7ème art: LGBTQ+ Filme

Es war längst überfällig, dass ich zum Thema Repräsentation von LGBTQ+ in Filmen eine 7ème art mache. Warum? Weil ich viele Filme in der Richtung gesehen habe. Als ich zur Schule ging, wurde „schwul“ und „lesbisch“ wie ein Schimpfwort benutzt und jede*r hat versucht Mobbing in der Richtung aus dem Weg zu gehen und den Verdacht nicht aufkommen zu lassen. Ich fand das schon immer falsch. Aber auch damals: unser Abijahrgang hat einen Schulausflug ins Kino gemacht, um Brokeback Mountain zu schauen. Dinge ändern sich. Und Filme können dabei helfen zu normalisieren was normal sein sollte und hoffentlich inzwischen ist.

Dass ich diesen Beitrag gerade jetzt schreibe liegt daran, dass es im Frühjahr eine Menge Aktionstage rund um LGBTQ+ gibt wie den Lesbian Visibility Day, Christopher Street Day (vorrangig ab Mai/Juni) etc. Übrigens steckt in der Abkürzung LGBTQ+ nicht nur schwul (gay) und lesbisch, sondern auch bisexuell, transsexuell und queer als (teilweise strittiger) „Sammelbegriff“ – sowie ein + für alles, was in der inzwischen verbreiteten Abkürzung keine Repräsentation findet wie Pansexualität, Asexualität und noch sovieles mehr. Also immer dran denken: Plus nicht vergessen. Heute hier: sieben Filme, die sich der LGBTQ+ Community widmen.

Blau ist eine warme Farbe

In Blau ist eine warme Farbe verfilmt Abdellatif Kechiche seinen Comic, der davon handelt wie die Schülerin Adèle (Adèle Exarchopoulos) langsam realisiert, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt. Dabei durchläuft sie u.a. eine Beziehung zu einem älteren Mitschüler, in der sie keine Erfüllung findet. Während mehrmaligen Begegnungen mit der Kunststudentin Emma (Léa Seydoux), verliebt sie sich in sie. Der Film folgt Adèles Entwicklung, der Beziehung zu Emma und thematisiert dabei u.a. das Outing vor unterstützenden Freunden und weniger gesunden Freundschaften Adèles. Gerade die Aspekte von Adèles Realisierung und Coming-Out sind spannend und mitfühlend inszeniert, das langsame Kennenlernen zwischen ihr und Emma ist in schöne und natürliche Bilder gegossen, die sich nicht scheuen nah an ihre Hauptcharaktere ranzugehen – und wenn damit meine wirklich nah. Der Film verfolgt dabei ganz das Prinzip „Show, don’t tell“ und lässt Zsuchauer*innen ohne unnötige Erklärungen fühlen und erfassen was in Adèle vorgeht. Beispielsweise wie wenig erfüllend die Beziehung zu einem Jungen für Adèle ist und dass sie sich so fühlt als täusche sie etwas vor (was sie ja auch tut und unter seelischen Schmerzen selber erkennen muss).

Problematisch erscheinen mir aber die Auslassungen. Beispielsweise wird nie geklärt, ob Adèle jemals vor ihren Eltern ein Coming-Out hatte. In vielerlei Hinsicht bleiben einige Aspekte ungeklärt oder wirken zu „nett drapiert“ als dass man ihr Fehlen in einem quasi dreistündigen Film verschmerzen könnte. Die Sexszenen zwischen Adèle und Emma sind sehr schön, aber ist Adèle nicht sehr sicher, dafür dass es (voraussichtlich) ihr erstes Mal mit einer Frau ist? Da stellt sich zwangsläufig die (in Filmreview und Feuilleton bereits oft diskutierte) Frage, was der Sinn der expliziten Szenen ist. Einerseits ist die Darstellung wohl wünschenswert, weil sie normalisiert. Wieviele Filme gibt es, in denen explizit heterosexueller Geschlechtsverkehr dargestellt wird? Eine Menge. Aber auch der Streit darüber, ob das der (einzige) Mehrwert der Szenen ist, da er nichts für die Charakterentwicklung tut. Ist es schon Pornografie? Ähnlichen Fragen musste sich auch Die Taschendiebin gefallen lassen – allerdings wirkte es da mehr wie ein Kunstgriff. Abdellatif Kechiche wurde vor einigen jahren der sexuellen Nötigung bezichtigt und es gab einige Vorwürfe der Darsteller*innen gegenüber dem Regisseur. Leider unterstelle auch ich dem Film, dass er mit zuviel „male gaze“ gedreht wurde. Schön hingegen: Blau spielt tatsächlich eine unterschwellige Rolle.

Blau ist eine warme Farbe (OT: La vie d’Adèle), Frankreich, 2013, Abdellatif Kechiche, 179 min, (7/10)

Sternchen-7

Der verlorene Sohn

Jared (Lucas Hedges) hat sich vor seinen Eltern nicht freiwillig geoutet. Vielleicht, weil er wusste, dass Homosexualität nicht in das Weltbild seines Vaters Marshall Eamons (Russell Crowe) passt. Und das tut es tatsächlich nicht. Er redet dem jungen Mann ein, dass er „heilbar“ wäre, fragt ihn, ob er sich „bessern“ will und Jared willigt ein an der Konversionstherapie von „Love in Action“ teilzunehmen. Seine Mutter Nancy Eamons (Nicole Kidman) begleitet ihn. Der verlorene Sohn basiert dabei auf dem Roman Boy Erased (so auch der Originaltitel des Films) von Garrard Conley, basierend auf dessen Leben. Entsprechend widmet sich der Film u.a. einer engstirnig-christlichen Gemeinschaft, die Homosexualität dämonisiert und als etwas unnatürliches brandmarkt. Also: All die alten, quälenden Ansichten, die man eigentlich nicht mehr sehen will. Aber wenn wir uns nicht menschliche Irrungen und Historie vor Augen führen, dann können wir auch nicht daraus lernen. Entsprechend hart ist es anzuschauen mit welchen Aktionen der „Therapeut“ Victor Sykes (Joel Edgerton) versucht die jungen Leute zu „kurieren“, welche Wortwahl und perfiden Taktiken er anschlägt. Was das filmische Handwerk und v.A. die schauspielerischen Leistungen betrifft ist der Film intensiv und berührend. In Nebenrollen verstecken sich außerdem namhafte und offen schwul lebende Filmschaffende wie Xavier Dolan, seines Zeichens auch als Regisseur bekannt.


„BOY ERASED | Official Trailer | Focus Features“, via Focus Features (Youtube)

Über die Sinnhaftigkeit des Titels im deutschen Verleih kann man sich streiten. Der verlorene Sohn mag andeuten, dass etwas unwiederbringlich und wissentlich abhanden gekommen ist – oder zufällig. Zufällig ist hier aber nichts. Der Originaltitel Boy Erased ist da schon konsequenter. Außerdem gibt es einige missing links, die im Grunde nicht Schuld des Films sind, sondern wahrscheinlich von den wahren Begebenheiten geerbt. Die Frage ist nun wie geht ein Film damit um? Beispielsweise damit, dass überhaupt nicht aufgearbeitet wurde, dass Jared vor seiner Zeit im Camp und seinem Coming Out eine Vergewaltigung durchleben musste. Niemand spricht darüber. Wiederum sehr gut ist der Umstand, dass Joel Edgerton erstens überhaupt den Stoff verfilmt hat und zweitens die von ihm dargestellte Figur des Victor Sykes nicht besonders ins Rampenlicht stellt und sich stattdessen auf seine Taten und Wortwahl konzentriert. So bleibt den Betroffenen und ihren Schicksalen die Bühne überlassen. Was der Film gut rüberbringt ist, dass Menschen durchaus das Mindset eingeredet werden kann, dass mit „ihnen etwas nicht stimme“. Und dass es sich dabei um psychischen Missbrauch handelt. Übrigens ist die Konversionstherapie in Deutschland verboten, aber längst nicht in allen Teilen der Welt.

Der verlorene Sohn (OT: Boy Erased), USA, 2018, Joel Edgerton, 115 min, (7/10)

Sternchen-7

Eine fantastische Frau

Marina Vidal (Daniela Vega) arbeitet tagsüber als Kellnerin, nebenbei an ihrer Gesangsausbildung und hat hin und wieder Auftritte. Sie ist mit dem älteren Unternehmer Orlando Onetto (Francisco Reyes) zusammen. Anlässlich Marinas Geburtstag feiern sie bis der Abend ein tragisches Ende nimmt. Orlando wacht mit Anfällen auf und kann sich kaum bei Bewusstsein halten. Marina fährt ihn ins Krankenhaus, aber die Ärzte können nichts mehr für Orlando tun. Schauen sie Marina ins Gesicht, sehen sie keine Angehörige. Sie sehen, dass Marina transsexuell ist und mal als Mann geboren wurde. Sie sehen, dass Marina wesentlich jünger ist als Orlando. Und in Summe mit ihren Vorurteilen beginnen sie Marina wie eine Kriminelle zu behandeln. Sie rufen die Polizei, sie bilden sich Umstände ein, denen „man nachgehen müsse“. Marina hat kaum Zeit den Tod ihres Geliebten zu betrauern, da steht die Polizei vor der Tür und Orlandos Ex-Frau und Kinder treten ein ums andere Mal nach.


„Eine fantastische Frau – Una mujer fantastica (Offizieller Trailer deutsch)“, via Piffl Medien (Youtube)

Es ist unglaublich hart sich Marinas tour de force anzuschauen. Der Film nach einem Drehbuch von Regisseur Sebastián Lelio und Gonzalo Maza handelt von der Konfrontation Marinas mit dem absoluten Albtraum. Nicht-Akzeptanz, Verlust, Trauer und Bedrohung – alles zusammen. Eine fantastische Frau zeigt wie sich Marina all dem Gegenwind (symbolisch wie wortwörtlich) stellen muss und sensibilisiert mit einer wahrhaft fantastischen und präsenten Frau als Hauptcharakterin. Das kann angesichts all dessen, was ihr zugemutet wird nur denen gelingen, die sich wirklich gefunden haben. Chapeau. Lelios Film wurde 2018 zur Recht mit dem Oscar als Bester fremdsprachiger Film bedacht. Was ich dem Film gewünscht hätte, während aber weniger repetitive Szenen.

Eine fantastische Frau (OT: Una mujer fantástica), Chile/USA/Deutschland/Spanien, 2017, Sebastián Lelio, 104 min, (8/10)

Sternchen-8

God’s Own Country

Irgendwann als Johnny (Josh O’Connor) gerade seinen Rausch ausschläft, beschließen sein Vater (Ian Hart) und seine Großmutter (Gemma Jones) eine zusätzliche Arbeitskraft für die Farm anzustellen – sehr zum Missfallen Johnnys. Der ist wie ein Fähnchen im Wind. Will er das Leben auf der Farm oder nicht? Die Verantwortung und harte Arbeit machen ihn stählern, rücksichtslos, manchmal kaum ansprechbar. Als der Farmarbeiter Gheorghe (Alec Secăreanu) vor der Tür steht, ist er nicht weniger auf Krawall gebürstet. Vielleicht weiß der besonnene Gheorghe aber sogar sehr gut, warum Johnny innerlich so zerrissen ist.


„God’s Own Country – Trailer Deutsch | German“, via MovieGeek (Youtube)

Ja bei den Übernachtungen unter dem Sternhimmel, wandern über weitere Felder und den verstohlenen Blicken der Männer ist es schwierig die Vergleiche zu Brokeback Mountain abzuschütteln. Aber zumindest von der Stimmung her ist God’s Own Country ein anderer Film. Anders als es der Trailer eventuell vermittelt, ist Johnny schwer an der Grenze. Er verletzt, er säuft und man fragt sich wie lange er noch so weitermachen kann. Mit dem Zustand seines Vaters und der ganzen Farm, mehr Bürde denn Erbe, erdrückt es ihn. Die Arbeit auf der Farm ist kein Zuckerschlecken und wird auch so dargestellt – keine Bauernhof-Romantik. Gheorghe sieht er anfangs als Bedrohung, will nicht bloßgestellt werden und der Umgangston zwischen den Beiden ist rau bevor es zur Annäherung und Katharsis für Johnny kommt. Johnnys verkrampft-aggressiver Attitüde langsam beim Schmelzen zuzugucken hat ein Gefühl des „Erweckens“, das auf den Zuschauer überspringt. Dieser Formel aus „Gefühl zulassen“ und ungeschönter Realität ist es zu verdanken, dass die teilweise relativ expliziten Sexszenen funktionieren. Und den Darstellern Josh O’Connor als Johnny und Alec Secăreanu als Gheorghe, die eine großartige Chemie haben.

Francis Lees Film geht nebenbei glaubhaft auf das Dilemma der Landbevölkerung ein, deren Lebensunterhalt sich zunehmend schwerer verdient, obwohl es ein Knochenjob ist. Wie verzweifelt das Festhalten an einem alleine nicht zu stemmenden „Familienunternehmen“ ist, wird hier in Wort und Bild klar. Auch das orientierungs- und hilflose derer die „Zuhause bleiben“, während ihre Schulfreunde in die Ferne ziehen und den „großen Traum leben“. Oder so denkt man zumindest – die Realität bekommt man eh erst später mit. Nicht jeder Film über homosexuelle Beziehung braucht wohl die großen Outing-Momente – zumindest spart sich God’s Own Country das und konzentriert sich stattdessen auf die oben genannten Motive aus emotionaler Erkaltung/Erwärmung und Dilemma zwischen Stadt-Land-Fluss. Was man als Zuschauende dankend annimmt ist außerdem erfrischend viel Akzeptanz am Ende des Films.

God’s Own Country, UK, 2017, Francis Lee, 104 min, (9/10)

Sternchen-9

Porträt einer jungen Frau in Flammen

Im Frankreich des 18. Jahrhunderts reist die Malerin Marianne (Noémie Merlant) für einen Auftrag in die Bretagne. Auf einer abgelegenen Insel bekommt sie auf dem Anwesen der Auftraggeberin Kost & Logis und soll deren Tochter Héloïse (Adèle Haenel) portraitieren. Aber so, dass Héloïse es nicht merkt, da sie bereits das Portraitieren durch den letzten Maler abgelehnt hat. Marianne soll sie während Spaziergängen studieren. Das Geheimnis bleibt nicht lange eins und Héloïse scheint die Erklärung für Mariannes Blicke gefunden zu haben. Oder auch nicht?

Was für ein wunderschöner Film. Porträt einer jungen Frau in Flammen hat alles. Eine wunderbare Geschichte, die lange nachhallt und großartiges, filmisches Handwerk. Fast alle Symbolik findet sich wieder und rundet den Film großartig ab. Vom Buch mit der aufgeschlagenen Seite 28 bis hin zur Vision vom Brautgewand und dem Spiegel. Die rauen Klippen Quiberons schüren das Fernweh und das Blau des Meeres sorgt zusammen mit den Gewändern der Frauen für wunderbare Kontraste. Vor Allem aber ist es eine sich faszinierend und betörend schön entwickelnde Liebesgeschichte. Der intensive, studierende, mal verzagte Blick zwischen Malerin und Model scheint soviel ungesagtes auszudrücken. Der wohl aber größte Kunstgriff ist wie Céline Sciammas Film nie den Eindruck eines Dramas erweckt, obwohl klar ist, dass Mariannes und Héloïses Zeit ein Ablaufdatum hat. Das Portrait, das Marianne malt soll Héloïses zukünftiger Ehemann bekommen. Viel mehr ist Porträt einer jungen Frau in Flammen nahezu genreübergreifend. Hat Gesellschaftskritik, ist ein betörend schöner Liebesfilm, sinnlich ohne in Pornografie zu rutschen und hat sogar Zeit für Momente, die Zuschauende zum Lächeln bringen. Ich habe selten eine Geschichte im Film erlebt, die so „rund“ ist: trotz Ablaufdatum ihrer gemeinsamen Zeit, zeigt der Film auf wunderbare Weise, dass Liebe nicht „einfach endet“.

Porträt einer jungen Frau in Flammen (OT: Portrait de la jeune fille en feu), Frankreich, 2019, Céline Sciamma, 122 min, (10/10)

Sternchen-10


„PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN Trailer German Deutsch (2019)“, via KinoCheck Indie (Youtube)

Pride

Im Jahr 1984 beschließt eine Gruppe von Schwulen und Lesben die streikenden Bergarbeiter zu unterstützen und sammelt als LGSM (Lesbians and Gays Support the Miners) Spenden. Darunter der Aktivist Mark Ashton (Ben Schnetzer), der zurückhaltende John (George MacKay), die punkige Steph (Faye Marsay), Gethin (Andrew Scott) – Inhaber des queeren Buchladens Gay’s the Word und viele andere. Im zugeknöpften Großbritannien der damaligen Zeit sind sich die Bergarbeiter-Verbände und Gewerkschaften aber zu fein um die Unterstützung des LGSM anzunehmen bis sich mehr durch einen Zufall die Gewerkschaft des kleinen, walisischen Bergarbeiterdorfs Onllwyn erkenntlich zeigt und beschließt die Unterstützung des LGSM anzunehmen und die Aktivisten einzuladen.

Was folgt sind gegenseitige Besuche, gemeinsame Sitzungen und Feiern, die ein Feeling von Annäherung verbreiten. Übrigens sind auch die Walisen prominent besetzt: so finden sich u.a. Bill Nighy, Imelda Staunton und Paddy Considine im Cast wieder. Leider werden beim gegenseitigen Beschnuppern einige Klischees ausgegraben und man hätte sich doch gewünscht, dass die LGSM von den Bergarbeiter*innen etwas offener angenommen worden wären. Aber ich schätze die Geschichte kann man nicht ändern? Etwa ab der Hälfte aber nimmt der Film an Fahrt auf und zeigt seine wahre Stärke, indem er seiner beträchtlichen Anzahl an Charaktere einen Handlungsbogen zugesteht – undzwar so gut wie allen und dabei sogar Geschlossenheit erzeugt.

Hier ist Pride wirklich großartig. Er geht darauf ein, ob sich John letzten Endes vor seiner Familie outet, dass es auch um die Rechte der queeren Community in Thatchers Großbritannien nicht gut stand, auf die Perspektiven der Landbevölkerung und auch auf das Thema AIDS und die Anfeindungen, die queere Menschen ertragen müssen. So sieht man Andrew Scott als Gethin durchaus gemeine Schmierereien von den Fenstern seines Ladens abwischen. Dominic West darf sich hingegen als Jonathan in fröhlichen wie dramatischen Höhepunkten ausleben. Wenn dann alle anstatt ihrer Unterschiede erkennen wie gleich sie sind, egal wo sie herkommen oder wen sie lieben, und sich in Solidarität die Hände reichen, muss man vielleicht ein bisschen weinen. Ein echtes Feelgood-Movie, auch wenn man bei der Verbreitung einiger Klischees ein oder zwei Augen zudrücken muss.

Pride, UK, 2014, Matthew Warchus, 120 min, (9/10)

Sternchen-9


„Pride – Trailer (deutsch/german)“, via LEONINE Studios (Youtube)

The Kids Are All Right

Jules (Julianne Moore) und Nic (Annette Bening) sind ein verheiratetes, lesbisches Ehepaar mit zwei Kindern. Die Familie lebt in Kalifornien. Für ihre Kinder Joni (Mia Wasikowska) und Laser (Josh Hutcherson) ist es kein großes Thema, dass sie zwei Mütter haben, aber sehr wohl die Frage, wer ihr Vater ist. Sie beschließen Kontakt zu dem Samenspender aufzunehmen. Als Paul (Mark Ruffalo) vor ihnen steht, sind die Erwartungen der einen erschüttert, der anderen übertroffen und stellen das Leben der Familie kurzzeitig auf den Kopf.

Wie zu erwarten gibt es unheimlich viele Unsicherheiten und Ängste. Die Kinder wollen dem Vater gefallen und gut mit ihm auskommen. Paul selber sah sich wohl nie als den Familientypen und merkt plötzlich wie ihm die Kinder ans Herz wachsen und auch die Ehe von Jules und Nic scheint darunter zu leiden, dass es plötzlich einen „Paul“ gibt. Die wohl aber wichtigste Erkenntnis des Films ist: im Grunde stellt kaum etwas ein Problem dar, was nicht schon vor „Paul“ eins war. Lisa Cholodenkos Film ist von ihrem eigenen Leben in einer lesbischen Partnerschaft und Schwangerschaft durch Samenspende inspiriert und tut etwas sehr wichtiges: er normalisiert gleichgeschlechtliche Partnerschaft. Jules und Nic müssen sich denselben Unsicherheiten wie alle anderen Verheirateten stellen. Noch genug sense of wonder und Anziehung für die*den Liebste*n zu empfinden oder sich gegenseitig genug zu unterstützen. Davon mal abgesehen ist es ein wunderbarer Familienfilm und erfrischend witzig. The Kids Are All Right and so is everything else.

The Kids Are All Right, USA, 2010, Lisa Cholodenko, 106 min, (9/10)

Sternchen-9

Was in meiner Liste leider schmerzlich fehlt sind Filme, die Asexualität, Pansexualität und ach, noch soviel mehr adressieren. Vielleicht habt ihr Tipps? Queere Filme stehen vor der besonderen Herausforderung, dass sie nicht abbilden, dass „queer“ bedeutet „anders“ zu sein. Das war vielleicht mal so vor Jahrhunderten, inzwischen erweckt das aber vorrangig Stirnrunzeln. Was eigentlich das Ziel sein sollte ist abzubilden wie queeres Leben ist. Das gelingt wunderbar beispielsweise an „The Kids Are All Right“, weil es die Ehe des lesbischen Paares Nic und Jules als „eine“ Ehe kennzeichnet. Aber wir würden nicht lernen, wenn wir nicht zurückschauen würden, weshalb Filme wie „Der verlorene Sohn“ oder „Pride“ eine nicht minder wertvolle Geschichte und Lehre erzählen.

Warum, wenn wir doch alle so emanzipiert sind? Weil die bittere Realität ist: in vielen Orten der Welt ist nichts außer Cis-Heteronormativität vor dem Gesetz erlaubt und Menschen werden verfolgt, dafür das sie sind wie sie sind. Ein Verbrechen an der Menschheit. Es ist unsere Aufgabe das Weltbild zu fördern, nachdem jede*r leben kann wie er*sie fühlt und ist. Medien tragen darin eine wichtige Verantwortung. Ich selber bin übrigens nicht so richtig Teil der Community, aber jedenfalls Supporterin bzw. Ally. Wenn ich also an irgendeiner Stelle eine nachteilige Formulierung benutzt habe, klärt mich bitte auf. Und lasst mich natürlich gern in den Kommentaren wissen, welchen Film man unbedingt gesehen haben sollte und wie ihr die hier besprochenen Filme wahrgenommen habt. In meiner Liste fehlen, die ich aber auch sehr mochte: Moonlight, Call me by your name, Freier Fall. Das war übrigens der 99. Artikel in dieser Kategorie – ihr könnt gerne nachrechnen, was das bedeutet. 🙂

„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.

4 Antworten

  1. Tolle Liste! Blau ist eine warme Farbe, God’s Own Country, Pride und The Kids Are All Right habe ich auch gesehen und mochte ich alle gern, wenn den ersten auch etwas weniger als den Rest. 😉 Boy Erased und Porträt einer jungen Frau in Flammen stehen auch auf meiner Watchlist, besonders letzterer ganz oben – den hatte ich bei einem Filmfestival durch Krankheit verpasst und war dann super froh zu sehen, dass er so viel Aufmerksamkeit bekommen hat, sodass ich doch noch eine Chance habe, ihn zu sehen. 🙂 Moonlight, Call Me By Your Name und Freier Fall habe ich auch alle gesehen, ebenfalls tolle Filme!

    Ich finde auch deine Einleitung / deinen Absatz am Ende schön, denn ja, Diskriminierung und hate crimes gibts selbst hier noch, und positive Repräsentation in den Medien ist so, so wichtig und hilft auch erwiesenermaßen gegen Vorurteile. Und nur weil du danach gefragt hast – meiner Erfahrung nach in der Community wird das Wort transsexuell eher nicht mehr so verwendet, sondern stattdessen transgender, auch im Deutschen. 🙂 An weiteren Filmen hätte ich noch The Boys In The Band vorgeschlagen. 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Danke liebe Anica 🙂
      ich sehe wir haben einige Überschneidungen! 😉
      Portrait einer jungen Frau in Flammen kann ich dir sehr ans Herz legen. Ich habe den damals auch im Kino verpasst und mich sehr geärgert. Aber dafür durfte die BluRay bei mir einziehen.

      Oh ja da sagst du was. Transgender ist eigentlich auch der Term, der mir auf Twitter etc. mehr entgegen schlägt. Ich werde künftig dran denken.

      The Boys In The Band ist irgendwie total an mir vorbei gegangen – von daher danke für den Tipp! Klingt witzig. (Und tragisch)

      Das beste Beispiel für mangelnde Normalisierung in Serien wird für mich immer „Supernatural“ und das 12 Jahre andauernde Queerbaiting bleiben … wie man verkennt, was man für neue Standards setzen könnte. Schade.

      1. Huch, gut dass ich den Beitrag in deinem Monatsrückblick nochmal gesehen habe, hatte gar nicht mitbekommen, dass du mir geantwortet hattest 😀
        Der Film wird auf jeden Fall noch geschaut 🙂

        Gern! The Boys In The Band hatte ich schon in London als Theaterstück auf der Bühne bewundern dürfen, und der Film hat ja auch einige bekannte Gesichter dabei. (Und ja, witzig und tragisch trifft es wohl.)

        Jap! Das war was mit Supernatural… naja. Es ist ja irgendwie auf dem richtigen Weg, inzwischen gibt es ja doch ein paar Serien mit LGBTQ+ Charakteren.

  2. […] Jahr 2021 u.a. im Zeichen Kathryn Bigelows, Denis Villeneuves, Natalie Portmans, Riz Ahmeds, von LGBTQ+ Filmen und auch von Kunst im Film und dem Abenteuerfilm. Außerdem habe ich natürlich am Japanuary […]

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