Das gehörte Wort … Hörbuch-Besprechung zu „Der Name des Windes“ von Patrick Rothfuss

Dass ich so schnell mal eine Fantasyreihe anfangen würde, hatte ich nicht vorhergesehen. Eigentlich mache ich um Mehrteiler einen ganz großen Bogen, insbesondere wenn nicht klar ist, ob diese in absehbarer Zeit abgeschlossen werden. Und Fantasy kommt bei mir auch nur so in 50% der Fälle gut an. Die Zeichen standen eigentlich schlecht. Aber dann waren da diese Vorschusslorbeeren, die Patrick Rothfuss‘ „Königsmörder-Chroniken“ in meinem Freundeskreis genießt. Und dann schlägt das die Mehrheit des Buchclubs doch tatsächlich zum Lesen vor … naja. Keine Ausrede mehr, oder? 🙂

Die dieses Jahr veröffentlichte, wunderbare Schmuckausgabe zu Der Name des Windes, die Bloggerkollege Tobi im verlinkten Beitrag zeigt, reizt mich ja schon sehr. Aber da Fantasy und ich zu oft nicht harmonieren, erschien mir das Hörbuch erstmal als eher sichere Wahl. Der Name des Windes ist Auftakt einer als Trilogie geplanten Fantasyreihe und erschien bereits 2007. Der zweite Teil wurde in Deutschland in zwei Bänden herausgebracht und Fans der Könisgmörder-Chroniken warten sehnsüchtig auf den dritten Teil, dessen Status immer noch in Planung ist. (Quelle: Fansided) Der Name des Windes beginnt mit der Rahmenhandlung um einen Wirt namens Kote, in dessen Gaststube ein Chronist strandet und bald schon erkennt, dass es sich bei dem Wirt eigentlich um den legendären Arkanisten Kvothe handelt. Den Könismörder, den Blutlosen … . Er beginnt widerwillig dem Chronisten seine Geschichte zu erzählen. Wie er als Kvothe seine Familie verlor, wie er Magie erlernte und an der Universität der Arkanisten angenommen wurde und eine Spur zu den Mördern seiner Eltern fand.

So weit so bekannt – klingt nach Fantasy-Heldenepos 101. Der Name des Windes hat aber eine Menge Stärken, die auch mich schnell am Haken hatten. Zum Einen das dichte Worldbuilding. Die Welt von Der Name des Windes ist in einem mittelalterlich anmutenden Setting. Der Eindruck wird nur durch Abwesenheit von Technik und „alte Berufe“ erzeugt, ansonsten könnte es auch im Jetzt spielen. Magie ist in Kvothes Welt vorhanden, aber wird von vielen als Märchen verschrien. Rothfuss versteht es aber ohne überbordende Ausflüge der Welt einen ganz eigenen Charakter zu verleihen, eine ganz eigene Religion, Völkergruppen und Sprachen. Ohne lange Vorträge oder „Und sie sangen“-Einlagen (ich schreibe das mit einem Augenzwinkern aber auch mit Respekt vor Der Herr der Ringe 🙂 ) Das Worldbuilding geht gar soweit, dass uns unbekannte Währungen, Wochentagsbezeichnungen und ein eigener Kalender vorkommen, der sich nicht in das uns bekannte Schema aus Wochen, Monaten und Jahren gliedert. Normalerweise könnte das überbordend und anspruchsvoll wirken. Gar schwer zu folgen, da es ja offenbar keine oder kaum Erklärungen dazu gibt. Tatsächlich bleiben all diese Fakten aber Randnotizen. Sie werden erwähnt und wir können sie einordnen („Muss wohl sowas wie der Sonntag bei uns sein“) und statten ganz nebenbei die Handlung und Welt Kvothes aus. Das ist stark gelöst. Und wenn man sich nicht sicher ist, was ein Caitelyn ist, ist das auch ok.


„Audible Backstage – Stefan Kaminski“, via Audible Deutschland (Youtube) – bevor ihr euch wundert: die Qualität des Hörbuchs ist natürlkich besser als die dieses Interviews 🙂

Das nächste angenehme sind die Charaktere. Die sind alle nicht perfekt. Kvothe hat eine Menge Fehler, die er auch von Anfang bis Ende einräumt. Patrick Rothfuss hat ein gutes Gespür für Menschen, ihre Entscheidungen und was sie umtreibt. Der Sprecher der deutschen Hörbuchausgabe Stefan Kaminski bringt das großartig rüber. Er schafft jeder Stimme eine individuelle Nuance und eigenen Charakter zu verleihen, sodass man sie wirklich zahlreichen auftretenden Personen unterscheiden kann und klingt dabei nicht so als ob er sich mühselig verstellen müsse. Die Spannungskurve, Rahmenhandlung und Legendenbildung trägt das übrige dazu bei.

Alleine durch das Foreshadowing, dass dieser Junge einmal Königsmörder sein wird, ist natürlich sofort Neugier geweckt. Dass Patrick Rothfuss das aufrecht erhalten kann, liegt am sympathischen Hauptcharakter, der das klassische Helden- und Aufsteigerepos-Klischee bedient. Kvothe hat zwischendurch nichts. Er ist traumatisiert, hat alles verloren, lebt auf der Straße – aber er ist begabt. Und macht aus seiner Tragödie das Beste. Danach beginnt ein langer Abschnitt, der ein gewisses Harry-Potter-Feeling mit sich bringt und viel Identifikationspotential hat. Wer von uns hatte es in der Schule nicht wegen irgendwas schwer? So rettet sich Patrick Rothfuss mit viel Können und einer Mischung die gefällt aus der Beliebig- und Formelhaftigkeit, die soviele Fantasy-Heldenepen bedienen.

Sehr sympathisch und ein Beispiel der Bodenständigkeit Rothfuss‘ und weiteres Zeichen seines Könnens ist, dass er mit der Legendenbildung bricht und sie als Mittel einsetzt. Verhältnismäßig früh erklärt er, dass Kvothe sich Gerüchte zunutze macht und selber den Eindruck erweckt als wäre er unverletzbar, obwohl er das nicht ist. Um nur ein Beispiel zu nennen. Das zeugt davon, dass sich der Autor bewusst ist wie überbordend oft Helden in Fantasy nur durch die stets nächst größere Superlative angreifbar sind und sich Fantasy stets selbst verletzt, indem es seine eigenen Grenzen aufweicht. Und es macht Kvothe ungemein sympathisch mit wieviel Schläue er durchs Leben geht.

Jetzt bereue ich es doch etwas, dass ich nicht gleich die schöne Schmuckausgabe gekauft habe, aber wer konnte denn ahnen, dass mich mal ein Fantasybuch dazu kriegt es weiterlesen zu wollen, obwohl es ein Mehrteiler ist? (Mehrteiler schrecken mich etwas ab.) Aber ganz ohne Kritik komme ich nicht aus. Denn eine Sache gelingt weniger gut: den Absprung schaffen. Kvothes Geschichte ist so überbordend mit Episoden aus dem Leben mit seinen Eltern als fahrende Schaustellergruppe, als Obdachloser Junge, als Schüler der Magie und Wissenschaften, als Musiker, das der erste Band nicht mal ansatzweise erklärt wie er mal zum Königsmörder wird. Es ebnet den Weg, es ist ein wahnsinnig unterhaltsamer und guter Prolog, aber es ist ein Prolog. Wie der Autor offenbar auch selber sagt. Sogar über die ganze Reihe. 🙂 (Quelle: tor.com) Das ist eine ganz neue Form von Ausführlichkeit und ja, fast schon Dekadenz. So ist man am Ende von Der Name des Windes einerseits traurig, dass der erste Band vorbei ist, weil er vorbei ist und zweitens, weil er vorbei ist und wir immer noch nicht wesentlich schlauer geworden sind, warum sich Kvothe später als Wirt ausgibt und eigentlich nicht über seinen beschwerlichen Weg sprechen wollte.


„Patrick Rothfuss: „If I didn’t care about the third book, you’d have it by now.“ (December 2020)“, via The Eolian (Youtube)

Angesichts dieser Masse an Handlung halte ich es wahrscheinlich trotz all der guten Zutaten wie mit „Das Lied von Eis und Feuer“ und werde vielleicht erst dann weiterlesen, wenn der letzte Band wirklich da ist. Es bricht einem allerdings fast das Herz, wenn man mitbekommt wie stark das Ausbleiben des dritten Teils Patrick Rothfuss selber unter Druck setzt. Von daher … kein Stress. Ein Pluspunkt für die Wahl des Hörbuchs ist im Übrigen aber, dass man nicht so hilflos dasteht bei der Aussprache der Namen 🙂

8 Antworten

  1. Für die Zwischenzeit empfehle ich die Osten Ard-Reihe von Tad Williams (beginnt mit „Der Drachenbeinthron“), die einst George R. R. Martin inspirierte. Tad Williams schließt seine Reihen tatsächlich ab! Er hat jetzt, 30 Jahre später, eine Fortsetzungstrilogie geschrieben, deren letzter Teil spätestens 2022 erscheint. 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Haha, er schließt seine Reihen wirklich ab!! Das sollte der Werbetext sein! 😉 🙂 Danke für den Tipp!
      Ich bin tatsächlich leider nicht so die große High-Fantasy-Leserin, aber ich werde mal zu „Der Drachenbeinthron“ nachlesen, was das Setting ist. Hast du zufällig auch schon mal darüber geschrieben!?

      1. Nein, nicht wirklich, ich habe die Bücher zum ersten Mal vor über 20 Jahren gelesen und sie letztes Jahr noch einmal gehört. Ich habe sie mehrfach erwähnt, aber keine Rezensionen geschrieben.

  2. Avatar von donpozuelo
    donpozuelo

    Das Buch steht auf meiner To Do Liste. Irgendwie will ich aber gerne warten, bis der dritte Teil veröffentlicht wurde, damit ich es am Stück lesen kann.

    Zu Hörbüchern stehe ich nach wie vor eher skeptisch. Weiß auch nicht, ob sich das mal ändern wird…

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Dito! Ich hadere auch ständig mit mir, ob ich es nun weiterlese/höre oder auf den letzten Teil warte. Meine Meinung dazu ändert sich fast täglich …

      Was stört dich an Hörbüchern?
      Ich finde die ausgezeichnet für Tätigkeiten, die anspruchslos sind (sauber machen, Kontoauszüge abheften, Schränke sortieren so kram, manchmal auch kochen, Gemüse schnippeln sowas) und bei denen man gute Unterhaltung möchte. Aber sobald man was macht, wo die Gedanken abdriften können, ist es auch für mich nicht mehr so praktisch und ich ärgere mich, wenn ich was verpasse. Deswegen greife ich bei Hörbüchern immer eher zu den Büchern, bei denen ich mir eh nicht sicher bin, ob sie zu mir passen oder mir gefallen würden. Aber das hier hat mir echt gut gefallen.

      1. Avatar von donpozuelo
        donpozuelo

        Ich kann nicht mal sagen, was mich daran stört. „Stören“ ist vielleicht auch das falsche Wort. Aber ich könnte wahrscheinlich nichts nebenbei machen, weil ich mich auf die Story konzentrieren will. Und da denke ich mir jedes Mal: „Dann kann ich es auch einfach selbst lesen“

  3. Hi Steffi

    Klingt ein wenig danach, als hättest du Vorurteile dem Fantasygenre gegenüber 😉
    Die von dir als Klischee beschriebenen Mechanismen locken Viellesende kaum noch hinter dem Ofen vor. Die Königsmörderchronik ist anders und ich freue mich sehr, dass du in diese phantastische Welt eingestiegen bist. Vielleicht wagst du es ja dann jetzt doch mal häufiger ins Genre, die richtige Wahl zu treffen ist jedoch nicht leicht. Da es hier auch erwähnt wurde, die Osten Ard-Reihe hat mich nicht sonderlich begeistert. Gut, aber nicht sooo toll. Meine Meinung.
    Vielleicht magst du aber in die dreifach Hugo-award prämierte Broken Earth- Reihe von N. K. Jemisin reingehen. Neu, frisch und sehr ungewöhnlich – nichts für Einsteiger oder alle, die klassische Fantasy erwarten.

    Es ist wie bei Comics, da sind auch nicht alle gleich – weißt du ja 😀

    Drücke dich, ganz liebe Grüße und pass auf dich auf
    Sandra

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Hi Sandra,
      Vorurteile würde ich nicht sagen. Fantasy leidet halt wie jedes Genre sehr stark unter den Tropen und wiederkehrenden, populären Mustern. Man denke nur an die Spielarten von Liebesfilmen und Romcoms. Aaaaah. Ein Hort aus bekannten Zeilen. Und wenn etwas sehr musterhaft ist, bin ich davon (wie denke ich viele Leser, Zuschauer) etwas enttäuscht.

      High Fantasy ist etwas bei dem ich schon vor langer Zeit feststellen musste, dass es nicht mein Lieblingsgenre ist. Sich selbst zu kennen ist ja nicht das schlechteste, oder? Urban Fantasy kriegt mich persönlich da schon mehr. Wenn du hier ab und zu reinschaust, kriegst du ja mit, dass ich Fantasy also nicht grundsätzlich abgeneigt bin. 😉 Vielen Dank jedenfalls für deine Tipps! Mit der Broken Earth Reihe habe ich tatsächlich schon mal geliebäugelt. Ich fühle mich nur immer so von Mehrteilern erschlagen. Schätze mal der Hang zu mehrteiligen Epen ist eine Konsequenz, die sich häufig aus breitem Worldbuilding ergibt.

      Danke dir! Fühl du dich auch gedrückt und bleibt gesund! 🙂

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