Yada lebt auf einer Insel in der Ostsee, die als utopischer Traum erdacht und in der Realität umgesetzt wurde. Als ein Zufluchtsort inmitten der kollabierenden Welt. Entsprechend warnt ihr Vater sie vor der Gewalt „da draußen“. Außerdem wächst Yada stets mit der Angst auf, dass auch sie an der Krankheit leiden könnte, an der ihre Mutter vor ihrem Tod litt. Sie bleibt von vielem abgeschirmt, das ihr Vater als traumatisch ansieht. Und so auch vor der Wahrheit. Yada beginnt Nachforschungen über den Ursprung der Insel und deren Schöpfer anzustellen. Erwartungsgemäß findet sie mehr als sie für möglich hielt.
Wann lerne ich endlich möglichst ohne Erwartungen an ein Buch heranzugehen? Vom Klappentext her erwartete ich so eine Art Waterworld in realistischer. Dass es in der Ostsee spielt, erschien mir angenehm „nah“ und gerade deswegen interessant. Allerdings ist Auf See kein Science-Fiction-Roman. Hat auch nie jemand behauptet, dass er einer wäre. Stattdessen präsentiert uns Theresia Enzensberger einen Roman, der den Eindruck erweckt eine Dystopie zu sein und sich dann als gescheiterte Utopie outet. Was sie hier entwirft, ist allzu realistisch.

Mehrere Erzählstimmen helfen uns das zu entziffern. Ganz vorn dabei Yada, aber auch die freigeistige Künstlerin Helena neben einigen anderen angenehmerweise mal vorrangig weibliche Erzählerinnen. Dazwischen gibt es Auszüge eines Archivs bestehend aus Fakten unserer realen Vergangenheit. Oftmals welche in denen Glücksritter Staaten gründen, Sekten ihren Anfang finden oder Leute Pirat spielen. Sie klingen manchmal zu abgefahren um wahr zu sein wie die Anekdote von Ernest Hemingways Bruder, der einen Mikrostaat namens Republic of New Atlantis gründete. Die Recherche zeigt aber was auch Enzensbergers im Nachwort genannte Quellen verraten: es sind eben nicht nur Anekdoten, sondern Fakten. Es lässt zweifeln am Wunsch nach Utopien. Wie oft gingen die gut, wenn sie in die Tat umgesetzt wurden?
Wie die Handlung der Erzählstimmen von Yada und Helena zusammenhängen erriet ich leider relativ schnell. Es hätte ein spannendes Verwirrspiel werden können, war aber vielleicht auch nie so gedacht. All das was Yada und Helena durchleben ist leider verwurzelt in unserer Gegenwart, in der irre Tech Bros dank Geld scheinbar alles können, was sie wollen. Und das stets auf Kosten anderer. Auf See ist nicht das Waterworld, was ich erwartete und damit weitaus weniger eskapistisch als ich dachte, aber ein Abgesang auf libertäre Lichtgestalten, die aus einer Laune heraus Ideen pflanzen und Menschen für ihre Zwecke missbrauchen. Es ist die Geschichte eines großen Missbrauchs und stellt die unbequeme Frage wie oft eine Utopie einen guten Zweck mit guten Mitteln und einem guten Ausgang erwirkt hat? Dass das ganze für meinen Geschmack einen Tick spannender hätte sein können, ist mein Problem. Was (neben allem genannten) sehr angenehm auffällt ist Theresia Enzensbergers eloquenter Wortschatz und Fähigkeit komplexe Figuren zu schaffen.
„Ich hatte mich bemüht, die Insel als meine Heimat zu verstehen, aber Projekte eignen sich nicht besonders gut als Zuhause.“
p. 12
Fazit
Abgesang auf Utopien, deren Endgegner unseren heutigen Tech Bros ähneln
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-446-27397-9, Hanser Verlag
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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