National Theatre Live: Hamlet (2015)

Meine Wehmut war groß, dass in meiner näheren Umgebung nie eine Aufführung aus der Reihe National Theatre (NT) Live im Kino ausgestrahlt wurde. Bitter blickte ich nach links und rechts zu den Glücklichen, die beispielsweise Danny Boyles ‚Frankenstein‘ sehen durften, in welcher Fassung auch immer. Die Ausstattung der NT Live Aufführungen haben mich immer mindestens so neugierig gemacht wie die namhaften Darsteller, von denen man einige nur aus großen Filmblockbustern kennt. Aber die mal ‚live‘ in einem Bühnenstück mit bestem Blick zu sehen, das lockt mich schon sehr. Aber jetzt war es endlich soweit – am 15. Oktober 2015 lief Hamlet. Auch in meiner Stadt. Und mit Aussicht auf Benedict Cumberbatch in der Rolle der Titelfigur – ein weiteres richtig gutes Argument.

Hamlet

William Shakespeares Bühnenstück handelt vom Prinz von Dänemark, Hamlet, der noch um seinen kürzlich verstorbenen Vater trauert. Seine Mutter hindert es nicht den Bruder des Königs, Hamlets Onkel, zu heiraten. Nur zwei Monate nach dem Tod des Ehemanns. Der König ist tot, lang lebe der König. Hamlet nimmt das bitter auf, kommt darüber nicht hinweg. Seine Vertrauten teilen ihm eines Tages mit, dass ein Geist sein Unwesen im Königreich treibt und sie erkennen darin Hamlets Vater. Als er sich dem Geist stellt, erzählt ihm dieser, dass er heimtückisch von seinem eigenen Bruder umgebracht wurde. Der Geist will, dass Hamlet Rache nimmt. Und das tut er. Something is rotten in the state of denmark.

Hamlet, Shakespeare und ich

Ich bin kein Shakespeare-Mensch. Schimpft mich einen Kostverächter, aber es ist so. Die Geschichten um Könige und zerstrittene Familien haben mich meistens weniger berührt, als die von Menschen wie du und ich, die ohne silbernen Löffel im Mund zur Welt gekommen sind. Hier und da verirre ich mich in das Genre, bin aber meistens Kritiker des Adels. Da sich Shakespeares Dramen und Tragödien meistens um die Befindlichkeiten der von Geburt an Privilegierten drehen, erschienen mir die Inhalte meist künstlich. Selbst das hochgelobte Romeo und Julia, die ja bekanntlich Opfer ihrer Abstammung sind, berühren mich weitaus weniger als andere Geschichten. So oder so halte ich Shakespeare für einen großartigen Dramatiker, aber es ist nicht mein Stoff, wenn ich es lesen soll. Das ist der zweite Punkt: Dramatik lesen. Ich habe noch nie verstanden, warum man in der Schule Romeo und Julia, Hamlet, Iphigenie auf Tauris, Antigone oder Nathan der Weise liest ohne es sich hinterher auf der Bühne anzusehen oder selber zu spielen. Natürlich sind das Geschichten, die mal auf den Lehrplan kommen, um den Sinn dafür zu schärfen wie frühere Wertvorstellungen waren, wie das klassische aristotelische Drama aufgebaut ist oder eben auch um einfach mit der altertümlichen Sprache umgehen zu lernen. Aber das ewige Lesen der Stücke ist fast so als ob man Socken statt Handschuhen trägt. Sinnlos. Man muss es auf der Bühne sehen, denn es ist ein Bühnenwerk. Alternativ sollte man es selber spielen und vorher von einem begabten Lehrer erklärt bekommen, was das Ding des Werks ist, worum es hier geht, was der Knackpunkt ist. Sofort erinnere ich mich an die Lehrer aus Der Mann ohne Gesicht und Der Club der toten Dichter, die sich voll reinknien und ihren Schülern zu verstehen geben, was die Tragödie sagen will. Dramatik wie aus der Feder von Shakespeare wurde aufgeschrieben als Drehbuch für ein Bühnenwerk, wenn man so will. Wer spricht wann was. Da liest man keine Erklärung raus, kein Innenleben der Charaktere, manchmal nicht mal den Konflikt – das Büchlein alleine hat für mich nie Sinn gemacht. Deswegen war mir klar: wenn Hamlet, dann auf der Bühne. Da ich nicht wusste wie gut ich das altertümliche Englisch verstehen würde, kam ich aber letztendlich doch nicht drumrum mir Hamlet vorher in textueller Form zuzuführen. Just in time habe ich es dann also doch lesen müssen. Und ich denke, dass das dem Verständnis ganz zuträglich war, halte es aber nur für ein Muss, wenn man sich das Ganze eben in einer anderen Sprache anschaut. Wundert euch also nicht, wenn meine Begeisterung eher gedämpft ist, wenn ich das Buch besprechen sollte.

Fazit

Lyndsey Turners Inszenierung von Hamlet hat mein Verständnis für die Figuren und die Geschichte erst richtig geschärft, mehr als das reine Lesen des shakespearschen Stoffes. Die Handlung wurde in einen zeitlosen, eher modernen Kontext verlegt. So tragen die Figuren schicke Dreiteiler, Jackets oder Wetterjacken und Uniformen, die mal eher altertümlich wirken, mal sehr modern und stilisiert. Die Handlung spielt sich in ein und derselben Kulisse ab: einem klassizistischen Saal, der wahlweise Hamlets Stube ist, das Gemach der Königin, Polonius‘ Haus oder ein Friedhof. Das Umbauen der Szenen passiert durch alle Darsteller und Helfer und wird teilweise mit inszeniert und eingebunden, sodass es auffällt und einen aus dem Geschehen reißt, gleichzeitig aber neugierig macht was da kommen möge. Mit der Kulisse wird nicht zaghaft umgegangen: da werden Berge von Dreck aufgeschüttet oder eben auch mal ein Sturm durch die Szene gejagt, eine Hochzeit gefeiert mit viel Kerzen und zarten Blumen, vor düsterem Hintergrund. Die Musik, die aus dem verlorenen Ticken einer unsichtbaren Uhr (zählt sie runter bis zum bitteren Ende?), der traurigen Klaviermusik und Überleitungen mit ein wenig industrial-Einschlag besteht, hat mich sehr gepackt. Die Namen der kreativen Köpfe Es Devlin (Set), Jon Hopkins (Musik), Christopher Shutt (Sound Design), Sidi Larbi Cherkaoui (Movement) und Kollegen werde ich daher nicht so schnell vergessen. Das in sich geschlossene und ausgereifte Gesamtkunstwerk der Inszenierung hat mich schwer beeindruckt und ich habe im Theater nie etwas vergleichbar vollkommenes gesehen.

Dasselbe gilt für die Darsteller, deren Spiel das düstere, trockene Thema sichtlich aufgelockert hat. Benedict Cumberbatch zeigt als Hamlet alles auf der Palette an Emotionen. Bitter-enttäuscht am Anfang, zu Tode erschreckt, am Leben zweifelnd und verzweifelnd, Pläne schmiedend, albern und wirr, verzweifelt, wütend, rasend. Allgemein habe ich viele Figuren sehr viel positiver wahrgenommen als während des Lesens. Bevor ich das Stück sah, gab es für mich keinen sympathischen Charakter. Niemand mit dem ich mitgefiebert hätte, nicht einmal Hamlet. Die Charaktere wirkten mir alle fremd und fern. Durch das Stück habe ich Polonius (ernstzunehmend und humorig gleichzeitig gespielt von Jim Norton), Horatio (cool, zerstreut und irgendwie elektrisiert: Leo Bill), Ophelia (viel zerbrechlicher und zarter als ich im Buch herauslas: Sian Brooke), Laertes (stark, Gerechtigkeit suchend und verzweifelt: Kobna Holdbrook-Smith) und Rosenkranz (witzig: Matthew Steer) erst schätzen gelernt – ebenso wie Hamlet. Die Inszenierung lockert auf, was ich rein vom Lesen als staubtrocken empfand. Deswegen sage ich: auf der Bühne schauen, nicht stundenlang drin rumlesen. Manchmal sind die Wechsel der Stimmung mir aber schon fast zu dramatisch, gleiten aber nie ins alberne ab. Die Live-Übertragung hat technisch einwandfrei funktioniert. Es gab keine Unterbrechungen, außer dass mal für 2 Sekunden der Ton fehlte oder es mal etwas knackte. Durch die Aufnahme und geschickte Kamerapositionierung waren wir ganz dicht dabei und hatten gefühlt bessere Plätze als wenn wir mit den Londonern im Saal gesessen hätten. Zu Beginn gab es als Vorgeschmack eine kleine Begrüßung zur Live-Schalte, einen kleinen Vorspann, ein kurzes Interview mit Benedict Cumberbatch über das Spielen von Hamlet und einige andere Boni. Zum Ende hin hat der Cumberbatch nochmal ein Gedicht zum besten gegeben und aufgefordert für save the children zu spenden. Wir konnten ihnen allen nicht direkt applaudieren – leider. Denn: das war ein richtig großartiges Erlebnis. Für die 200 Minuten-Veranstaltung sollte man sehr ausgeschlafen sein, aber ich kann es sehr empfehlen sich so eine Übertragung zu leisten. So kann man Hamlet schauen!

Cast

Danish Soldier / Norwegian Soldier: Barry Aird
Captain / Servant: Eddie Arnold
Horatio: Leo Bill
Ophelia: Sian Brooke
Cornelius: Nigel Carrington
Player King: Ruairi Conaghan
Hamlet: Benedict Cumberbatch
Guildenstern: Rudi Dharmalingam
Priest / Messenger: Colin Haigh
Fencing Official: Paul Ham
Player Queen / Messenger: Diveen Henry
Gertrude: Anastasia Hille
Claudius: Ciarán Hinds
Laertes: Kobna Holdbrook-Smith
Ghost / Gravedigger: Karl Johnson
Polonius: Jim Norton
Stage Manager / Official: Amaka Okafor
Barnardo: Dan Parr
Courtier: Jan Sheperd
Voltemand: Morag Siller
Rosencrantz: Matthew Steer
Fortinbras: Sergo Vares
Marcellus: Dwane Walcott

Creative

Director: Lyndsey Turner
Set Design: Es Devlin
Costume Design: Katrina Lindsay
Video Design: Luke Halls
Lighting Design: Jane Cox
Music: Jon Hopkins
Sound Design: Christopher Shutt
Movement: Sidi Larbi Cherkaoui

Source: hamlet-barbican.com/cast-creative/

Habt ihr schon Mal eine Opfer oder ein Theaterstück im Kino live sehen dürfen? Was war es? Und wie war es? Oder habt ihr sogar Hamlet (2015) gesehen? Wie steht ihr zur Lektüre von Dramatik? Konntet ihr den Stoffen zur Schulzeit eigentlich viel abgewinnen?

https://www.youtube.com/watch?v=SxraXR_tfSA

13 Antworten

  1. Hallöchen 🙂

    Ich habe auch am letzten Donnerstag „Hamlet“ gesehen und war – ebenso wie du – total hin und weg. Die Schauspieler allesamt exzellent aufgelegt, das Bühnenbild sowieso einfach fantastisch und die übertragenen Stimmungen großartig. Ich muss dir auch zustimmen, dass in der Schule nicht genug Wert auf einen besseren Umgang mit solchen „Theaterstücken“ gelegt wird. Ich „musste“ Hamlet auch damals in der Schule lesen und fand irgendwie nie den richtigen Zugang dazu. Da ging es noch besser mit „Antigone“ oder „Nathan der Weise“. Allerdings stimme ich auch zu, dass ein nachträglicher Besuch in einem THeater dem emotionalen Verständnis bestimmt nicht geschadet hätte.

    Auch „Frankenstein“ habe ich damals in einem Kino in Halle gesehen und war ebenfalls begeistert. 🙂

    Ein Hoch auf die Übertragungen des NT und auf weitere Kinoabende mit solchem Stoff.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hi 😀 danke für deinen Kommentar
      Ja, Lehrer müssen da eine gewisse Grenze überwinden und für das Thema ein Gespür haben. Theaterstücke und gerade welche aus dem shakespearschen Zeitalter (oder noch ältere) werde mit der altertümlichen Sprache bestimmt immer weniger akzeptiert werden – es wird also nicht einfach für die Themen Bewusstsein zu schaffen.

      Oh da bin ich jetzt fast neidisch, dass du Frankenstein gesehen hast 😀 War das der mit Cumberbatch als Frankenstein oder als Frankensteins Monsters?

      Ich bin auch sehr gespannt wann wieder eine Aufführung nach Magdeburg kommt *_* Hoffentlich bald 😀

  2. Ich konnte mein Glück auch kaum fassen, als ich die Live-Übertragung im Kinoprogramm entdeckte. Es war umwerfend und das nicht nur wegen Benedict Cumberbatch. Hamlet hatte ich in Schule und Uni diverse Male durchgenommen, aber diese Aufführung war deswegen keineswegs langweilig. Besonders hat mich beeindruckt wie viel man aus diesem einen Bühnenbild rausgeholt hat. Als es nach der Pause wieder los ging, stand mir erstmal der Mund offen, so sehr hatte sich die Atmosphäre verändert.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja genauso ging es mir auch!! Insbesondere als der ganze Schutt oder die ganze Asche auf der Bühne war. Aber auch der Sturm das eine Mal – das hatte was episches. Auch wenn ich das Wort in letzter Zeit etwas überstrapaziert finde, aber da passt es ganz gut 😉

  3. Oooh, ja, so eine Aufführung würde ich auch gerne mal sehen! Bisher habe ich allerdings nur einmal aktiv danach gesucht und festgestellt, dass der nächste Aufführungsort Köln ist, was mir für einen Kinobesuch dann doch ein bisschen zu weit wäre. Aber vielleicht ergibt sich ja noch was … 🙂
    Ich hätte mir generell motiviertere (und teilweise auch kompetentere) Lehrer gewünscht. Theater gab es bei uns nur als AG und in meinen Kursen war das Highlight schon, wenn mit verteilten Rollen ein Stück vorgelesen wurde. Dabei hat allerdings nie jemand Anstalten gemacht, irgendwie zu schauspielern, denn das wäre ja peinlich gewesen … Einen Theaterbesuch meine ich irgendwann mal gehabt zu haben, aber kann mich nicht mehr daran erinnern, was wir geschaut haben und ob es dazu eine Vor- oder Nachbereitung gab. Vermutlich eher nicht … ^^ Hach ja, die Bildung, ein ewiges Nörgelthema für mich …
    Die „Drehbücher“ habe ich allerdings je nach Autor doch recht gerne gelesen. Vielleicht hatte ich einfach eine sehr lebhafte Fantasie, der es egal war, wenn sie nur das absolute Minimum an Informationen hatte – und vermutlich habe ich deswegen mindestens die Hälfte aller Theaterstücke vollkommen fehlinterpretiert, weil ich sie nie aufgeführt gesehen habe. 😀
    Ich hoffe dass du noch viele weitere solcher tollen Auftritte in deiner Nähe findest! 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Haha 😉 na fehlinterpretiert hast du die bestimmt nicht – des Pudels Kern kriegt man ja meistens so gefühlsmäßig schon irgendwie mit. Obwohl ich das bei Hamlet deutlich schwieriger fand als bei anderen, die ich irgendwann mal gelesen habe. Aus mir wird aber grundsätzlich nie so jemand, der sagt „Das ist ein Klassiker, das muss man gelesen haben.“ Ohne inneren Antrieb und Interesse schon gar nicht – außer in der Schule. Da stehts ja meistens aus einem guten Grund auf dem Lehrplan.
      Was die Schullehre betrifft, haben wir da wohl recht ähnliche Erlebnisse. Die Lehrer, die ich ganz zum Schluss im Deutsch LK hatte, haben sich da schon meistens Mühe gegeben. Aber im Deutsch LK herrscht auch ein gewisses Interesse an dem, was so ein Deutsch LK eben so macht …

      Ja, danke – ich hoffe auch, dass ich bald wieder NT Live o.Ä. im Programm vorfinde 😉 Und ich drücke dir die Daumen, dass das auch in deine Nähe kommt!

  4. Bisschen harte Einstellung, was? 😉
    Wenn man den Schülern das Ding des Stücks einfach nur erklärt, wo bleibt da die eigene Leistung? Wo der eigene Zugang? Wo die eigenen Gedanken, Ideen und Ansätze zur Interpretation, die ja zugleich Teil des Verständnisses ist? Ich mein, du erwartest doch auch nicht, dass dir jemand einen Roman erklärt, womöglich noch, bevor du ihn selbst gelesen hast, oder? Zumal das ja auch eine sehr einengende Sache ist, das vorzugeben. Denn nicht immer ist des Dramas Kern 100% eindeutig. Und ich denke nicht, dass ausgerechnet unser Club der toten Dichter sich dafür ausgesprochen hätte, das Ding eines Dramas zu erklären, vorzugeben, gar vorzuschreiben. Ganz im Gegenteil. 😉
    Weshalb übrigens ein Theaterbesuch auch immer erst nach Lektüre und Analyse kommen kann, denn eine Aufführung ist selbst bereits eine Interpretation und engt damit den Inhalt zwangsläufig ein, indem Akzente gesetzt und auch manche Aspekte ausgelassen werden. Und um diese Interpretation erst hinzubekommen muss man sich Gedanken um die Figuren und deren Innenleben machen. Wer einfach nur den Text herunterliest, der kann genausogut zu Hause bleiben. Aber die Dramatik, Gesten, Mimik, Bewegung und Intonation, all das steht ja meist gerade nicht im Text und ist erst dann zugänglich, wenn man sich mit der Vorlage befasst hat. Und eine Aufführung kann man eigentlich auch erst nach Lektüre und Verständnis der Textgrundlage beurteilen, ansonsten ist es nämlich meiner Meinung nach nur ein Film auf der Bühne, der rein zufällig den Namen eines Dramas trägt.
    Sinn und Zweck der Lektüre ist auch eher zweit- bis zehntrangig, sich mit „altertümlicher“ Sprache auseinanderzusetzen. So altertümlich ist die Sprache nicht, bzw. für viele nur deshalb, weil sie nie ein Buch in die Hand genommen haben – kein Vorwurf an dich, aber mal ehrlich: Wie viele Schüler lesen denn freiwillig Bücher, die nicht gerade Twilight oder Panem sind, und entsprechend nicht mit billigem Alltagsdeutsch daherkommen? 😉 – und entsprechend bis auf die paar Alltagsworte kaum Deutsch können.
    Es geht auch nicht um den Aufbau des Dramas, der eher nebenbei behandelt wird. Es geht tatsächlich um die Inhalte, aber auch darum, mit Texten zu arbeiten. Wie man Informationen aus Texten holt, Handlungen, Motive hinterfragt etc. pp.

    Zum Thema Bildung: Wenn man bedenkt, dass in einer durchschnittlichen Klasse zig Schüler sitzen, die zu Hause freiwillig kein Buch auch nur anschauen, entsprechend auch kaum flüssig (vor-)lesen können und wenig Interesse an Texten haben, dann ist es kein Wunder, dass man sich im Unterricht eher darauf konzentriert, als fancy Theaterprojekte aufzustellen, für die wie bereits geschrieben das Textverständnis überhaupt erst Grundlage ist. Die Theaterprojekte haben ihre Berechtigung, aber eben nur als AG, die auch gar nicht anders kann als freiwillig zu sein. Was meinst du, was für eine Hölle losbrechen würde, wenn man den Schülern eine zusätzliche Doppelstunde pro Woche vorschreibt, in der sie an ner Theateraufführung arbeiten? 😉
    Und angesichts der vorherrschenden Deutschkenntnisse sollte man ganz sicher nicht den vorhandenen Unterricht beschneiden, um Theateraufführungen vorzubereiten.
    Und zu jedem Drama ein Theaterbesuch, das dürfte auch kaum machbar sein, denn die Kosten muss ja irgendwer tragen.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Du wirfst mir eine ganze Menge Dinge vor, die ich nie gesagt habe.
      Ich habe zum Beispiel nie gesagt, dass den Schülern alles vorgekaut werden soll, ohne dass sie sich mit den Stoffen auseinandersetzen. Ich will lediglich, dass sich Lehrer Mühe geben das Wesen der Werke rüberzubringen. In meiner Schulzeit habe ich zuviele unmotivierte und gleichgültige Lehrer erlebt. Und wenn die dahinter stehen und rüberbringen, was an dem Stoff so anders, so besonders ist, dann kann das die Aufmerksamkeit erstmal schüren. Jeder braucht mal solche Lehrer wie aus den oben zitierten Filmen, um einem die Augen zu öffnen.
      Ich kann ja verstehen, dass dich als Lehrer das betrifft, aber bleiben wir mal trotzdem bei dem was ich gesagt habe und was nicht.

      Zu dieser motivierten Lehre gehört eben auch, dass man sich mal auf der Bühne anschaut, was für die Bühne gemacht wurde. In meiner Schulzeit (und das ist nun Mal das, was ich als Maß nehmen kann), haben wir willkürliche Vorstellungen im Theater geschaut, was gerade lief. D.h. zu Büchern, die wir niemals gelesen haben. Und andersrum: wenn die Bücher aufgeführt wurden, die wir mal gelesen haben (sei es meinetwegen auch im Jahr davor), sind mitunter andere Klassen zu den Aufführungen gefahren. Die Begründung warum wir nicht gefahren sind, als das nun aufgeführt wurde, was wir mal gelesen haben, war dass es im aktuellen Jahr ja schließlich nicht auf dem Lehrplan wäre. Diese willkürliche Lehre finde ich sinnlos.

      Oftmals wurde auch als Ausrede benutzt, dass die Familien, die finanziell schlecht dastehen, sich den Theater- oder Museumsausflug und das Buchen von Bus oder Bahn nicht leisten können. Die Unkosten hätten mal 12€ betragen. 3 Zigarettenschachteln weniger gekauft und die Sache wäre geritzt – außerdem kann man heute in vielen Fällen Leistungen beantragen, wenn solche Klassenfahrten ein Problem sind. Als wir 200€ für eine Sightseeing-Frankreich-Fahrt oder einen Skikurs ausgeben sollten, gings ja auch, oder? Diese Doppelmoral ist falsch und das Argument zählt daher für mich nicht.
      Ich denke mehr muss ich zu meiner Meinung nicht sagen, um dir begreiflich zu machen, wo du mich falsch verstanden hast.

      1. Vermutlich kam das harscher rüber, als intendiert, aber ja, ich find den Tenor „Hätte ich bloß bessere Lehrer gehabt, hätte mich der Stoff deutlich eher interessiert“ ziemlich nervig, auch und gerade weil ich ihn jedesmal in der Nachhilfe zu hören bekomme. Und wenn ich ein wenig nachhake, stellt sich heraus, dass das hauptsächlich von Schülern kommt, die im Unterricht nicht aufpassen und/oder sich nicht die Mühe gemacht haben, ihren Aufschrieb noch einmal anzuschauen, oder – im Fach Deutsch – den Text überhaupt nicht gelesen haben. Das ist jetzt nicht gegen dich gerichtet, aber für mich klang und klingt dein Text noch immer ziemlich danach, als ob die in dieselbe Kerbe schlagen wolltest. Und auch in den Kommentaren findet sich das ja bereits. Klar gibt es schwarze Schafe unter den Lehrern, aber wenn man sich mal so umhört, dann sind gefühlt 90% aller Lehrer faule, inkompetente Idioten. Sorry, aber das ist bullshit.
        Sicher, ein Lehrer mit Leidenschaft unterrichtet anders. Aber mal ehrlich, woher soll die Leidenschaft denn noch kommen, wenn man es dauernd mit Schülern zu tun hat, die allein beim Gedanken, etwas lesen zu müssen, schon aufstöhnen und dem Text nicht mal eine Chance geben? Und deren einziger Gedanke der ist, dass die Sprache so schrecklich sei und doch niemand jemals so habe reden können? Trotzdem versuchen mehr und mehr Lehrer, die Möglichkeiten des Zugangs sowohl zum Text als auch zum Stoff vielfältig zu gestalten, aber auch dem sind Grenzen gesetzt.

        Was die Theaterbesuche betrifft: Natürlich ist es vorgesehen, dass man nach Möglichkeit die Aufführungen besucht, die auch zum Lehrplan des jeweiligen Jahres passen. Das haben sich aber nicht unbedingt die Lehrer ausgedacht. 😉
        Davon abgesehen: Was meinst du, wie viele Schüler nach einem Schuljahr überhaupt noch wissen, was sie gelesen haben? Inwiefern macht denn da der Besuch einer Aufführung noch Sinn, wenn man dafür eigentlich erst noch einmal den Unterricht zu dem entsprechenden Werk wiederholen müsste, wodurch man im aktuellen Jahr in Verzug gerät? Ich kann verstehen, dass dich das geärgert hat, keine Frage, und natürlich wäre es gut, wenn schon eine Vorstellung stattfindet, die auch zu besuchen. Aber auch das hat eben zwei Seiten. Dazu kommen die üblichen Probleme mit solchen Aktivitäten: „Aber wir schreiben am nächsten Tag Mathe/Englisch/wasauchimmer“ und ähnliche Einwände, die dazu führen, dass die Eltern dann auf die Barrikaden gehen. Da die das auch so schon genug tun, kann ich da auch den Lehrer verstehen, der sich das nicht geben will.

        Den Vorwurf mit den Kippen hättest du dir aber sparen können, der ist billig und polemisch. Sicher, jedes Kind, das arm ist, hat rauchende, saufende Harzer-Eltern, die das ganze Geld für Kippen, Bier und Flatscreens verballern. Ziemlich RTL, dieses Bild. Wenn ich an die letzten Zahlen aus den Armutsberichten denke (jedes fünfte Kind) dürften ganz sicher nicht alle finanzschwachen Eltern so sein. Klar gibt es den Förderverein und co., aber ich bin mir nicht sicher, ob du dir vorstellen kannst, wie sich das für den jeweiligen Schüler anfühlt, mehr oder minder darum zu betteln, mitkommen zu dürfen. Warum und wieso deine Mitschüler das Geld für den Frankreichaufenthalt trotzdem aufbringen können, werde ich dir ganz sicher nicht erklären können, das wäre ja eher an dir gewesen, dich da schlau zu machen, was im Leben deiner Mitschüler passiert, oder? 😉

        Aber bei dem Thema werden wir uns wohl auch nicht einig. Ist ja nicht weiter dramatisch.

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Das ist das zweite Mal, dass du mir Worte in den Mund legst, die ich nicht gesagt habe, weswegen das jetzt mein letzter Kommentar zu dir unter diesem Artikel/über dieses Thema ist.

          „Hätte ich bloß bes­sere Leh­rer gehabt, hätte mich der Stoff deut­lich eher inter­es­siert“ – habe ich nie gesagt. Im Gegenteil. Ich habe mich dafür sogar interessiert, mich haben aber in den meisten Fällen andere Werke einfach mehr angesprochen und gefesselt. Ich war auch in einer Theater AG.

          Dass du mich polemisch nennst, verbitte ich mir. Das ist nah an einer Grenzübertretung. Und würde ich dich nicht aus anderen Kommentaren kennen, hätte ich deinen letzten wahrscheinlich geblockt und dich möglicherweise gleich mit. Ich lasse mich auf kein RTL-Niveau runter. Ich habe nie von “ das arm ist, hat rau­chende, sau­fende Harzer-Eltern, die das ganze Geld für Kip­pen, Bier und Flatscreens ver­bal­lern.“ gesprochen – dieses Bild stammt von dir, das möchte ich nochmal klarstellen. Mein Zigaretten-Beispiel ist lediglich ein Versuch gewesen zu zeigen: man kann Geld auch für viel unnötigere oder unsinnigere Dinge als Theaterbesuche raushauen und das tut jeder von uns. Ob das nun Zigaretten sind, Manga die man auch noch einen Monat später kaufen kann, die teure Tafel Schokolade oder Luxusartikel. Was auch immer. Aber ich lasse mir nicht solche Äußerungen aufdichten.

          Das ist ungefähr genauso wie wenn ich deinen Satz:
          „Was meinst du, wie viele Schü­ler nach einem Schul­jahr über­haupt noch wis­sen, was sie gele­sen haben?“ so auslege, als ob alle Kinder schwachsinnige Idioten sind, die nicht um die Ecken denken können, geschweigedenn wissen, was sie vorgestern gemacht haben.

          Denk mal darüber nach.

          „Warum und wieso deine Mit­schü­ler das Geld für den Frank­reich­auf­ent­halt trotz­dem auf­brin­gen kön­nen, werde ich dir ganz sicher nicht erklä­ren kön­nen, das wäre ja eher an dir gewe­sen, dich da schlau zu machen, was im Leben dei­ner Mit­schü­ler pas­siert, oder?“ – Nein, denn so neugierig bin ich nicht und muss mich auch nicht in das Leben anderer einmischen. Das ist deren Sache.

          Ich kann nichts dafür, dass du das Thema dermaßen hart auffasst und deswegen so argumentierst und soviele falsche Annahmen über mich triffst oder dir die Sachen, die ich sage so zurechtdrehst, wie es dir gerade passt. Du musst das nicht an mir auslassen, was auch immer dich da triggert.
          Und das ist das letzte Mal, dass ich mich vor dir gerechtfertigt habe.

  5. […] schon lang und breit in mei­nem vor­letz­ten Arti­kel erklärt: ich bin kein gro­ßer Shakespeare-Fan. Ich weiß, dass er gro­ßes Voll­bracht hat. […]

  6. So, endlich komme ich dazu, deine Kritik zu lesen. Ich finde es total spannend, die verschiedenen Meinungen zu vergleichen. Die meisten Shakespeare-Aficionados unter meinen Blogger-Freundinnen waren ja weniger angetan von dem Stück und der Auslegung auch mancher Charaktere (z. B. Ophelia).

    Ich dagegen hatte bisher erst eine einzige Theater-Inszenierung gesehen (auch über NT Live), kenne ansonsten noch drei Verfilmungen (Mel Gibson 1990, Kenneth Branagh 1996, und eine moderne Version von 2000 mit Ethan Hawke). Gelesen habe ich das Stück nie – ich bin auch der Meinung, Shakespeare muss man sehen und hören, nicht lesen.

    Und so liege ich mich mit meiner Meinung irgendwo zwischen dir und den eher kritischen Stimmen. Mich hat das Stück jetzt nicht ganz so umgehauen, wie mein erstes Shakespeare-NT-Live-Erlebnis „King Lear“ (da war ich noch Tage danach geflasht), aber ich fand es durchaus faszinierend, gerade das Bühnenbild. Und ganz kalt hat es mich wohl auch nicht gelassen: ich habe gefühlt die ganze Nacht davon geträumt, und hab im Traum auch Benedict an der Stage Door getroffen – ob das nächsten Samstag in London klappt, bezweifle ich allerdings, es ist die Closing Night.

    Argh, ich muss endlich meine Kritik schreiben…

  7. Als Erwachsener hat man sicher eine andere Weitsicht, um ein Stück auch nur durch die Aufführung zu verstehen und schätzen zu lernen, auch wenn ich dennoch finde, dass man eine Inszenierung besser beurteilen kann, wenn man selbst das Stück gelesen hat und sich damit ein Bild machen kann, in welche Richtung/unter welchen Bedingungen etc. es geschrieben wurde.
    Bei Schülern sehe ich das sogar noch ein bisschen anders, ich finde auch, dass hier erst die Lektüre und dann die Analyse notwendig sind, um ein angemessenes Verständnis zu erlangen, das man hinterher gerne durch eine Aufführung abrunden kann – so wurde das zu meiner Schulzeit auch immer gehandhabt. Da ist man eben ein bisschen daran gebunden, was gerade in der Umgebung läuft. Bei mir lief z.B. „Antigone“, als ich in der 12 war, gelesen hatten wir es in der 11. Also hat sich der Theaterbesuch nicht unmittelbar angeboten, aber immerhin ein Jahr danach. Die Inszenierung war sehr modern gehalten und hatte für mich kaum mehr was mit dem eigentlichen Drama zu tun – aber diese Erkenntnis konnte ich ja auch nur dadurch gewinnen, dass ich es zuvor gelesen und damit gearbeitet hatte. Woher hätte ich wissen sollen, was diese komischen defekten Flimmer-Fernseher auf der Bühne sein sollten? Ich hätte absolut keinen Bezug dazu gehabt, wenn ich das Stück nicht gekannt hätte, und hätte mich gefragt, was das in einem Stück aus der Antike sein könnte (es war der Chor). In der Inszenierung wurde Ismene auch als körperlich und geistig behindert dargestellt – auch das ist eine Entscheidung, die der Regisseur getroffen hat, und die bei Sophokles so eigentlich gar nicht vorkam. Ich bin also ein bisschen gespalten: Ja, Dramen werden für die Aufführung geschrieben, aber wenn man den Text nicht kennt, ist es manchmal schwierig, eine Aufführung einzuordnen. Der Theaterbesuch bietet sich für Schulen leider nicht immer an, weil nun mal nicht jedes Werk, das in der Schule behandelt wird, zufällig auch gerade im Umkreis aufgeführt wird. Wir haben aber zu jedem Drama zumindest auch eine verfilmte Aufführung gesehen.
    Im Übrigen gibt es inzwischen in einigen Bundesländern das Wahlpflichtfach „Darstellendes Spiel“, das über eine AG hinausgeht und die eigene Inszenierung von Dramen für ein Schulfach zugrunde legt. Da finde ich hat es eher Platz als im eigentlichen Deutschunterricht (Zeitmangel, u.a. auch Kompetenzmangel, denn im Germanistikstudium bekommt man keine theaterpädagogische Ausbildung, etc.). Aber auch, um ein Stück selbst inszenieren zu können, muss man es logischerweise vorher gelesen und für Personen und Handlung ein Verständnis entwickelt haben. 😉

    Auf die Hamlet-Aufführung bin ich sehr gespannt, ich werde sie auch nächstes Wochenende im Kino sehen… (ich habe Hamlet übrigens im 1. Semester fürs Studium gelesen und lese es gerade trotzdem noch mal, um mein Gedächtnis aufzufrischen 😉 )

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