… nein, ich habe nicht vor ein Jahr lang auszusetzen. Aber ich habe mich vor kurzem an einen Artikel erinnert, in dem jemand dieses Experiment durchgezogen hat. Paul Miller beschrieb nämlich am 1. Mai 2013 in „I’m still here: back online after a year without the internet“ auf TheVerge wie es dazu kam, was er sich davon erwartete und wie es sich angefühlt hat: ein Jahr ohne Internet. Auch Leute in meinem Bekanntenkreis setzen immer mal für Wochen oder Monate aus, manchmal auch nur mit sozialen Netzwerken, mit der Begründung, dass das doch alles nur viel Zeit kosten würde. Aber noch nie habe ich von einem ‚kompletten Ausstieg‘ über so eine lange Zeit gelesen. Und der Artikel endete etwas anders, als ich erwartet hätte, weswegen ich heute das Thema mal aufgreifen möchte.
Warum?
Paul Miller gibt in seinem Artikel an, dass er das hauptsächlich deswegen gemacht hat, weil er sich ausgebrannt fühlt. Die Emailfluten im Postfach, der allgegenwärtige Informations(über)fluss – das reichte ihm. Einige Freunde von mir haben dem Rumgeklicker auf Facebook schon einen Riegel vorgeschoben. Manche sind ausgestiegen, nutzen das soziale Netz gar nicht mehr oder haben sich mal ein paar Monate oder Wochen eine Auszeit gegönnt. Wahrscheinlich kennt aber jeder von uns das Gefühl, von Einflüssen total überreizt zu werden oder die Frustration, wenn man bei Zeitknappheit auch noch die Mails checkt und die überlaufenden Postfächer sieht. Wer hat nicht schon Mal an den Ausstieg gedacht?
Ich ehrlich gesagt nicht.
Ich will mein Internet.
Meine Masterarbeit und mein Nebenjob spielt sich am Computer ab. Außerdem auch ein nicht unbeträchtlicher Teil meiner Hobbys. Natürlich schwirrt mir an manchen Tagen ganz schön der Kopf. Aber der Gedanke nicht zu bloggen, gefällt mir gar nicht. Schließlich gab es mal einen Grund, warum ich damit angefangen habe. Es gäbe tausend Situationen in denen ich das Bedürfnis habe darüber zu sprechen bzw. zu schreiben. Allerdings würden mir auch die Dinge ausgehen, über die ich schreiben möchte. Ohne das Internet würde ich wohl insgesamt weniger Serien schauen bzw. wäre es schwieriger an das eine oder andere Format ranzukommen. News würden mich auch weniger erreichen – genau genommen würde ich nicht viel mitkriegen, ich könnte nicht einmal Prüfungsergebnisse, meine Noten, Bescheinigungen oder Informationen über die Uni-Netze abrufen können. Auch Dinge, die ich lieb gewonnen habe, müsste ich aufgeben. Zum Beispiel informiere ich gerne in Kursen die ich gebe die Kursteilnehmer über meine Webseite. Das fällt dann aus. Genauso wie mein Webcomic. Bei Facebook gibt es Kontakte die ich nur durch Facebook kenne und auch nur über selbiges erreiche. Hm.
Wie ergeht es euch da? Würdet ihr eine Auszeit in Betracht ziehen oder habt schon Mal eine gemacht? Wie würde das euer Privatleben oder eure Arbeit beeinflussen?
Lassen wir die Privatangelegenheiten mal außen vor. Als Informatiker ist das auch noch ein fachliches Problem. Niemand kann sich alle Funktionen/Bestandteile einer Programmiersprache merken und schlägt stattdessen das was fehlt irgendwo nach. Und erfahrungsgemäß kann ich sagen, da fehlt immer mal was. Ständig. Dann wird ein Blick in eine Online-Dokumentation geworfen und gut ist. Wie haben das die Programmierer früher gemacht? Dicke Bücher gewälzt? Macht das noch jemand? Ich sehe auch große Probleme bei der Fortbewegung. Ist schon prima wie man seine Trips und Termine via WWW planen kann, inklusive Anfahrten, Reservierungen etc. Allerdings kenne ich auch das Gefühl der enormen Last der ganzen Informationen und die Leiden des immer-erreichbar-seins. Zum Beispiel hatte ich letzte Woche viele Termine und war auch am Wochenende unterwegs. Mein Feedreader platzt vor ungelesener Blogartikel und ich wage gar nicht ihn zu öffnen… . :/ Und Mails abholen? Gruselig. Aber mir käme nicht wirklich der Gedanke auszusteigen, da ich damit einfach noch zuviel positives und nützliches verbinde. Irgendwie kann ich aber verstehen, warum das jemand tut.
Paul Millers Geschichte
Ich empfehle euch wirklich den Artikel zu lesen, wenn euch das Thema interessiert. Kurzum nehme ich aber eines vorweg: Miller hatte anfangs das Gefühl, das richtige getan zu haben, ist aber insgesamt nicht mit dem Ausstieg glücklich geworden. Er erhoffte sich mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen, mehr Zeit für sich zu haben und zu einem gesünderen Lebensstil abseits des Bildschirms zurückzukehren. Da ist sie: die gute alte Diskrepanz zwischen den Erwartungen, hoch gesteckten Zielen und der harten Realität. Kurz und knapp gesagt, musste Miller feststellen, dass man auch ohne Internet ganz gut seine Zeit verschwenden kann. Zwar ist die Informationsflut und Erreichbarkeit ein Gewicht, dass nicht mehr auf seinen Schultern lastete, aber deswegen ist man noch lange nicht von anderen Tücken befreut wie der guten alten Trägheit. Nur dass man dann eben etwas anderes macht, als die Facebook-Timeline abzuscrollen.
Was mich überrascht hat: er hatte gar keine so großen organisatorischen Probleme. Ohne vorher Informationen aus dem Internet zu beziehen wüsste ich oftmals nicht wie ich von A nach B komme oder wo ich überhaupt hin muss – das wäre eine meiner gößten Sorgen. Wie würde ich außerdem an Musikalben, DVDs, Bücher oder Manga rankommen, die scheinbar kein Laden führt, weil sie nicht beliebt genug sind? Insgesamt ist er ganz gut klargekommen, so berichtet er. Eigentlich logisch. Früher gings ja auch alles – hat nur eben vielleicht länger gedauert. Aber hier kommt der Punkt, an ich nicht als erstes gedacht habe: er war nicht mehr da. Zumindest für die anderen. Bekam nichts mehr mit. Und andere bekamen nichts mehr von ihm mit. War wie vom Erdboden verschluckt. Disconnected in einem weiteren Sinne des Wortes. Was ihm gar nicht geschmeckt hat, war die plötzliche Isolation, die plötzlich zur einzigen Errungenschaft seines Experiments wurde. Es ist genau das Gegenteil von dem eingetreten, was er wollte: er hat Teile seiner Familie gar nicht mehr gesprochen und eher den Kontakt verloren.
So much ink has been spilled deriding the false concept of a „Facebook friend,“ but I can tell you that a „Facebook friend“ is better than nothing. (Paul Miller)
Als ich seinen Artikel anfangs las, dachte ich, dass er bestimmt nicht klarkommen würde. Warum? Weil ich nicht denke, dass ich bei einem Jahr klarkommen würde. Meine längste Auszeit waren 10 Tage – letztes Jahr im Urlaub. Und ich habe gemerkt, dass ich etwas abhängig bin. Immer wenn ich am PC im Hotel vorbeilief, wurde ich unruhig, hibbelig und nervös. Zwar habe ich durchgehalten und es hat auch alles ohne Internet geklappt und weh getan hat es mir auch nicht, aber ein Jahr würde ich nicht schaffen. Zwar dachte ich auch anfangs, dass mir die organisatorischen Sachen schwer fallen würden, aber wie in Paul Millers Fall denke ich, die Isolation wäre das schlimmste.
When I return to the internet, I might not use it well. I might waste time, or get distracted, or click on all the wrong links. I won’t have as much time to read or introspect or write the great American sci-fi novel.
But at least I’ll be connected. (Paul Miller)
Was denkt ihr – wie würde euch eine Auszeit bekommen? Wäre es ein großer Erfolg für euch? Hättet ihr diesen Ausgang des Experiments erwartet oder dachtet ihr eher, dass es ein großer Erfolg für ihn ist? Woran würdet ihr scheitern?
Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen rund um IT, Forschung, Netzwelt, Internet und eben auch Gerüchten widme. 🙂
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