Fantastischer Film: Memories of Matsuko

Der zwanzigjährige Shō (Eita) gammelt in seiner Bude in Tokyo so vor sich hin, träumt nicht mal mehr von der Musikerkarriere und schaut Pornos wie andere die Nachrichten. Da steht sein Vater vor der Tür und erzählt ihm, dass seine Tante Matsuko (Miki Nakatani) verstorben wäre und er soll bitte ihre Wohnung ausräumen. Shō ist verwirrt, denn er hat seine Tante nie kennen gelernt, kommt aber der Pflicht nach. Als er in Matsukos Messie-Wohnung zwischen Müllsäcken steht, einen abgedrehten Nachbarn kennen lernt und von Polizisten erfährt, dass sie umgebracht wurde, übt die unbekannte Matsuko auf ihn eine große Faszination aus. Wer war Matsuko? Shō stolpert dabei von einer Begegnung mit Matsukos Bekannten in die nächste. Alle kurios, bunt, seltsam, abgefahrene Typen. Und die erzählen aus dem Leben Matsukos. Ein Engel, eine Mörderin, hoffnungsvoll und unerschütterlich, die mehrmals am Boden war und jedes Mal wieder aufgestanden ist. Ist das alles ein und dieselbe Person?


„Memories of Matsuko trailer“, via TooLoudSilence (Youtube)

Was für ein wilder Ritt! Nach Geständnisse und The World of Kanako wollte ich eigentlich einen Bogen um Tetsuya Nakashimas Filme machen, die einfach nicht mein Geschmack zu sein schienen. Spannend!? Absolut! Aber auch stets eine Aneinanderreihung von Absurditäten und viel zu übertrieben für das, was sie erreichen wollen. Auch Memories of Matsuko klingt danach, wenn man über den episodenhaften Charakter Bescheid weiß. Glücklicherweise habe ich den Film empfohlen bekommen und auf die Empfehlung gehört. Memories of Matsuko hat mich sehr berührt. Man lacht, man ist schockiert, man schreit vor dem Fernseher „Tu es niiiihicht!“, man weint. Wie kommen wir als Zuschauende aber dahin?

Matsuko ist seit ihrer Kindheit ein Mensch, der enorm aufopferungsvoll ist und zutiefst an die Liebe und das Gute glaubt. Allerdings wurde sie als Kind emotional schwer vernachlässigt und versucht infolge dessen ihr ganzes Leben lang so zu sein wie andere sie haben wollen. Dabei stürzt sie sich v.A. oft in Beziehungen mit Männern, die sie missbrauchen, ausnutzen oder anlügen. Sie verliert Jobs, sie wird in die Prostitution getrieben, sie hält zu oft für andere auch noch die zweite Wange hin. Sie hat definitiv nicht nur Glück und manchmal rennt sie ganz offensichtlich ins Messer, weil sie liebt und selbst nach den größten Rückschlägen immer noch an das Gute im Menschen glaubt. Das ganze ist extrem bunt, satirisch und als Musical umgesetzt. Die Songs haben dabei eine Bandbreite zwischen arg süßlichen Popnummern, optimistischen Kinderliedern und Rap.

Was Tetsuya Nakashima in seinen späteren Filmen mit Gewalt und emnschlichen Abgründen löst und versucht zu erzählen, gelingt hier durch eine andere Form der Brutalität. Und ich möchte behaupten die bessere Form von Brutalität. Matsukos unbeirrbarer Glaube an ein Happy End und das Gute im Menschen oder auch manchmal einfach an sich selbst und entsprechende fröhliche Songs werden den gnadenlosen Taten ihres Umfelds, durchgeknallten Charakteren, ihren eigenen schlechten Entscheidungen und moralischer Verkommenheit so offensichtlich gegenübergestellt, dass man die Satire förmlich trapsen hört. Manchmal ist Matsuko selber das Objekt der Satire als sich stets bis zur Selbstaufgabe aufopfernde Frau. Genauso oft ist sie aber auch die Heldin, die stets wieder aufsteht und stattdessen wird den Menschen in ihrem Umfeld der Spiegel vorgehalten. Hier kriegt jeder eine geklatscht. Der Film ist irre, lustig und unheimlich bunt. Manchmal glühend optimistisch, dann wieder zutiefst zermürbend realistisch und pessimistisch. Miki Nakatani ist nebenbei gesagt quasi alterslos und verwandelt sich selbst und Matsuko mit jeder Lebensetappe in immer wieder andere Rollen, die sie gleichermaßen glaubwürdig und mit viel Herz verkörpert. Das Ende müsste eigentlich hoffnungslos erscheinen, aber die pure Existenz von Menschen wie Matsuko hinterlässt Spuren, die alles andere als hoffnungslos sind.

Memories of Matsuko (OT: 嫌われ松子の一生 „Kiraware Matsuko no isshō“), Japan, 2006, Tetsuya Nakashima, 130 min

Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

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