Filmbesprechung „Proxima – Die Astronautin“ & „Trübe Wolken“ (LICHTER 2021)

Ende April/Anfang Mai fand das Lichter Filmfest online und on-demand statt. Normalerweise ist Frankfurt bei mir nicht so um die Ecke – online sieht das aber anders aus. Die Pandemie hat es uns genommen und gegeben. Es war eine sehr schöne Gelegenheit um einige großartige Filme zu schauen. Gemeinsamer Nenner der heute besprochenen ist dass sie (zumindest anteilig) deutsche Produktionen sind. Die Besprechungen sind spoilerfrei.

Proxima – Die Astronautin

Französin Sarah (Eva Green) wird als Astronautin für die Proxima-Mission und den Aufenthalt auf der ISS ausgewählt. Das stellt sie als Mutter und ebenso als Frau vor schwere Herausforderungen. Zum Einen fällt ihr die Trennung von ihrer siebenjährigen Tochter Stella (Zélie Boulant) schwer, die von da an bei Sarahs Ex-Mann Thomas (Lars Eidinger) in Deutschland lebt. Zum Anderen wird ihr insbesondere vom Leiter der Mission und Kollegen Mike (Matt Dillon) stets vorgeworfen emotional zu weich und körperlich nicht für den Job geschaffen zu sein, weil sie eine Frau und Mutter ist. Die Dreifachbelastung Sarahs durch das physisch und psychisch anspruchsvolle Programm kommt blendend zur Geltung, wenn Sarah zwischen hartem Training, wichtigen Briefing mit Diskussionen von Überlebenschancen und niedrigschwelliger, aber ebenso grimmiger Diskriminierung einen Anruf von ihrer in Tränen aufgelösten Tochter bekommt. Dazu gesellt sich der bittere Umstand, dass Sarah selber wenig Unterstützung oder emotionalen Beistand hat.

Es ist schmerzhaft zu sehen wie Sarah von ihren Kollegen als ungeeignet abgestempelt wird. Männern, die ihrem Job nachgehen können, gerade weil ihre Ehefrauen zuhause für die Kinder da sind, während der Held sich darauf vorbereitet ins All geschossen zu werden. Der Eindruck verstärkt sich, wenn man Kommentare unter Youtube-Trailern sieht, in denen sich darüber beschwert wird wie unrealistisch die Vorstellung sei, dass eine Frau und/oder Mutter mit der Statur Eva Greens ins All geschickt wird und wie unrealistisch der Film an sich sei. Tatsächlich ist Proxima – Die Astronautin an Originalschauplätzen gedreht worden: Baikonur in Kasachstan, im „Sternenstädtchen“ Swjosdny Gorodok und im Europäischen Astronautenzentrum Köln und hat entsprechende Beratung genossen. Eva Green nahm über einen Zeitabschnitt am Astronaut*innentraining teil und wie der Abspann nochmal deutlich macht, gab es sehr wohl einige Astronautinnen in der Geschichte der Raumfahrt – sie werden mit ihren Kindern im Abspann abgebildet. Außerdem interessant: sich bewusst zu machen, dass Deutschland noch nie eine Astronautin ins All geschickt hat – zumindest bis zur Aktion „Die Astronautin“. Wer mehr darüber wissen will, kann sich im Rolemodels Podcast darüber informieren. Was Dr. Insa Thiele-Eich als angehende Astronautin und eine der zwei Kandidatinnen aus dem „Die Astronautin“-Casting dort erzählt, deckt sich mit vielem, was Sarah erlebt und wie ihr Training abläuft.


„PROXIMA: Die Astronautin Clips & Trailer German Deutsch (2021)“, via KinoCheck (Youtube)

Nebenbei bildet der Film das harte, jahrelange Training und den langen Prozess bis zur Mission an. Es können Jahre vergehen bis eine Mission steht, in denen sich die angehende Crew und ihre Ersatzmitglieder gleichermaßen vorbereiten müssen. Auch auf die Gefahr hin, dass die Mission nicht stattfindet oder nicht mit ihnen, aus welchen Gründen auch immer. Es gelingt dem Film sehr gut all das filmisch abzubilden ohne in einen Erklär- oder reinen Dokumentarfilmmodus zu verfallen. Alice Winocours Regiearbeit und Drehbuch bildet all das in einer angenehmen Mischung aus nüchtern-realistischen Bildern ab, die das volle Spannungspotential von Sarahs harter Dreifachbelastung einfangen. Man bangt mit ihr, man will, dass sie der Gegenbeweis ist. (Es sei denn man gehört zu den Personen auf Youtube, die offensichtliche Falschinformationen in den Kommentaren hinterlassen und nicht denken, dass Frauen das können.) Zwischendurch verliert sich der Film aber auch und thematisiert den Aspekt der Diskriminierung zugunsten dem Aspekt der emotionalen Belastung und Trennung von ihrer Tochter. Teilweise gelingt es doch Sarahs Ausbrechen aus dem engen Korsett auf Film zu bannen. Warum aber musste das mit gefährlicher Irrationalität sein? Das handelt leider zuwider dessen was der Film wahrscheinlich aussagen sollte. Auch etwas mehr Kürze hätte dem Film nicht geschadet, der soviel weniger Laufzeit braucht um seine Botschaft eindrucksvoll in den ersten zwei Dritteln zu erzählen, wohingegen sich ab dann Längen einstellen. Die Bilder vom Training und Raketenstart hingegen sind eindrucksvoll, mitreißend und in der Art nahezu einzigartig im Film in ihrem Realismus. Auch nicht verschweigen will ich, dass Sandra Hüller in einer Nebenrolle zu sehen ist. Allgemein ist das internationale Flair und die offensichtliche Zusammenarbeit über Grenzen hinweg ein Feature, das man spürt und das den Film bereichert. Und das nicht nur, weil es durch die ISS impliziert ist.

Proxima – Die Astronautin, Deutschland/Frankreich, 2019, Alice Winocour, 107 min, (7/10)

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Trübe Wolken

Paul Nebe (Jonas Holdenrieder) streift gern durch die Wälder und „Lost Places“. Er fällt selten auf oder wird oftmals für jemand anderen gehalten. Wenn keiner hinschaut, geht er gern durch die Habseligkeiten seiner Mitmenschen: Taschen, Schubladen, Notizbücher, Zimmer. Er wirkt im Leben anderer wie ein Gast, so auch in seinem eigenen. Die Beziehung zu seiner Familie ist nur oberflächlich intakt. Als sein Lehrer Erich Bulwer (Devid Striesow) und seine Mitschülerin Dala (Valerie Stoll) aufgrund eines Gedichtes aufmerksam auf ihn werden, treffen eventuell mehrere Geister aufeinander, die nicht in ihre Umwelt zu passen scheinen. Dann wird eine Leiche gefunden und der Täter unter den Schülern gesucht.

Trübe Wolken (Trailer) from Salzgeber on Vimeo.

Christian Schäfers Film handelt laut Beschreibung von einem Jungen, der keine Wiedererkennungsmerkmale, keine Eigenschaften hat und das Teil seiner Psychose ist. Wenn man das weiß, dann erkennt man auch die Anzeichen. Beispielsweise gibt es mehrere Szenen, in denen er für jemand anderen gehalten wird, sich Menschen seinen Namen nicht merken konnten, usw. Je nach Aufmerksamkeit und Wahrnehmung der Zuschauenden ist dieser Teil aber schnell übersehen. Wird das übersehen, bleiben viele Fragezeichen über Pauls Handlungen und auch wenn die Hinweise nicht übersehen werden, bleibt Pauls Intention unklar. Zumal es abgesehen von der dysfunktionalen Familie auch wenige Hinweise darauf gibt wie Paul dieses Verhalten oder sagen wir Mal Un-Verhalten entwickelt hat.

Von unsichtbar für die eigene Familie zu unsichtbar für alle zu sichtbar werden und nicht wieder zum Unsichtbaren zurückkehren wollen – ist das Pauls Dilemma? Ist Paul der Mörder, der Steinwerfer, ist Paul böse? Ein Teil der Fragen wird beantwortet, aber nicht alle. Vieles bleibt der Interpretation des Zuschauers überlassen, Hinweise werden gestreut. So wird Pauls Zimmer ein wichtiger und symbolträchtiger Ort für den Jugendlichen, der entfremdet von seiner Umwelt eine weiße Projektionsfläche geworden zu sein scheint. Um sich aber nicht von den Zuschauer*innen zu entfremden hätte es eine Prise mehr Verbindung der Motive und Einblick in Pauls Gedankenwelt benötigt. So fühlt es sich an wie eine Schnitzeljagd durch zugegebenermaßen fantastische und wirkungsvolle Bilder von Isolation inmitten einer Gemeinschaft und einer angenehmen „Eerieness“. Im Trailer liest sich die Catchphrase „Der wahre Horror liegt im Durchschnitt“ ab – das beschreibt immens gut, was der Film auch tatsächlich vermittelt. Große Uneinigkeit herrscht in mir darüber, ob die teils grotesken Charaktere (Pauls Bruder, Pauls Stiefmutter, …) hilfreich sind oder das Gegenteil. Der englische Titel des Films ist übrigens Cloudy Clouds.

Trübe Wolken, Deutschland, 2021, Christian Schäfer, 103 min, (6/10)

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Header image uses a photo by Ruvim Noga on Unsplash

Habt ihr die besprochenen Filme zufällig auch gesehen? Wie haben sie euch gefallen und was sind eure Theorien über das, was sie nicht abbilden oder nicht bis zu Ende abbilden? Hat Sarah Anerkennung unter ihren Kollegen gewonnen? Was ist Pauls Intention eurer Meinung nach? Und welche Filme habt ihr beim LICHTER Filmfest geschaut?

2 Antworten

  1. Avatar von voidpointer
    voidpointer

    Merkwürdig wann man von einem Film Realismus erwartet und wann nicht. Es ist ja keine Raumfahrer-Dokumentation sondern eben ein Film dessen Ziel eher die Bereicherung / die Unterhaltung des Publikums ist.
    Die Platzvergabe im Cockpit wäre vermutlich oft wenig harmonisch, wenn man die Piloten über die Platzvergabe bestimmen ließe. Besonders in der Raumfahrt ist es sicherlich auch ein gesamtgesellschaftlicher Spiegel.
    Wenn man wieder in die Lebenswirklichkeit des Zuschauers und die Arbeitswirklichkeit der meisten Unternehmen zurückkehrt, wird das Festhalten an vermeintlicher geschlechtsabhängiger Schwäche erst recht absurd und offenbart viel über ein Unternehmen.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja, ich hinterfrage das jetzt auch immer lieber, wenn ich von einem Film denke „ach wie unrealistisch“. Erstens aus den Gründen, die du nennst und zweitens, was habe ich denn erwartet oder wie war meine Erwartungshaltung an den Film!? Die der Kritiker dort war wohl eine Doku oder man versteift sich auf den Wissensschaftsaspekt und lässt ganz das Drama der Elter-Kind-Beziehung und insbesondere der Rolle einer alleinerziehenden Mutter aus. Ist nun aber halt der eigentlich Aufhänger. Die Kritik ist dann so am Ziel vorbei, dass ich aufgehört habe mich darüber zu ärgern.
      Tatsächlich versucht übrigens sich einer der Piloten in die Platzvergabe einzumischen. 😉 Wenn die Raumfahrt ein gesamtgesellschaftlicher Spiegel ist, dann ist der wohl sehr weiß-männlich, befürchte ich. Woran das wohl liegt? Z.B. strukturellem Rassismus und Bevorzugung weißer? Und Männer? Schwierig. Dazu muss ich mich aber deutlich mehr belesen, bevor ich urteile.

      Das stimmt! Danke für deinen Kommentar! Auch wenn ich auf die Zahlen der Frauen in dem IT-Unternehmen schaue, in dem ich arbeite, dann erkennt man dort noch wie wenige Frauen sich MINT widmen. Leider. Oder widmeten. Die Sensibilisierung fängt halt früh an und die Wirkung ist spät erkennbar.

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