2024 jährte sich Kafkas Todestag zum hundertsten Mal, weswegen es recht bald und sehr öffentlich zum „Kafka-Jahr“ erklärt wurde. Man kam an ihm quasi nicht vorbei, es sei denn man mied alle Medien. Auch ich wurde von dem Hype angesteckt und nahm das als Anlass mich mal etwas mehr mit Franz Kafka zu beschäftigen – bisher kannte ich nur Die Verwandlung 🐞. Und wonach schreit es, wenn das in mehreren Medienformen geschieht? Nach einer Ausgabe von Spotlight.
Buch: „Der Prozess“ von Franz Kafka
„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ (p.5) ist der erste Satz im Roman. Josef K. wird erstmal nur mit dem Fakt konfrontiert, dass er verhaftet ist und ihm der Prozess gemacht wird. Bis dahin muss er ab und zu bei einem Verhör erscheinen, aber ansonsten passiert wenig. Er kommt dadurch ebenso schnell zum Schluss „Dann ist das Verhaftetsein nicht sehr schlimm.“ (p.22) Tatsächlich beginnen die Geschehnisse aber an ihm zu nagen und ganz unterschiedliche Emotionen hervorzurufen. Der Prozess wird für ihn zu einem bürokratischen Wirrwarr, einem Ärgernis, irgendwann wird er ihm egal. Es wühlt ihn aber wieder auf als Anwälte, die er sich sucht, scheinbar nichts tun oder entfernte Bekannte plötzlich von seinem Prozess wissen. Der Prozess wird eine Absurdität, aus der er sich nicht befreien kann und die sein Leben beeinflusst. Ein Ende? Nicht in Sicht. Und wenn ja, wie sieht es aus, das Ende?
Ähnlich liest sich Kafkas Roman auch: als surreal, fordernd, absurd, langwierig. Es wirkt nicht so als ob Josef K. wirklich ein juristischer Prozess gemacht wird. Die Verhöre sind in Wohnhäusern fremder Menschen, Josef wird anfangs in seinem eigenem Zimmer festgehalten. Die Korruption und Anonymität der Vollzugsbeamten und Eingeweihten macht den Prozess immer weniger greifbar, entfernt Josef immer mehr von dem Geschehen. Alles wirkt sinnlos für ihn angesichts dessen, dass er nicht mal weiß, warum er verhaftet wurde. Und so stumpft auch Josef K. ab. Verheddert sich lieber in Frauengeschichten und hat surreale Begegnungen mit Menschen wie einem Maler, der in ebenso widersprüchlichen Umständen festhängt. Alles scheint ein Gefängnis zu sein, gemacht um den Menschen das Leben so absurd und kompliziert wie möglich zu machen. Das überrascht jetzt niemanden, dass es kein fröhliches Buch ist, oder?
Ein Gedanke, der mir durch den Kopf schoss ohne tiefe literaturwissenschaftliche Analysen zu konsultieren: Da hat einer vielleicht auch etwas mit sich selbst auszumachen. Denn es scheint die Gesellschaft zu sein, vor der sich Josef rechtfertigen soll. Warum sonst finden all die Bewertungen, die Verhöre und Situationen in gutbürgerlichen Wohnhäusern statt? So oder so kann man sich mit Josef K.s Verlorensein in der Widersprüchlichkeit identifizieren, auch wenn man es mit Josef K. selbst nicht kann. Mir ging es zuletzt so als ich einen Termin bei einer Behörde brauchte. Kein Witz. Erst nach Monaten hatte ich einen. Bei Kafkas Romanen wird häufig von Romanfragmenten gesprochen, weil sie im Grunde alle unvollständig sind. Anders als Das Schloss und Der Verschollene hat Der Prozess ein kohärentes Ende. Nur zwischendrin fehlt ein Stück, was sich aber leicht verschmerzen lässt. Ich habe die Lektüre so zehrend und fordernd wahrgenommen wie es wohl gewollt ist. Man fühlt ihn – diesen Prozess Josef K.s. Und dann gibt es ein Urteil, das ebenso beklommen macht wie es einen zuvor die Absurdität der Bürokratie spüren ließ. Kafka. Hat nicht viel mit Komfortzonen am Hut, aber löst was aus.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-86820-705-7, Nikol Verlag
„Gegen Morgen nun, nach vierundzwanzigstündiger, wahrscheinlich nicht sehr ergiebiger Arbeit, ging er zur Eingangstür, stellte sich dort in Hinterhalt und warf jeden Advokaten, der eintreten wollte, die Treppe hinunter.“
(p.147, hier ist übrigens nicht die Rede von Josef K., aber von einem Beamten, der scheinbar alles ähnlich ätzend findet wie der Protagonist 😉)
Serie: „Kafka“
Zu Kafkas Todestag erlebte auch die deutsch-österreichische Serie Kafka ihre Erstausstrahlung im Ersten. Teilweise konnte die bereits vor dem Start in der ARD Mediathek angeschaut werden – und das kann man Stand heute noch. Sie widmet sich verschiedenen Etappen in Kafkas Leben, der von Joel Basman verkörpert wird, und stellt die Frage: wie fängt man an von Kafka zu erzählen? Dabei orientiert sie sich lose an verschiedenen Personen wie Kafkas Freund Max Brod (David Kross), Kafkas Liebschaften wie Felice (Lia von Blarer) oder der Übersetzerin Kafkas Milena Jesenská (Liv Lisa Fries).
Trotz dieser Etappen ist die Serie keineswegs nur aus Perspektive anderer erzählt, sondern widmet sich auch Kafkas Innenleben, der Beziehung zu seiner Familie, der Literatur und verwebt dies mit seinen Werken. Das Schloss, Der Prozess, Die Verwandlung und einige andere werden kurz und ähnlich surreal wie in der Literatur gezeigt. Die Serie ist toll gefilmt und gerade in diesen Sequenzen fühlt man sich in der Tat wie in einem Kafka-Roman. Die Serie vermittelt eine Menge biografischer Details rund um Franz Kafka. Sie zeigt ihn auch als ausgezeichneten Beamten, als Fabrikbesitzer(!) und als Hingerissenen. Er schwankt zwischen seinen Verpflichtungen, zwischen den Frauen und hadert damit, wann er denn endlich zum Schreiben kommt.
Nie ist die Serie zu schwermütig, stellenweise herrlich komisch. Für das Drehbuch zeichnet sich Daniel Kehlmann verantwortlich. Eine verlässliche Stimme der deutschen Literaturszene, der sich mit der Bearbeitung historischer Stoffe auskennt und wohl u.a. Reiner Stachs Kafka-Biografie als Grundlage nahm. Ab und zu fragt man sich aber schon: ehrlich Kafka, fast nur ernähren von Feta-Käse und Walnüssen? Wird Kafka nicht manchmal zu sehr als Sonderling dargestellt? Natürlich hat eine solche Serie eine besondere Herausforderung: wie klang Kafka? Wie sprach Kafka? Was ist Fiktion und was hat näherungsweise historische Korrektheit? Das muss jede:r für sich selbst bewerten – in jedem Fall bringt einem die Serie Kafka näher. (8/10)
Buch: Tom Gauld „Baking With Kafka“
Ich kenne die witzigen Comics von Tom Gauld aus den Zeitschriften und Zeitungen, in denen er veröffentlicht (u.a. The Guardian) und aus Social Media, wo ich ihm folge. Aber ich gestehe: ich hatte mir bei dem Titel trotzdem erhofft, dass ein paar mehr Kafka-Comics drin wären als es tatsächlich sind. 😅 Nichtsdestotrotz macht es Spaß wie sich Gauld der Muster in Literatur an- und sie aufs Korn nimmt. Ebenso wie auch Autor:innen, Bücherfreaks, die Verlagsbranche und eben alles rund um Literatur oder Fiktion im Allgemeinen. Auch Trends bekommen ihr fett weg wie Outdoor Ratgeber und vieles mehr. Trotzdem es dann nicht so kafkalastig wurde, sehr zu empfehlen für alle, die Bücher mögen. Es ist garantiert, dass man sich in dem einen oder anderen Comic wiedererkennt. Mit Sicherheit das kurzweiligste Buch, das ich mir dieses Jahr zu Gemüte geführt habe. Und die zwei Kafka-Comics, die dann vorkommen, haben natürlich einen herrlich schrägen-spröden Humor, der es auf den Punkt bringt. 😉
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-1-78689-150-1, Canongate Books
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Ja – heute mal ohne Film, obwohl anlässlich des Kafka-Jahres mit „Die Herrlichkeit des Lebens“ ja auch ein solcher in die Kinos kam. Der ging aber leider an mir vorbei. Was neben meinen Erfahrungen mit Kafkas surrealen Gesellschaftsbildern wohl am meisten hängen blieb war allerdings auch der Goldstaub der Ausgabe von „Der Prozess“ aus dem Nikol-Verlag. Das ist was für echte Liebhaber:innen, denn mich hat der Goldflimmer dann doch etwas genervt, der nach dem Lesen meist überall hing. Ansonsten war die kurze Auseinandersetzung mit Kafka sehr lohnenswert und ein Hype, auf dem ich gern mitgeschwommen bin. Und ihr?
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