Filmbesprechung „Mogul Mowgli“ (LICHTER 2021)

Im April/Mai fand das Lichter Filmfest in/aus Frankfurt statt – online und on-demand. Und ich war mit Abstand am gespanntesten auf den Film „Mogul Mowgli“, den ich durch die Bewerbung Riz Ahmeds in sozialen Netzen kennen gelernt habe. Auch hier spielt Riz ähnlich Sound of Metal einen Musiker, der infolge einer Erkrankung sein Leben und sein Schaffen überdenken muss – und trotzdem sind beide Filme so unterschiedlich und so gut. Die Besprechungen sind selbstverständlich spoilerfrei.

Zaheer Anwar (Riz Ahmed) rappt unter seinem Künstlernamen Zed und es könnte kaum besser für ihn laufen. Kaum hat er seinen bisher größten Gig in New York gespielt, wird er als Opening Act für sein Vorbild gebucht und soll schon in der darauffolgenden Woche mit ihm zusammen auf Europa-Tour gehen. Dazwischen besucht er seine Familie in London und fühlt sich sofort zurück in seine Kindheit versetzt. Die Anfänge mit Rap, das ständige Zerren um Begriffe wie die eigene Herkunft, der langsame Aufstieg zu Bekanntheit und dann bemerkt er das erste Mal das Taubheitsgefühl in seinen Beinen. Als Zed eines abends zusammen bricht, beginnt das Testen und Bangen im Krankenhaus.

Für Zed wird es eine Qual nach soviel Arbeit realisieren zu müssen, dass er die Tour mit großer Wahrscheinlichkeit absagen muss. Er hält lange an der Idee fest bis das erste Mal das Wort Autoimmunerkrankung fällt – und sogar noch danach, obwohl er kaum mehr alleine stehen, geschweigedenn laufen kann. Aus dem Besuch bei seiner Familie, der nur mal ein Wochenende dauern sollte, wird die Aussicht auf längerfristige Pflege und aller Wahrscheinlichkeit nach finanzielle Sorgen. Dabei kann man ablesen, dass Zed seine Familie sehr liebt, aber auch mit einer gewissen Erleichterung seinen eigenen Weg ging bis er nun wieder zurück und auf den Beistand angewiesen ist. Der Generationenkonflikt ist nur eins von vielen Motiven, die Zed bis in seine Träume und Halluzinationen verfolgt. Allen voran die Beziehung zu seinem Vater Bashir (Alyy Khan).

Riz Ahmed entwickelt sich zu einem Garanten für anspruchsvolles und kritisches Charakterkino – zu einem Powerhouse im anspruchsvollen Film. Seine Oscar-Nominierung für Sound of Metal wird sicherlich nicht seine letzte sein. In Mogul Mowgli kann man ihn außerdem auch als Rapper hören und er schrieb das Drehbuch. Anzunehmen, dass viele persönliche Erfahrungen darin eingeflossen sind. So sind auch Ahmeds Eltern aus Pakistan nach Großbritannien eingewandert. Es ist unfassbar wieviele Themen in Mogul Mowgli zusammenlaufen und der Film trotzdem so gut funktioniert. In einem Song adressiert Zed/Riz beispielsweise wie surreal die Frage ist „Wo kommst du hier?“ und dass die Antwort nie richtig zu sein scheint. Menschen sehen an der Hautfarbe die pakistanische Herkunft, die Wurzeln seiner Familie sind aber auch in Indien, da sein Vater von dort nach Pakistan floh. Rein logisch ist Zeds Antwort aber „Ich komme aus London“ – doch das ist nicht, was die Leute hören wollen. Seine Familie hingegen wirft ihm vor, dass er seine Herkunft verrät, indem er beispielsweise nicht unter seinem Namen Zaheer rapt und meinen mit „Herkunft“ mal Pakistan, mal ihre Religion. Neben dem Gefühl irgendwie zwischen den Stühlen zu sitzen, sind da Glaube und Aberglaube ein Thema, Generationenkonflikte. Riz Ahmed selber hat The Riz Test aufgestellt, mit dem er adressiert wie vorurteilsbehaftet muslimische Charaktere in Film und Medien allgemein dargestellt werden. Selbstredend, dass seine Figur den Test in Mogul Mowgli besteht.


„Mogul Mowgli – Official Trailer | Out Now on BFI Streaming (UK)“, via Riz Ahmed (Youtube)

Die Raps von Zed sind wie ein Schlag ins Gesicht und ein Wachrüttler – so gut, so zeitkritisch. Und auch muss mich als unwissend outen und als jemand der schon die dämliche, wenn auch „interessiert“ gemeinte Frage nach der Herkunft gestellt hat. Es gibt vieles, was ich googeln musste (Toba Tek Singh, Bismillah, …) und wahrscheinlich noch viele mehr, die ich nicht einmal wahrgenommen habe. Der erste Schritt ist seit jeher sich bewusst zu machen wie wenig wir darüber wissen wie es sich in der Haut eines anderen anfühlt. Und wenn wir es nicht wissen, ist es ratsam zu fragen oder zu hinterfragen. Die Recherche über Mogul Mowgli hat mich schlauer gemacht und das ist das, womit man nicht aufhören darf und was den Film für mich nur umso stärker gemacht und mich weitergebracht hat. Das können Filme, wenn man sie lässt! Auch wenn der Weg sicherlich noch weit ist – für mich.

Riz Ahmed gelingt erneut der Spagat sich all diesen Facetten zu stellen und abzuliefern. Seine Leinwand-Präsenz ist so plastisch und natürlich, als ob man sie mit Händen greifen könnte. (Eh, eh? Bin ich jetzt Feuilleton, huh?) Die Verfilmung seines Drehbuchs ist zugleich Bassam Tariqs Spielfilmdebut, der zuvor Dokumentarfilme drehte und durch viele Projekte und TED talks u.a. für muslimisches Leben und Kultur sensibilisiert. Mogul Mowgli glänzt aber v.A. auch durch on-point Kameraarbeit von Annika Summerson und Schnitt von Adam Biskupski und Hazel Baillie, die in Summe eine ganz eigene Wirkung entfachen. Gerade Zeds Halluzinationen und surreale Träume, in denen er all die Konflikte seines Lebens, seiner Vergangenheit und Zukunft verarbeitet, wirken dank der visuellen filmischen Stilmittel rasiermesserscharf. Soviel Geschichte in 90 Minuten. Der geneigte Zuschauer anspruchsvollen Kinos stellt sich die Frage nicht, aber alle anderen: schaut man hier einen hoffnungsvollen Film? Ja, auch das. Zwar wurde Zed viel genommen, aber auch viel gegeben. Vielleicht einen Hauch von Verarbeitung. Dieser Zed wird definitiv noch stärker weiter machen als zuvor. Wenn ich auch gestehen muss, dass bei sovielen Themen eins eben doch etwas nach hinten runtergefallen und mehr zur Metapher verkommen ist – die Autoimmunerkrankung.

Mogul Mowgli, UK/USA, 2020, Bassam Tariq, 90 min, (9/10)

Sternchen-9


„Once Kings | Riz Ahmed | #MogulMowgli“, via Riz Ahmed (Youtube)

Header image uses a photo by Ruvim Noga on Unsplash

… und ich habe immer noch das Gefühl, dass ich bei Weitem nicht alles angesprochen haben, was „Mogul Mowgli“ in den 90 Minuten Film adressiert und wofür sensibilisiert. Ich bin hin und weg! Wenn das so weiter geht mit dem Lichter Filmfest, dann ist das großartig. Das Festival selber endete gestern, aber die Filme kann man noch bis zum 9. Mai streamen. Habt ihr auch reingeschaut? Was habt ihr bisher gesehen? Und kennt ihr vielleicht „Mogul Mowgli“ schon?

8 Antworten

  1. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Oh, vielen Dank für den Artikel und die Empfehlung. Der Film wirkt auf mich sehr interessant. 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das freut mich – danke bzw gern geschehen! Er hat auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit verdient finde ich

  2. Uh, das klingt wieder extrem gut – v. a. nachdem Sound of Metal ja schon echt außergewöhnlich und stark war. Jetzt ärgere ich mich ein wenig, dass ich das Festival verpasst habe bzw. mir das Programm damals aus Zeitgründen nicht in Ruhe angesehen habe. Aber ich hoffe und vertraue einfach darauf, dass Mogul Mowgli früher oder später auch auf einem der Streamingportale verfügbar sein wird.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ich gehe ganz stark davon aus, dass wir den bald auf irgendeiner der populären Streamingplattformen finden. Vielleicht zieht auch nochmal Riz Ahmeds Oscarnominierung.
      Allein durch das Motiv des Musikers lässt sich eine Ähnlichkeit zu Sound of Metal im ersten Moment kaum wegdenken, aber nach hinten raus handelt es dann doch sehr viel von Immigration, der leidigen Frage nach Herkunft und Zugehörigkeit usw. Hat dir „Sound of Metal“ gefallen? Ich kann mich gerade nicht erinnern, ob wir darüber schon mal geredet haben 🙂 Bin aber gespannt auf deine Meinung, da ich den Film so mag.

      1. Jupp, SoM hab ich ja auf deine Empfehlung hin gesehen und fand den mega. Darum muss Mogul Mowgli folgen – und in den nächsten Tagen muss ich auch in Ruhe deinen 7teme Art Artikel dazu studieren 🙂

  3. […] sind „Identifying Features“ und Mogul Mowgli meine Programmhighlights, von den Schauwerten und der visuellen Sprache her auch The Man Who Sold […]

  4. […] Prise Zeitgeist. Meistens setze ich mir eben irgendwas in den Kopf. Beispielsweise sah ich neulich Mogul Mowgli beim Lichter Filmfest online und habe Riz Ahmed schon seit einer Weile gefangirled (The OA, Sound […]

  5. […] „Sound of Metal“ gesehen hatte, sollte sich auch „Mogul Mowgli“ ansehen! Hier erleben wir erneut Riz Ahmed als Musiker, der sich und sein Leben nach einer […]

Schreibe einen Kommentar zu Filmbesprechung „Identifying Features“ & „Quo Vadis, Aida?“ (LICHTER 2021) | Miss Booleana Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert