Netzgeflüster: Game-Besprechung „The First Tree“ (Switch)

„Es hat einen Fuchs als spielbaren Charakter – ich muss es haben.“ Mehr war nicht dahinter. Okay, noch was: Nachdem ich den Trailer gesehen habe, war schnell klar, dass „The First Tree“ ein emotionaler Walking-Simulator im Stile von Dear Esther, Firewatch oder gar Journey sein würde. Da ich die drei Spiele sehr mochte, einige davon sogar heiß und innig liebe, hat mich das bekräftigt. Und wie ist das Spiel mit dem Fuchs?

The First Tree ist ein emotionaler Indie-Third-Person-Walking-Simulator in dem man einen Fuchs steuert, der seine 3 Jungtiere sucht. Aus dem Off hört man die Stimme des Erzählers Joseph, der seiner Frau Rachel davon berichtet, dass er regelmäßig von eben jenem Fuchs träumt und sich nicht sicher ist, was das zu bedeuten hat. Während der Fuchs durch die Landschaft streift, erzählen Joseph und Rachel aus ihrem Leben und es wird schnell klar, dass Traum und Realität verbunden sind. Wir steuern den Fuchs und graben Dinge aus, die Joseph etwas bedeuten und laufen wortwörtlich an seinen Erinnerungen vorbei. Den Fuchs und Joseph verbindet v.A. eines: Verlust.


„The First Tree – Official Teaser“, via The First Tree (Youtube)

Mit dem Kernthema der Trauerarbeit atmet The First Tree eine ähnliche Luft wie Dear Esther. Wir folgen dabei in vergleichbarer Art und Weise dem Fuchs durch verschiedene Level und erfahren aus dem Off den emotionalen und narrativen Unterbau, der uns hilft das Gesehene einzuordnen. Es ist gar nicht so sehr die Handlung, sondern die eben doch noch sehr hobbyprojekt-mäßig anmutende Machart, die wenig begeistert. Die Steuerung und Physik ist recht hakelig. Es gibt durchaus Situationen in denen der Fuchs läuft, wo er nicht laufen sollte und aus so manchem Gelände oder Kamerawinkel wirkt das alles nicht mehr sehr professionell – der Fuchs fällt oder rutscht Hänge hinab als ob er tot oder steif wäre, man kann in andere Objekte hineinlaufen, etc.

Das Spiel ist (zum Großteil) bewusst als Low-Poly-Spiel umgesetzt. An und für sich auch ein kluger Schachzug. Denn insbesondere bei Ein-Personen-Indie-Projekten ist es einfach zu hart auf Realismus zu setzen und benötigt eine arge Rechenkapazität. Low-Poly und Abstraktion hat seit jeher den Vorteil, dass es verzeiht. Aber die immer gleichen Baum- und sehr sehr simplen Pflanzen-Modelle rauben etwas den Spaß. Dabei sind die Level insgesamt schön und haben viel Potential. Ich hatte Lust Screenshots zu machen und habe gern mehr Runden in der Landschaft gedreht als ich müsste.

Etwas störender ist da die wenige Weisung oder Unterstützung, die der Spieler erhält. Für grundsätzliches was die Controls und Spielmechanik betrifft, ist gesorgt. Daran wurde gedacht und die sind auch vollkommen ausreichend. Ein weiterer Bonus ist, dass man grundsätzlich so wenige Controls braucht. Das schleift sich ein, das beherrscht man schnell. Weniger schön empfand ich, das es keinen Speicherdialog gibt oder alternativ leider auch keine Guidance wann/wie man wieder in das Level einsteigt. Die größere Stärke des Spiels ist das Gameplay und v.A. für alle die emotional getriebene Spiele mögen ein Argument. Actionliebhaber haben hier wahrscheinlich eh schon aufgehört zu lesen. Die emotionalen Höhen und Tiefen schlagen insbesondere ab der Mitte zu und im Epilog gibt es noch einen sehr schönen Höhepunkt und einen Kniff, der gar die Community mit einbezieht und mich sehr überrascht hat. Allerdings hätte das Gameplay noch etwas tiefer und cleverer angelegt sein können – dafür hätte es nicht viel gebraucht. Beispielsweise kann der Fuchs auf seinem Weg Sterne einsammeln. Der Zweck derer erschließt sich erst später und ist dann ein cooler Gedanke. Also ein Rat an der Stelle: Sterne einsammeln! Die wirken aber relativ willkürlich hingeworfen und hätten sinnvoller platziert werden können.

Erst nachdem ich das Spiel durchgespielt hatte, habe ich erfahren, dass es Trophäen gibt – nur eben nicht auf der Switch, weshalb ich dazu rate eine der anderen Plattformen zu nutzen (PC, PS4, …) Davon mal abgesehen hatte ich ansonsten auf der Switch keine Nachteile. Insgesamt habe ich The First Tree in seiner Kürze (2-3h Spielzeit) gern gespielt und war trotz einiger Abstriche bei Gameplay und Umsetzung ab der Hälfte ergriffen. Besonders der Epilog hat mir gut gefallen und hatte einige Kniffe und emotionale Tiefe, die mich berührt haben. Der Fuchs spielt dabei eine Rolle und „hat seine Momente“, die einem das Herz schon schwer machen. (Sehr schwer.) Auch wenn ich das selber nicht gefunden, sondern nur in einem Youtube-Video gesehen habe, hat The First Tree offenbar das sympathischste und schrägste Bonuslevel, das ich jemals gesehen habe. Erinnert mich an meine ersten Gehversuche mit Unity 😉 Womit The First Tree übrigens gebaut wurde.

So in Summe war das ja nun ganz schön viel Kritik und das klingt wohl nicht so toll!? Die Sache ist aber die: für ein Indie-Spiel ist das vollkommen okay. Klar, es gibt eine Menge unausgegorene Dinge, wenn man The First Tree mit einem Spiel vergleicht, hinter dem eine ganze Mannschaft an Developern, Marketeers und erfahrenen Drehbuchautoren steht. Aber ich bin ehrlich tief beeindruckt davon, dass David Wehle das Spiel erstens neben einem Vollzeitjob und zweitens Familienleben gebastelt hat und noch dazu ohne von Haus aus ein Entwickler zu sein(!!). Also was soll’s!? Das sind eben ein paar Sachen nicht so professionell, aber es funktioniert, es stürzt nicht ab, es erzählt seine Geschichte und das effektiv und es kostet nicht die Welt. Vor dem Hintergrund ist das alles schon ok. Nachdem ich diesen Podiumstalk von ihm gesehen habe, denke ich, dass er ein Motivationscoach ist und werde mir seinen öfter erwähnten Leitsatz „Never have a 0% day“ hinter die Ohren schreiben. Weil ich das recht faszinierend finde, gibt es im Nachgang nochmal ein paar Links über den interessanten Schaffensprozess des Spiels. Ich habe erstaunlicherweise darüber mehr gelesen als es gedauert hat das Spiel zu spielen … Der Typ ist super und wirkt ungemein sympathisch.


„No Time, No Budget, No Problem: Finishing The First Tree“, via GDC (Youtube)

connect.unity.com: David Wehle „So many projects, so little time“
thefirsttree.com: interessante FAQs
Youtube/RoughCollie Games: The First Tree Bonuslevel, Bunny King, Easter Egg, all Rabbits
Youtube/Game Dev Unlocked: Here’s Why My Indie Game Went Viral on Steam

Wie steht ihr zu Indie-Spielen? Wann ist ein Spiel überhaupt Indie? Kennt ihr vielleicht sogar „The First Tree“? Und wenn ja, wie hat es euch gefallen?

Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂

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