Wenn ich über absurdes Kino spreche, dann meine ich damit weder absurd schlechte Filme (meistens jedenfalls 😉), noch Komödien. Viel mehr betrachten Filme des absurden Kinos Aspekte des Lebens kritisch in der Art, dass sie Widersprüche entlarven, groteske Situationen erzählen und einen satirischen Blick auf unsere Gegenwart wagen. Manchmal wird das Leben darin zur Karikatur, einer Aneinanderreihung von unerschöpflich schrägen Anekdoten. Es gibt viele Namen für dieses kleine Subgenre wie „Absurdist Movies“, „Absurd Fiction“, „Cinema of the Absurd“ oder Filme werden gern als „Groteske“ bezeichnet – es gibt meines Wissens keinen klaren Gewinner, was auch etwas über das absurde Kino aussagt. Heute gibt es hier Besprechungen zu sieben Filmen, die man dem Absurden Kino zuordnen kann.
Der Würgeengel
Das war dann wohl mein erster Film von Luis Buñuel. Irgendwie aufregend mal eine solch große Wissenslücke zu schließen. Filmfans ist die Zusammenfassung wahrscheinlich hinlänglich bekannt. Ein betuchtes Paar gibt eine Party. Dort trifft sich ein Who is Who verschiedenster Profession, nicht alle sind sich grün. Als der Abend vorüber ist, will man gehen, kann aber nicht. Das bleibt nicht unbemerkt, aber es kann auch niemand die Villa betreten, so als ob sie eine unsichtbare Wand davon abhalten würde.
Cineasten argumentieren seit jeher sehr gern darüber was dieses und jenes bedeutet – die Schafe? Sind sie ein Symbol? Warum das Glockenläuten am Ende? Das Salz!!! Jaja, daran kann man sich verausgaben. Darüber hinaus ist es allgemein spannend dem Film zu folgen. Zu beobachten wie die Handlung kaum merklich kippt als einfach niemand geht. Dabei passiert überraschend viel, obwohl die Prämisse („Niemand kann den Raum verlassen“) so knapp ist. Bei solchen surrealen Szenarien erscheint die Frage „Wie hätte ich mich verhalten?“ immer interessiert und schaut man auf die Jahreszahl, dann hat Buñuel diese Form des surrealen bis absurden Films vielleicht erfunden. Aber klar, ein Film mit solch einem Szenario wird auch nicht automatisch alle ansprechen, v.A. da Buñuel einem die Deutung nicht schenkt und manches hinter Symbolik wie z.B. den erwähnten Schafen verbirgt. Meine Deutung ist, dass das Hineinsteigern bzw. sich verstecken hinter einer Bubble (sozial, thematisch, usw.) einen eben unweigerlich davon trennt den eigenen Horizont zu erweitern. Mit Betonung auf Hineinsteigern.
Der Würgeengel (OT: El ángel exterminador), Mexiko, 1962, Luis Buñuel, 95 min, (8/10)

Brazil
Brazil spielt in einer dystopischen, durch Bürokratie und Automatisierung bis ins kleinste diktierten Welt. Selbst nichtigste Handlungen des täglichen Lebens werden durch Maschinen erledigt, die furchtbar am Nutzer vorbei gestaltet sind. Zusammen mit der Bürokratie ist alles umständlich und der Alltag von ständigen kleinen Fehlschlägen begleitet. Sam Lowry (Jonathan Pryce) lebt in dieser Welt, arbeitet in einem dieser Bürokratie-Ungetüme und ist in seinen Träumen ein geflügelter Held in schimmernder Rüstung, der eine schöne blonde Frau aus eben diesem Molloch befreit. Er erfährt von dem Fall der zu Unrecht zur Fahndung ausgeschriebenen Truck-Fahrerin Jill Layton (Kim Greist), in der er die Schöne aus seinen Träumen erkennt und sieht seine Chance gekommen sie nun im echten Leben vor dem „System“ zu retten, obwohl und gerade weil er mittendrin arbeitet.
Terry Gilliams Groteske und Dystopie strotzt vor bitterem Witz und irren Ideen, von denen sich einige erschreckend heutig anfühlen. Leben wir schon in der Dystopie? Die schiere Masse dieser Ideen ist aber auch das Problem. Die ganzen Details, die der Film aufrollt und was alles (teilweise gleichzeitig) auf dem Bildschirm passiert, kann man von einem Mal schauen kaum aufnehmen. Die Dichte an Informationen und Gesellschaftskritik, die mit allen Sinnen wahrgenommen werden muss, macht müde und lässt den Film viel länger erscheinen als er eigentlich ist. Die Botschaft aber haut rein. Am Anfang des Films sagt Sam, dass er keine Träume, Wünsche und Ziele habe. Als er ihnen aber nachgibt, droht ihm bald schon ein Schicksal als Staatsfeind Nr. 1. So die düstere Realität des Films. Die Lehre für uns: lasst uns eine Welt gestalten, in der wir atmen können, träumen dürfen und ein Leben führen, das nicht von außen diktiert wird.
Brazil, UK, 1985, Terry Gilliam, 142 min, (8/10)

Songs from the Second Floor
Roy Andersson hat einige Filme gemacht in deren Besprechungen immer wieder Worte wie Satire und Groteske fallen. Songs from the Second Floor ist einer von denen. Der Film besteht aus kurzen Sequenzen, die durch einige Handlungsstränge miteinander verbunden sind. Einer davon zentriert einen Mann, der mit von Ruß verschmiertem Gesicht in der U-Bahn steht. Wir werden später erfahren, dass er selbst seine Firma angezündet hat, um die Versicherungssumme einzukassieren. Er lebt in einer Gegenwart, in der alle von wirtschaftlichem Ruin bedroht sind. In den Straßen ist ein stetiger Stau, der sich auch nach Tagen nicht auflöst und dubiose Geschäftsmänner versuchen mit Devotionalien noch einen unerschöpften Einkommenszweig zu finden.
Das ist längst nicht alles – ich möchte nur nichts spoilern, da alle der kurzen Sequenzen eine krasse Pointe haben. Sie handeln von Bigotterie, von nicht aufgearbeiteter Kriegsschuld, von dem Jonglieren Ahnungsloser mit dem Schicksal anderer, Wirtschafts-Nonsense oder davon wie die Gesellschaft (wortwörtlich!) ihre Jugend opfert. Immer, wenn man denkt krasser kann es nicht kommen, dann legt Andersson nach. Allerdings muss man erstmal dahinkommen. Der Anfang ist recht müßig, langsam und noch etwas weit weg von dem späteren Pointenreichtum. Steht man das durch, wird man belohnt mit einem anspruchsvollen Film, der so ziemlich alles anklagt, was man anklagen kann. Und einer derart bitteren Satire, dass man noch eine Weile darüber nachdenken möchte, ob man eher weinen oder lachen soll. Disclaimer zu „lachen“ – von Comedy sind wir selbstredend bei oben genannten Themen weit weg. Stattdessen ist Anderssons Stil sogar sehr drückend in dem Film. Alles ist grau-in-grau, dem Bild ist fast alle Sättigung entzogen. Passt gut zu den Themen.
Songs from the Second Floor (OT: Sånger från andra våningen), Schweden/Norwegen/Dänemark, 2000, Roy Andersson, Dauer, (8/10)

Schräger als Fiktion
Obwohl Regisseur Marc Forster ein deutsch-schweizerischer Regisseur ist, der eine beachtenswerte Filmografie hat, habe ich noch nie jemanden sagen hören „unser Mann in Hollywood“. Irgendwie schade. Schräger als Fiktion basiert auf einem Drehbuch Zach Helms und er hat nicht nur den Ruf „Charlie Kaufman“-esque Skripte zu schreiben, die fühlen sich tatsächlich frappierend so an. Und klingen vielleicht in der Zusammenfassung besser als im Endresultat (sorry). Harold Crick (Will Ferrell) ist Beamter und beginnt eines Tages eine Stimme aus dem Off zu hören, die sein Leben erzählt. Das komplette surreale Erlebnis sorgt natürlich erstmal für einen hinreichend schrägen Alltag. Schlimmer wird es v.A. dann als die Stimme erwähnt, dass Harold sterben wird.
Eigentlich stellt sich damit die ganz interessante Frage, ob die Stimme Harolds Leben diktiert, oder ob sein Schicksal noch verändert werden kann? Der Film geht aber einen anderen Weg, indem er solche philosophischen Fragen gar nicht streift. Stattdessen wird eine Art tragikomische Romcom aufgefächert, da Harold sich (angesichts seines möglichen Todes) tragischerweise das erste Mal verliebt. Seine Angebetete wird gespielt von Maggie Gyllenhaal, die Will Ferrell die Show stiehlt. Genauso wie Emma Thompson als Stimme aus dem Off, die aber auch noch in Erscheinung tritt.
Leider ist der Film lähmend langweilig und beginnt schon sehr bald nichts mehr aus seiner Prämisse zu machen, wo es doch so viele Möglichkeiten gegeben hätte. Beispielsweise zu zeigen was passiert, wenn Harold krampfhaft versucht etwas anderes zu machen, gegen die Stimme anzukämpfen, etc. Trotzdem ist die darin erzählte Liebesgeschichte ganz schön und Emma Thompsons Charakter herrlich neurotisch. Vielleicht hat man auch einfach falsche Vorstellungen, wenn man die Zusammenfassung liest und weiß, dass Will Ferrell den Protagonisten spielt. Der ist hier aber deutlich mehr als tragische Figur unterwegs statt als Comedian.
Schräger als Fiktion (OT: Stranger than Fiction), USA, 2006, Marc Forster, 108 min, (6/10)

Symbol
Hitoshi Matsumoto ist hier im Blog ja schon das eine oder andere Mal Thema gewesen. Sein Film Symbol startet mit zwei parallel ablaufenden Handlungen. Da ist einerseits der mexikanische Lucha Libre Kämpfer Escargot Man (David Quintero), der sich auf einen Kampf vorbereitet. Irgendwo anders in der Welt wacht ein namenloser Mann (Hitoshi Matsumoto) in einem weißen Raum auf. Kein Ausgang erkennbar. Er entdeckt Mechanismen, die er an den Wänden des Raums drücken kann, woraufhin Gegenstände wie aus dem Nichts erscheinen und mit deren Hilfe er versucht einen Ausgang zu finden. Was daran so absurd ist? Erstens: die „Mechanismen“ sind kleine Penise, die aus den Wänden ragen und zu Engelsgestalten („Putten“) gehören. Zweitens: der Namenlose wird ordentlich von ihnen getrollt. So bekommt er beispielsweise durch Betätigen eines Hebels scheinbar unbegrenzt Sashimi, aber die Sojasauce erst als er aufgegessen hat. Duh.
Alle Pointen des Films will ich natürlich nicht vorweg nehmen – aber was da im Raum erscheint ist witzig und absurd. Die Versuche des Namenlosen aus dem Raum zu entkommen sind spannend und witzig – man fiebert mit ihm mit. Sie unterhalten sehr und sind herrlich schräg. Aber es gibt auch Pipi-Kacka-Penis-Humor, mit dem der Mann getrollt wird und der zumindest für meinen Geschmack etwas zu doof und simpel ist. Das und die zuweilen (gewollt?) schlechten Effekte bei der Handlung um „Escargot Man“ schmälern das Vergnügen etwas. Ansonsten hat der Film einiges an Subkontext zu bieten. Vor Allem gegen Mitte, wenn die Verbindung zu der Geschichte um „Escargot Man“ aufgelöst wird und wenn der Film zum Schluss nahezu nihilistische Züge annimmt. Man kann sagen: der Film wächst. Überraschenderweise kam er im Rest der Welt besser an als in Japan – obwohl es kein offizielles Auslands-Release gab.
Symbol (OT: しんぼる „Shinboru“), Japan, 2009, Hitoshi Matsumoto, 93 min, (7/10)

Rubber
In der Wüste erwacht ein Reifen zum Leben. Es ist Robert. Robert testet seine Fähigkeiten aus. Und Robert bemerkt, dass er psychokinetische Fähigkeiten hat. Ab da beginnt ein blutiger Rachefeldzug gegen alles, was Robert in die Quere kommt. All das wird beobachtet von einer Gruppe Schaulustiger. Das ist Rubber von Quentin Dupieux. Der hat so ziemlich alles an dem Film gemacht, was eine einzelne Person machen kann. Vielleicht ist es nicht zu weit hergeholt zu sagen, dass seine Rahmenhandlung um die Zuschauenden auch ein Stück weit Rache am Publikum ist.
Sie sind jedenfalls unsere Avatare. Sie sezieren, ob das jetzt überhaupt physikalisch möglich ist!? Sie quatschen in den „Film“. Versteifen sich auf unwichtige Dinge und nerven die anderen Zuschauenden. Fast wie im Kinosaal. Davon abgesehen beginnt der Film mit einer absurd-witzigen Rede von Lieutenant Chad (Stephen Spinella) der uns erklärt, dass das alles passiert, weil verrückte Dinge in Filmen eben passieren. „Why?“ – „No reason!“ Und das spiegelt sich an einigen Stellen im Film wieder. Anfangs ist das unglaublich gut choreografiert und witzig, weil es so ernsthaft und wirklich gut gefilmt ist. In der zweiten Hälfte verliert er aber diesen Verve und vieles fühlt sich willkürlicher und unkreativer an. Fast so als ob (sorry) die Luft raus war.
Rubber, Frankreich, 2010, Quentin Dupieux, 82 min, (6/10)

Reality
Quentin Dupieux scheint das Genre für sich gepachtet zu haben. In Reality treffen unbewusst mehrere Menschen aufeinander, die in einem Hamsterrad festzustecken scheinen und das bis Traum und Realität verwischen. Ein angehender Regisseur (Alain Chabat) will einen Film drehen, muss dafür aber einen oscarreifen Schmerzschrei aufnehmen. Ein kleines Mädchen (Kyla Kenedy) findet im Magen eines Wildschweins eine VHS-Kassette. Ein Mann (Jon Heder) leidet unter einer Hautkrankheit, die nur er sehen kann. Und am Ende wird uns eine Geschichte erzählt, die klarmacht: einen Film zu drehen ist ein Albtraum. Das ist die Superpower von Quentin Dupieux.
Tatsächlich ist Reality bei weitem realistischer und weniger witzig als Rubber. Man hat wirklich Mitleid mit unseren Helden und Heldinnen, die nicht ernst genommen werden und deren Unterfangen stets mühsam ist bis es irgendwann gar surreal wird. Dupieux hat sich dafür eine angenehme Bildsprache ausgesucht, die sehr Indie ist und die jeweiligen Dilemmas der Charaktere als zunehmend unlösbar dargestellt. So genial das ist, so schnell kann es auch Zuschauer verlieren, da ziemlich verkopft.
Reality (OT: Réalité), Frankreich/Belgien, 2014, Quentin Dupieux, 87 min, (8/10)

Jaaa. Nicht die leichtesten Themen. Die Gegenwart verlangt entweder nach Eskapismus oder vielleicht den wilden Zeiten in denen wir leben mit Absurd Fiction zu trotzen? Es ist jedenfalls krass mit was für einer Bildsprache und welchem Ideenreichtum das Absurde Kino hier wortwörtlich abgeht. Ich freue mich außerdem, dass so viele Nationen hier filmisch vertreten sind. Welche Filme des Absurden Kinos kennt ihr und welche muss man eurer Meinung nach unbedingt gesehen haben?
„7ème art“ (Sprich: septième art) heißt „siebte Kunst“. Gemäß der Klassifikation der Künste handelt es sich hierbei um das Kino. In dieser Kategorie meines Blogs widme ich mich also Filmen – evtl. dehne ich den Begriff dabei etwas. Regulär stelle ich zwischen dem 1. und 5. jeden Monats jeweils 7 Filme in kurzen Reviews vor.
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