ausgelesen: John Irving „Garp und wie er die Welt sah“

Zwei Dinge: 1. Es ist das einzige Buch, das mir noch fehlte um meine sieben Büchervorsätze für 2017 zu erfüllen. (Und das hat geklappt, das ist eine Besprechung, die ich noch im alten Jahr geschrieben habe.) 2. Endlich verstehe ich die Insider-Witze bezüglich John Irving, Bären und Ringern. 🙂 Ja, es war tatsächlich mein erstes Buch von John Irving. Ich wusste ich möchte 2017 endlich ein Buch von ihm lesen, aber die Entscheidung fiel (und das kann man jetzt für blödsinnig halten), weil ich erfahren hatte, dass Robin Williams den titelgebenden Garp in einer Verfilmung spielt. Ja, dachte ich. Das Buch lese ich und danach schaue ich den Film. Das einige Bloggerkollegen da draußen meinten, dass das Buch einen besonderen Platz in ihrem Herzen hätte, hat auch dazu beigetragen.

John Irving erzählt die ganze Geschichte Garps, angefangen mit seiner Mutter Jenny Fields und seiner nicht unbedingt konventionellen Zeugung. Jenny Fields ist während des zweiten Weltkriegs ihrer Zeit voraus – sie will arbeiten und ihr Ding machen. Die Frau oder Affäre von irgendjemanden zu sein, gehört nicht dazu. Damit, dass sie sich nicht durch einen Mann definiert, eckt sie bei anderen bereits an und passt nicht in das enge Korsett der Gesellschaft um sie herum. Als sie dann beschloss eine etwas groteske Situation auszunutzen um ein Kind zu bekommen, wurde auch für ihren Sohn später immer wieder ein Thema. Garp wächst auf als der Sohn einer starken und unkonventionellen Mutter. Und so wird auch er stark und unkonventionell. Während es aber für eine Frau zunehmend als wünschenswerte und als mutig angesehene Eigenschaften sind, wird es für Garp schwer zu sein wie er ist. Der Junge findet seine Bestimmung in zwei Dingen: dem Ringen und dem Schreiben. Und so wird Garp Schriftsteller. Ein ab und zu ringender Schriftsteller. Das Buch und sein Werdegang gleicht einem Abenteuer, das in einem Alltag spielt, der nicht fern von unserem ist, uns aber vor Augen führt wie tragisch, grotesk und komisch das Leben manchmal ist.

Vor Allem ist Garp und wie er die Welt sah aber tatsächlich ein Buch über das Zusammenleben der Menschen. Neben Garps verrückter Geschichte, die in allen ihren Grotesken dem echten Leben nicht unähnlich ist, spielen vor Allem drei Motive eine große Rolle. Lust vs Treue, sowie Feminismus vs Extremismus und Familie vs Verlustängste. Das erste Motiv beschäftigt natürlich v.A. den noch jüngeren und ungestümeren Garp. In dem Buch liegt trotz des Grotesken viel Wahrheit. So ist es bei Garp wie es auch manchmal im echten Leben ist: es muss erst einen großen Knall geben, bevor die übertriebene Lust und das Fremdgehen kein Thema mehr ist. So einen richtigen Moment des Absturzes, nach dem alles egal wird. Feminismus ist ein Thema, das in dem Buch und auch für Garp als etwas wichtiges dargestellt wird, das aber irrsinnig schnell ins Extreme umschlägt. Das beste Beispiel dafür sind wohl die Ellen-Jamesianerinnen. Das ist eine Gruppe von Frauen, die sich die Zunge abschneiden lässt, um auf den Fall der kleinen Ellen James aufmerksam zu machen. Ellen James wurde vergewaltigt und danach schnitten ihre Peiniger ihr die Zunge ab. Um ihr ein Mahnmal zu setzen, tun sich die Ellen-Jamesianerinnen das selbst an und reichen zur gegenseitigen Verständigung nur Zettel rum. „Hallo ich bin eine Ellen-Jamesianerin. Wissen sie was das ist?“ So in der Art. Bekehrung und Aufklärung sind aber ohne Zunge nicht so einfach. Garp wird einer ihrer schärfsten Kritiker und sie werden einige seiner schärfsten Kritiker. Das dritte Motiv, Familie und Verlustängste, begleitet Garp als er eine Familie gegründet hat und er und seine Frau werden ständig von einem Sog bedroht. So nennen sie die dunkle Vorahnung, dass es etwas schreckliches passieren wird.

Neben diesen drei großen Motiven, die Garps Leben begleiten, findet sich mit Sicherheit mindestens eins, das wir erschreckend gut nachvollziehen können. Für mich ist es der Sog, also die Verlustängste. Ich wusste wovon sie sprechen, noch bevor sie den Sog erklärten. Neben all diesen Themen, die Garp quasi sein ganzes Leben lang begleiten, wird erzählt wie er versucht irgendwie sein Ding zu machen so wie es auch Jenny Fields tat. Garp ist dabei eine zutiefst ironische und schwarzhumorige Geschichte. Ironisch, weil es in dem Buch meistens anders kommt als man denkt. Dass Garp ausgerechnet mit seinem wahrscheinlich schlechtesten Buch berühmt wird ist eine solche Folge dessen. Oder dass er sich über die Ellen-Jamesianerinnen lustig macht und sie verprellt, aber einige hundert Seiten später selber aufgrund einer Verletzung nicht sprechen kann und selber Zettel rumreichen muss. Und das sind nur die kleineren Beispiele – die größeren möchte ich gar nicht nennen, um nicht zu spoilern. Alle paar Seiten passiert etwas, dass so unwahrscheinlich wirkt, dass man denkt: Nicht doch. Und denkt: sowas würde im echten Leben nie passieren. Aber dann: andererseits ist das echte Leben manchmal verrückter als Fiktion. Auch Schriftsteller und die Branche bekommen ihr Fett weg. Es werden einige von Garps Geschichten vollständig oder zum Teil abgedruckt und spiegeln nicht selten Garps Innenleben wieder oder das was ihm oder seiner Familie passiert ist. Nicht selten in übertriebener Form. Diese Geschichten in den Geschichten sind auch ein Wink auf John Irving und seinen eigenen Werdegang. Man erkennt darin auch andere seiner Werke wie das Hotel New Hamphire in dem es ähnlich wie in Garps erster Geschichte um die Gäste und Betreiber eines Hotels geht.

Garp und wie er die Welt sah ist ein ungewöhnliches Buch. Ungewöhnlich, weil sich Romane selten auf so große Themen stürzen wie Feminismus und Sexualität und die so locker und humorig erzählen und mit dem (eigentlich nicht immer einfachen) Schicksal der Protagonisten verbinden. In dem Buch kommt ein Ex-Footballspieler und spätere Trans-Frau vor und Feminismus darf offen kritisiert werden. Dafür, dass das Buch 1978 erschien, ist das mutig. Und ich frage mich, ob Irving dafür auch so oft kritisiert und falsch verstanden wurde wie Garp in seinem Buch. Vielleicht liegt darin auch der Kern des Ganzen. Man kann nichts tun, um sich nur Freunde zu machen und selbst wenn, dann wäre das ein seltsames Leben, das man führt. Garp und wie er die Welt sah ist dementsprechend voller herrlich unperfekter Charaktere bis zu einigen sehr grantigen Gesellen. Aber das deckt sich auch ein wenig mit der Welt, wie sie von mir wahrgenommen wird. Bis wir etwas über die Menschen wissen, trauen wir ihnen selten über den Weg. Mir hat es gefallen. Aber bis auf die kleinen Twists, den schwarzen Humor und die Ironie die Irving konstruiert, bin ich mir nicht sicher, ob er einen Schreibstil hat, den ich unter anderen Autoren wiedererkennen würde. Es ist mehr die Art wie er seine Geschichten konstruiert und seine Charaktere in einer verrückten Welt (unserer verrückten Welt) loslaufen lässt, die sein Buch ausmacht.

Fazit

Ein Buch, in dem sehr viel Persönlichkeit steckt, das aber mit Sicherheit so viele Leute abschreckt wie anzieht

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

5 Antworten

  1. Klingt nach einem Buch voller interessanter Ansätze und Metaphern. 🙂

  2. „Garp“ hat damals meine Lesewelt ganz schön auf den Kopf gestellt. Ich habe das Buch geliebt und jahrelang jedes Buch von Irving verschlungen. Seit ein paar Jahren habe ich allerdings eine gewissen Irving-Müdigkeit. Vielleicht vergeht die auch wieder. Garp ist auch verfilmt worden, ist aber schon so lange her, ich glaube mir gefiel die Verfilmung aber auch ganz gut.

  3. Avatar von Titanica
    Titanica

    „Garp“ ist eins meiner absoluten Lieblingsbücher. Ich kann auch die Verfilmung dazu empfehlen, sie ist sehr gelungen. Übrigens auch die Verfilmungen von „Hotel New Hampshire“ und „Gottes Werk und Teufels Beitrag“.
    LG,
    Titanica

  4. […] Der Film als solcher funktioniert, aber ist weder Fisch noch Fleisch. Man weiß nicht so recht wo er hin will und was seine Botschaft ist. Vermutlich liegt es daran, dass man sich Mühe gegeben hat eine kohärente Adaption des Buchs zu liefern und dabei das große Ganzen aus den Augen gelassen hat. „Das und das und das ist im Buch wichtig, also muss es in den Film“ – das macht im Falle sehr umfangreicher Büche die wenigstens glücklich. Zwar finden sich viele Elemente wieder, aber viele auch nicht. Buch-Leser sind unter Umständen also nicht glücklich. Film-Schauer auch nicht, weil man nicht so recht weiß, was einem der Film sagen will. Er ist etwas positiver und fröhlicher in der Grundstimmung als das Buch und eine schöne schwarzhumorige Komödie, die das Leben am Beispiel eines Mannes mit all seinen verrückten und tragischen Facetten erzählt. Das Leben eines Mannes, der um keine spitzfindige Bemerkung verlegen ist. Und somit lebt es von einem großartigen Robin Williams und einer großartigen Glenn Close, die mit einem Lächeln selbst die verrücktesten Situationen gelassen kommentieren. Das Buch hatte aber ein paar hundert Seiten mehr, um dem Leser begreiflich zu machen, was es einem mit auf den Weg geben will. […]

  5. Avatar von Bettina
    Bettina

    hach, über das Makellos-Mag auf deinen Blog gestolpert 😀

    ja, ich liebte dieses Buch, ist allerdings schon sehr lange her, dass ich es gelesen habe
    und auch Gottes Werk habe ich sehr gerne gelesen

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