In „Literarische Fundstücke“ soll es demnächst um Besonderheiten gehen, die ich in Büchern finde. Denkanstöße, berühmte erste oder letzte Zeilen und ggf auch deutsche Wörter, die auffällig wie Touristen in englischen Texten aufpoppen. Nicht direkt ein Fundstück aus Büchern, sondern viel mehr ein Stück Theorie über Bücher machte mich neulich auf Kurt Vonnegut aufmerksam. Der behauptete nämlich, dass alle Geschichten im Grunde auf einem von sechs möglichen Handlungsmustern basieren. Reine Theorie?
Die BBC schrieb neulich Every story in the world has one of these six basic plots. BBC Culture erklärt in dem Artikel, dass genau diese Muster, die „Shapes of Stories“, Gegenstand von Vonneguts Masterarbeit waren, für die er zum Teil gescholten wurde, obwohl sich an dieser Stelle wahrscheinlich jeder Geschichtenliebhaber denkt: da ist was dran. Vonnegut nennt beispielsweise das klassische Muster „Rise – Fall – Rise“ den „Cinderella“-Plot. Und das kommt uns bekannt vor, oder? Nicht selten meinen wir den nächsten Schritt eines Films vorhersehen zu können, weil es manchmal nicht nur die grundlegende Handlung (rise – fall rise) ist, sondern sogar die Handlung im Detail, die nach einfachsten Mustern abläuft. Ist nicht jeder „Mission Impossible“-Film mindestens mit einer Actionszene gesegnet, die ziemlich over the top ist und mindestens einer Verfolgungsjagd und mindestens einmal das Leben von Menschen bedroht, die Ethan Hunt nahe stehen? Oder nicht? Und wenn das vorhergesagte Happy-End nicht eintritt, sind wir überrascht und denken: Mensch dieser Film macht es ja mal ganz anders als alle anderen! Dieses up and down im Leben fiktiver oder weniger fiktiver Charaktere kann man laut Vonnegut sogar ganz gut im Graph festhalten wie er in dieser Vorlesung erzählt.
„Kurt Vonnegut on the Shapes of Stories“, via moveyouradsru (Youtube)
Zwei Gedanken dazu. Erstens: solche Vorlesungen hätte ich auch gern gehabt. Und zweitens: wer weiß, dass man Graphen zu etwas zeichnen kann, der weiß auch, dass in der Regal computergestützte Auswertungen nicht lange auf sich warten lassen. Laut Artikel haben Forscher Vonneguts These anhand von über tausend Geschichten untersucht. Text Mining macht es möglich. Das ist eine Form der Datenerhebung aus Texten ähnlich dem Data Mining. Man versucht mit schlauen Algorithmen verborgene Informationen aus den zugrunde liegenden Daten (Texten) zu gewinnen. Zum Beispiel eben welches der sechs Handlungsmuster sich in einer beliebigen Geschichte finden lässt. Das passiert beispielsweise anhand negativ oder positiv konnotierter Adjektive und ab hier finden wir das Vorgehen als Informatiker vielleicht valide, als Geschichtenliebhaber wohl aber etwas dünn.
Klar: Text Mining liest nicht zwischen den Zeilen und 1700 Geschichten sind auch nicht alle Geschichten, die jemals erzählt wurden. Aber im Grunde hat Vonnegut so oder so recht. Ob es nun sechs „shapes“ sind oder nicht. Im Grunde begeistern uns immer wieder ähnliche Muster. Und je nachdem wie sehr man bereit ist zu abstrahieren, sieht man die shapes eben oder sieht sie nicht. Das ist auch eine Frage der Denke. Aber es gibt mir Anlass mich mal mehr mit Vonnegut zu beschäftigen. Interessant ist: es fällt mir sehr schwer Bücher von Haruki Murakami in diese sechs Muster zu pressen. Was ist Kafka am Strand? Was Naokos Lächeln? Vielleicht ist es doch ganz gut, dass für manches keine Begriffe finden. Oder sind wir manchmal einfach nur zu nah dran um die Umrisse zu sehen?
Header image/photo credit: Janko Ferlič
War euch Kurt Vonnegut vorher ein Begriff? Habt ihr schon mal etwas von ihm gelesen und habt Empfehlungen für mich? Wie steht ihr zu den „Shapes of Stories“ – stimmt ihr zu oder fallen euch direkt Ausnahmen ein? Zu welchem „Muster“ gehören denn eure Lieblingsgeschichten?
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