Literarische-Fundstücke: deutsche Wörter in englischen Büchern I

Neulich ging es hier schon mal um Fundstücke im wahrsten Sinne des Wortes. Nämlich das Finden der Passagen in Büchern, die die Aufschluss über den Buchtitel geben. Für solche Fundstücke muss man etwas geben, Zeit investieren, Aufmerksamkeit schenken. Und gerade, wenn der Buchtitel nicht vollkommen offensichtlich ist, fühlt es sich ein bisschen wie ein Geschenk, wie ein Schatz an. Manchmal will man auch die Erklärung sehen, lesen, verstehen. Wie ist es aber mit den Fundstücken, mit denen wir nicht gerechnet haben? Phrasen, wo man sie nicht erwartet. Beispielsweise wenn einem beim Lesen einer englischen Ausgabe plötzlich deutsche Wörter ins Auge springen.

Ted Chiangs Kurzgeschichte Seventy-Two Letters handelt von Wissenschaftlern, die damit experimentieren nach jüdischem Glauben unbelebtes zu beleben. Ähnlich der Sage vom Golem. Und reichlich Physik kommt auch noch dazu. Dazu müssen sie Phrasen bzw Namen aus maximal 72 Buchstaben kreieren. Der Protagonist der Kurzgeschichte spricht hier von einem dieser Wissenschaftler aus Berlin, der scheinbar besonders begabt ist. Eventuell nennt sich die ganze Sparte Namenmeister. Das Auftauchen eines deutschen Wortes, wo ich es am wenigstens erwartet hätte. Die Kurzgeschichte hat übrigens eine geniale Idee – das ist gehaltvoller Stoff, der eigentlich für ein vollständiges Buch reicht, soviele Ideen.

Auch in Ted Chiangs Kurzgeschichtensammlung Story of your Life and others gefunden und ebenso wenig erwartet habe ich den Begriff der Gestalt. Die Gestalt von nahezu allem kann darin der Protagonist von Chiangs Kurzgeschichte Understand erkennen, nachdem er mit einem neuen Medikament behandelt wurde, dass seinen Verstand und seine Wahrnehmung erweitert. Mit dramatischen Folgen. Ein bisschen Recherche zeigt aber, dass Gestalt tatsächlich ein Wort ist, das bspw. in Bezug auf die Psychologie tatsächlich dem Deutschen entnommen wurde.

Vielleicht ein bisschen weniger anspruchsvoll, sorgte aber für mehr Lächeln beim Entdecken 😉 Der Schnaps, gefunden in Naomi Aldermans The Power. Den kann man auch gebrauchen bei dem was so in dem Buch abgeht. XD Die Erkenntnis, dass das Wort Schnaps im Englischen existiert, ist nicht neu. Was mir aber nicht bewusst war: es wird scheinbar durchaus mit zwei p geschrieben. Huh. Und liebe Kinder was sieht man noch an meinem Schnapp(s)schuss? Man soll immer mit ausreichend Licht lesen. Schlecht für die Augen und so.

Virginia Woolfs Mrs Dalloway hat auch was zu bieten. Zum Einen das allgemein bekannte Fräulein und zum anderen den Augenblick. Und gerade die Passage mit dem Augenblick of the now ist eine sehr melancholische und schwelgerisch-schöne.

Im Moment lese ich Paul Austers 4 3 2 1 und da gibt es überraschend viele deutsche Worte und Sätze zu finden. Alle paar hundert Seiten (das Buch hat ein paar …) gibt einer was zum Besten. 4 3 2 1 erzählt vier Versionen des Lebens eines jüdisch-amerikanischen Jungen – Archibald Isaac Ferguson. In einer davon ist der Stiefvater unseres Protagonisten, Gil Schneiderman, ein deutscher Einwanderer. Er erzählt u.a. davon wie er als Kind gehänselt wurde und sich lange seinen Dialekt abtrainierte. Aber da Austers Buch Archies Geschichte in vier Variationen erzählt, begegnen wir Gil nicht in jeder. Manchmal sind es Kleinigkeiten in Archies Geschichte und der seiner Familie, die letzten Endes das Leben in ganz anderen Bahnen verlaufen lassen. Der Luftmensch, den ich an anderer Stelle fand, ist aber wahrscheinlich eher dem Jiddischen entliehen.

Ebenso in Paul Austers 4 3 2 1 gefunden: den Doppelgänger. Der ist nicht neu. Als Kind fielen mir zwei Worte auf, die gerne mal irgendwo in englischen Texten auftauchten: Kindergarten (bzw. Kindergarden) und Doppelgänger (bzw. Doppelganger). Dem Doppelgänger begegnete ich beispielsweise mal in den end credits irgendeines Films. Damals war das eine riesige Überraschung, ja fast Offenbarung, dass auch deutsche Begriffe in den Wortschatz anderer Sprachen wanderten. (Ich war jung. 😉 ) Das klingt jetzt naiv, aber da erschien mir plötzlich die Welt, die Sprachen und Nationen verbundener.

Header image/photo credit: Janko Ferlič

Zuletzt komme ich natürlich nicht umhin festzustellen, dass auch der Begriff „Deutsche Wörter“ ziemlich dehnbar ist. Meine gefundenen Wörter haben sicherlich ihren Ursprung durchaus auch mal in anderen Sprachen. Aber es geht viel mehr darum, dass man eben Wörter seines alltäglichen Sprachgebrauchs und seiner Muttersprache in einem Buch findet, das eigentlich in einer anderen geschrieben ist. Französisch kann ich beispielsweise sprechen und lesen und mag die Sprache sehr, aber sie erregt nicht so sehr meine Aufmerksamkeit, wenn ich sie mal in einem Buch finde. Wie ist der Effekt bei euch? Lest ihr viel auf Englisch? Und findet ihr es auch meistens besonders, wenn ihr da mal ein deutsches Wort findet? Oder anders gefragt: in welchen Sprachen lest ihr viel? Und was ist das kurioseste sprachliche Konstrukt, das ich dort begegnet ist?

4 Antworten

  1. Ich freue mich auch immer wieder, bzw. kichere leicht in mich rein, wenn mir sowas begegnet. Konkret fällt mir nur Lovecraft ein, wo neben dem Necronomicon auch immer wieder das fiktionale deutsche Buch „Unglaublichen Kulten“ referenziert wird. Und bei Phillip K. Dick, Jeff Vandermeer, etc. ist mir auch schon öfter „Hinterland“, „Doppelgänger“, etc. begegnet. Fühlt sich schräg an, weil es leicht den Fluss unterbricht. Generell lese ich aber gerne englischsprachige Autoren im Original. Mir fehlt zwar gelegentlich ein Wort, aber ich merke, wie mein Wortschatz dadurch wächst. Außerdem gibt es unverfälschten Stil…

  2. Das Englische entlehnt viele philosophische Begriffe dem Deutschen. Da gibt es nicht nur „gestalt“, sondern auch noch „angst“ und „weltschmerz“. Sonst fallen mir im Moment keine mehr ein, gibt aber sicher noch mehr 🙂

  3. Schmunzeln musste ich bei meinem Schottlandurlaub vor 10 Jahren, als ich auf der Isle of Skye in einem Wanderführer den Begriff „Abseiling“ las – diese Sportmethode wollte ich dann aber doch nicht ausprobieren und habe die Cuillin Hills erfahrenen Bergsteigern überlassen.

  4. Oh, wie ist der neue Auster? Der wartet auch noch auf mich.

    Ich lese gerade „The Man in the High Castle“. Da taucht auch sehr viel schönes falsches Deutsch auf: „Ich danke ihnen dabei!“ 😀

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