angelesen: „H.P. Lovecrafts Die Farbe aus dem All“, „Sandman – Worlds’ End“ & „Everyday Escape“ Bd. 1

Ach, wieder ein Jubiläum verpasst. Der letzte Beitrag zu angelesen war der 33.! Anders als der geht es heute Querbeet durch Genres und Reihen. Eine Gemeinsamkeit haben die Comics und Manga aber schon: sie sind alle spoilerfrei und unabhängig lesbar. „H.P. Lovecrafts Die Farbe aus dem All“ ist ein Einzelband. Für den Sandman-Comic braucht man keine Vorkenntnisse und der Manga „Everyday Escape“ ist der erste Band einer Reihe und man kommt mit dem vermutlich auch klar, wenn man nicht weiterliest. Alle Besprechungen sind spoilerfrei.

„Everyday Escape“ Bd. 1, Shouichi Taguchi, Manga Cult

Irgendwo habe ich gelesen, dass Shouichi Taguchi den Manga gezeichnet hätte, um im Covid Lockdown auf dem Papier Eskapismus zu betreiben. Da hätte Taguchi sich echt beeilt, denn in Japan erschien der Manga bereits 2020. Einen Beleg konnte ich nicht finden, aber beim Lesen ist das vorstellbar. Der Manga handelt von einer Mangazeichnerin, die sich von ihren Deadlines eingeengt fühlt. Ihre beste Freundin ist gerade arbeitslos und beschließt ihr zu zeigen wie man leicht eine „Everyday Escape“ machen kann. Oder auf andere Weise den Alltag aufwerten kann, beispielsweise indem man einfach mal das Handy außer Reichweite legt. Das sollte ich auch mal beherzigen, es müsste nur nicht gleich so drastisch sein wie im Manga. 😉 In anderen „Everyday Escapes“ besuchen sie einen Dino Park oder trinken einfach irgendwo in der Heide ein Bier. Ich gestehe: der Manga hat mich angenehm weggetragen, ist sehr slice of life-ig und macht gefördert auf Eskapismus. Die Zeichnungen sind routiniert und sehr süß. Besonders gefallen mir die UmgebungsiIllustrationen und dass die einzelnen Kapitel so kurz sind und trotzdem meist eine Pointe haben. Timing und Pacing sind klasse.

So jetzt kommt der verwirrende Teil. Während der Klappentext von einem Trip „mit der besten Freundin“ spricht, steht auf der Verlagswebseite: „Am besten mit der allerbesten Freundin, die ohnehin nichts zu tun hat – und dann liegt vielleicht sogar Liebe in der Luft …“. Ja, was denn nun? Das deckt sich allerdings auch mit der Warnehmung des Mangas in Goodreads-Besprechungen und Booktube-Reviews. Die einen reden von girls love slice of life, die anderen gar von romance, die nächsten „nur“ von slice of life. Es weiß einfach niemand mit Sicherheit, ob das nur Freundinnen sind, oder ob was zwischen den beiden geht. Meistens ein Indiz für mildes Queerbaiting. Wie kommt das? Naja, es gibt eben Szenen, in denen die Mangaka ihrer Freundin sagt, dass sie im Kimono süß aussieht und beide mal etwas erröten. Mir ist es egal, in welche Richtung es geht. Ob Girls Love oder es Freundschaft bleibt. Aber ich finde es meist besser, wenn ein Medium Stellung bezieht anstatt ein ein people pleaser zu sein.

Obwohl der Humor des Manga wirklich sehr witzig ist und ich beim Lesen laut gelacht habe, bin ich letzten Endes doch unschlüssig, ob ich weiterlese. Es ist zwar schön erheiternd, aber ab einer gewissen Zeit, fragt man sich doch, ob die Beiden gar nicht über ihr Leben nachdenken und nur weglaufen. Ich glaube nicht, dass das für mich über mehrere Bände hinweg funktionieren würde. Wen das und der Queerbaiting-Aspekt nicht stört, kann aber durchaus reinlesen.

„Sandman – Worlds’ End“ Bd. 8, Neil Gaiman et. al., Panini

Sandman und ich? Ging doch bisher nicht!? Richtig. Da ich mit dem Zeichenstil der Sandman-Reihe bisher nie warm geworden bin, habe ich versucht den auf alle erdenklichen Wege zu konsumieren, nur nicht als Comic. Da im nächsten Band etwas großes passiert (womit ich mich aus Versehen selber gespoilert habe), wollte ich aber den 8. und 9. dann doch mal eine Chance geben. Aus dem Hörbuch kenne ich daher schon die Handlung dieses achten Sammelbands der Sandman-Reihe. Er ist ähnlich wie Doll House mehr von einem Anthologie-Charakter und Morpheus tritt zwar auf, aber eher als eine Nebenfigur. Die Handlung beginnt mit zwei Arbeitskollegen, die während einer Autofahrt von einem Schneesturm überrascht werden und einen Unfall haben. Als sie aufwachen, finden sie Unterschlupf im Gasthaus „Worlds‘ End“. Der Sturm tobt noch immer und sie hängen dort mit zahlreichen anderen fest. Unter denen sind wortwörtlich sagenhafte Gestalten. Und sie alle haben nur einen Zeitvertreib: trinken und Geschichten erzählen.

Klingt gut, oder? Inhaltlich ist es das auch. Unter den Geschichten ist die einer träumenden Stadt (Eine Geschichte aus zwei Städten), die sich irgendwie lovecraft-ig anfühlt und moderner illustriert ist. Hobs Leviathan springt mit einer Seefahrtsstory munter zwischen den Genres und Der Goldjunge handelt von einem Multiverse-Amerika, in dem ein junger Mann der perfekte Präsident ist und immer wieder dem Machtmissbrauch widerstehen muss. Die letzte Geschichte führt uns in eine Stadt, die sich ganz den Toten, der Bestattung und der Trauer widmet. Am Ende der Geschichte endet der Sturm und hinterlässt bei Lesenden eine ungute Vorahnung.

Auch merken wir spätestens hier, dass wir einer mehrschichtigen Erzählung beigewohnt haben. Letzten Endes ist es eine Geschichte in der Geschichte, in der nicht selten wiederum jemand eine Geschichte erzählt. Das drückt sich im Comic auch dadurch aus, dass jede Rahmenhandlung von anderen Illustrator:innen gezeichnet wurde. Dafür bin ich sehr dankbar, da mir so zumindest einige davon auch optisch gefallen haben (Eine Geschichte aus zwei Städten, Der Goldjunge, Leichentücher). Die übrigen sind in einem eher ältlichen und wenig atmosphärischen Zeichenstil gehalten, der eben „sehr 90er Jahre“ ist. Der stetige Kampf den vielen Text auf eine Seite unterzubringen schmälert das Potential für spannende Bilder und transportiert zwischen den Mini-Panels wegen Dramaturgie. Für mich persönlich ist er auch „zu bunt“. Was wiederum dankbar modern ist: von einer der weiblichen Figuren kommt der Hinweis, dass all diese Geschichten rein männliche Perspektiven wären. Eine ordentlicher Stoß in die Rippen der damaligen Comic- und Literaturszene, die zu wenig weiblichen Stimmen Gehör schenkt.

„H.P. Lovecrafts Die Farbe aus dem All“ (Einzelband), Gou Tanabe (nach H.P. Lovecraft), Carlsen

Gou Tanabe hat sich einen Namen damit gemacht Geschichten H.P. Lovecrafts als Manga zu adaptieren. Hier im Blog habe ich schon einmal über Berge des Wahnsinns geschrieben, der mich begeistert hat. Die Aufgabe ist keine leichte. Schließlich ist Lovecrafts Genre der kosmische Horror und schreibt über „unbeschreiblichen Schrecken“. Das ist schon in Textform interessant – aber wie gibt man dem „unbeschreiblichen“ ein Gesicht!? Die Geschichte beginnt erst einmal mit der Rahmenhandlung um einen Landvermesser, der in einer ländlichen Gegend seiner Arbeit nachgehen soll und dabei auf einen wüsten, verrotteten Landstrich trifft. Er fragt in der Gemeinde herum, was es damit auf sich hat und wird an einen älteren Mann verwiesen. Der erzählt ihm eine grauenvolle Geschichte – rund um eine ominöse „Farbe aus dem All“.

Bei Lovecrafts Die Farbe aus dem All stellt sich mir immer die Frage: was machen sie mit der Farbe? Die wird in der Vorlage nämlich als „noch nie gesehene“ beschrieben. Huiuiui. Stell das mal bildlich dar. Ich kenne nun inzwischen die Variante Lovecrafts und 2 Verfilmungen. In denen war die Farbe immer irgendwas zwischen Magenta, Violett und Pink. In Gou Tanabes Manga-Adaption rechnete ich damit, dass es ganz anders als durch Farbigkeit gelöst werden muss. Tatsächlich schafft er es das im klassischerweise schwarz-weißen Manga zu beschreiben und stattdessen das Leuchten darzustellen. Aber es gibt auch ein paar Farbseiten, auf denen die Farbe – Überraschung: grau mit bunten Akzenten ist. Das finde ich bisher eigentlich am besten gelöst. Auch die Darstellung des Horrors, der über der Gemeinde hereinbricht, ist stimmungsvoll, schaurig und mit einer Prise Body Horror gewürzt. Gibt es eigentlich das Genre Environmental Horror? Das würde die Geschichte gut beschreiben. Die Größenverhältnisse und das Ausmaß des Horrors zu sehen statt zu lesen tut nochmal einiges für die Geschichte, die ich offen gestanden in Lovecrafts Vorlage nicht für eine seiner spannendsten halte. Gou Tanabes Stil ist auch hier wieder eher realistisch und damit gut für diejenigen geeignet, die Erstbegegnungen mit dem Medium Comic/Manga haben oder sich mit allzu comic-/mangahaften Stilen in visuellem Storytelling schwer tun.

Kennt ihr die besprochenen Ausgaben? Und wie haben sie euch gefallen? Welchen von Gou Tanabe sollte ich als nächstes lesen? Wie geht ihr damit um, wenn ihr eine Reihe vom Inhalt her gern lesen würdet, aber der Zeichenstil gar nicht euer Fall ist? Trotzdem lesen? Auslassen?

In „angelesen“ sammle ich die Eindrücke von Buchreihen, die ich lese. D.h. insbesondere von Manga und Comics, die ich noch nicht abgeschlossen habe und deswegen nur als Teil eines Ganzen betrachten kann. Wer andere Literatur sucht und die Meinung zu abgeschlossenen Reihen, findet die in ausgelesen, einer weiteren Rubrik hier im Blog. 🙂

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