ausgelesen: Jules Verne „20.000 Meilen unter Meer“ Band 2 #aufDerNautilus

Ende Mai brachen einige eifrige Leser, Blogger, Tweeter auf um unter dem Hashtag #aufDerNautilus über Jules Vernes Klassiker „20.000 Meilen unter dem Meer“ zu sprechen – und den natürlich zu lesen. Der Leserunde schlossen sich Jana von Wissenstagebuch, Matthias alias @_quoth_, „Nadelnerd“ Ariane und Christin alias Kaisu an. Dieses Zwischenfazit zur Leserunde tarnt sich nicht grundlos als Besprechung des zweiten Bandes, denn „20.000 Meilen unter Meer“ erschien (bei einigen Verlagen) in zwei Bänden. Dabei schaue ich gleichzeitig auf die gemeinsame Reise unserer Runde zurück. Der Beitrag kommt ohne Spoiler zum ersten Band aus.

Und jetzt mal Butter bei die Fische

Den konnte ich mir nicht verkneifen. 🙂 Schenkelklopfer. Wir erinnern uns: in Band 1 wurden Professor Aronnax, sein Assistent Conseil und der Harpunier Ned Land schiffbrüchig nach der Attacke eines Unterseebootes, das sie später auf hoher See aufliest. Dieses Bott ist die Nautilus und ihr Kapitän nennt sich Nemo. Er erklärt Aronnax und seinen Freunden, dass er sie gerettet hat, aber sie das Geheimnis der Nautilus wahren müssen und nie wieder unter anderen Menschen als der Crew leben dürfen. Die Nautilus ist der Technik der Landbevölkerung weit voraus, Nemo ist ein Visionär – aber er hat sich der Welt abgewandt. Während Aronnax von den Wundern der Weltmeere begeistert ist, gärt insbesondere im freiheitsliebenden Ned Land der Wunsch wieder in sein altes Leben zurückzukehren. In Band 2 umso stärker, nachdem Nemo das erste Mal von seiner Regel Gebrauch gemacht hat, die Mitreisenden einzusperren. Das erste Mal fühlen sie sich als das, was sie sind: Gefangene.

„Kapitän Nemo wies mit der Hand auf diesen erstaunlichen Haufen von Perlmuscheln, und ich begriff, daß diese Fundgrube tatsächlich unerschöpflich war, denn die Schöpfungskraft der Natur ist größer als der Zerstörungstrieb des Menschen.“ p.50

Natürlich werden die Abenteuer der Nautilus fortgesetzt. Die Meeresbewohner werden noch bunter beschrieben als vorher. Nemo lässt sich nicht lumpen, entdeckt kurzerhand vorher unbetretene Gegenden der Erde und führt Aronnax gar an einen sagenumwobenen Ort, der für mich so ziemlich das Highlight des Buches war. Die Entdeckung einer unterirdischen Passage und ein paar Einblicke in die finanziellen Ressourcen Nemos gab es inklusive. In punkto „schlauer machend“ übertrifft der zweite den ersten Band. Beispielsweise darin wie Perlen entstehen und wie deren Wert gemessen wird. Aber ab jetzt geht für Aronnax und seine Kumpanen die Reise mit einem gewissen Misstrauen weiter. Es werden zarte Pläne für Fluchtversuche geschmiedet und es gibt einige Vorboten der Gewalt zu denen Nemo, die Crew und wohl Menschen im Allgemeinen fähig sind. Die blutigen Begegnung mit zahlreichen Tieren lassen erkennen, dass auch ein Nemo, der sich über den Rest der Menschheit erhebt, zu sinnloser Gewalt fähig ist. Dass Aronnax, Conseil und Ned Land aufmüpfig werden, war schon in Band 1 lange überfällig.

„Ich bin das Recht, ich bin die Gerechtigkeit!“ (p. 401)

Einer der Aspekte, den ich an den Büchern am spannendsten empfand, waren die Unterwasser-Abenteuer der Crew und Crew-Mitglieder wider Willen; aber auch der Drang Details über den mysteriösen Nemo zu erfahren, von dem man im zweiten Band dann größenwahnsinnige Sätze wie den obigen liest. So wurde es bald einer meiner größten Kritikpunkte, dass man über den so wenig erfährt und dass Aronnax & Co. offenbar auch wenig ihren Gefangenenstatus hinterfragen. In Band 2 bleibt Nemo weiterhin lange ein Mysterium und seine ganze Geschichte wird wohl nie irgendwo erzählt. Lediglich in anderen Geschichten Vernes, in denen er offenbar überraschend auftaucht, gibt es nochmal ein paar Hinweise. (Und im Nachwort dieser Ausgabe.) Aber sein Dilemma bekommt Wertung und mehr Gestalt. Auch wenn das für mich als Leser immer noch zu wenig ist, charakterisiert es Nemo gut und schließt die Geschichte spannend ab. Was bedeutet das nun aber rückblickend auf die gesamte Geschichte?

In meiner Besprechung zu Band sagte ich schon „Der erste Band wirft mehr Fragen beim aufmerksamen Leser auf, als er beantwortet“. Da hieß es auch „Leider macht es aber auch ein zu großes Geheimnis aus seinem Geheimnis ohne befriedigende Antworten anzubieten und sich zu oft in Aufzählungen zu verlieren. Nichtsdestotrotz sieht man nach der Lektüre die Welt und v.A. Natur und Wissenschaft mehr als die Wunder, die sie sind“. Das sehe ich heute immer noch so. Im zweiten Band wurde ich im Gegensatz zum ersten Band ungeduldig und war noch zwiegespaltener als vorher. Die ausschweifenden Aufzählungen der Unterwasserwelt waren einerseits wunderschön, erschienen mir aber noch repetitiver und langatmiger als im ersten Band und ich konnte sie sehr bald nicht mehr genießen. Es ist was dran, an dem was Diogenes in seinem Klappentext schreibt: „Jules Vernes Bücher liest man entweder im Alter von zehn Jahren, und dann begleiten sie einen ein Leben lang. Oder man liest sie als Erwachsener und bereut, daß man so lange damit gewartet hat.“ Ich denke, dass mich das Buch als Kind oder Jugendliche mehr begeistert hätte; aber es war auch ein schöner Ausflug, der das Meer erfolgreich während des Lockdowns in das heimische Wohnzimmer und auf den Balkon geholt hat.

Über den Buchdeckel hinaus

In der Ausgabe, die ich gelesen habe, folgt ein aufschlussreiches Nachwort von Peter Costello, der Sachbücher über Jules Verne Verfasst hat. Er geht darin v.A. auf die Science zwischen der Fiction ein. Dass Jules Verne ein Visionär war steht außer Frage. Allein, dass er Elektrizität und Wasserstoff als Antriebsmittel des Lebens an Bord der Nautilus beschrieben hat, wo beides zu Jules Vernes Lebzeiten kaum bekannt oder wenig ausgeschöpft war, ist unglaublich. Zu den „Fehlannahmen“ zählt beispielsweise, dass Tauchgänge so wie beschrieben nicht funktionierenden würden. Costello geht auch auf den Ursprung der Nautilus ein. U-Boote waren seit ihrer Vorstellung auf der Weltausstellung in Paris ein Hype, Bücher dazu schossen aus dem Boden – nicht nur Jules Vernes. Der musste sich sogar zum Plagiatsvorwurf äußern. Costello vermutet, dass der Ingenieur Robert Fulton die Vorlage für Nemo war. Er erklärt auch, was dem Leser komplett entgeht: dass man mit etwas mehr Geschichtswissen eine Idee bekommt, was Nemo wohl in der Vergangenheit widerfahren ist.

Wie man oben wohl schon rausgelesen hat, bereue ich etwas, dass ich Jules Verne erst so spät begegnet bin. Ich glaube, dass man dem Buch mit dem Wissen eines Erwachsenen nicht mehr mit solche Begeisterung begegnet wie das als Kind möglich gewesen wäre. Um etwas Wissen über den Autor nachzuholen, schaute ich ein, zwei Dokus über ihn, beispielsweise die ihm gewidmete Episode aus der Reihe Science-Fiction-Propheten von Ridley Scott. Neben überflüssiger Werbung, gab es dort auch mal ein paar Details zu Jules Vernes Privatleben, Aufstieg, Leiden im Alter und Denke. Sein Lektor Pierre-Jules Hetzel war offenbar maßgeblich daran beteiligt, dass Vernes Bücher einen eher positiveren Ton anschlugen, wohingegen Verne eben auch einen Hang zu derben Dystopien hatte (Paris im 20. Jahrhundert, Die 500 Millionen der Begum). Etwas auffällig ist auch, dass in Vernes Büchern die Antagonisten die spannenderen, charakterlich farbigeren Charaktere sind, während die Protagonisten und unsere Identifikationsfiguren blass bleiben wie der vor Konsequenzen und Entscheidungen zurückscheuende Aronnax. Damit ist Vernes nicht nur ein Visionär, der Abenteuer schätzt und bei vielem vorausdachte, aber auch ein viel schärferer Kritiker als es Kindheitserinnerungen an die Bücher wohl vermuten lassen. Vielleicht klingt da auch ein bisschen aus dem heraus, was er in der Figur Nemos auf die Spitze trieb.

Lesereise unter und über Wasser

Vielleicht ging es den anderen in unserer Leserunde ja so wie mir, dass die Aufzählungen irgendwann sehr müde machen? Jedenfalls driftete über die zwei Bände unsere Runde etwas auseinander. Da Twitter geduldig ist, macht das nichts aus. 😉 So konnten wir uns gemeinsam über das Pottwal-Gemetzel auslassen, darüber fachsimpeln wie unterschiedlich unsere Ausgaben sind und ein paar Details teilen wie den Soundtrack zum Lesen und die Doku als Nachschlag. Ich sage wieder herzlichen Dank für eine sehr schöne Leserunde – und wenn ihr mal in unsere Gedanken reinlesen wollt, wisst ihr ja wo: #aufDerNautilus

Fazit
schöner Abenteuerroman, der am besten wirkt, desto früher man ihn liest

Zu den Artikeln der Leserunde

30.05. Ankündigung hier im Blog
13.06. Besprechung zum ersten Band hier im Blog
19.07. Besprechung von Jana @ Wissenstagebuch

Besprochene Ausgabe: 978-3-257-20244-1, Diogenes Verlag

Es hat ein wenig gedauert, dass ich endlich die Reihe zu Ende bespreche, weil diverse andere Themen hier im Blog etwas Raum eingenommen haben (*hust* Filmfestivals *hust*). Vielleicht gesellen sich ja die anderen Leser der Runde mit verbloggten Eindrücken dazu – dazu hat Twitter die Gedanken für uns konserviert. Habt ihr das Buch gelesen? Wie hat es euch gefallen und wie alt oder jung wart ihr? 🙂 Für die nähere Zukunft nehme mir vor mal einige Verfilmungen des Stoffs zu schauen und dort insbesondere die Nautilus und Nemo zu vergleichen.

5 Antworten

  1. Ich habe 20.000 Meilen mit ca. 20 Jahren gelesen und geliebt – im Gegensatz zu euch wurde ich der Schilderungen der Tiefsee nie überdrüssig. Aber ich habe generell für Unterwasser-Panoramen in allen Variationen.

    Dafür haben mich aber alle anderen Abenteuerromane und -kurzgeschichten Vernes enttäuscht (mal mehr, mal weniger) – aus ähnlichen Gründen wie du sie hier anführst: flache Charaktere, wiederkehrende Schemata, zu einfache Lösungen, zu krasse Sprünge (in den Launen, Denkweisen und Handlungen) …

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Oh je, das klingt so als ob die Aspekte dann doch flächendeckend ähnlich sind in Jules Vernes Büchern. Wegen seiner unglaublich gut vorgedachten Ideen würde ich ja schon gern andere seine Geschichten lesen. Zum Beispiel die Reise Mond, wo die Menschen wohl mit einer Kanone ins All geschossen werden und in einem samt-beschlagenen Schiff sitzen (XD interessante Vorstellung), aber die Charaktere haben es mir schon ein wenig verhagelt.
      Deswegen wünschte ich mir wirklich ich hätte die wenigstens als Teenager entdeckt … besser noch als Kind.

  2. Der Aufzählungscharakter machte mich auch etwas müde. Sowohl, was die tatsächlichen Aufzählungen von Meerestieren betrifft, als auch die teils unzusammenhängende Aneinanderreihung von Abenteuern. Ich meine: Da sind sie schon mal in Atlantis. Atlantis! Das muss man doch auskosten; das muss den Professor doch nachhaltig beeindrucken. Hach! Mich hätte das wohl länger als einen Abend beschäftigt. 😀

    Ansonsten sprüht das Werk ja vor Fantasie und ich weiß, dass ich als Kind tatsächlich mehr Spaß damit hatte als jetzt. (Ein schwieriger Vergleich, weil ich jetzt ja auf ganz andere Dinge achte und Wert lege). Aber die fehlende Figurentiefe empfand ich wirklich als großes Manko. Das habe ich bei „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ noch gar nicht als so gravierend empfunden; ich finde, da hat Jules Verne seinen Figuren mehr Charakter mitgegeben.

    Auf jeden Fall schön, mit euch gelesen zu haben!

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Atlantis hat mich auch extrem geflasht! 😀 Da ist es da, dann ist es wieder weg … was hätte es da zu erzählen gegeben! Kennst du eigentlich den Anime Die Macht das Zaubersteins?Da spielt die Nautilus und Nemo auch eine große Rolle und Atlantis bekommt mehr als genügend Erwähnung 😉

      Aber das ist doch gerade spannend – du hast ja ein vorher nachher. 🙂 Kannst vergleichen was dich als Kind begeistert hat und was heute anders auf dich wirkt. Spannend ist dabei ja v.A. dass du deine Meinung offenbar ändern kannst. Das finde ich gar nicht so einfach. Ich denke man neigt oftmals dazu die Stoffe die man von früher kennt und liebt zu verklären … ich bemerke das selber manchmal bei mir. Aber als ich neulich Lady Oscar geschaut habe, fand ich auch nicht alles supertoll … also naja.

      Das Lesen mit euch hat mir auch viel Spaß gemacht 😀

  3. […] 18.07.20        Fazit hier im Blog 20.07.20        Fazit zum zweiten Band bei Miss Booleana […]

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