ausgelesen: George Saunders „Fuchs 8“

„Libe Leserinen und Leser:

Zuers möchte ich sagen, Entschuldigung für alle Wörter, di ich falsch schreibe. Weil ich bin ein Fuks!“

So beginnt die Geschichte des ungewöhnlichen Helden in George Saunders Kurzgeschichte. Ein Fuchs richtet sich in einem Brief an uns Menschen. Er hat ein Anliegen. Aber er fängt ganz am Anfang an. Also zuerst einmal: er hat Menschisch gelernt. Und zwar indem er abends einer Familie zugehört hat, die ihren Kindern Gute-Nacht-Geschichten vorliest. Manchmal hat er auch seine Augen sehr stark angestrengt und hat die Buchstaben und Wörter gelernt. Deswegen kann er auch einigermaßen schreiben. Höflich ist er, entschuldigt sich erst einmal für alles, was er vielleicht nicht ganz korrekt getroffen hat. Syntaktisch. Und semantisch. Dann beginnt er die Geschichte zu erzählen, die unweigerlich im Brief resultierte. Er erzählt vom Bau des Einkaufszentrums in seinem unmittelbaren Biotop. Von den Menschen und ihren seltsamen Gebaren. Von den Geschäften und sogenannten Fressmeilen – für ihn eine tolle Erfindung. Er erzählt aber auch von der Hungersnot der anderen Füchse. Von sterbenden Fischen und großen Lkws. Und von der Katastrophe, die seine Sicht auf die Menschen für immer ändert.

Fuchs 8 ist anfangs unheimlich augenzwinkernd, schelmisch, witzig. Der titelgebende Fuchs 8 (so sein Name) klärt uns beispielsweise erstmal darüber auf, dass die gängigen Geschichten über Füchse ja alle gar nicht wahr sind. Voller Missverständnisse und falsch interpretierter Sachlage. Sie stehlen ja gar nicht die Eier der Hühner. Sie haben einen Deal. Die dürfen das. Die Hühner wissen das nur noch nicht. Und wenn sie mal ein Huhn schnappen … naja, das läuft ja nicht weg. Also ist es einvernehmlich, nicht wahr? Das war bestimmt krank und alt und wollte gefressen werden. Genau. Wenn dann aber der Fuchs weitererzählt wie der Bau der Einkaufspassage sein Leben und das der anderen Füchse ändert, wechselt die Geschichte zu einer bitteren Tragik, die einem beim Lesen fast die Tränen in die Augen treibt. Oder auch nicht nur fast.

Der Leser kann sich sicherlich ausmalen in welche Richtung das geht. Mitnichten aber in die, das Einkaufszentren böse wären. Viel mehr ist das Buch ein Appell an das Verhalten der Menschen anderen Lebewesen gegenüber. Mitgefühl, Rücksicht und Respekt vor dem Leben zu haben. Vor jedem Leben. Das bittere daran ist, dass der Fuchs die Menschen wie ein Kind kennen lernt. Er geht von dem besten aus. Erkennt gar Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier, in der Art und Weise wie sie ihresgleichen lieben. Zu lesen wie er von den Menschen aufs tiefste enttäuscht wird, ist ziemlich herb.

„Dann, […], sengte sie ire Schnauze und Lippen zu den Köpfen von iren Jungen, das nannte sie ‚Gutenachtkus‘. Was mich nemlich to tal angemacht hat! Weil so zeigen wir Fükse nemlich auch unsere Libe zu unsern Jungen! Das machte mir ein gutes Gefül, so als könnten Mänschen Libe fülen und zeigen. Mit anderen Worten, Hoffnung für di Zukunft von der gansen Erde!“

Das unschuldige und kindliche von Fuchs 8 liegt in seiner Sprache und seinen Beobachtungen. Er verkennt manche Situationen und Wortwahl, aber man weiß was gemeint ist. Er verzichtet auf Buchstaben, die man nicht hört und wählt fälschlicherweise Buchstaben, die so ähnlich klingen wie die tatsächlichen innerhalb eines Wortes. So wird aus euch hier ein oich. Aus Mensch wird Mänsch. Und er ist eben ein Fuks. Was sich Saunders ausgedacht hat ist smart. Es unterstreicht das unschuldige, naive unseres Richters der Menschheit. Und dahinter steckt ein erkennbares System desjenigen, der ohne Erklärung die menschliche Sprache beobachtet und sich selber die Zusammenhänge und Regeln erklärt hat. Ebenso hervorgehoben werden muss daher auch die Leistung von Übersetzer Frank Heibert. Denn hier muss das System, dass sich Saunders ausgedacht hat komplett neu, möglichst ähnlich und sinnig ins Deutsche übertragen werden. Welche Laute hört man nicht? Welche Wortwahl ist adäquat?

Die Form ist plausibel, verständlicher, aber auch irritierender als man denkt. Es kommt schon mal vor, dass man seinen gewohnten Lesefluss unterbrechen und auf ein Wort oder eine Wortgruppe starren muss, um zu verstehen was gemeint ist. Der Trick liegt wohl daran es nicht zu hart zu versuchen, sondern sogar eher etwas schneller darüber zu lesen. Es ist nicht schwierig, man wird alles verstehen. Außerdem ist das Buch knapp 50 Seiten lang und sehr großzügig aufgeteilt. Die Illustrationen von Chelsea Cardinal unterstreichen das Geschehen sehr schön und nehmen zusätzlich Raum ein. Heben immer rot die Füchse hervor. Wie ein Tintenklecks mit Ausrufezeichen in einer schwarz-weißen Welt, die sich besser nicht in ihre eingemischt hätte. Man liest das Buch in vielleicht 20 Minuten und das ist genau richtig so. Länger hätte anstrengend werden können. So ist das Gesamtpaket perfekt. Und vor Allem perfekt für alle. Perfekt für große und kleine. Insbesondere die letzten Sätze verfolgen einen lange (weswegen ich sie hier nicht zitiere), weil sie eine Botschaft in sich trägt, die fundamental ist. Habt Respekt vor dem Leben.

„Und deshalb schreibe ich disen Brif an oich Mänschen. Ich wüsste gerne, was mit oich los is.“

Fazit

Wunderbare, kurze Erzählung, die gleichzeitig smart, witzig und unendlich tragisch ist.

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-630-87620-7, Luchterhand Literaturverlag

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

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