Das gehörte Wort … „Ulysses“ von James Joyce – Hörbuch-Besprechung

Nachdem ich mir vor einer Weile Homo faber als Hörbuch des Hörverlags genehmigte und begeistert war, sah ich zufällig, dass aus demselben Verlag auch James Joyces‘ „Ulysses“ als Hörbuch erschien. Dieses Buch was viele als unlesbar bezeichnen. Als Mammut- oder Jahrhundertwerk. Manche sagen, man muss es nicht gelesen haben. Manche sagen, man könne es gar nicht lesen. Noch vollkommen begeistert von der Hörkulisse, die mir schon den „Homo faber“ nahe brachte, dachte ich: challenge accepted. Wenn ich mir Ulysses zu Gemüte führe, dann so. Das war im Nachhinein die richtige Wahl. Aber nach dem ersten Kapitel dachte ich mir: oh graus. Was will mir dieser James Joyce sagen? Noch ein Spoiler: es wird besser. Man muss nur leider mindestens vier Kapitel durchhalten.

Ein einziger Tag wie ein ganzes Leben

Dinge, die ich über James Joyces Ulysses wusste: dass es von Leopold Bloom handelt und einen Tag seines Lebens erzählt. Nämlich den 16. Juni 1904, der auch heute noch in Irland als Bloomsday gefeiert wird, wo Leopold Bloom als eine Art „Quasi-Nationalheld“ gefeiert wird. Was ich über James Joyces Ulysses nicht wusste: dass es auch noch einen zweiten Hauptcharakter gibt, Stephen Dedalus. Dieser nicht so besonders fröhliche Genosse ist ein „gescheiterter Künstler“. Dedalus war auch schon der Hauptcharakter eines anderen Buches von James Joyce und mit ihm beginnt Ulysses – das nenne ich die erste Verwirrung, da man ja eigentlich Leopold Bloom erwartet. So schildert das Buch nicht nur einen Tag im Leben Blooms, sondern auch von Dedalus. Es überrascht sicherlich niemanden, wenn ich sage, dass sich beide im Laufe der Handlung begegnen werden. Und ihre Gegensätze sind der Schlüssel zu einem unsichtbaren Schloss.

Dedalus betrauert den Verlust seiner Mutter, kommt mit seiner Kunst nicht voran und verdient seinen Lebensunterhalt als Hilfslehrer. Wenn man etwas tiefer gräbt, dann wird klar, dass es in dem Buch und v.A. auch in der Person Dedalus‘ einige Bezüge zu James Joyce gibt. Erst in etwa Kapitel vier lernen wie Leopold Bloom kennen. Er ist Vertreter und mit einer Sängerin verheiratet. An dem Junitag geht er u.a. zu einer Beerdigung, wird ständig abschätzigen und antisemtischen Sprüchen ausgesetzt, die auf seine Identität als Jude abzielen. Die ganze Zeit über ist er sich außerdem bewusst, dass seine Frau Molly eine Affäre mit einem ihrer Kollegen, Blazes Boylan, hat und fragt sich stetig, ob sie an diesem Tag schon miteinander im Bett waren. Er geht mit Bekannten mittag essen, er läuft rum, er durchlebt eine Odyssee, die eine starke, allgegenwärtige Parallele zu Homers Odyssee ist. Jedes Kapitel gleicht vom Thema und der Stimmung her einem Kapitel von Homers Werk und schickt Bloom damit auf Irrfahrt. Wird auch er wieder den sicheren Hafen der Heimat finden? Zu seiner Frau zurückkehren, die anders als Penelope, vielleicht nicht auf ihn gewartet hat?

Wiedersehen im Stream of Consciousness …

… und diversen anderen Umständen, die es schwierig machen der Handlung zu erfolgen und ihre Essenz zu erfassen. Man kann sagen, dass Ulysses ein Wahrnehmungsproblem hat. Oder viel mehr seine Leser. Es gibt dermaßen viel zu entschlüsseln, dass es vermutlich mehrere Lektüren braucht, um alles zu erfassen. James Joyce dringt in die irische und europäische Geschichte vor, streut soviele Hinweise auf Diskriminierung und Antisemitismus, Bezüge zur griechischen Mythologie, zur Literaturgeschichte und Religion und dann kommt noch Stream of Consciousness als Kirsche auf das Sahnehäubchen oben drauf. Das alles ist sehr schwer einzuordnen und von der ersten Minute an gibt es irrsinnig viele Bezüge, bei denen der mündige Leser oder Hörer weiß: ok, den Witz habe ich nicht verstanden. Nehmen wir mal mich als Beispiel: Das Buch besteht zu mindestens 40% aus Referenzen, die ich nicht verstehe; zu 30% Referenzen, die sich durch Nachlesen klären und 30% Referenzen, die ich sofort verstehe. Aber 40% Unbekanntes sind ziemlich viel, wodurch das Buch insgesamt immer noch sehr hermetisch wirkt. Was macht man da? Nachlesen. Damals in der Schule (Achtung, jetzt werden alte Geschichten ausgepackt) musste ich nie einen Literaturschlüssel zu Rate ziehen. Hier habe ich gleich in mehreren Quellen nachgelesen, was ich da eben gehört habe. Sowohl in der guten alten Wikipedia, als auch auf Shmoop, was wohl schon einige Schüler und Studenten durch Prüfungen geboxt hat. Herzlichen Glückwunsch – es hat funktioniert. Aber es war förmlich Arbeit.

Das gute daran: es wird leichter. Während man dem intellektuellen und introvertierten Stephen Dedalus kaum folgen kann, ist der Bewusstseinsstrom Leopold Blooms wesentlich einfacher zu folgen. Die bloomschen Kapitel sind zugänglicher, ohne weiteres verständlich und enthalten auch etwas weniger Anspielungen. Man muss wie schon angedeutet eben nur die vier ersten Kapitel durchhalten.

Ein Ohrenschmaus

Das Hörbuch macht es einem leicht durchzuhalten. Die Sprecher gehen in ihren Rollen auf und die Soundkulisse ist wie ich es schon von Homo faber kenne erstklassig. In melancholischen Momenten wird zarte Piano-Musik eingespielt oder Klang, der nach wieder zu tage geförderten Erinnerungen klingt. Wie ein Sprung in einem Spiegel, wie ein Fenster, durch das Licht fällt – nur in Tönen gekleidet. Ab und an wundert man sich, das die Kapitel beispielsweise plötzlich mal von Schreibmaschinengeräuschen durchsetzt sind und Frauenstimmen abgehackt Kurze Sätze rezitieren. Die Recherche zeigt, dass James Joyce in Ulyssses stylistische Wechsel innerhalb des Buches vornimmt. Kapitel 7 ist beispielsweise mit Zeitungs-Headlines versehen, da das Kapitel auch in einer Zeitungsredaktion spielt (und diese satirisch aufs Korn nimmt). All diese Eigenheiten hat der Hörverlag entsprechend umgesetzt – und das sehr kreativ! James Joyce hat nämlich gut vorgelegt – man bekommt als Leser wie als Hörer viel geboten. Im Mittagessen-Kapitel gibt es beispielsweise viele gastronomische Metaphern, ein Kapitel kommt gar einem Bibelvers gleich – in sehr lang. Sehr lang! Wäre das Hörbuch nicht so atmosphärisch, weiß ich nicht, ob ich das durchgehalten hätte. Dabei bin ich alles andere als ein Buch-Abbrecher.

Das für mich wohl verblüffendste ist aber das: da das Hörbuch 21 Stunden Spielzeit hat, kann man sagen, dass es in „Echtzeit“ ist. Unterwegs mit Bloom. Und Dedalus. Und sovielen anderen.

Was nachhallt

Diesen Tag, den Bloom hier durchlebt kann man als „The Worst Day in the Life of Leopold Bloom“ bezeichnen. James Joyce hat ihn als einen modernen Held geschaffen – anders als Odysseus. Er ist einer der einsteckt, der nicht zuschlägt. Keine offenkundig heroische Figur, sondern eine ausdauernde. Er ist von missgünstigen, rohen und rassistischen Gestalten umgeben. Er beklagt einen Verlust – den seines Sohnes und eventuell den der Liebe seiner Frau. Dann trifft er diesen Typen, der auf andere Art vom Leben herausgefordert wird und damit so semi gut zurechtkommt – Stephen Dedalus. Und stellt sich vor, dass sein Sohn wie dieser Stephen sein könnte. In jedem Fall führt Joyce zwei zusammen, die irgendwie zusammen passen, trotz all ihrer Unterschiedlichkeiten. Fast tröstlich, an einem Tag wie diesem 16. Juni. Der Zufall spielt allgemein eine große Rolle – etwas das ich sehr zu schätzen gelernt habe. Wer aufpasst wird belohnt. Die Zitronenseife sage ich nur – die taucht öfter auf. Ein anderes Beispiel: so nimmt jemand eine Bemerkung Blooms als Tipp für eine Wette – zum Scheitern verurteilt? Missverständnisse, Gebrabbel, Geflüsterte Schimpfwörter – es ist ein bisschen wie wenn man durch die Stadt geht und allen zuhören könnte. Aber es ist viel. Und ich bin mir sehr sicher nicht alles verstanden zu haben. Ob ich es bereue? Nein, es war interessant. Und ich denke immer noch, dass es in dieser Kombination aus Hörbuch und Interpretationen lesen die vielleicht beste Kombination für mich war. Werde ich nochmal das Buch in die Hand nehmen? Wahrscheinlich nicht.

Schade, dass ich es verpeilt habe die Besprechung bis zum 16. Juni fertig zu haben und in die Welt zu schicken. Nun ist es fast drei Monate nach dem Bloomsday! Tatsächlich hätte ich aber mal Lust diese Aktion mitzumachen und Blooms Weg durch Dublin abzulaufen, was wohl sehr beliebt zu sein scheint. Nach wievielen literarischen Figuren wurde ein Tag benannt? Den „Towel Day“ wollen wir natürlich dabei nicht vergessen. Hattet ihr auch schon eine Begegnung mit James Joyce und seinem Ulysses? Und wart ihr auch so verwirrt? Ich hoffe …

4 Antworten

  1. Noch immer Hut ab! Ulysses ist eines dieser Werke, über das man viel hört, das aber dann doch kaum jemand selbst gelesen hat und bei dem ich nach wie vor unsicher bin, ob ich es wirklich lesen MÖCHTE. Allerdings wäre ich bei einem Buch, das als so schwer und quasi unlesbar gilt, nie auf die Idee gekommen, die Hörbuchversion vorzuziehen („Kann man es gehört überhaupt ansatzweise verstehen, wenn doch schon das Selbstlesen so problematisch sein soll?“). Du hast mir da jetzt ein bisschen die „Angst“ genommen. 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hätte ich nicht kurz davor „Homo Faber“ aus dem selben Verlag gehört, dann wäre ich vielleicht auch nicht auf die Idee gekommen mir das als Hörbuch zu geben. Zumal ich vermutet hätte, dass einem noch mehr vom Inhalt entgeht, wenn man es hört, statt liest. Stream of Consciousness ist eh nicht so mein Ding. Meine Gedanken wandern dann immer … und gerade wenn man nichts „in der Hand hat“, ist die Gefahr ja größer, dass man sich ablenkt. Aber hier gab es wahrscheinlich keinen großen Unterschied. Wirklich verstanden habe ich aber doch recht vieles nur mit der Literaturhilfe … die hätte ich aber bestimmt auch bei der normalen Lektüre gebraucht. Gerade mit dem anderen Hauptcharakter konnte ich so gar nichts anfangen.

      In jedem Fall freut es mich, wenn ich dir die Angst nehmen konnte. Zugänglich ist es ja nun wirklich nicht, aber das Hörbuch ist schick aufbereitet von der Soundkulisse und ich denke gerade bei schwer zugänglichen Klassikern ist die Hörbuchversion manchmal eine gute Option.

  2. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Bis jetzt ist mir Ulysses nur im Manga begegnet. 🙂 Klingt nach einer sehr interessanten Geschichte, vielen Dank für den Artikel 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      In welchem Manga ist er dir denn begegnet? 😉
      Interessant ist die Geschichte in der Tat, auch irgendwie entlarvend, manchmal witzig, manchmal tragisch, manchmal schockierend. Aber immer nur stellenweise zugänglich und dann wieder sehr hermetisch oder wirr – was dem stream of consciousness geschuldet ist. Aber eins muss man dem James Joyce lassen: er hat da enorm viel an Subkontext reingesteckt.

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