ausgelesen: Simon Stålenhag „The Electric State“ (engl. Ausgabe, Tales from the Loop #3)

Tut euch den Gefallen und lest nicht den Klappentext zur deutschen Ausgabe auf der Seite des Verlags. Denn der erklärt, in was für einem Szenario und in was für einer Welt The Electric State spielt. Das gehört aber zum Mysterium des illustrierten Romans und macht einen Teil des Reizes aus. Wir werden darin vom schwedischen Autor und Künstler Simon Stålenhag in eine postapokalyptisch anmutende Welt geworfen und stehen einem Mädchen zur Seite, das mit einem kleinen, gelben Roboter im Schlepptau quer durch die USA reist. Oder das, was davon noch übrig ist. Sie haben ein Ziel, über das wir lange nichts erfahren. Allerdings erahnen wir, was diese Welt so zugerichtet hat.

Foto einer aufgeschlagenen Seite von "The Electric State", das auf einem Parkettbogen liegt. Neben einem großflächigen Bild steht Text. Auf dem Bild sieht man ein Mädchen und einen Roboter in einer Landschaft aus zerschossenen, riesengroßen Quietscheenten-Figuren.

Postapokalyptisch heißt nicht, dass alles in Schutt und Asche gelegt wurde. Es gibt offene Tankstellen und unversehrte Landstriche, in denen sie unterkommen. Das öffentliche Leben funktioniert noch zum teil, aber offenkundig versuchen alle irgendwie Fuß zu fassen nach einem Desaster, das nie konkret beschrieben wird. Hinweis auf das unausgesprochene sind v.A. die riesigen technologischen Konstrukte, die in der Landschaft wie architektonische Ruinen brach liegen. Manchmal Einschusslöcher inklusive. Dann wiederum erzählt uns das Mädchen von ihrer Familie und der wachsenden Beliebtheit von VR-Geräten, in denen sich alle nach und nach verloren und einem gefährlichen Eskapismus hingaben. Es liegen wortwörtlich Leichen in den Straßen, die noch ihre VR-Geräte tragen. Die Zusammenhänge zu entschlüsseln und zu realisieren, wohin die Reise das Mädchen und ihren kleinen Roboter führt, ist die eigentliche Schlüsselfrage und der emotionale Kern von The Electric State. Es ist das dritte Buch aus Simon Stålenhags Tales from the Loop, kann aber losgelöst von den anderen (und von der Serienadaption) gelesen werden.

Foto einer aufgeschlagenen Seite von "The Electric State", das auf einem Parkettbogen liegt. Neben einem großflächigen Bild steht Text. Auf dem Bild sieht man ein Auto auf einer verschneiten Landstraße. Im Hintergrund ist eine große, technische Einrichtung mit Cartoonfiguren darauf.

Nicht alles aus The Electric State erklärt sich so einfach. Neben der Reise des Mädchens gibt es noch eine weitere Erzählstimme – bei der hilft dann aber auch der Verlagstext nicht. Aber ist es nicht viel interessanter sich selber die Lösung zu suchen und die Zusammenhänge zu erkennen? Wie auch in seinen anderen Büchern (die ich bisher nur in der Buchhandlung in Händen hielt), erzählt Simon Stålenhag nicht nur, sondern zeigt auch. Das reich bebilderte Buch kreiert dabei mit dem Tech-Noir und Retro-Look eine Art melancholische, postapokalyptische Version unserer Realität. Eine, in der ein Tech Crunch stattfand. Der schnelle Anstieg und Fall der Technologisierung. Seine Bilder sind realistisch, atmosphärisch, nostalgisch und er versteht, was für visuelle Medien wie den Film gilt: show, don’t tell. Vielleicht ist es gerade deswegen so anziehend Stålenhags Vision als Serie zu adaptieren, sich davon (stark) in Sci-Fi-Filmen inspirieren zu lassen wie in The Creator oder eben wie Netflix es demnächst tut eben genau dieses Buch (dem Trailer nach mit sehr vielen Freiheiten) zu adaptieren. Nur fangen sie alle nicht das Gefühl ein diese Welt Seite um Seite zu erkunden.

Foto des Buches "The Electric State", das auf einem blauen Untergrund liegt, Cover nach oben.

Fazit

Faszinierende und atmosphärische, reich bebilderte Zukunftsvision

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-1-4711-7608-1, Simon & Schuster

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

5 Antworten

  1. Danke für diesen Artikel. Ich bin schon soooo häufig um dieses Buch herumgeschlichen, aber irgendwas hat mich immer blockiert, es auch zu kaufen. Keine Ahnung, was es war.

    Aber das klingt schon spannend… und wenn jetzt Netflix kommt und das Ganze verfilmt, muss ich vorher echt mal selbst lesen, was das alles kann.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja Mensch, das lese ich doch gern. 🙂 Da merke ich wieder, warum ich so gern blogge.
      Ging mir übrigens ähnlich. Ich wollte immer mal mit irgendwas von Simon Stalenhag anfangen und konnte mich nie so richtig entscheiden wann und dann habe ich das da gekauft (und eigentlich verschenkt, aber dann ausgeborgt). Und jetzt halt dich fest, wo das war. Im Dussmann in Berlin als ich eine halbe Stunde Zeit totschlagen musste. Das war die teuerste halbe Stunde meines Lebens. (Ich hab noch mehr gekauft…)

      Und wegen der Netflix-Adaption. Ja. Hm. Also nur vom Trailer her würde ich sagen, dass die das Massentauglichkeits-Treatment bekommen hat. Von daher: vielleicht wirklich vorher das Buch lesen?

  2. Eine schöne Rezension, die den Kern des Buches trifft!

    Vor der Verfilmung hatte ich Angst, seitdem Millie Bobby Brown die Hauptrolle übernommen hat – nach dem Teaser ist die Besetzung aber wohl das geringste Problem …

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Danke Eugen, das freut mich sehr!

      Hm, die Gefühle teile ich. Nur von Simon Stalenhags Instagram zu schließen ist er wohl trotzdem gehyped. Vielleicht wirds auch ganz anders als der Trailer vermuten lässt, wer weiß? Ich werds mir sicherlich mal anschauen.

  3. Volle Zustimmung!
    Ich liebe alle Bücher von Stålenhag, aber „Electric State“ ist bisher mein Favorit.
    Und natürlich sind die grandiosen Bilder der erste Blickfang, aber darüber sollte man nicht vergessen, dass hier außerdem – genau wie du schreibst – eine tolle Geschichte erzählt wird.

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