Fantastischer Film: My Thoughts Are Silent

Vadim (Andriy Lidahovskiy) ist ein Sounddesigner und Musiker, der sich in Kyiv mit Jobs zum Aufzeichnen von „Stocksounds“ über Wasser hält. Leider reicht das nicht für seine angehäuften Kosten. Als er ein Angebot einer Retrowave-Gaming-Schmiede bekommt, kann er nicht ablehnen. Nicht nur, dass es für das neuste Spiel einer seiner größten Idole Sounds aufnehmen soll, er bekommt außerdem einen Job in Kanada in Aussicht gestellt. Die Aufgabe? Er soll typische Tierstimmen in Transkarpatien aufnehmen, v.A. die eines seltenen und für ausgestorbenen gehaltenen Vogels. Transkarpatien liegt im Westen der Ukraine. Da Vadim dort geboren wurde und seine Familie dort lebt, wäre das kostengünstige und bequemste den Kontakt zu seiner Familie wieder herzustellen. Als er aber in Transkapartien seiner Mutter (Irma Vitovska-Vantsa) wieder begegnet, würde er am liebsten wieder abreisen.


Film Trailer: Moi dumki tikhi / My Thoughts Are Silent, KVIFF TV, Youtube

Der Film verläuft dann übrigens so, dass Vadim die Aufnahmen so mehr oder weniger mit seiner Mutter zusammen macht. Die Ideen seiner Mutter und ihre bohrenden Fragen über sein Privatleben reichern den Film mit noch mehr Comic Relief an. Überhaupt scheinen die kuriosesten Situationen Vadim zu finden. Wenn er sich beispielsweise in einem improvisierten Tierkostüm unter eine Ziegenherde mischt, dann ist das eigentlich noch das am wenigstens überraschende. 🙂 Damit kein falscher Eindruck entsteht: My Thoughts Are Silent ist eher Tragikomödie, denn es erzählt wehmütig und aufrüttelnd vom Verlassen der Familie und Heimat. Vadim und seine Mutter können nicht gut miteinander, aber auch nicht gut ohne einander, was der zwei Mal sehr passend gefeatuerte Song Viva Forever von den Spice Girls überraschend gut einfängt. Vadims Mutter ist ein großer Victoria Beckham Fan.

Sie sorgen sich umeinenader und darum, ob sie sich nicht einsam fühlen; aber wollen und können auch nicht zusammen leben. Kommt uns bekannt vor? Das Verlassen der Heimat wegen des Mangels an Chancen oder des „auf der anderen Seite ist das Gras immer grüner“-Effekts ist das zweite große Motiv des Films. Die Ukraine wird durch viele Anekdoten als eine große, bodenständige Liebe, aber auch eine „unbequeme Heimat“ dargestellt ohne zu nennen, was man erwarten könnte: den russischen Nachbarn, die langsame Beseitigung von Korruption in der Politik, das lange Ringen um Anerkennung. Stattdessen spielt Regisseur Antonio Lukich und Drehbuchautor:in Valeria Kalchenko mit unterschwelligen Metaphern, die pure Satire sind. Ein Beispiel: Vadim fragt seine Auftraggeber irgendwann, warum sie ausgerechnet ukrainische Tierstimmen wollen? Die Antwort: weil man das wehklagende in ihren Stimmen hören will. Kanadische Tiere sind einfach zu glücklich.

Es ist auch sicher kein Zufall, dass der sagenumwobene Vogel, den Vadim suchen soll, wie es ihm beliebt die Grenze überqueren kann, weil er im rumänisch-ukrainischen Grenzgebiet beheimatet ist. Vadims Melancholie und die Verzweiflung der Mutter über das bevorstehende immer weitere Auseinanderdriften der Familie wird hervorragend und nachfühlbar einbezogen. Da werden selbst meine thoughts ganz plötzlich ganz silent. Guter Kniff dabei: die Ukraine ist wohl in keinem der Filme so schön wie in diesem. Wer hier keine Heimatgefühle bekommt, ist aus Stein. Und ja, es ist kein Zufall, dass der Fantastische Film diesem Monat ein ukrainischer ist. Heute vor einem Jahr fing Russland an mit scherem Kriegsgerät die Ukraine anzugreifen. Wir wissen, dass der Konflikt schon viel länger währt. Umso wichtiger ist es nicht wegzusehen und nicht zu vergessen. Wer diesen oder andere ukrainische Filme sehen möchte, kann das beispielsweise legal auf der Plattform Takflix tun.

My Thoughts Are Silent (OT: Мої думки тихі), Ukraine, 2019, Antonio Lukich, 104 min


„Мої Думки Тихi (My Thoughts Are Silent) – Сцена на Водах“, via MK (Youtube) (Szene im Freibad)

Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash

Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆

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