Als Teenager und junges Mädchen wirkte Feminismus wie ein sehr weit entferntes Thema für mich. Erst als mir einer meiner Lehrer kurz vor dem Abschluss entgegnete „Du willst Informatik studieren? Als FRAU?“ wusste ich, dass das Thema nicht so weit hergeholt ist. Es geht in den Beiträgen unter dem klingenden Namen „Feminisischer Frühling“ aber nicht um Mecker- oder Jammer-Posts. Stattdessen will ich Frauen zurück in das Bewusstsein holen, da mir längst aufgefallen ist, dass die Mehrzahl der Helden über die ich lese, Autoren, deren Bücher ich kaufe und Protagonisten aus Filmen, die ich schaue, männlich sind. Und von meinem beruflichen Umfeld wollen wir mal gar nicht erst anfangen. Seitdem ich mich neben meiner normalen Arbeit als Softwareentwicklerin im Bereich „Diversity“ engagiere, ist es noch viel mehr in meinen Alltag gerückt und auch auf meine To-Read-Liste. V.A. im Frühling diesen Jahres habe ich mich stark mit dem Thema beschäftigt und möchte gern Inhalte von Autorinnen und über Frauen mit euch teilen. Das erste Buch dieser Reihe war nicht mein Einstieg in das Thema, hätte es aber idealerweise sein sollen, denn es geht um die Entstehung und den aktuellen Stand der Frauenbewegung allgemein.
Ute Gerhards Frauenbewegung und Feminismus – Eine Geschichte seit 1789 lächelte mich auf der Buchmesse an und in dem Moment war die Idee zum Feministischen Frühling geboren, der mich seit Beginn des Jahres begleitete, für den ich aber bis dahin keinen Namen hatte. Das im C.H. Beck Verlag erschienene kleinformatige Taschenbuch ist Teil einer ganzen Reihe. Allesamt sind sie in schmale Bücher gepacktes, geballtes Wissen. Leider auch sehr komprimiertes Wissen. Mit Druck zusammengepresst in knapp 120 Seiten – quasi ohne Absätze. Es fühlt sich fast an wie ohne Punkt und Komma. Was dem Buch aber an Aufmachung fehlt, macht es mit der Wissenskeule wieder wett. Ute Gerhard ist die erste Inhaberin eines Lehrstuhls für Frauen- und Geschlechterforschung in Deutschland und gibt mit ihrem Buch einen fundierten Überblick über die Geschichte der Frauenbewegung und des Feminismus wie es der Titel verspricht. Im Kleingedruckten fehlt lediglich der Hinweis darauf, dass es sich dabei auf Europa und einzelne Nennungen der amerikanischen Frauenbewegungen beschränkt.
„‚Das eine muss aktiv und stark, das andere passiv und schwach sein … Die wirkungsvollste Art, diese Kraft zu wecken, ist, sie durch Widerstand notwendig werden zu lassen … Aus dieser Verschiedenheit der Geschlechter … im Hinblick auf das Geschlechtliche … folgt, dass die Frau eigens dazu geschaffen ist, dem Mann zu gefallen.‘ (Rosseau 1963, zuerst 1762, 721-726) Rosseau bewegte sich mit dieser Auffassung […] im dominanten Denkmuster […] seit der Antike […] aus der Gegenüberstellung von männlich – weiblich, aktiv – passiv die Minderwertigkeit, Unvollkommenheit bzw. notwendige Unterwerfung der Frau unter die Herrschaft des Mannes zu legitimieren versuchte.“ p. 13
Ute Gerhard beginnt mit dem Überblick über die Entstehung der Frauenbewegung zur Zeit der Aufklärung bzw während der Französischen Revolution und geht auf die ungleich verteilten Rechte zwischen den Geschlechtern ein. So hatte eine Frau vor dem Gerecht keinen Besitz. Besitz gehörte seither den männlichen Angehörigen wie Vätern, Ehemännern oder Söhnen. Um nur einen Missstand zu nennen, aus dem die Frauenbewegung entstand. Ein Fakt, den man heute ähnlich wie das Frauenwahlrecht schnell als gegeben hinnimmt und sich heute eher auf die Sexualisierung der Frau und fehlende Akzeptanz im Berufsleben bzw. Equal Pay konzentriert. Gerhard nennt zahlreiche Fürsprecherinnen der damaligen Zeit wie Olympe de Gouges (stand insbesondere für das Frauenwahlrecht ein), Madame Roland, Marie-Antoinette und Fürsprecher wie den Marquis Marie Jean Antoine de Condorcet, der die Sache mit frappierender Allgemeingültigkeit auf den Punkt brachte:
„Entweder hat kein Glied des Menschengeschlechts wirkliche Rechte, oder sie haben alle die gleichen, und derjenige, der gegen das Recht eines anderen stimmt, mag er auch einer anderen Religion, einer anderen Hautfarbe oder dem anderen Geschlecht angehören, hat damit seine Rechte verwirkt.“
Ein Ausspruch, der traurigerweise noch heute nicht überall erhört wird. Aber die Französische Revolution ging im Terror unter und erstickte die Stimmen der Fürsprecher – zum Großteil mit der Guillotine.
Später wechselt Ute Gerhard mit der Betrachtung nach Deutschland und zur Freiheitsbewegung und Revolution der 1848er in denen Frauen spezielle Frauenzeitschriften herausgaben, sich verbündeten und öffentlich um Gehör kämpften, mit durchwachsenen Erfolgen. So wurden Frauenversammlungen und von Frauen geleitete Redaktionen und Magazine verboten. Ihre Kolleginnen in Frankreich hatte nicht mehr Glück. Hubertine Auclert wurde beispielsweise daran gehindert die Stimmrechtsfrage auf die Tagesordnung zu bringen. Auclert war es, die auch den Begriff Feminismnus prägte und die Zeitschrift La Citoyenne („Die Bürgerin“) veröffentlichte und später als radikalisiert angesehen wurde. Obwohl die Fürsprecher und Stimmen aus der Öffentlichkeit da waren insbesondere in den Reihen der Frühsozialisten. Fouriers zitierte Aussage beeindruckt besonders stark, da er die These aufstellte, dass „der Gard der weiblichen Emanzipation“ ein Maßstab für „das Geheimnis des sozialen Glücks“ aller darstellt. (p. 30) Die Frauen ließen sich nicht unterkriegen und die Korrespondenz der Köpfe der frühen Frauenbewegung ging über Ländergrenzen hinweg. Bemühungen, die später als First Wave Feminism bezeichnt werden (bis etwa den 1920er Jahren) und der Second Wave Feminism (ab etwa 1970) bezeichnet werden.
Gemeinsam sind wir stark – so fanden sich seit jeher auch Frauen in Vereinen und Gruppierungen zusammen. Beispielsweise im Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF) ab 1865. Um Veränderungen (Gesetze!) zu erwirken braucht es aber oftmals den Weg über die Politik. Politische Fürsprecher für die Sache der Frauen waren wichtig und August Bebel dabei ganz vorn. Clara Zetkin ist ein weiterer Name, der v.A. im Zusammenhang mit dem Sozialismus und der proletarischen Frauenbewegung fällt, die parallel zur allgemeinen Frauenbewegung existierte. Frauenbildung, Schulpflicht, Zulassung von Frauen zu Ämtern und zum Studium und das Frauenwahlrecht sind Dinge, die wir heute als gegeben hinnehmen, die aber in einem über ein Jahrhundert (und in anderen Teilen der Welt noch längerem) Kampf erfochten werden mussten. Im November 1918 trat beispielsweise das Frauenwahlrecht in Deutschland in Kraft – wir feiern also dieses Jahr erst 100 Jahre Wahlrecht für Frauen. Vorreiter waren wir damit übrigens nicht. Finland, Dänemark und andere Länder waren mitunter um die zehn Jahre schneller. Und wir reden hier von keiner Kleinigkeit, sondern einem (Staatsbürger)Recht.
Aber mit der Politik steht und fällt eben alles. Der ADF musste 1933 aufgeben – er war wie soviele „Frauenbelange“ mit der Machtergreifung und dem Nationalsozialismus passé. Die Kapitel Ute Gerhards, die sich dieser traurigen Zeit widmen, handeln von Rückschritt und danach von Aufbau. Die späteren Kapitel klingen mit dem Titel „Aufbruch zu einer neuen Frauenbewegung“ wieder optimistischer. Der Baustellen unserer Gesellschaft sind wir uns durchaus bewusst. #aufschrei nennt Gerhard noch im Buch, #meToo ist in unseren Köpfen sicherlich noch präsent. Dass Menschenrechte kein Geschlecht haben, ist aber in den meisten Teilen der Welt immer noch ein Thema. Das darf man ebenso wenig vergessen wie die Hürden, mit denen Frauen trotz Frauenwahlrecht, Gleichheit vor dem Gesetz und sexueller Selbstbestimmung immer noch konfrontiert werden. Ich denke da alleine an die Equal Pay Debatte. Da gibt es noch was zutun. Ute Gerhard gibt uns noch reichlich Literatur mit auf den Weg, u.a. Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“, Firestones „Frauenbewegung und sexuelle Revolution“, Verena Stefans „Häutungen“ sowie die Bücher von Alice Schwarzer und Christa Wolf.
Obwohl sich das kleinformatige Sachbuch insbesondere zu Beginn etwas hölzern liest und sehr stark an eine wissenschaftliche Abhandlung in einer Fachzeitschrift erinnert, wird das Buch in den späteren Kapiteln zu einem wahren Feminismus-Krimi. Wie im Wandel der Zeit mit den Forderungen der Frauen umgegangen wird ist eine lange und schmerzhaft zu lesende Geschichte. Es hat über 100 Jahre gebraucht, damit Frauen in Deutschland, Europa, … dieselben Rechte haben wie Männer, wo wir doch alle Menschen sind. Und das Projekt Frauenbewegung und Gleichheit ist noch nicht abgeschlossen wie die eine oder andere von uns auf Arbeit, in der Disco oder im aufgeschnappten Gespräch auf der Straße zu spüren bekommt. Neben der Erkenntnis wie wenig Rechte Frauen in früheren Zeiten zugesprochen wurden (nämlich praktisch keine), brachte mir das Buch aber v.A. den längst überfälligen Überblick und die Einordnung in den historischen Kontext. Leider ist es auch wegen der zeitlichen und lokalen Sprünge nicht das am einfachsten lesbare Sachbuch in meinem Regal. Ute Gerhard ist aber in jedem Fall ein Name, den ich mir merken werde, neben all den Vorreiterinnen und Kämpferinnen, die sie mit ihrem Buch auf meinen Radar gebracht hat.
„Doch trotz aller Fortschritte und Errungenschaften zeigt schließlich auch die Analyse der Gegenwart, dass der Feminismus als demokratisches Projekt noch immer nicht erledigt ist.“ p.9
Zum weiterlesen
Natalie Hanman @ The Guardian, 27. April 2009, „A vindication that Mary Wollstonecraft was right“
Bisherige Artikel der Beitragsreihe
I. Sachbuch-Besprechung „Frauenbewegung und Feminismus“ von Ute Gerhard
II. Buch-Besprechung „Mrs Dalloway“ von Virginia Woolf“
III. Diversity und Wahrnehmung
IV. Virginia Woolf „A Room of One’s Own“ and „Three Guineas“ – zwei verschiedene Tonarten über Feminismus
V. Feminism gone wrong? Stephen und Owen Kings „Sleeping Beauties“ und andere Medien
VI. Ein Abschied vom Feministischen Frühling mit lesenswerten Geschichten von und über Frauen
Da ist er nun! Der erste der lang geplanten Beiträge! Es wurde mal langsam Zeit damit anzufangen, da der Frühling bald zu Ende ist. Da das Thema für mich noch nicht abgeschlossen ist, wird es wohl auch ein feministischer Sommer 😉 Habt ihr das Buch vielleicht auch gelesen oder könnt mir weitere feministische Bücher oder Autoren empfehlen? Gerne auch Sachbücher.
Schreibe einen Kommentar