Literarische-Fundstücke: Drei Mal Lyrik (E. Bishop, A. Puschkin, M. Collins)

Ich weiß nicht was der Frühling so an sich hat, aber wenn da draußen alles aufblüht, dann hat das schon etwas von Poesie. Lyrik und ich hatten es schwer. Obwohl ich seitdem ich Teenagerin war gerne Zitate und Gedichte gesammelt habe, fand ich in den letzten Jahren weniger Zugang zu Lyrik. Es war mal ein Film und darin zitiertes Gedicht, das mich unerwartet getroffen hat und den Gedanken weckte: warum nicht mal Lyrik? So habe ich mich sanft und erfolgreich in den Jahren 2021 und 2022 „gezwungen“ Lyrik zu lesen. Und die bespreche ich heute. Wer übrigens Reime ganz furchtbar findet, dem sei Elizabeth Bishop und Misha Collins ans Herz gelegt – die haben mehr Prosagedichte, also welche die auf Versmaße und Reime verzichten.

Elizabeth Bishop Gedichte (Übersetzung Steffen Popp)

Normalerweise muss man auf den großen Buchmessen ja keine Bücher kaufen, weil man sie in den meisten Fällen jederzeit kaufen kann und sich dort Appetit holt. Aber der Gedichtband war wegen seiner Aufmachung Liebe auf den ersten Blick. 🙂 Tatsächlich habe ich mich vorher sehr wenig mit der Person Elizabeth Bishop beschäftigt. Das einzige, was ich wusste: One Art ist eins meiner Lieblingsgedichte und stammt von ihr. Was der Gedichtband ganz großartig macht ist die Leistung der Autorin und die Übersetzungsleistung Steffen Popps nebeneinander zu stellen. Denn soviel steht fest: Übersetzung ist wichtig, weil es Verständnis und Barrierefreiheit fördert. Und soviel steht auch fest: wer Gedichte übersetzt, muss soviel beachten an Bedeutung, Form und Poesie, dass der Übersetzung genausoviel Ehre gebührt. Passenderweise sind die englischen und deutschen Strophen tatsächlich immer auf der gegenüberliegenden Seite. Dieses Spiegeln hat mir tatsächlich auch sehr oft beim Nachempfinden des Inhalts geholfen. Der Gedichtband beinhaltet übrigens mehrere Bücher der Pulitzer-Preisträgerin Bishop, bspw. North & South und Geography III und kommt damit einem Komplettwerk (und das auch noch auf Deutsch!) so nah wie es wohl geht.

Was allerdings auch nicht heißt, dass die Reise in die Lyrik leicht war. Genau genommen habe ich mir den schwierigsten der Gedichtbände offenbar gleich zu Anfang vorgenommen. Über viele Seiten hinweg fand ich keinen Zugang zu Bishops Gedichten. Viele erschienen mir unpersönlich, nicht zuletzt weil sie eben auch Reisebeschreibungen und Landschaftseindrücke festhalten. Der Blick in die Anmerkungen hinten im Buch zeigt aber, dass es gar nicht unpersönlich ist, sondern einfach voll veschlüsselter Symbolik. Damit war klar: sie ist ein Genie und ich bin verloren. 🙂 Daher ahne ich, das muss ich irgendwann in zwei bis zehn Jahren nochmal lesen und werde dann wahrscheinlich anders über die Gedichte denken.

Aber es gab eben auch viele Gedichte, die mich bereits jetzt umgehauen haben. Wie beispielsweise O Breath, das in jeder Zeile eine Leerstelle hat. Dank der der Anmerkungen am Ende des Buches ging mir das Licht auf, dass es sich dabei um Atempausen handelt – Bishop hatte eine asmathische Erkranknung. Allgemein haben mir die Gedichte ab denen aus der Sammlung A Cold Spring (ab 1955) besser gefallen, weil die Person durchschimmert, die all das erlebt und niedergeschrieben hat. Geografie III (ab 1976) hat viele surreal wirkende Gedichte und wurde damit mein „Lieblingsband im Band“ neben den Gedichten aus dem Nachlass, die mich enorm beeindruckt haben. Meine Lieblingsgedichte: Das Unkraut, Four Poems, Die Tankstelle, Visit to St. Elizabeths, Crusoe in England, Vague Poem und For Grandfather. Und One Art natürlich. Was ich durch das Buch gelernt habe: One Art ist in der Form der Villanelle geschrieben. 🙂

Inzwischen habe ich mich mit Elizabeth Bishop beschäftigt und weiß beispielsweise, dass sie lesbisch war und die Feminismus-Bewegung eher ablehnte. Genauso wie sie es ablehnte in rein weiblichen Gedichtsammlungen veröffentlicht zu werden. Viele ihrer Wegbegleiter:innen sehen darin, dass sie zuviel durch die Misogynie der damaligen Zeit geprägt wurde. Sicherlich kann man darin aber auch auf ihre Weise eine Revolte erkennen.

Fazit

Für gereifte Lyrik-Konsument:innen, die was Poesie betrifft etwas weniger grün hinter den Ohren sind als ich.

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-446-26014-6, Hanser

Alexander Puschkin „Jewgeni Onegin“ (Übersetzung Rolf-Dietrich Keil)

Der Klappentext erzählt „‚Jewgeni Onegin‘ ist mehr als eine Liebesgeschichte: Es ist die Enzyklopädie der russischen Welt – bis in die Gegenwart.“ Das erscheint mir doch wenig hilfreich. Tatsächlich handelt es sich bei dem Versroman um die unglückliche Liebesgeschichte zwischen dem Titelhelden (ich möchte gar sagen Antihelden) und Lebemann Jewgeni Onegin und der Heldin Tatjana Larina, einem schönen, introvertierten Mädchen vom Lande. Womit der Klappentext aber doch Recht hat, ist das anhand der Figuren und viel Kontext zwischen den Zeilen die Mentalität und gesellschaftlicher Usus Russlands der damaligen Zeit wiederspiegelt. Beispielsweise wie schnell ein Affront zu einem Duell führen konnte – und wie schnell wiederum das zum Tod. Auch der an Onegin demonstrierte Hochmut der Männer russischer Oberschicht, das Gefühl von Überlegenheit gegenüber allen und das Herabblicken auf das friedliche Landleben spiegeln sich wieder. Was mich sehr überrascht hat, war die Leichtigkeit mit der die Geschichte erzählt ist und welchen Ton Puschkin wählt. Sogar selbstironisch und den Kulturbetrieb (Zensoren 😉 ) anprangernde Verse gibt es, womit Puschkin auf der Metaebene unterwegs ist. Trotz der Lockerheit, mit der Puschkin die dramatischen Ereignisse adressiert, haben die Verse mich nicht zu einer Liebhaberin der klassischen, Verslyrik gemacht.

Fazit

Überrascht durch Lockerheit, nahegehende Figuren und Metaebene, aber eher für Fans romantischer Lyrik 

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-458-34224-3, Insel Taschenbuch

Misha Collins „Some things I still can’t tell you“

Misha Collins ist wahrscheinlich den meisten als Schauspieler der Figur Castiel in der Fantasy-Mystery-Serie Supernatural bekannt. Als Fan kam ich nicht dran vorbei mir sein Buch zuzulegen, obwohl ich normalerweise vielleicht eher dem Konzept „Schauspieler:in veröffentlich Gedichtband“ etwas skeptisch gegenüberstehen würde. Als Fan weiß ich auch, dass Collins schon früher Gedichte veröffentlicht hat – die Leidenschaft ist in diesem Fall also nicht so an den Haaren herbeigezogen. Die nächste Frage, die sich aber wohl stellt ist: ist das Buch auch was für Nicht-Fans? Tatsächlich sind die Gedichte sehr persönlich. Wer Collins Leben etwas verfolgt, kann die Personen zum Großteil wahrscheinlich sogar zuordnen. Im Kapitel „My People (& Other People)“ ist tatsächlich eins für den Regisseur Darius Marder, seinen besten Freund. Die beiden sind ein Comedy-Duo sondersgleichen, wenn zusammen. Viele adressieren seine Kinder, seine Ex-Frau, aber auch welche das Laufen oder Depressionen.

Tatsächlich fand ich die im Kapitel „Longing, sadness, running & foreboding“ am besten. Auch weil sie sehr persönlich und menschlich sind (Men in the woods), aber nicht immer auf Ereignisse oder Personen hindeuten. Letzten Endes haben die, die sehr auf beispielsweise seine Frau, Kinder oder Eltern gemünzt sind, mir „zuviel mitgegeben“ und ich fühlte mich fast wie eine Voyeurin. Lyrik, Dramatik, Epik, eigentlich alle Formen des Erzählens sollen letzten Endes auch eine Projektionsfläche sein, um unsere eigenen Erfahrungen darin wiederzufinden. Das gelingt eben schwerer, wenn man merkt: oh, damit ist sein Vater gemeint. Von dem Standpunkt aus gesehen ist es vielleicht sogar besser das Buch nicht als Fan zu lesen. Oder als Fan zu lesen, wenn man Misha Collins besonders nah sein muss oder will? Viele der familienzentrierten-Gedichte waren mir zu sehr im Plauderton, in anderen schätze ich das Durchschimmern seines Humors, andere wiederum finde ich absolut großartig. Leicht zu lesen sind sie alle, manche nimmt man länger mit als andere. Aber so ist das wohl meist bei Gedichtbänden. Meine Lieblingsgedichte sind The Mother of Learning, The Bell Curve, Reread und These Hours. Am meisten beeindruckt er mich in den Gedichten, die kurze Momentaufnahmen des Lebens in wenigen Worten festhalten – und in denen finden sich sicherlich viele wieder. Starker Band, trotz des Fan-Voyeurismus.

Fazit

Misha Collins soll bitte weiter Gedichte schreiben, aber ich empfand den Band als zu persönlich.

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-1-5248-7054-6, Andrew McMeel Publishing

Was ich oben nicht erwähnt habe, ist dass ich bei allen drei Bänden gemerkt habe, dass ich „in die Stimmung“ für Gedichte kommen muss. Bei allen dreien hätte ich mich hinsetzen und die Seiten durchrattern können. Manchmal geschah das auch, aber ich merkte dann, dass das gelesene bei mir nicht den Eindruck hinterlassen hatte, den es wohl sollte. Oder ich habe nach dem Lesen dagesessen und gedacht „so …worum ging’s?“ Offenbar bin ich zu sehr Romane gewöhnt. Was ich dann gemacht habe, um aus dem Roman-Lesetempo rauszukommen: ich habe laut gelesen. Klar, nicht so beliebt in der Bahn! Aber zuhause hat es mir geholfen. Auch hilfreich: bewusst langsam lesen. Erlebt ihr das ähnlich? Lest ihr überhaupt Lyrik oder ist das gar nichts für euch? Ich meine ja, man muss wie bei Romanen, Comics, etc nur das finden, was zu einem passt. Bishop und Collins treffen was die Atmosphäre und Darreichungsform betrifft am ehesten meinen Geschmack. Puschkin war angenehm, aber trifft nicht so recht meine Stimmung. Welche Lyrik empfehlt ihr? Zur Zeit lese ich ab und zu Emily Dickinson, kenne aber noch nicht viel. Übrigens: Ist die Lyrik inzwischen public domain, dann kann man durchaus sehr viel davon kostenfrei und legal im Internet lesen. Dieser Beitrag erschien als Teil der Reihe Literarische Fundstücke.

6 Antworten

  1. Gedichte legen Spuren. Hervorgerufene Stimmungen klingen beim Leser nach. Unterschiedliche Formen der Interpretation bieten sich an. Das Schreiben der Gedichte ist ein Prozess, der im Lesen Prozesse des nachspürenden Verständnisses eröffnet. Auch das Unverständnis bewirkt im Leser etwas und sei es nur, dass sich seine Art und Weise des Lesens ändert muss in Bezug auf Roman und Theaterstücke etwa.
    Meine Favoriten: Emily Brontë, Emily Dickinson, Dylan Thomas, W.B.Yeats, aber auch Monika Rinck, Steffen Popp, Ingeborg Bachmann und Sylvia Plath.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      “ Auch das Unverständnis bewirkt im Leser etwas und sei es nur, dass sich seine Art und Weise des Lesens ändert muss in Bezug auf Roman und Theaterstücke etwa“ – wahre Worte! Dem kann ich nur zustimmen. Wenigstens hatte ich meine Erkenntnis früh, dass ich Gedichte anders lesen muss. War ein spannender Prozess. Und sehr entschleunigend und inzwischen angenehm. Am Anfang sicherlich ungewohnt.

      Vielen Dank für die Empfehlungen! Yeats und Dickinson wurden mit jetzt einige Male empfohlen. Das ist sehr deutlich. 🙂

  2. Avatar von Voidpointer
    Voidpointer

    Ich lese generell eher langsam und somit wohl im passenden Tempo für Gedichte. 😉

    Bei dem wenigen was ich von Bishop kenne, musste ich schon ein bisschen Nachdenken bis ich es zu schätzen wusste.

    Ich mag zum Beispiel Fontanes „Sprüche“.
    https://de.wikisource.org/wiki/Sprüche_(Fontane)

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Haha – „a blessing in disguise“? 🙂

      Das ist beruhigend zu lesen, dass nicht nur ich etwas für Bishop brauchte.

      Vielen Dank für den Link! Ich habe viele „Anspieltipps“ bekommen und freue mich darüber.

  3. Ah, Lyrik!

    Ich bin nach längerer Abstinenz auch wieder auf das Lesen von Gedichten gekommen. Früher, in der Uni, habe ich meine Lieblinge gehabt: Emily Dickinson, Pablo Neruda, die Romantiker Keats und Shelley.
    Nach langer Pause haben mich vor einiger Zeit die “Poetry Pharmacy” Bände von William Sieghart wieder auf Gedichte gebracht. Auch, weil jedes Gedicht mit einer einfühlsamen Erklärung kommt, die einen emotional sehr abholt.
    Dann habe ich die “Staying Alive” Collection verschlungen, Gedichte von Mary Oliver, Stephen Dunne und Kim Addonizio. Wenn du englische poetry magst: die sind alle toll!
    Was deutsche Lyrik angeht, hat mir letztens die Live-Aufnahme “Vom Zauber einer verwehenden Sprache” viel Freude bereitet: deutsche Balladen, großartig vorgetragen!
    Und du hast absolut recht: Gedichte kommen besser, wenn man sie kaut vorliest. Dann kommen erst Melodie und Takt zur Geltung.
    Was Sieghart außerdem vorschlägt: Ein Gedicht, mit dem man nichts anfangen kann, am nächsten Tag nochmal lesen (ja, laut!). Wirkt bei mir oft.

    In jedem Fall finde ich inzwischen, dass mich Gedichte rein emotional oft schneller und auf kürzerem Wege ins Herz treffen als Bücher. Und das liebe ich!

    LG,
    Ute

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Wow Ute – vielen Dank! Soviele Tipps! Dickinson hält sich ja wirklich hartnäckig hier in den Tipps. Das ist überdeutlich. 🙂 Du hast dich ganz offensichtlich schon viel mehr mit Lyrik auseinandergesetzt. Da hab ich noch etwas Reise für mir aber wie ich sehe sehr gute Begleitung. 🙂

      Ja das nochmal lesen habe ich ab und zu auch mal gemacht bei Bishops Gedichten. Manchmal kam da noch was bei rum, manchmal war ich auch etwas frustriert vom Geblätter zwischen Erklärungen im Anhang und Gedicht. Manchmal ist das Erspüren und Erleben sicherlich besser.

      Das ist ein guter Gedanke! Es ist wirklich faszinierend wieviel manche in wenige Zeilen packen können.
      Vielen Dank für deinen Kommentar und ebenso liebe Grüße

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