Das gehörte Wort … Hörbuch-Besprechung zu „Meine Schwester, die Serienmörderin“ von Oyinkan Braithwaite

Nachdem sich der Wirbel im Feuilleton und den Buchblogs gelegt hatte, griff auch ich zu Oyinkan Braithwaites Thriller „Meine Schwester, die Serienmörderin“ in Hörbuchform. Fast hätte die Unlust angesichts des Schwalls an Reviews und Besprechungen mich davon abgehalten zu dem Thriller zu greifen, aber letzten Endes siegte die Neugier auf einen Thriller einer nigerianisch-britischen Autorin, da ich mich doch inzwischen regelrecht schäme so wenig von afrikanischen Autor*innen gelesen zu haben oder Literatur, deren Schauplatz Afrika ist. Einen wirklichen Grund für die Wahl des Hörbuchs statt des Romans gab es nicht.

Die Schwestern Ayoola und Korede könnten unterschiedlicher kaum sein. Ayoola ist eine verwöhnte Schönheit, die einen Typen nach dem anderen abschleppt und sich von ihnen aushalten lässt. Sogar ihre Ausbildung, teuren Schmuck oder die Gründung einer eigenen Schneiderei bekommt sie durch von ihr bezauberte Gönner finanziert. Im Haushalt muss sie keinen Finger krumm machen, selbst ihre Mutter verhätschelt sie. Korede hingegen arbeitet als Krankenschwester in einer Klinik und ist dabei sich eine Beförderung zu verdienen. Sie wird nicht so von Männern umschwärmt und eher kühl von ihrer Mutter und Umwelt behandelt, während sich für Ayoola angesichts ihrer Schönheit stets und ständig Türen öffnen. Korede ist die eher praktisch veranlagte Schwester, die clever ist und hinterfragt. Vor Allem hinterfragt sie, dass Ayoolas Freunde überraschend oft verschwinden oder das Zeitliche segnen. Die Gründe dafür weiß sie aus erster Hand. Ayoola entledigt sich nämlich ihrer Verflossenen. Und Korede ist diejenige, die ihr hilft die Morde zu vertuschen und Tatorte zu reinigen.

Korede weiß natürlich, dass das alles falsch ist, handelt aber aus dem Gefühl der Verpflichtung. Schon immer hat sie versucht ihre kleine Schwester zu beschützen. Vor den Prügeleinheiten ihres Vaters oder seinen Ideen. In diesem Fall vor dem Knast. Dabei ist Ayoola selber nicht dumm. Sie kreiert ein Umfeld der totalen Abhängigkeit beider Schwestern voneinander durch Lügen und die Angst aufzufliegen. Was das betrifft ist Ayoola clever, aber rücksichtslos bis hin zu gefährlich dumm und durchschaubar. Kurzum: Korede hat alle Hände voll zutun dafür zu sorgen, dass sie und Ayoola nicht auffliegen. Schwierig wird der Fall als der Arzt Tade, in den Korede verliebt ist, ein Auge auf Ayoola wirft.


„My Sister, The Serial Killer by Oyinkan Braithwaite – BBC Africa Book Club“, via BBC News Africa (Youtube)

Über weite Strecken ist das Buch so wie alle sagen. Es ist einfach zu unterhaltsam Korede als Erzählerin zu lauschen und durch ihre Augen das Verhalten von Ayoola, Tade und allen anderen zu sezieren, zu analysieren und zu durchschauen. Den Begriff Krimi finde ich hier eher passend als Thriller, da sich das Buch auf die Dynamik der Schwestern und ihre Familiengeschichte konzentriert sowie auf die Zwickmühle in die Ayoola Korede bringt. Man hofft, dass Korede sich aus dieser Abhängigkeit befreien kann und ein eigenes Leben lebt. Mühelos kreiert Oyinkan Braithwaite nebenbei Situation, in denen der Alltag der Frauen der gehobenen Mittelschicht in Nigeria geschildert wird.

Neben Berufs- und Klinikalltag, Dating und Instagram ist da auch das Drängen der Mutter aufs Heiraten, Wochenendtrips mit reichen Gönnern nach Saudi-Arabien, studieren im Ausland und Bedrängung durch die lokale Polizei, die sich manchmal nur mit Bestechung kitten lässt. Da sind aber auch Erinnerungen an den gewalttätigen Vater, die Freiheiten die sich Männer nehmen und wie selbstverständlich Affären führen und die Andeutung das Ayoola bereits als Teenager mit einem Mann im Alter ihres Vaters verheiratet werden sollte, um der Familie irgendwelche Vorteile zu verschaffen. Ob das nur ein Ausschnitt aus Koredes und Ayoolas Leben ist, erschließt sich mir erst, wenn ich mehr Bücher afrikanischer Autor*innen gelesen habe. Der Einblick bleibt aber gerade deswegen so stark haften, weil die Autorin nicht übererklärt, sondern uns erleben lässt. Und gerade wenn Korede in der absolut ungünstigsten Situation von der Polizei angehalten wird, treibt einem das schon Schweiß auf die Stirn.

Die Momente von Suspense und Bedrohung sind wenige, aber effektive. Krimifans könnten enttäuscht sein, da der Fokus deutlich auf der Familiensituation liegt. Das wiederum entspinnt eine eigene Form von Krimi, die da eher lautet „Kommt Korede aus der Nummer raus? Und was passiert mit Tade?“ Etwas plakativ ist aber, dass Korede die einzige Person zu sein scheint, die gegen den Charme Ayoolas immun ist. Scheinbar sind alle Personen in ihrem Umfeld leicht zu manipulieren, hinterfragen wenig, sind einfältig oder haben allgemein eher nachteilige Eigenschaften. Das kann nun ein Ausdruck dessen sein wie negativ Korede die Welt sieht oder die Figurenzeichnung ist wirklich so eindimensional. Man kann viel Vermutungen darüber anstellen, in jedem Fall war es mir zu eindimensional, dass sich die Welt in die wunderschöne Ayoola, die clevere Korede und ansonsten nur in Tölpel, die nichts mitkriegen teilt. Auch das Ende des Romans hat mich eher befremdet. Zwar ist es verständlich, dass Korede sich die Frage stellt, ob sie wirklich will, dass Ayoola auffliegt? Ebenso ist es unwahrscheinlich, dass Ayoola auffliegt, aber Korede nicht der Mittäterschaft bezichtigt wird und ihre Familie nicht ins Unglück gestürzt wird. Damit stellt Braithwaite Korede und die Leser*innen vor eine interessante moralische Frage. Deren Ausgang hat mich doch verblüfft.

Diskussion des Endes, enthält Spoiler.

Als sich Korede dafür entscheidet sich gegen Tade zu stellen und ein weiteres Mal auf Ayoolas Seite zu sein, ist das denke ich mitnichten eine Entscheidung für die Schwester um der Schwester willen. Oder um der Familie willen. Korede bricht letzten Endes mit allen Menschen in ihrem Leben, auch mit dem netten Komapatienten, der ihr angeboten hat, für sie dazu sein und der wie ein Versprechen auf ein anderes Leben wirkte. Ich lese die Abkehr von all diesen halb geöffneten Türen als eine Art aus der Resignation geborene Revolte. Letzten Endes hat Korede wie oben angerissen keine Wahl als sich auf Ayoolas Seite zu stellen, es sei denn sie will selber im Knast landen. Ayoolas Wort würde gegen ihres stehen und noch schlimmer – es gab Augenzeugen, die zwei Frauen gesehen haben. Wahrscheinlich wäre das auch Koredes Ende. Das ist in meinen Augen die Resignation. Die daraus geborene Revolte ist die gegen die Männer, das Machotum, das Patriarchat. Selbst Tade, den sie für den besten Mann überhaupt hielt, hat sich letzten Endes gegen die Schwestern gestellt und Korede durch mangelnde Weitsicht enttäuscht. Die Erkenntnis, dass auch er „nur ein hübsches Gesicht will“, hat gesessen und die allzu hoffnungslos erscheinende Botschaft gesendet „alle Männer sind gleich“. Zumindest lese ich das so. Etwas schade finde ich das allerdings schon, da ich Korede gewünscht hätte, dass sie es schafft sich von der Familienvergangenheit zu emanzipieren und ihr eigenes Ding zu machen.

Das Hörbuch wird neutral, angenehm und ruhig gelesen von Sabina Godec. In ihrer Stimmfarbe klingt sehr gut die Abgeklärtheit und Beobachtungsgabe von Korede heraus, sowie das lakonische mit dem sie beobachtet, was sie schon hunderte Male gesehen hat. Wie Männer ihrer Schwestern hinterherrennen, wie es mit Blut endet, wie die Dinge immer wieder so ausgehen wie sie ausgehen. Aber ich habe auch die Debatte um farbige Synchronsprecher für farbige Figuren in Serien und Filmen im Hinterkopf, die v.A. dadurch entsteht, dass weiße Sprecher dazu neigen Klischees zu verbreiten. U.a. durch mangelnde Erfahrung, zu wenig Wissen über den Kulturkreis und zu wenig Fingerspitzengefühl seitens Regie oder Übersetzung im Umgang mit Dialekten, lokalen Begrifflichkeiten und Bräuchen. Übersetzungsfehler oder mangelnde Repräsentation führt zu Auslassungen oder Falschinterpretationen. Hingegen authentische Sprechweisen und Stimmfarben zu haben, erfordert bewussteres Casting. Bewusstsein für Zeitgeist und Diversität. Siehe hierzu auch den Beitrag auf Deutschlandfunk Nova: Rassismus im Film – Wie Synchronisation abseits von Klischees funktioniert. Das Hörbuch ist für meine Ohren wunderbar gesprochen, aber meine Ohren sind auch weiß und vielleicht entgehen mir Feinheiten. Ist die Debatte überhaupt dieselbe wie bei Synchronisation in Film und Fernsehen? Ich vermute schon, aber was wissen schon ich und meine weißen Ohren!? Ich frage mich wie ihr das seht und das ganz besonders und v.A. wenn ihr selber PoC seid.

Sowohl zum Ende als auch zur Sprecher*innen-Debatte interessiert mich eure Meinung brennend. Wie habt ihr das Buch empfunden? Wie die Charaktere und v.A. was ist eure Meinung zum Ende? Spoiler bitte deutlich kennzeichnen. 😉

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