Inhalt
Tōru, Naoko und Kizuki sind unzertrennlich. Sie sind 17 und brauchen sich gegenseitig wie die Luft zum atmen. Kizuki und Naoko sind ein Paar, aber ohne Tōru fehlt etwas. Dann eines Tages bringt sich Kizuki um. Ohne einen Abschiedsbrief, ohne einen Hinweis, was ihn dazu brachte. Und lässt beide zurück. Sie gehen getrennte Wege. Der Leser erfährt das aus erster Hand von Tōru selbst, der viele Jahre später an all die Geschehnisse zurückdenkt. Vor Allem an seine Studienzeit in Tokio, in der er eines Tages Naoko wiedertrifft und sich in sie verliebt. Sie ist nach wie vor sensibel, lebt verschlossen in ihrer eigenen Welt. Herzzerreißend und gebrochen. Ebenso tritt Midori in sein Leben, die dem Tod ebenfalls schon begegnet ist, aber danach giert zu erleben und zu leben. Er fühlt sich zu beiden hingezogen, doch sind sie grundverschieden – wer muss gerettet werden? Wer will überhaupt gerettet werden? Naoko, Midori? Tōru? Eine Liebesgeschichte.
Hintergrund
Naokos Lächeln erschien 1987 unter dem Originaltitel ノルウェイの森 („Noruwei no Mori“, dt. Norwegischer Wald), der ein Hinweis auf Naokos Lieblingslied Norwegian Wood von den Beatles ist und immer wieder eine Rolle im Buch spielt. Musik ist in der Geschichte sowieso allgegenwärtig. Egal ob Jazz von Miles Davis, den Tōru gedankenversunken hört oder die zahlreichen Beatles-Songs und klassischen Stücke, die Reiko (Naokos spätere Mitbewohnerin) spielt. Ich konnte nicht anders, als nebenher immer mal die erwähnten Stücke laufen zu lassen und bin mir nicht sicher, ob ich jetzt jemals das Lied Norwegian Wood aus dem Kopf bekomme, sobald mein Blick über das Buch im Bücherregal wandert.
2010 wurde der gleichnamige Film veröffentlicht, der 2011 in Deutschland Premiere feierte und einen goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig absahnte. Einige (heute) bekannte Schauspieler verkörpern die Antihelden der Geschichte: als Tōru sehen wir Ken’ichi Matsuyama (erprobt aus vielen Anime-Realverfilmungen wie Death Note, Gantz, Nana, …), Naoko wird verkörpert durch Rinko Kikuchi (Babel, Pacific Rim) und Kiko Mizuhara (Attack on Titan) spielt Midori.
Meinung
Der Tod ist ein allgegenwärtiges Thema des Buchs. Wir erfahren nie warum sich Kikuchi umgebracht hat oder die Gründe für das Handeln vieler Charaktere. Unbeantwortete Fragen: das ist der Realismus von Haruki Murakami. Wir erfahren nie warum manche Menschen aus Tōrus leben verschwinden. Und trotz dieser Schwere, war es der witzigste Murakami den ich bisher gelesen habe. Und damit meine ich wirklich witzig. Anfangs mögen das nur die Schilderungen von Tōrus versifftem Studentenwohnheim sein, später wurde Midori einer meiner unbestrittenen Lieblingscharaktere, während ich zu der irgendwie verlorenen Naoko keine Bindung aufbauen konnte. Und trotz dieser zeitweiligen Melancholie, habe ich sehr viel gelacht und konnte das Buch kaum aus der Hand legen, wenn ich einmal angefangen hatte zu lesen.
Allerdings denke ich immer noch, dass man für Murakamis Erzählungen geschaffen sein muss. Er zelebriert die banalen Seiten der Realität, denn sie sind es die das Leben ausmachen und dem Alltag entspringen. Da redet Tōru nun Mal oft davon, dass er sonntags die Wäsche wäscht und sonst nicht viel tut. Dann wird eben aufgezählt, was er an dem Nachmittag gemacht hat: Banalitäten, die uns die Personen näher bringen. Die könnten in der Wohnung nebenan leben. Was (zumindest für mich) nicht heißt, dass es langweilig ist. Gerade nicht. Das Dilemma der Charaktere fühlt sich so zum Greifen nah an, als ob man mittendrin wäre und sich denselben unbeantworteten Fragen gegenübersieht wie Tōru. Die Durchschnittlichkeit von Murakamis Charakteren wird häufig angeprangert, stellt für mich aber einen Vorteil dar. Prätentiöse, idealisierte Möchtegern-Helden berühren mich meistens weniger. Außerdem bedeutet dieses Buch von Murakami auch Sex, Sehnsucht und … Witz. Das Buch fühlt sich ein bisschen nach Hitzewelle im Sommer an. Zwischen einer gewissen Schwere und Lebenslust pendelnd, heiß, melancholisch. Der Schreibstil ist wesentlich weniger bilderreich als beispielsweise das viele Jahre später erschienene 1Q84, aber trotzdem sehr flüssig zu lesen. Mein einziger Kritikpunkt: wenn schon Mal ein Konflikt und geschichtliches Ereignis aufgegriffen wird, dann hätte das gern etwas stringenter geschehen können. Ich als Leser aus dem westlichen Raum weiß nun nicht wie ernst die Studentenproteste zu nehmen sind. Für Tōru waren sie ein Witz, aus anderen Medien habe ich drastischeres und brutaleres gehört. Insgesamt: Eine Coming-of-Age-Geschichte um Verlust und Sehnsucht, die mir viel Spaß gemacht hat und mich melancholisch zurücklässt und dessen letzte Zeilen gerne mit Spoilerwarnung in den Kommentaren auseinandergenommen werden dürfen.
Fazit:
Diesmal nicht nur für Murakami-Fans 😉 Wenige bis keine surrealistischen Momente, sondern eine einfühlsame, leicht zu lesende, melancholische Geschichte um Liebe. Große Empfehlung.
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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