ihm bescheiden. Wird er aber der Gesellschaft präsentiert, ist das nur eine Freak Show mit einem anderen Publikum. Wie Dr. Treves versucht ihm ein Leben aufzubauen und ihn aus seinem Schneckenhaus zu befreien ist rührend, aber der moralische Konflikt ruft Fragen auf wie die: Hat er Merrick damit wirklich einen Gefallen getan? Führt er ihm nicht zwangsläufig ein Leben vor, dass er niemals leben kann? So muss Merrick beispielsweise im sitzen schlafen, da sein schwerer und großer Kopf sonst seine Luftröhre abschnürt. Andererseits hat die Zeit in der Freak Show ihn nach und nach zu einem Tier degenerieren lassen. Wird man wie ein Tier behandelt, dann verroht man unweigerlich und wird zu einer solchen geschundenen Kreatur. Im Auge des Betrachters liegt der Konflikt und die Bewertung des moralischen Dilemmas. John Hurt ist beeindruckend in seiner Rolle als John Merrick. Er muss fast ‚unkenntlich‘ in der Maske Emotionen rüberbringen, wobei er sich zu dem auch schwer artikulieren kann. Er saß jeden Tag so lange in der Maske, dass sie täglich nur wenige Stunden hatten um mit ihm zu drehen und zusätzlich einige Tage Drehpause vereinbart werden mussten wegen der Belastung. Vermutlich weiß niemand besser als er wie sich der echte Joseph Merrick gefühlt haben muss. Noch heute streiten sich die Mediziner und Wissenschaftler, ob Merrick so wie lange vermutet am Proteus-Syndrom gelitten hat oder an einer anderen Erkrankung oder einem Gen-Defekt.

Kennt man vorrangig David Lynchs surreale Filme wie Lost Highway, Eraserhead o.a., dann vermutet man kaum, dass er bei Der Elefantenmensch Regie geführt hat. Der in Schwarz-Weiß-gehaltene Film erzählt ruhig und linear wie Treves Merrick findet, ihn aufpäppelt und Merricks Abenteuer mit dem was man so als Gesellschaft bezeichnen muss. Lediglich zwei Sequenzen am Anfang und am Ende erinnern an (alb)traum-artige, halluzinatorische Szenen und schließen den Film. Er beginnt quasi da wo er angefangen hat – nur dass der Schluss versöhnlicher ist. Der Zuschauer sei gewarnt: schnell zu deprimierende Gemüter sollten sich auf ein sehr intensives und zuweilen bedrückendes Filmerlebnis gefasst machen. Merricks Geschichte ist keine einfache. Mit dem Wissen, dass es auf wahren Begebenheiten beruht, noch weniger. Der Trailer stammt offensichtlich auch aus einer Zeit wo man sich mehr dabei gedacht hatte wie man einen Film bewirbt als heutzutage. Merrick wird im Trailer nicht gezeigt – so wie auch übrigens in den ersten Abschnitten des Films. Mit Intention. Der Elefantenmensch läutete den Höhepunkt von Lynchs Karriere ein. Der Film war in acht Kategorien für einen Academy Award nominiert, erhielt aber keinen einzigen. Ein Jammer.

Der Elefantenmensch (OT: The Elephant Man), USA/UK, 1980, David Lynch, 123min

„Der Elefantenmensch – Englischer Trailer“, via horrorfilmtrailer

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

9 Antworten

  1. Ja, das ist wirklich ein fantastischer Film. Einer, der mich jedes Mal wieder zur Tränen rührt. Ganz wunderbar und so herrlich ungewohnt für Lynch.

  2. Gesehen habe ich den Film noch nicht, aber er steht weit oben auf meiner Watchlist.

  3. Einer meiner größten Bildungslücken… Das Thema ist natürlich unglaublich spannend

  4. Großartiger Film!

  5. Avatar von Titanica
    Titanica

    Einer meiner all-time-favorites !
    Und von da ab habe ich so gut wie keinen Film mit John Hurt verpasst.

  6. Wie kamst du denn jetzt auf diesen Film? Auf jeden Fall empfehlenswert.

  7. […] viele gute Filme zu schauen. So beispielsweise Hidden Figures und The Lobster. Aber auch Split und Der Elefantenmensch waren Überraschungen auf die eine oder andere Art. Über andere Erlebnisse im Kino wie Rings […]

  8. Angesichts des Todes von John Hurt ist dieser Film fast schon sowas wie Pflichtprogramm. Stichwort John Hurt:
    https://kinogucker.wordpress.com/2017/01/28/john-hurt-22-1-1940-bis-27-1-2017/

  9. […] auf den aufstrebenden Regisseur David Lynch zu, der nach Eraserhead ein Insidertipp war und nach Der Elefantenmensch wohl das was man als gehyped bezeichnen kann. Obwohl Lynch dazu angeraten hat den Stoff des ersten […]

Schreibe einen Kommentar zu afictionesse Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert