Neulich im Kino … Filmbesprechung zu „The Banshees of Inisherin“

Schon als Spätsommer/Herbst 2022 die ersten Reviews und Vorschusslorbeeren erschienen, war ich so neugierig  – und durfte noch nicht! „The Banshees of Inisherin“ erhielt in Deutschland einen 2023er Kinostart und stand ganz oben auf meiner Liste der 23 guten Gründe für 2023. Letzte Woche war es dann endlich soweit. Die Besprechung ist spoilerfrei.

Pádraic Súilleabháin (Colin Farrell) trifft fast der Schlag. An einem schönen Nachmittag wollte er wie jeden Tag seinen Freund Colm Doherty (Brendan Gleeson) abholen, um gemeinsam in den Pub zu gehen. Den einzigen auf der Seite der Insel. Und gemeinsam wie jeden Tag bis in die späten Abendstunden reden und gemeinsam trinken. Nun sagt ihm Colm aber, dass er nicht mehr mit ihm reden will. Und nicht mehr mit ihm befreundet sein will. Pádraic weiß kaum wohin mit sich. Anfangs hält er es für einen Scherz, später geht er Colm damit solange auf die Nerven die Gründe erfahren zu wollen, bis der sich zu drastischen Maßnahmen genötigt sieht. Wenn Pádraic ihn weiter anspricht, schneidet er sich nach und nach die Finger seiner Hand ab. Und jetzt?


THE BANSHEES OF INISHERIN | Official Trailer | Searchlight Pictures, SearchlightPictures, Youtube

Die bittere Ironie beider Männer ist, dass Pádraic nun mal eben nicht wahnsinnig viele Freunde hat. Sie beide leben auf einer kleinen Insel vor der irischen Küste und die Handlung setzt 1923 ein. In Depressionen gestürzt, schaut Pádraic nun auf einen noch kleineren Freundeskreis bestehend aus Zwergeselin Jenny und Pádraics Schwester Siobhán (Kerry Condon), die der schnell eskalierende Konflikt ähnlich tangiert. Mit den anderen wenigen Bewohner:innen der Insel will er vielleicht nicht mal was zutun haben. Der jüngere und als „Dorftrottel“ verschriene und etwas triebgesteuert anmutende Dominic Kearney (Barry Keoghan) taugt nichts als Colm-Ersatz. Dominic nervt ihn schon nach fünf Minuten, es ist ein Dilemma. Colm hingegen scheint es ganz gut mit seiner Entscheidung zu gehen. Er spielt auf seiner Violine, trifft sich mit anderen zum Musizieren. Wenn Pádraic ihn nun aber weiter anspricht, schnipp schnapp, macht er wirklich Ernst mit der Drohung? Wie schlimm kann es sein, dass Pádraic mit ihm spricht? Offenbar schlimm genug, dass Colm in Erwägung zieht im Ernstfall dann auch nicht mehr Musik machen zu können.

Martin McDonaghs nach seinem eigenen Drehbuch verfilmtes Werk ist eine wunderbare Illustration eines Satzes, den wir schon alle gehört haben. Den wir schon alle gehasst haben und doch früher oder später schon mal gesagt haben: „Es geht um’s Prinzip“. Oder auch: „Na eben drum!“ Vielleicht mischt sich da auch ein Hauch von „Jetzt erst recht“ rein. Immer, wenn jemand der Meinung ist, es gehe um’s Prinzip, muss nicht zwingend Blut fließen. Aber sagen wir mal so: der Konflikt Colms und Pádraics eskaliert schnell. Anfangs kann man wunderbar in dem Film lachen, wenn Pádraic versucht die Grenzen des Zwists auszuloten. Wenn die anderen herrlich verschrobenen und menschlichen Charaktere tun, was sie eben so tun. Oder was man eben tut, wenn man relativ isoliert auf einer Insel lebt, wo eben manchmal das spannendste die Post der Nachbarn ist. Wo man doch mal wieder Mythen, Vorhersagen oder Aberglauben Gehör schenkt, weil es gibt ja sonst nichts. Ich habe so gelacht! Die Sache ist nur die: desto länger Pádraic und Colm sich uneins sind die Bedürfnisse des anderen nachzuvollziehen, desto mehr eskaliert es und zum Schluss bleibt uns das Lachen im Halse stecken.

Als Kontrast, der die Botschaft noch mehr unterstreicht, platziert Martin McDonagh in den Hintergrund die Küste und das zu vernehmende Feuer und Raunen des Irischen Bürgerkriegs. Wieviel von der irischen Lebensrealität und Geschichte in den Film geflossen ist und Pate für die Parallele der Freunde ist, können andere besser bewerten. Da habe ich einfach Nachholbedarf und Vertrauen in McDonagh. Was ich aber sehe ist das universale Gleichnis derer, die nicht aufgeben bis sie ihren Punkt gemacht haben und damit eins der hässlichsten Wörer überhaupt auf den Plan rufen: Kollateralschäden. Wofür? Fürs Prinzip. The Banshees of Inisherin macht dabei etwas sehr kluges. Er erklärt uns eine bittere Lebensweisheit, ist dabei aber vor Allem anfangs so witzig, dass wir nicht mit zu schwerem Herzen aus dem Kinosaal gehen. Wohl aber mit der Gewissheit, dass wir unsere eigene Agenda nächstes Mal hinterfragen, wenn wir sagen „jetzt erst recht.“ Und „Es geht um’s Prinzip.“ Denn: wie teuer darf das Prinzip erkauft sein?

The Banshees of Inisherin, Irland/USA/UK, 2022, Martin McDonagh, 114 min, (9/10)

Sternchen-9

Und dabei macht mir schon alleine der Umstand Spaß, dass McDonagh erneut seine beiden Hauptdarsteller aus „Brügge sehen … und sterben?“ um sich versammelt hat. Sehr mochte ich die Figur der Siobhán und Barry Keoghan ist sowieso nicht zu toppen, egal was er anfasst und spielt. Außerdem hat mir der irische Dialekt sehr viel Spaß gemacht, dankbarerweise habe ich eine OmU-Vorstellung erwischt. Ohne Untertitel hätte ich aber wohl auch nicht gewollt. Ein bisschen ergreift mich nun aber auch das Fernweh. Und euch?

8 Antworten

  1. Perfekt analysiert. Je mehr die Geschichte voranschreitet desto tragischer wird sie. Ich fand auch die alte Mrs. McCormick, die ja quasi eines der im Titel genannten Wesen darstellt, sehr gelungen. Und ich habe den Film ebenfalls glücklicherweise im OmU gesehen. Ohne die Untertitel hätte ich auch die Hälfte nicht verstanden. 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das wäre mir wohl Untertitel auch so gegangen. 😀
      Ja, Mrs McCormick wird zwar glaube ich von den anderen immer eher Ghoul genannt, aber durch ihre Vorhersage ist schon irgendwie ein Banshee. Ich sah sie auch als eine Art Bild der Überalterung. Alle fürchten sich vor ihr, weil sie Angst haben, so zu werden wie sie!? Spannend jedenfalls.

      Und danke!

  2. Also wer vorher noch nicht nach Irland wollte, will es definitiv nach der Sichtung 🙂 Ein schöner Film, auch wenn mich der Grundkonflikt nicht 100% überzeugen konnte. Aber die Schauspieler sind fantastisch und der Esel sowieso.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Haha, das ist wahr. Mich hat auch das Fernweh gepackt. 🙂 Was hat dich am Grundkonflikt gestört?

  3. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Toller Film. Jetzt schon zweimal gesehen

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hatte auch schon überlegt mir die „Banshees …“ nochmal zu geben 😀

  4. […] habe ich ChatGPT dazu befragt und auch eine sehr vernünftige Antwort bekommen. Meinen Beitrag zu Banshees of Inisherin konnte es leider nicht für mich schreiben, weil das zugrunde liegende Datenset Ende 2021 aufhört, […]

  5. […] Inu-Oh, aber die Nominierungen insgesamt wirken stark auf mich. Nicht in der Liste hier sind die The Banshees of Inisherin, besprochen habe ich die aber schon mal. Vielleicht schaffe ich es noch zu den […]

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