Es hat gedauert bis ich die vierte Staffel besprochen habe – schlappe drei Jahre circa. Der Grund ist, dass ich mich nicht entscheiden konnte wie ich die Staffel fand. Sie bewegt sich als erste sehr weit weg von den Büchern, von Gileads als Handlungsort. Geht Wege, die man sehen will und welche, die lieber nicht. Aber inzwischen ergeben meine Notizen und Erinnerungen ein Bild, das man verschriftlichen kann. Die Besprechung ist spoilerfrei für die vierte, aber nicht für vorhergehende Staffeln.
„Pain makes your world very small“
Nachdem June (Elisabeth Moss) so viele Kinder aus Gilead geschleust hat, gibt es kein Zurück. In Gilead erwartet sie und ihre Komplizinnen (u.a. Madeline Brewer als Janine) nur noch der tot. Sie begeben sich auf eine Flucht, die wiederum andere Gräuel auf Gileads Landstrichen zu Tage fördert. Aunt Lydia (Ann Dowd) wird zur Rechenschaft gezogen und zum Sündenbock gemacht wegen des „Verlusts“ all der Kinder. Das rüttelt an ihrem Moralverständnis und sie bewegt sich auf einem gefährlichen Pfad. V.A. gefährlich für andere. Währenddessen befinden sich in Toronto die Waterfords in Gefangenschaft und Uneinigkeit, nachdem Fred (Joseph Fiennes) die Taten seiner Frau Serena (Yvonne Strahovski) aufgedeckt hat und nun beide angeklagt sind.
Bei diesen nebenläufigen Handlungssträngen fragt man sich wie und wo die Serie wieder ankommt. Soviel sei vorweg genommen: richtig gut wird sie dann, wenn Charaktere, die zu Beginn noch getrennt sind, wieder aufeinander treffen. Auf die Weise, die Genugtuung bereitet oder das Fürchten lehrt. Aber die Staffel wirkt auch sehr repetitiv, Stichwort Flucht. Fraglich ist, ob die Handmaids rund um June dieses Mal entkommen können – es ist nicht der erste Fluchtversuch. Allein deswegen hat die Staffel es schwer, auch wenn sich die Versuche steigerten, sie weiter kamen, mit mehr Gefahren konfrontiert wurden. Ebenso wie mit Konsequenzen. Immerhin beginnt die vierte Staffel mit der angeschossenen June. Nun, dass sie es überleben wird, ist spätestens dann kein Geheimnis mehr, wenn wir uns vor Augen führen, dass es eine sechste Staffel mit ihr als Protagonistin gibt.
Stellenweise wirkt die Staffel aber auch das erste Mal auf mich wie ein Misery Porn. Es scheint immer nur schlimmer zu werden, immer mehr Schicksale in Gilead zu erzählen, die haarsträubend sind (z.B. das von Mckenna Grace als Esther). Obwohl die Staffel einige Momente der Genugtuung hat, reicht das hier bei Weitem nicht aus all das Grauen aufzuwiegen.
Gewalt sät Gewalt
Davon abgesehen erzählt die Staffel konsequent weiter wie sich June radikalisiert. Nach dem Motto „Gewalt sät Gewalt“ sollte es eigentlich niemanden wundern, dass sie zurückschlägt nach all dem was ihr passiert ist. Man hat sie verfolgt, eingesperrt, ihr Kind entführt, sie vergewaltigt, entmündigt und auch noch versucht ihr ihr zweites Kind wegzunehmen. Dass June zu Gewalt greift, ist eigentlich nur konsequent. Und ich gehöre gar nicht zur Fraktion „Ich mag meine Heldinnen und Helden nur moralisch-rein“, aber rein subjektiv hat mir das auf einer gewissen Ebene nicht gepasst. Ich kann es nicht erklären. Vielleicht hat sich ein leicht idealistisch angehauchter Teil von mir gewünscht, dass die Täter:innen mit öffentlich anerkannten Mitteln der Rechtsprechung zur Rechenschaft gezogen werden. Aber ist das realistisch?
Hätte ich diese Review vor Monaten oder Jahren geschrieben, hätte die Serie subjektiv gefärbt deutlich schlechter abgeschnitten – sternchenwise. Zum Teil sehe ich das immer noch so. Mir war die Staffel zu düster. Alles andere erscheint mir heute nur als das: konsequent. (9/10)

Sieht so aus als ob man auch Medien manchmal sacken lassen muss, um sich von einem rein subjektiven „Geschmäckle“ wieder zu besinnen, was gut war, was schlecht war, was dazwischen. Oder hat mich das Schauen der fünften mit der vierten Staffel versöhnt? Wie ist das bei euch?
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