Serien-Review: ‚Tote Mädchen lügen nicht‘ S1 (aka ’13 Reasons Why‘)

Wie schreibt man über das Thema ‚Suizid‘? Wie macht man eine Serie darüber? Eine Serie, über ein Mädchen im Teenageralter, das Selbstmord begeht? Um ehrlich zu sein, war die Frage wie so ein sensibles Thema gelingt (und ob es überhaupt gelingt) für mich der Hauptgrund, warum ich die Netflix-Eigenproduktion ’13 Reasons Why‘ sehen wollte. Würde die Serie das Thema banalisieren oder liefert sie eine glaubhafte und demzufolge schlimme Geschichte – ist das dann überhaupt eine gute Idee? Es gingen mir viele Gedanken durch den Kopf und das hörte auch nach der letzten Folge der ersten Staffel nicht auf. Zeit darüber zu schreiben. Review ist spoilerfrei.

Ein paar Worte vorweg

Sowohl die Serie ’13 Reasons Why‘, die zahlreichen Pressestimmen darüber, als auch meine Review können dem einen oder anderen da draußen sehr nahe gehen. Suizid und zahlreiche andere Themen, die die Serie behandelt sind schwierig und furchtbar. Zwar sind sie in der Serie fiktiv, aber für einige vielleicht bittere Realität. Wenn du das liest und dir diese Themen nahe gehen, wenn du etwas schlimmes erlebt hast, wenn du Probleme hast und du weiß nicht, zu wem du gehen sollst, bitte trau dich und vertrau dich jemandem an oder behalte zumindest im Kopf: das wichtigste ist, dass du dich nicht aufgibst. Im Zweifelsfall gibt es hier ein paar Nummern, bei denen jemand mit dir spricht, der dich nicht kennt und nicht verurteilt, der keine Geheimnisse verrät und dir bestimmt weiterhelfen kann. Gib dem Thema Suizid keine Macht. Denn Suizid nimmt dir die Chance, dass doch noch alles gut werden kann.

Die Nummer gegen Kummer
Telefonseelsorge
Notfall-Hilfe-Links und -Rufnummern

’13 Reasons Why‘ – Review

Hannah Baker (Katherine Langford) hat Selbstmord begangen. In den Fluren ihrer High-School sind Blumen, Briefe und Fotos zu ihrem Gedenken aufgestellt. Poster warnen vor Selbstmord. Betroffene Gesichter. Lehrer wollen mit Schülern reden. Ihre Eltern (Kate Walsh, Brian D’Arcy James) sind am Ende und wissen nicht wie es so weit kommen konnte. Was in Hannah vor sich ging. Nicht nur sie, sondern auch der Zuschauer stellt sich die Frage: warum hat sie das getan und wo waren Hannahs Freunde? Da liegt vor der Haustür von Hannahs Mitschüler Clay Jensen (Dylan Minnette) ein Karton mit Kassetten. Genauer gesagt 7 Kassetten mit insgesamt 13 Tracks auf der A- und B-Seite. Darauf hat Hannah ihre Geschichte gesprochen, die Gründe für ihre Entscheidung sich das Leben zu nehmen. Und jeder Track ist einer der Personen gewidmet, die Hannah zur der Verzweiflungstat brachten.

„Hello, boys and girls. Hannah Baker here. Live and in stereo. No return engagements. No encore. And this time, absolutely no requests. I hope you’re ready, because i’m about to tell you the story of my life. More specifically, why my life ended. And if you’re listening to theses tapes, you’re one of the reasons why.“

Dass Clay aber die Kassetten erhält, bedeutet laut Hannahs Einleitung, dass er einer der Gründe ist, warum sie sich das Leben nahm. Und das macht Clay gelinde gesagt fertig. Er weiß nicht, was er getan hat, dass Hannah so in die Verzweiflung getrieben hätte. Noch schlimmer: er mochte sie sehr gern. Man kann sich mit Leichtigkeit in Clays Situation versetzen und wie er versucht zu rekonstruieren was Hannah erlebt hat. Hannahs Eltern versuchen auch herauszubekommen, ob ihre Tochter gemobbt wurde oder was in ihrem Leben vorging und wie sie das nicht bemerken konnten. Aber so eine Hilfestellung wie die Tapes oder Aussagen von Freunden bleiben ihn verwehrt, was die Serie insbesondere am Anfang ab und zu etwas absurd erscheinen lässt. Für den erwachsenen Zuschauer ein Gefühl, dass nicht nur einmal auftritt. Die Geschichte wird insbesondere am Anfang ganz nach Young Adult Literatur-Tropen ausgeschmückt und gedehnt mit Szenen, die befremden und unlogisch sind. Klar: das Leben ist befremdlich. Aber Clays Halluzinationen wirken etwas too much genauso wie die Anzahl seiner Fahrradausflüge, die damit enden, dass er in Gedanken versunken gegen etwas fährt. Für mich persönlich war es auch schwer zu verstehen, warum er die Tapes nicht nacheinander gehört hat, aber das mag eine Einstellungsfrage sein. Konfrontiert mit der Frage, ob man vielleicht Mitschuld am Tod eines Menschen trägt, ist das eine Bürde, die für einen 17-Jährigen schwer zu ertragen ist. Mal abgesehen von diesen typischen TV-Serien-Motiven, die anfangs etwas zu offensichtlich ausgespielt werden, steigert sich die Serie sehr und wird zunehmend beklemmender, desto mehr sich Hannahs Lage zuspitzt.

„Tote Mädchen lügen nicht – Haupt-Trailer – Netflix“, via Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz (Youtube)
https://www.youtube.com/watch?v=m4R8wJmb45c

Das frappierende ist: es ist nicht nur Hannahs Lage, die bald schon die Form einer üblen Abwärtsspirale annimmt. Auch die Menschen um sie herum sind Beispiele für das, was Teenager durchmachen müssen und bietet zahlreiche Nebenhandlungen an, die dafür sorgen, dass ich nicht abschalten, sondern immer weiterschauen wollte. Was ist denn auf der Party passiert? Wer bricht endlich sein Schweigen? Wer ist der Übeltäter? Warum ist gerade Clay auf den Tapes? Durch eine Verkettung unglücklicher Ereignisse gelangt Hannah scheinbar zu oft an die falschen Menschen, verliert wegen Missverständnissen ihre Bezugspersonen und steht letzten Endes mit einem gewaltigen Berg an miesen Gefühlen, Schuld, Missbrauch und Ängsten alleine da. Was sehr sehr durchwachsen beginnt, mündet in der Frage (nicht nur Clays Frage) nach Gerechtigkeit und wie man mit den Menschen in seinem Umfeld umgehen sollte. Aufmerksam. Gerecht. Offen.

Ein sensibles Thema, viele Meinungen

Nach Ausstrahlung der Serie wurde sehr viel Kritik laut. Da hieß es beispielsweise, dass die Serie anstatt Prävention zu betreiben und aufzuklären, Suizid als die Lösung von Hannahs Problemen darstellt. Das ist ein Punkt, den man nicht ganz von sich weisen kann. Schließlich entscheidet sich Hannah, ein schlaues, aufgeschlossenes Mädchen nach einiger Bedenkzeit dafür diesen Weg zu gehen. Es ist keine Übersprungshandlung, sondern überlegt, was eigentlich schockieren sollte. Manche übertreiben es aber auch mit dem Boykott. Die Neue Westfälische schreibt beispielsweise, dass man sich die Serie nicht ansehen sollte wegen der abgedroschenen Highschool-Klischees, weil die Charaktere „furchtbar“ seien und ruft dazu auf das ganze in einer fremdsprachigen Synchro anzuschauen, weil man dann wenigstens etwas zu lachen hätte. Zu kommentieren wie ich das finde, spare ich mir an dieser Stelle.

Tatsächlich ist der Weg ein gewagter. Während ich aber so darüber nachdenke, ob man über Suizid aus dem Blickwinkel der Person erzählen sollte, die den Freitod wählt, erscheint mir die Lösung aber sehr naheliegend. Wenn nicht so, wie denn dann? Die Serie macht den Spagat zwischen Hannahs Flashbacks und den Reaktionen auf ihr Ableben und die Tapes. Man sieht die Verzweiflung und bodenlose Trauer ihrer Eltern, man sieht die Schuld bei ihren Freunden, man sieht die ratlosen Lehrer, die sich fragen, ob sie versagt haben; man sieht Clay, der sich fragt, ob ein paar Worte von ihm genügt hätten, um Hannahs Meinung zu ändern. Und man sieht Hannahs Entscheidungen, die ganz offensichtlich manchmal nicht die besten sind. So wie eben der Freitod, der se jeglicher Chance beraubt doch noch das Leben zu führen, dass sie sich wünscht. Auch sie stößt Menschen von sich, die eigentlich keine schlechten Menschen sind und vertraut sich den Menschen nicht an. Sie kommt aus einem scheinbar sehr behüteten Umfeld. Warum hat sie nie mit ihren Eltern geredet? Warum hat sie in den beiden extremen Situationen nicht einfach so laut geschrien wie sie kann? Auf der anderen Seite: warum wurde nicht mehr in Frage gestellt, warum sie sich die Haare abgeschnitten hat oder ihre Noten eine Talfahrt machen? Das sind alles Faktoren und Hinweise, die zeigen sollen, dass man aufmerksam bleiben muss. Dass Geschichten zwei Seiten haben und dass man diese hinterfragen muss.

Warum hat sie mit ihren Eltern nicht gesprochen? Vielleicht weil sie dachte, dass die schon genug Ärger haben, weil sie immer darüber streiten und debattieren wie sie ihr Geschäft vor dem Ruin retten sollen. Um nur ein Beispiel zu nennen. Warum hat sie sich niemandem anvertraut? Sie hat es versucht, aber Scham und Schande und der Spott und das Slut-Shaming hat sie schon längst kennengelernt. Und irgendwann denkt man, dass man eh nur verurteilt und noch mehr gemobbt wird. So ist das als Heranwachsender. Die schlauen Sprüche kommen immer von denen, die den Gang durch den Korridor und die Blicke nicht ertragen müssen. Ich wurde gemobbt in der Schulzeit und habe es meinen Eltern nicht gesagt, weil ich Angst hatte, dass sie mich verurteilen und nicht verstehen würden. Auch das war nicht meine smarteste Entscheidung. Das weiß ich eben heute mit etwas Lebenserfahrung und mehr Selbstbewusstsein. Aber wie soll man andere davor warnen, wenn man diese Geschichten nicht erzählt? Und mal ehrlich: wenn sie diese Serie darüber nicht sehen, dann sicherlich eine andere oder einen Film im Nachtprogramm, der weniger emotional und aufklärend ist. Denn hier werden Hannahs letzte Minuten gezeigt. Und das ist definitiv keine romantische und beschönigende Darstellung des Todes, sondern eine brutale und scheiß schmerzhafte. Damit ist ’13 Reasons Why‘ eine Serie, die sich nach einem leider sehr sehr schwachen Anfang aber auch sehr steigert und sensibel die verschiedenen Sichtweisen der Betroffenen schildert. Des Opfers, der Eltern, der Freunde, der Täter und damit eine meines Erachtens nach gelungene Auseinandersetzung mit dem Thema Suizid liefert und v.A. gegen Ende dazu aufruft das richtige zu tun. Zur Polizei zu gehen. Oder einfach die Menschen um einen herum lieber einmal mehr als zu wenig zu fragen „Wie geht es dir?“ Die haben das schon mit Brain ‚On‘ gemacht, was man deutlich merkt, wenn man einen Vergleich zwischen Buch und Serie liest. Die Wahrheit zu sagen.

(7/10)

Sternchen-7

Braucht die Welt eine zweite Staffel?

Vor kurzem wurde bekannt, dass ’13 Reasons Why‘ um eine zweite Staffel verlängert wird. Diejenigen die sowieso schon Kritik an dem Thema Suizid in der Serie üben, sind nicht die einzigen, die das nicht gut finden. Auch ich gehöre zu denjenigen, die hier keine zweite Staffel brauchen. Der Grund dafür ist, dass ich vermute, dass viele die Serie evtl. auch aus einer Art Sensationsgier schauen, um aus Neugier zu sehen, warum sich Hannah umbringt. Man hofft, dass diejenigen ein paar Minuten während der Serie mächtig ins Nachdenken kommen. Und genauso wie ich vermute, dass es diese Zuschauer gibt, so vermute ich bei einer zweiten Staffel mehr das Ausnutzen des Erfolgs und Profitdenken. Meines Wissens endet die Literaturvorlage quasi auch wie die erste Staffel und die Geschichte wäre damit zu Ende erzählt. Einiges an dem Serienende bleibt zwar offen, aber ich bin ein Verfechter von solchen semi-offenen Enden, denn sie regen den Zuschauer zum Nachdenken an. Das Einzige, was eine zweite Staffel schon irgendwie rechtfertigt, ist der Gedanke, dass man in dem Fall die Möglichkeit hat zu sehen wie Täter bestraft werden.

Wie seht ihr das? Sollte es eine zweite Staffel geben? Habt ihr die Serie schon gesehen? Wie hat sie euch gefallen? Was haltet ihr von solchen Themen wie ‚Suizid‘ in der Serie – wurde das angemessen umgesetzt? Oder denkt ihr auch, dass die Serie ein Problem ist? Und findet ihr den deutschen Titel auch so dämlich wie ich?

13 Antworten

  1. Danke für die lange Rezension!

    Ich war anfangs total begeistert, weil ich fand, dass die Teenager-Charaktere richtig ernst genommen werden – selten habe ich so ein einfühlsames Drehbuch gesehen. Nach und nach, da gebe ich dir total recht, wurde es aber immer platter und seltsamer, und den Suizid selbst fand ich ganz fürchterlich inszeniert und dadurch tatsächlich gefährlich für Nachahmer, weil es beinahe ein romantisches Accessoire wurde..

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hi Emily!
      Danke für deinen Kommentar, aber ich glaube da missverstehen wir uns ein bisschen. Ich habe oben geschrieben, dass ich das Drehbuch am Anfang zu platt finde und viele Geschehnisse zu gewollt. Später dann, wenn man als Zuschauer versteht in was für eine Abwärtsspirale Hannah gerade gerät, finde ich es verständlicher und es ist auch nicht voll sovieler „Filmmomente“, die nur aufschieben und Probleme umgehen wollen.
      Ich denke auch nicht, dass der Selbstmord hier romantisch dargestellt wurde, sondern eher als das Gegenteil: schmerzhaft und unschön.
      Was das Drehbuch betrifft, bin ich aber bei dir – es ist sehr gefühlvoll und hat mich gegen Ende der Serie sehr gerührt.

  2. Ich hab nur die Kritik im Podcast „kleines Fernsehbalett“ gehört und dann war ich völlig überzeugt davon, dass die Serie die falsche Botschaft trägt…. aber ist wahrscheinlich genauso schwer so eine Serie zu kritisieren wie zu machen.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja, vermutlich ist das so. Es gibt im Netz sehr differenzierte Kritiken, die ich auch gut nachvollziehen kann wie ich oben geschrieben habe. Aber es gibt auch welche, die sehr unsachlich werden und so tun als ob das Verhalten der Teenager total seltsam ist. Aber die waren wahrscheinlich nie jung. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man da seltsame Dinge tut …

  3. Ich danke dir für diese differenzierte und emotional nicht aufgeladene Besprechung! Bisher habe ich nur Begeisterungsstürme und 100-Anti-Artikel und Tweets gelesen.Mir persönlich geht es zum Teil wie dir und mich hat die Serie zwiespältig zurück gelassen. Ich kann nachvollziehen, was andere daran fasziniert und dass sie auf die Zielgruppe einen Reiz/ eine Faszination ausübt. Ich selbst wäre als Jugendliche vermutlich ebenfalls begeistert davon, dass sich 1) eine Serie überhaupt dem Thema annimmt und 2) das Thema anders aufgreift (nicht einfach nur ein Problem und plötzlich nimmt sich zum Ende jemand das Leben, sondern den umgekehrten Weg: Der Suizid am Anfang und Stück für Stücke eine Annäherung an das Warum und die Auswirkungen auf das Umfeld). Dass die Serie Leute zum Suizid anregen könnte, kann ich da wenig nachvollziehen, da gegen Ende ja durchaus deutlich wird, dass es letztlich keine richtigen Worte oder Taten im Umfeld gibt, die davon abhalten würden. Zwar sagt Hannah, dass – hätten Clay oder der Vertrauenslehrer anders gehandelt – sie noch am Leben wäre, aber der Zuschauer bekommt ja mit, dass jede Handlung in Hannahs Augen irgendwie „falsch“ gewesen wäre, da sie das Verhalten der anderen ja immer als „Akt gegen Hannah“ auslegte. Die Szene mit dem Vertrauenslehrer finde ich da sehr aussagekräftig: Er kann nichts tun, so lange sie ihm nichts Konkretes sagt und das sagt er ihr mehrfach deutlich – sie hüllt sich jedoch in Schweigen, macht ihm aber gleichzeitig Vorwürfe (abgesehen davon, dass, hätte er sich um Hilfe gekümmert, diese eh zu spät gekommen wäre).

    Ich habe mich nur mit der Behandlung der Gründe schwer getan. Die ersten beiden Drittel waren einfach zu alltägliche Ereignisse; es waren Dinge, die jedem Jugendlichen passieren oder die zumindest jeder aus dem eigenen Umfeld kennt. Das heißt natürlich nicht, dass diese Dinge nicht verletzend wirken, aber die Art, wie Hannah auf sie reagiert, fand ich stellenweise zu extrem. Auch, dass sie ständig „sauer“ auf Clay war bzw. ihm unterstellte, er hätte für miese Stimmung gesorgt, warf bei mir regelmäßig Fragezeichen auf, da ich – genau wie Clay – nie wusste, was sie denn jetzt eigentlich störte oder was sie unpassend fand. Würde den Zuschauern vermittelt werden, dass Hannah bereits zu Beginn unter Depressionen oder einer anderen psychischen Erkrankung litt, wären ihre Reaktionen nachvollziehbar gewesen, so aber wirkte es für mein Empfinden, als wäre Hannah einfach nur überempfindlich. Allein, dass diese Meinung zu einem Charakter entsteht, für den man eigentlich Mitgefühl entwickeln sollte, zeigt m.E.n. eine große Schwachstelle auf. Erst gegen Ende der Serie bekam ich als Zuschauerin wirklich ein Gespür dafür, was Hannah zu ihrem Suizid bewegte.

    Abgesehen davon habe ich ein Problem mit Hannahs Aufarbeitung der Geschichte: Es wird unterschwellig suggeriert, dass man sich ja wunderbar post mortem rächen kann und dass man damit wunderbar die Leben der anderen ebenfalls zerstören kann. Mir hat mal jemand aus dem therapeutischen/präventiven Bereich erzählt, dass jemand, der depressiv ist und sich das Leben nehmen möchte, eigentlich niemand anderem schaden möchte (zumindest nicht bewusst). Hannah nimmt aber bewusst Rache und verletzt andere, ist also nicht „besser“ als die, die sie anklagt. Und das sehe ich in der Tat kritisch, weil es vermittelt, dass Depressiven das Leben anderer egal ist und dass „wie du mir so ich dir“ vollkommen in Ordnung ist.

    Wir haben uns letztes Wochenende einmal das Buch geholt und ich bin gespannt, ob das Thema da ein wenig durchdachter angegangen wurde.

    Hach, ich glaube, über diese Serie kann man ewig diskutieren. Ich persönlich weiß – nach mehreren verstrichenen Wochen – noch immer nicht, wie ich die Serie „finden“ soll. Aber vielleicht kann man da auch nicht in „gut“ oder „schlecht“ urteilen. Sie ist definitiv schwierig, aber sie hat Debatten entfacht und Aufmerksam für Themen wie Mobbing, Depression und Suizid geschaffen. Letztlich war es auf jeden Fall eine mutige Entscheidung, diese Serie zu produzieren, da bei solchen Themen eigentlich absehbar ist, dass viel Kritik und Gegenwind kommt. Es sind sensible Themen und bei denen gibt es vielleicht manchmal auch keine „richtige“ Herangehensweise. Deswegen diese Themen aber gar nicht aufzugreifen oder nur unterschwellig anzudeuten, wäre aber definitiv der falsche Weg.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Mensch Kathrin,
      freut mich von dir zu lesen und dass du bei dem Thema (bei dem auch hier in den Kommentaren die Meinungen sehr stark auseinandergehen) meinen Zwiespalt verstehst. Die erste Hälfte war für mich auch schwer nachzuvollziehen. Nicht nur weil sie soviele „Fernsehmomente“ einsträuen (Tagträume/Visionen, mit dem Fahrrad irgendwo gegen fahren und erstmal vom Wesentlichen ablenken mit nebensächlichem Kram und plumpen Nebenhandlungen), sondern weil es mir wie dir ging, dass ich Hannahs Problem anfangs nicht verstanden habe. Ich muss sagen: das mit dem Foto (erste Episode) war schon ziemlich mies. Sowas musste ich nicht durchmachen, da in meiner Zeit social media nicht existent war und cyber bullying nicht so ein Thema. Den Gedanken finde ich aber erschreckend.
      Alles andere war mir zu aufgebauscht und gewollt. Beispielsweise dass sich Betrinken mit Courtney oder wie sie mit Zach umgegangen ist. Das war der Moment in dem ich Hannah am allerwenigsten verstanden habe. Und wie bei dir kam auch bei mir erst später der Moment, wo ich verstanden habe, dass es jetzt eine Wende nimmt und wirklich schwierig wird und da jeder Hilfe bräuchte, weil das was ihr passiert und was sie mit ansieht zu schlimm ist.
      Wie sie mit Clay umgegangen ist, hat mich manchmal auch genervt. Manchmal hat mich aber auch Clay etwas genervt, der schon ein bisschen zu lasch gehandelt hat und schwierigen Situationen aus dem Weg gegangen ist. Da nehmen sich die beiden nichts, finde ich und das spiegelt ganz gut wieder wie schnell es zu Kommunikationsproblemen kommt, wie das ist, wenn die Gefühle überkochen und dann ist irgendwie alles zu spät und geht total schief …eigentlich ein sehr realistisches Teenagerszenario. Wenn auch etwas schlimm anzuschauen … u_u“

      Die Szene mit dem Vertrauenslehrer finde ich auch sehr aussagekräftig, das ist ein guter Punkt. Man merkt in dieser Situation so extrem, dass Hannah nicht im Stande ist etwas zutun und sich aus ihrer Lage zu befreien (oder dass sie das zumindest denkt) und dass der Vertrauenslehrer ebenso nichts weiter tun kann. Und das kollidiert und hat keinem der Beiden geholfen. Vermutlich eine der wichtigsten Szenen der Serie, die hoffentlich Kids anschauen und sagen „Warum sagt sie denn nichts?“ und dann realisieren, dass wenn sie mal in eine heftige Situation kommen, sie etwas sagen sollten.

      Ansonsten weiß ich nicht wie ich das mit Hannahs Racheplänen sehen soll. Ein Teil von mir denkt, dass das nur das dramatische Element ist, der effektheischerische Plan, der zu Buch und Serie geführt hat. Ein anderer Teil denkt sich: wenn sie es nicht gemacht hätte, hätte sie Jessica endgültig im Unklaren gelassen. Ihre Form der Rache kann ich auch nicht gut heißen – zur richtigen zeit den Mund aufzumachen hätte ich aufrechter gefunden. Aber inwiefern sie depressiv ist und ihr Verhalten bzgl Rache unrealistisch, kann ich nicht beurteilen. Mir kommt da eher der Gedanke: war sie überhaupt depressiv? Also im klinischen Sinne?

      In jedem Fall bin ich sehr gespannt wie du das Buch findest! Ich habe nur Vergleiche zwischen Buch und Serie im web gelesen und bin da glaube ich genauso zwiespältig wie bei der Serie. Aber ich bin irgendwie froh zu hören, dass du auch denkst, dass man vor dem Thema nicht zurückschrecken sollte.

      1. Ach, Steffi, mir tut es gerade gut, mich mit jemanden über die Serie austauschen zu können, der sie gesehen hat und sowohl die guten als auch die schlechten Seiten daran sieht.

        Mit dem Cyberbullying sprichst du einen wichtigen Punkt an. Mobbing kennt jeder und fand es schon immer schlimm, durch die Sozialen Medien hat das aber völlig andere Dimensionen angenommen. Ich finde es gut, dass die Serie die Jugendlichen hier auch ernst nimmt. Das Foto selbst ist ja nicht wirklich schlimm gewesen und lediglich durch die damit verbundenen Gerüchte so problematisch geworden. Als Erwachsene tendiert man hier leicht dazu, zu sagen: „Mensch, lass die Leute reden.“ Aber wie du selbst schon an anderer Stelle geschrieben hast, ticken Jugendliche nun mal nicht wie Erwachsene. Was andere von einem denken, hat hohen Stellenwert. Denn auch wenn durch das Internet alles groß und verkettet ist: Das schulische Umfeld ist das Prägende und das, wo man einen Großteil jedes einzelnen Tages verbringt – selbst nach Schulschluss. Hast du hier in den Augen der anderen „verkackt“, hast du es nun mal für viele Jahre schwer. Dadurch setzt man sich (vor allem Mädels) sehr unter Druck und (da spreche ich jetzt aus eigener Erfahrung) diese Einflüsse und Selbstbewertung schleppt man – oft ohne sich dessen bewusst zu sein – noch Jahre nach der Schulzeit mit sich herum. Das war bei uns schon so und in Zeiten von ständiger Selbstperfomance im Internet und damit verbundener Selbstoptimierung kann so etwas natürlich fatale Auswirkungen haben.

        Das alles schließlich noch verbunden mit den Kommunikationsproblemen… In diesem Fall lagen die Kommunikationsprobleme ja nicht nur zwischen Hannah und Clay vor, sondern zwischen allen. Wenn ich so etwas in fiktiven Werken sehe, roll ich gedanklich immer mit den Augen, weil es zu oft nur der Dramatik dient. Bei „13 Reasons Why“ ist es aber sehr bewusst eingesetzt und macht deutlich, wie schnell Dinge eskalieren können, weil etwas unausgesprochen bleibt oder anders aufgefasst wird, als es ursprünglich gemeint war. Wie viele kleine und große Probleme ließen sich vermeiden oder zumindest vor einer weiteren Eskalation bewahren, wenn jeder einfach mal offen sagen würde: „Was hast du damit eigentlich gemeint?“ bzw. „Hey, das hat mich verletzt/ verwirrt/ vor den Kopf gestoßen.“ Doch das sind Probleme, die schon immer bestanden und sich wohl auch kaum ändern werden. Die Serie hat aber sehr gut deutlich gemacht, dass jeder ein wenig mehr auf seine Worte und Taten achten sollte, weil man nie sicher sagen kann, was sie beim Gegenüber auslösen. Gerade für Jugendliche finde ich diese Message wichtig, insbesondere vor dem Punkt des Cyberbullying, da hier die unmittelbarer Reaktion des Betroffenen fehlt.

        Hach, Clay… Eigentlich mochte ich ihn sehr. Gerade zu Beginn dachte ich mir: „Das ist der Typ Junge, der jugendlichen Mädchen gut tun würde.“ Anstrengend fand ich ihn jedoch gegen Ende, als er aggressiv und regelrecht „explosiv“ wurde. Im Nachhinein frage ich mich aber immer wieder, in wie weit wir über bestimmte Handlungen der Charaktere wirklich urteilen können, denn in der Lebensphase, in der sie sich befinden, kochen Emotionen schnell über, man bewertet Dinge über, handelt impulsiv, selbst wenn man weiß, dass es wenig vernünftig ist. Wir waren in dem Alter auch nicht anders (zumindest nicht völlig).

        Mmh, ich kann nicht sicher sagen, ob Hannah im medizinischen Sinne depressiv war. Ich hatte das in einem Artikel zum Buch gelesen, als ich fast am Ende der Serie war und diese Information hat bei mir zumindest so weit zu einem Umdenken geführt, dass ich dachte: „Hättest du das von Anfang an gewusst bzw. hätte die Serie das irgendwie deutlich gemacht, hätte ich Hannah auch besser verstehen können.“ Für mich würde es erklären, warum ihr vieles so extrem nah geht und sie auf vieles so sensibel reagiert. Vielleicht kann ich dir nach der Lektüre des Buches dazu mehr sagen.

      2. Ach, Steffi, mir tut es gerade gut, mich mit jemanden über die Serie austauschen zu können, der sie gesehen hat und sowohl die guten als auch die schlechten Seiten daran sieht.

        Mit dem Cyberbullying sprichst du einen wichtigen Punkt an. Mobbing kennt jeder und fand es schon immer schlimm, durch die Sozialen Medien hat das aber völlig andere Dimensionen angenommen. Ich finde es gut, dass die Serie die Jugendlichen hier auch ernst nimmt. Das Foto selbst ist ja nicht wirklich schlimm gewesen und lediglich durch die damit verbundenen Gerüchte so problematisch geworden. Als Erwachsene tendiert man hier leicht dazu, zu sagen: „Mensch, lass die Leute reden.“ Aber wie du selbst schon an anderer Stelle geschrieben hast, ticken Jugendliche nun mal nicht wie Erwachsene. Was andere von einem denken, hat hohen Stellenwert. Denn auch wenn durch das Internet alles groß und verkettet ist: Das schulische Umfeld ist das Prägende und das, wo man einen Großteil jedes einzelnen Tages verbringt – selbst nach Schulschluss. Hast du hier in den Augen der anderen „verkackt“, hast du es nun mal für viele Jahre schwer. Dadurch setzt man sich (vor allem Mädels) sehr unter Druck und (da spreche ich jetzt aus eigener Erfahrung) diese Einflüsse und Selbstbewertung schleppt man – oft ohne sich dessen bewusst zu sein – noch Jahre nach der Schulzeit mit sich herum. Das war bei uns schon so und in Zeiten von ständiger Selbstperfomance im Internet und damit verbundener Selbstoptimierung kann so etwas natürlich fatale Auswirkungen haben.

        Das alles schließlich noch verbunden mit den Kommunikationsproblemen… In diesem Fall lagen die Kommunikationsprobleme ja nicht nur zwischen Hannah und Clay vor, sondern zwischen allen. Wenn ich so etwas in fiktiven Werken sehe, roll ich gedanklich immer mit den Augen, weil es zu oft nur der Dramatik dient. Bei „13 Reasons Why“ ist es aber sehr bewusst eingesetzt und macht deutlich, wie schnell Dinge eskalieren können, weil etwas unausgesprochen bleibt oder anders aufgefasst wird, als es ursprünglich gemeint war. Wie viele kleine und große Probleme ließen sich vermeiden oder zumindest vor einer weiteren Eskalation bewahren, wenn jeder einfach mal offen sagen würde: „Was hast du damit eigentlich gemeint?“ bzw. „Hey, das hat mich verletzt/ verwirrt/ vor den Kopf gestoßen.“ Doch das sind Probleme, die schon immer bestanden und sich wohl auch kaum ändern werden. Die Serie hat aber sehr gut deutlich gemacht, dass jeder ein wenig mehr auf seine Worte und Taten achten sollte, weil man nie sicher sagen kann, was sie beim Gegenüber auslösen. Gerade für Jugendliche finde ich diese Message wichtig, insbesondere vor dem Punkt des Cyberbullying, da hier die unmittelbarer Reaktion des Betroffenen fehlt.

        Hach, Clay… Eigentlich mochte ich ihn sehr. Gerade zu Beginn dachte ich mir: „Das ist der Typ Junge, der jugendlichen Mädchen gut tun würde.“ Anstrengend fand ich ihn jedoch gegen Ende, als er aggressiv und regelrecht „explosiv“ wurde. Im Nachhinein frage ich mich aber immer wieder, in wie weit wir über bestimmte Handlungen der Charaktere wirklich urteilen können, denn in der Lebensphase, in der sie sich befinden, kochen Emotionen schnell über, man bewertet Dinge über, handelt impulsiv, selbst wenn man weiß, dass es wenig vernünftig ist. Wir waren in dem Alter auch nicht anders (zumindest nicht völlig).

        Mmh, ich kann nicht sicher sagen, ob Hannah im medizinischen Sinne depressiv war. Ich hatte das in einem Artikel zum Buch gelesen, als ich fast am Ende der Serie war und diese Information hat bei mir zumindest so weit zu einem Umdenken geführt, dass ich dachte: „Hättest du das von Anfang an gewusst bzw. hätte die Serie das irgendwie deutlich gemacht, hätte ich Hannah auch besser verstehen können.“ Für mich würde es erklären, warum ihr vieles so extrem nah geht und sie auf vieles so sensibel reagiert. Vielleicht kann ich dir nach der Lektüre des Buches dazu mehr sagen.

  4. Oh dear, wir zwei hübschen sprechen uns dann morgen mal nachdem du meine Kritik, die dann herausgekommen ist, gelesen hast. *lach*

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Oha! O_o ich bin schon gespannt.

  5. Bin gerade bei EP11. Allerdings haben sich meine Befürchtungen nach bereits zwei Episoden schon bewahrheitet. Die Serie ist meinem Empfinden nach höchst manipulativ (zum einen wie sie die Sache mit der Ausweglosigkeit darstellt, zum anderen, wie sie mit den anderen Charakteren umgeht und sie, ganz egal was sie überhaupt getan haben, in eine nicht minder prekäre Lage bugsieren). Das sehe ich als äußerst bedenklich, werde aber noch die letzten paar Episoden abwarten. Aber schon bei den Charakteren hört es nach einer Weile auf. Du schreibst es ja so schön, wie sich die Spirale der Hoffnungslosigkeit immer weiter hinabdreht (Mobbing ist scheiße, aber irgendwann wird selbst diese Verkettung der Ereignisse völlig überstrapaziert) und Clay… nuja. Immer radelt, immer auf die Schnauze fliegt und blablubb. Tatsächlich macht mich die Serie in vielerlei Hinsicht ziemlich aggressiv.

    Ich finde übrigens geil, welch auserkorenen Musikgeschmack die Teens auf Parties innehaben. Die sind alle ein paar Jahre zu früh geboren, wie mir scheint. Und argh, das Bild vom Walkman und diese fu**ing Beats-Kopfhörer. Was soll der Scheiß… das ist doch, als würde man Nutella auf Salami streichen… die Serie verhauts einfach in zu vieler Hinsicht.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Jaja … Clay und das Fahrrad. Wäre er noch ein Mal gegen irgendwas gegen gefahren, weil er ja ach so verträumt rumfährt und an Hannah denkt, hätte ich ab- und nie wieder eingeschalten. Das war etwas zu billig gemachtes Fernsehen.
      Aber ich finde, dass sich die Serie ab der Mitte weitaus weniger dieser Scherze erlaubt. Und ja – du nennst es manipulativ, ich nenne es effektheischend. Sie spielen schon alles aus, was man an Drama innerhalb eines Highschool-Jahrgangs produzieren kann. Andererseits finde ich ihre Darstellung von Cyber-Mobbing ziemlich in der Realität angekommen. Als ich zur Schule gegangen bin, gab es das nicht Da konnte man wenigstens nach Hause gehen und das mobbing war vorbei und kroch nicht mit in das Zimmer und Smartphone.

      Über Stil und Geschmack der Teens gebe ich mal keine Wertung ab 😉

      1. Das mit dem Cybermobbing ist auch die einzig anständige Umsetzung innerhalb der Serie. Da bin ich tatsächlich auch froh, dieser Technik damals nicht ausgesetzt gewesen zu sein. Das schreibst du richtig.
        Irgendwann war es mir allerdings zu viel des guten, was die einzelnen Charakterentwicklungen anging. (Bin jetzt fertig mit der Serie). Alex kann/konnte ich am ehesten nachvollziehen, was sie allerdings mit dem Fotografen verbrochen haben… Super. Da weißte direkt, welcher Rotz in einer eventuellen zweiten Staffel thematisiert werden könnte. Empfinde ich als völlig falsch, auch wie offen sie das haben enden lassen. Das gibt – wie viel zu vieles in der Serie – zu viele verkehrte Signale ab. Deswegen fiel auch der Ausdruck „manipulativ“. Für mich leider nach wie vor eine höchst bedenkliche Serie.

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