ausgelesen: George Orwell „Animal Farm“ (engl. Ausgabe)

George Orwells Animal Farm, auf Deutsch veröffentlicht als Farm der Tiere, ist eine Fabel, die behäbig beginnt, aber schnell blutig und kompromisslos wird. Die Geschichte handelt von den Tieren auf dem Bauernhof von Mr. Jones. Sie leben vor sich hin, beschweren sich kaum, da sie nie etwas anderes als das Leben auf der Farm kennengelernt haben. Der Eber Old Major ruft sie eines Tages zusammen und erklärt ihnen, dass er davon träumt, dass sie in Frieden leben können, nicht mehr vom Bauern unterdrückt und gegängelt werden und alle genügend Futter haben, ohne schwer dafür schuften zu müssen. Das Utopia, dass er schildert pflanzt in den Köpfen der Tiere einen Revolutionsgedanken. Selbst nach seinem Tod. Die treibenden Kräfte dieser Revolution sind v.A. die Schweine Snowball und Napoleon. Zusammen mit den anderen Tieren wie dem Zugpferd Boxer und dem Esel Benjamin gelingt es ihnen die Farm von Mr Jones zu befreien und sie eigenständig als Farm der Tiere zu betreiben, wo jeder gleich ist und alle für ihr gemeinsames Wohl arbeiten anstatt für das Wohl des Einzelnen. Aber bald schon schwinden die großen Ambitionen und die Farm der Tiere entwickelt sich zu einer Diktatur.

George Orwell hatte ein klares Bild vor Augen, was die Fabel betrifft. Sie soll die Geschichte der Sowjetunion wiedergeben, wobei das Anführer-Schwein Napoleon eine Metapher auf Stalin und seine Gewaltdiktatur ist. Die Hinweise auf die Sowjetunion sind für erwachsene Leser klar, wenn beispielsweise Napoleon und Snowball darauf bestehen, dass sich alle gegenseitig mit Comrade ansprechen. Dabei hat George Orwell ein so dichtes Geflecht an Charakteren gewebt, dass man es fast als kritisches Lehrbuch über die Geschichte der Sowjetunion benutzen kann. So kann man in zahlreichen Quellen und Analysen über das Büch nachlesen, welches Tier welcher historischen Figur entspricht, bspw. Snowball als Leo Trotzki. Aber auch die Handlungen in der Erzählung sind „fabel“-hafte Schilderungen von tatsächlichen Handlungen. Wenn beispielsweise Napoleon beginnt nicht gehorsame Tiere grausam abschlachten zu lassen, dann ist das ein klarer Hinweis auf die Stalinschen Säuberungen. Wenn man diese Hinweise aber nicht sieht, so bleibt in jedem Fall die Kritik an Diktatur, Totalitarismus und Instrumentalisierung. Dafür sind seit jeher Diktatoren selbst die feinsten und unterschwelligsten Mittel recht, um ihren Untergebenen einzuflößen, was sie glauben sollen und sie so zu formen wie man sie haben möchte. Lieder, Begriffe und Aussprüche (hier erkennt man was in 1984 noch deutlichere Formen annehmen wird) werden hier kreiert, genauso wie schon bald Fake-News und verdrehte Geschichtsschreibung. Damit ist Animal Farm eine grandiose Kritik an der Verrohung des Menschen und der Diktatur im Allgemeinen.

„It had become usual to give Napoleon the credit for every successful achievement and every strike of good fortune. You would often hear one hen remark to another, ‚Under the guidance of our Leader, Comrade Napoleon, I have laid five eggs in six days‘; or two cows, enjoying a drink at the pool, would exclaim, ‚Thanks to the leadership of Comrade Napoleon, how excellent this water tastes!’“

Dass es gerade die Schweine sind, die hier als Diktatoren und Tyrannen auftreten, ist schon fast witzig, wenn die Geschichte nicht so bitter wäre. Schweine werden im Allgemeinen nicht als die saubersten angesehen, als Vielfraß und faul. Aber nicht zwingend als geborene Anführer. Hier machen sie sich selber zu welchen. Ein Konzept, dass Orwell faszinierte. Wenn Tiere sich ihrer Kraft gegenüber Menschen bewusst wären, dann könnten sie sich leicht befreien. So oder so ähnlich war einer der Grundgedanken aus denen Animal Farm entstanden ist. Tatsächlich emanzipieren sich die Tiere, wobei den Schweinen ein Talent angeboren zu sein scheint. Sie lernen leichter als andere das Lesen, Schreiben und sogar Sprechen. Was für eine Ironie, dass Schwein im alltäglichen Sprachgebrauch in vielen Sprachen ein Schimpfwort ist. Denn letzten Endes sind es die Schweine, die man nach der (gescheiterten?) Revolution kaum noch von den furchtbaren Menschen unterscheiden kann, die man letzten Endes doch eigentlich loswerden wollte. Im krassen Gegensatz dazu stehen die anderen Tiere, die viele ihrer üblichen fabel-artigen Charaktereigenschaften behalten, aber stets mit einem Augenzwinkern. So ist der sture Benjamin, der nicht immer macht, was andere ihm sagen, derjenige, der das System durchschaut. Orwells Geschichte fasst in dieser Ausgabe nicht mal 100 Seiten und erzählt in fabel-artiger Sprache nüchtern die Geschichte. Das sorgt dafür, dass man dem Geschehen folgen kann und die Einfachheit der Sprache nicht nur sicherstellt, dass jeder das Buch versteht, sondern auch dass es zu seinem eigenen Stilmittel wird.

George Orwell ist einer der großen Kritiker und Denker des 20. Jahrhunderts, der vieles hinterfragte und sowohl mit Animal Farm, als auch 1984 Dystopien ablieferte, die aufrütteln. Im Falle von Animal Farm versteht jedes Kind den Inhalt und die enttäuschende Unverschämtheit mit der das Leben hier mit den Füßen getreten wird, auch wenn man über die Geschichte der Sowjetunion nicht Bescheid weiß. Aber George Orwells eigene Geschichte fügt den Stoffen meistens noch etwas an Tragweite hinzu, wo man nicht unbedingt noch mehr erwartet hätte. Nachdem er 1943-44 Animal Farm schrieb, fand er erstmal keinen Verlag. Die Schilderungen des Stalinismus und der Umwälzungen und Unterdrückung in der Sowjetunion waren den alliierten Briten scheinbar zu heiß. Als dann sein Buch doch noch veröffentlicht wurde, fehlte sein Vowort mit dem Titel „The Freedom of the Press“, dass die Selbstzensur der Presse kritisierte. Etwas, dass man auch in unserer heutigen Zeit stark hinterfragen sollte. Denn, wenn Presse unsere Meinung formt und uns informiert und wachsam macht, wem soll man denn glauben, wenn die Presse Fake-News verbreitet oder zensiert? Orwell sagte einst „Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.“ Abgesehen davon gibt es keinen besseren Abschlusssatz um die Fabel von Orwell zu beschreiben, die beklemmend düster und entlarvend wird und der Menschheit den Spiegel vorhält als den Satz, der kennzeichnet, dass die Diktatur die Tiere eingeholt hat, wenn Napoleon proklamiert:

ALL ANIMALS ARE EQUAL
BUT SOME ANIMALS ARE MORE
EQUAL THAN OTHERS

Fazit

Ein Must-Read

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

7 Antworten

  1. Jaaa, du hast es gelesen! Ich freue mich, dass du nun auch Animal Farm kennst und genauso begeistert davon bist wie ich.

    Wie du ja so schön schreibst, ist es eine Aufarbeitung der sowjetischen Geschichte, aber ohne dieses Wissen dennoch verständlich, weil man darin letztlich Charakteristika aller totalitären Regimes wiederfindet. Das finde ich daran besonders gelungen und es ist einer der Punkte, die Animal Farm so zeitlos machen.

    Den Aspekt mit den Schweinen fand ich damals aus deinen genannten Gründen ebenfalls interessant (auch wenn es mir um das Image dieser Tiere leid tut ;)).

  2. Dunkle Erinnerungen an die Schulzeit, als wir das Buch im Englisch-Unterricht gelesen hatten…

  3. Das Buch steht bei mir auch noch aus – danke für den Artikel. 🙂 Zumindest bestellt ist nun auch. 😉 Das Zitat erinnert mich an 2 + 2 = 5. Für einen Staat / eine Gemeinschaft ist es gefährlich, Wünsche und Ziele ohne Regeln und Mittel zu verfolgen. Fraglich ob das überhaupt lange gut gehen kann.

  4. Schweine sind ja tatsächlich ganz besonders intelligent und in vielerlei Hinsicht dem Menschen ähnlich. Ich weiß nicht, ob das zu Orwells Zeiten schon bekannt war, vermutlich eher nicht.

    1. Der Gedanke kam mir auch. In früheren Jahrhunderten dienten Schweine ja auch regelmäßig als Basis für medizinische Behandlung menschlicher Krankheiten bzw. zur Erforschung des menschlichen Körpers, weil ihre Anatomie dem Menschen am ähnlichsten sei (was – wie wir heute wissen – natürlich so nicht ganz stimmt, zumindest nicht in dem Ausmaß, wie man früher meinte).

      1. Ja, daran habe ich auch gedacht.

  5. Wow! Ich sollte aufhören deinen Blog zu lesen, damit meine To-Do-Liste nicht ungekannte Ausmaße annimmt.

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