Zehn Jahre arbeite ich nun schon in der Softwareentwicklung. 😁 Davor habe ich auch mal Krams gemacht, Webseiten, studentische Hilfskraft, Skripte schreiben. Aber das war eben Krams. Seit zehn Jahren bin ich Consultant, d.h. ich werde von meinem Arbeitgeber an Projekte ausgeliehen. So habe ich in zehn Jahren alles mögliche an tech stack und Vorgehensmodellen miterlebt und ausprobiert. Ich schreibe immer noch am liebsten am Backend rum und das mit Java. Ich bin Führungskraft geworden und habe Personalverantwortung. Neulich wurde mein Zehnjähriges gefeiert und ich nehme das als Anlass meine Fazits aus der Zeit als Softwareentwicklerin aufzuschreiben – aber auch meine Wünsche für die Branche.
Fazit: Software-Entwicklung ist ein cooler Beruf
Das ist sicherlich Auslegungssache. 😉 Während sich Software-Entwicklung für mich immer so anfühlt, als ob man ein komplexes Problem langsam einkreist, allmählich umzingelt und anschließend vernichtet (BÄM! 💥) und dabei in Sherlock-Holmes-Manier vorgeht 🔎, höre ich oftmals auch anderes. Es wäre ermüdend, man bräuchte eine große Frustrationstoleranz. Das stimmt. Und die Lernkurve kann je nach Umfeld hoch sein. Aber wenn man sich der Thematik öffnet, profitiert man davon in vielen Lebenslagen. Gibt es mal ein Problem mit meinem Blog oder einen Bug auf einer Webseite, kann ich die Probleme häufig eingrenzen und ziehe Nutzen aus meinem Job. Ich habe mir auch schon selber Tools geschrieben. Es gibt ein breites Spektrum an Jobs, die man machen kann und so wie es um den Willen zur Digitalisierung steht, wird es wohl noch eine Weile Jobs in der IT geben.
Wunsch: nicht zu viel auf KI-Code verlassen
Neulich sagte der Nvidia-Chef Jensen Huang, dass wir nicht mehr programmieren lernen sollen. (Quelle: Don’t learn to code, advises Nvidia CEO Jensen Huang, Youtube) Das Zielbild sollte seiner Meinung nach sein Künstliche Intelligenz (KI) so weit zu entwickeln, dass jeder sie nutzen kann und programmieren lernen überflüssig wird. Vielleicht ist das für in hundert Jahren ein spannendes Ziel. Vor Allem dann, wenn man gelernt hat wie man KI klimaneutral trainiert und nutzt – denn das ist aktuell nicht der Fall. KI ist ein Klimasünder. (siehe u.a.: The Green Dilemma: Can AI Fulfil Its Potential Without Harming the Environment?, earth.org)
Aktuell habe ich dazu eine andere Meinung als Huang. IT ist so komplex und hat so viele verschiedene Technologien und Konzepte hervorgebracht, dass es niemanden gibt, der alles kann. Durchschnittliche Software Entwickelnde sind weder Top-Hacker:innen, noch UI-Designer:innen. Man hat (hoffentlich) ein grundlegendes Verständnis, aber manchmal eben auch nicht mehr. Würden wir uns nur noch auf von der KI generierten Code verlassen, würde niemand mehr Augenmerk auf diese Aspekte legen und der umfassend gebildete Personenkreis wird kleiner. Das mag nicht cool klingen und vielleicht etwas hart – aber ich habe die Befürchtung, dass zu viel Verlass auf KI-generierten Code v.A. Fachidiotentum fördert. Wo Cybersecurity immer wichtiger wird, bestimmte Menschengruppen durch die Digitalisierung abgehängt werden, können wir es uns nicht leisten weniger über IT zu wissen, sondern müssen bessere IT machen. Eine KI wiederholt (bis jetzt) nur Textschnipsel.
Fazit: Sie hatten Recht. Man lernt nie aus.
Als ich mit dem Gedanken spielte Informatik zu studieren, fragte ich IT-Guys in meinem Umfeld. Die erzählten mir dann entweder, dass das nichts für Frauen sei (nicht hilfreich 😞 und außerdem Quatsch) und dass ich mir das nochmal überlegen solle, weil man ein Leben lang lernen muss. Damals fragte ich mich häufig: muss man das nicht aber in jedem Beruf? Das denke ich noch heute. Was aber sicherlich stimmt ist der Stellenwert von Fortschritt. Es gab so manch Säue, die durch das Dorf getrieben wurden und von denen ein Jahr später keiner mehr redete (looking at you, Blockchain 😉). Aber das was Software Entwickelnde leisten sollen, wird tatsächlich immer mehr, sie haben nicht gelogen. (Außer was das Detail mit den Frauen betrifft …)
Als ich anfing, war mein Titel Java Software Entwicklerin. Zwei Jahre später war ich eine Fullstack Developerin. Ich schrieb nun auch Frontends in Angular, machte CI/CD und begann mich in die Mobile App Entwicklung einzuarbeiten. Letzteres habe ich gehasst, alles andere war cool und hat mein Leben bereichert. Heute gilt es quasi als vorausgesetzt, dass du auch an Pipelines rumdoktorst, dich in Cloud auskennst und irgendwas mit DevOps in deinem Lebenslauf steht. Es ist in der Tat ein lebenslanges Lernen und Fluch wie Segen. Für den Ops Teil von DevOps kann ich mich tatsächlich nicht besonders erwärmen. Aber ich habe gelernt, dass es dazu gehört. Genauso wie ich lernen musste, dass es scheiße ist sich abgehangen zu fühlen und definitiv nicht dafür sorgt, dass man spannende Engagements bekommt. Was aber auch klar ist: du kannst nie bei allem on track bleiben und das ist ok! 🌈 Dann lernst du eben nicht Svelte, Golang und Dart gleichzeitig – die Welt wird auch nicht untergehen. Nur den großen, globalen Trends sollte man sich nicht verschließen.
Wunsch: Verstehen, dass man nicht alles wissen kann
Es gibt ja diese Sache mit dem T-Shape. Wahrscheinlich trifft das auf 90% der Angestellten aller möglichen Branchen zu: breites Allgemeinwissen, tiefergehendes Wissen in einem spezifischen Thema. Was sich in zehn Jahren Softwareentwicklung nicht grundlegend geändert hat: steht auf deinem Namensschild was mit IT, gehen alle davon aus, dass du alles können musst. Was nicht der Fall ist. Nie. Für niemanden. ☝ Wie man oben vielleicht herausgelesen hat.
Vor Jahren wurde mal vorausgesetzt, dass wir auch Mobile Apps schreiben können, als ob das selbstverständlich wäre. Ist es nicht. Wir schrieben einen Webservice. Wo sollte das Wissen für Mobile Apps herkommen? Wenn man keine hybride App Entwicklung macht, muss man im Mac-Apple-Universum gar andere Programmiersprachen beherrschen als für Android. Man reagierte sehr verschnupft als wir sagten, dass wir das lernen müssen. Aber es ist besser geworden. Kund:innen und so ziemlich alle in IT Involvierte wissen inzwischen, dass das so nicht laufen kann. Andererseits sah ich neulich eine Ausschreibung in der wortwörtlich stand man solle bereit sein in der Freizeit zu lernen. Ein krasser Gegensatz zu vielen Arbeitgeber:innen, die inzwischen Lernbudget und Zeit dafür bereitstellen. Wohlgemerkt Zeit, die nicht am Wochenende zu suchen ist.
Wunsch: redet mehr mit euren Devs!
Man kennt das ja: gibt es einen Bug, werden die Devs schnell angerufen. Geht es aber darum wie in Zukunft Software entwickelt werden soll oder welche Architekturpattern man implementieren will, dann kriegt man das als Dev häufig hingeklatscht. Für die einen ist es ein Beschluss, beeinflusst aber das Arbeitsleben und die Arbeitsqualität der Entwickelnden maßgeblich. Ich habe schon in einem Projekt gearbeitet, da wurde festgelegt, dass wir ab morgen eine andere Programmiersprache verwenden sollen. Denjenigen, die das beschlossen haben, war 1. nicht klar, dass wir diese Sprache nicht beherrschen und 2. was für Konsequenzen das hat, wenn plötzlich alle auf Anfänger-Level rumhacken und 3. dass Menschen kündigen könnten, weil sie entgegen ihrer Weiterentwicklungswünsche eingesetzt werden. Wieso trifft jemand Fachfremdes so eine Entscheidung? Das ist wie zu meinem Vater, einem Automechaniker, sagen: so ich nehme dir jetzt den Schraubenschlüssel weg, du machst das jetzt mit Lakritzstangen.
In solchen Momenten fühlt man sich plötzlich nicht mehr wie eine Fachkraft, sondern wie ein coding monkey. Unser Problem hat sich gelöst. Aber ich erlebe es immer noch, das ganze Dev Teams in Situationen übergangen werden, in denen sie wegen ihres Fachwissens an der Diskussion beteiligt werden sollten. Was dieser Wunsch nicht bedeutet: mehr Meetings. Das brauchen wir sicherlich alle nicht.
Fazit: Software Developer ist kein unsozialer Beruf
Als ich anfing in der Branche zu arbeiten, herrschte da noch dieses Bild von Software-Entwickler:innen als ungewaschenes Kellerkind, das nicht so gute soziale Fähigkeiten hat und lieber allein abhängt. 👀 Niemand will mehr Software-Entwickler:innen mit denen man nicht zusammenarbeiten kann. Social Skills und Teamfähigkeit werden groß geschrieben und haben in jedem Umfeld in dem ich in den letzten Jahren gearbeitet habe einen hohen Stellenwert. IT ist zu komplex als dass man sich alleine durchwursteln kann und kein Team braucht.
Sicherlich bestätigen Ausnahmen die Regeln – es gibt bestimmt einige Personen mit Spezialwissen, die allein im Keller sitzen könnten. Aber meiner Erfahrung nach wollen nicht mal die das. 😉 Wie bereichernd ist Teamarbeit? Das Gefühl nicht allein mit Problemen dazustehen und durch so etwas einfaches wie eine Code Review/Peer Review schnell Wissenswertes zu lernen? Pair Programming, Mob Programming, Knowledge Transfers – ich habe noch niemanden sagen hören „das bringt mir nichts“.
Fazit: Work-Life-Balance ist kein Buzzword mehr
… bekomme ich natürlich mal wieder von jemandem eine Mail, die 23:30 abgeschickt wurde, dann merke ich: das gilt wohl nicht für alle. 🤔 Aber grundsätzlich hat sich die Bedeutung von Work-Life-Balance in den zehn Jahren in meinem Umfeld unfassbar verändert. Früher habe ich Sätze zu hören bekommen wie „ein vor Ort Einsatz ist zwingend notwendig, jede Woche“. Ich fuhr dann irgendwo mit meinem Laptop hin, um von dort aus das zu tun, was ich auch zuhause oder im Büro hätte machen kann. Sinnlos? Total. Und wenn ich nach 7h Anreise eben erst 12 Uhr ankam, wurde mir gesagt „nächstes Mal nimmst du ein Taxi und sagst zum Taxifahrer er soll 130 Sachen fahren, das ist sein Job“. Kein Scheiß.
Heute ist das anders – ich erlebe es in 90% der Fälle, dass ich oder die Entwickelnden in meinem Umfeld gefragt werden, ob es in dieser oder jener Woche passt zu reisen. oder ob ein 18 Uhr Termin noch in Ordnung ist. Ich erlebe was vor zehn Jahren quasi undenkbar war: dass man ablehnen kann oder dass Remote Arbeit sogar gewünscht ist. Klar: reisen kostet ja halt auch. 💸 Flexibilität ist oftmals ein Aushängeschild für Unternehmen und es wird mit Work Life Balance geworben. Die Pandemie hat vieles verändert. Eine Freundin von mir sagte: Krisen sind Innovationsmotoren. Sie hat Recht. Video-Conferencing-Tools wurden besser und die Leute haben gemerkt, dass mehr fertig wird, wenn Menschen nicht 5h auf der Autobahn oder im Zug zubringen müssen. Aber auch nicht zu verachten: ab und zu das Team face to face sehen ist Gold wert und gut für die Zusammenarbeit.
Fazit: Die Anforderungen werden höher
Oder nennen wir es „Erwachsenenscheiß“. Der reicht von „einfachen“ Dingen wie Feedback geben bis hin zu Leute kündigen müssen. Sicherlich letzteres nur, wenn du Aufgaben einer personellen Führungskraft übernimmst.
Ich mache beides. Inzwischen bin ich Senior Software Developerin und Führungskraft. Ich traf die Entscheidung, weil ich selber erlebt habe, was für einen Unterschied eine gute Führungskraft in meinem Leben gemacht hat. Einen großen! Es ist eine lohnenswerte und spannende Aufgabe. Trotzdem kann es Konflikte geben und man findet sich in Situationen wieder, an die man nicht als erstes dachte, als man anfing sich zur Führungskraft auszubilden.
Daher erlebe ich auch wie Menschen mit wachsenden Herausforderungen hadern. Auch als technical lead wird irgendwann von dir erwartet, dass du eigenständig(er) arbeitest. Dass du deinen Kolleg:innen in angemessener und konstruktiver Weise Feedback geben kannst. Dass du vor Kund:innen präsentierst. Oder wie meine Oma sagte: wer viel kann, muss viel machen. 😅 Die Sache ist die: die meisten Dinge sind bereichernd. Wir können schon versuchen uns vor dem Erwachsenenscheiß zu verstecken, aber am Ende ist er auch die Gelegenheit zu wachsen. Es ist viel mehr die Frage sich auszusuchen, wo die Reise hingehen soll, damit man nicht den falschen Erwachsenenscheiß an den Hacken kleben hat. Sorry für die bildliche Sprache. Ich habe innerhalb des letzten eineinhalb Jahres gelernt, dass mein nächster Meilenstein heißt: Software-Architektin.
Fazit: zum Feierabend bleibt der Bildschirm mal aus
… auch hier haben sie nicht gelogen. Ich fing mit einigermaßen gesundem Rücken an, dann wurde die Haltung immer schlechter, die Bildschirme immer größer. Bei mir geht nichts mehr ohne Sport als Ausgleich und ergonomische Stühle am Arbeitsplatz. Das muss nicht für alle da draußen gelten. Aber es ist unternehmensübergreifend beobachteter Fakt für alle Software Entwickelnden, die ich kenne. Bei manchen sind es vielleicht die Augen, die dem Bildschirm nicht auf Arbeit und danach noch in der Freizeit standhalten, bei anderen ist es vielleicht auch das Stresslevel und die Psyche.
Ich kann es bei mir und den Menschen in meinem Umfeld beobachten: es gibt den Punkt, da hört es auf, dass du nach der Arbeit nochmal 4h am Privatrechner codest oder zockst. Es ist eher eine Frage, wann der Zeitpunkt für die einzelne Person eintritt. Bei manchen ist es das gesundheitliche in Folge von Abnutzung der eigener Ressourcen, Familiengründung, Pflege Angehöriger, oder simpel Abwechslung etc. Vor zehn Jahren habe ich daran nicht geglaubt. Ich dachte ich würde immer Lust haben zum Feierabend nochmal ein bisschen am Privatprojekt zu coden. Dass das inzwischen die Ausnahme ist, mag etwas traurig erscheinen, aber andererseits ist es auch notwendig. Dafür muss sich niemand schämen.
Wunsch: IT muss in die Schule
Wir haben ja nun schon gemerkt, dass ich anderer Meinung bin als der Nvidia Chef. 😉 Programmieren lernen ist lohnenswert und öffnet viele Türen – nicht nur, wenn man Software Entwickler:in werden will. IT ist überall. Nur scheint das nicht wirklich in unserem Bildungssystem angekommen zu sein. Dabei wäre es sehr bereichernd. Es fördert das algorithmische Denken und Logik. Wäre ein biiiiisschen Programmieren Pflicht, würde es vielleicht auch die Geschlechterklischees ein Stück weit aufheben und die IT-Kompetenz mehr fördern. Informatikunterricht gibt es aber nicht so häufig wie man denken könnte und freiwillige Angebote sind, naja, freiwillig. Woher ich das wissen will? Durch Gespräche in Nachwuchsförderungsprogrammen oder mit den Mädels beim Girls‘ Day. Da geht doch noch was.
Das waren nun zehn Fazits oder Wünsche für die Branche, in der ich arbeite – und das sehr gern tue. Erinnere ich mich an die eine oder andere Anekdote zurück, kann ich es manchmal selber nicht fassen wie sehr sich manches verändert hat und anderes gar nicht. Da der Artikel schon lang genug ist, habe ich mir einige Punkte gekniffen (wie z.B. „Fazit: Entweder du maintainst gern oder du entwickelst gern neu.“) Vielleicht gibt’s die dann zum Zwanzigjährigen 😅 Wie sehr hat sich verglichen zu eurem Berufseinstieg euer Arbeitsleben verändert?
Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂
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