Brauch es wirklich noch einen Kommentar zu der Twitter-kalypse (wie Heise es nennt)? Vielleicht nicht. Aber andererseits ist das wohl gerade eins der großen Themen des digitalen Lebens, an dem man zur Zeit nicht vorbeikommt. Und habe ich nicht auch gerade neulich gedacht, dass meine Timeline deutlich stiller geworden ist? Dass ich deutlich schneller durchgescrollt war als sonst? Was? Alle schon bei Mastodon?? Ein Kommentar.
Status Quo
Dass meine Timeline ruhiger ist, weil wahrscheinlich schon alle auf Mastodon unterwegs sind, ist natürlich nicht erwiesen. Ich habe null Energie in das Prüfen der Aussage gesteckt. Ganz ernst gemeint war sie auch nicht. 😉 Netzpolitik.org fasste am 11.11.22 gründlich zusammen, was zuletzt auf Twitter los war: Zwei Wochen Twitter-Chaos unter Elon Musk. Dazu zählt, dass Musk Manager:innen entlassen hat. Außerdem die Hälfte der Belegschaft und das Team um Vijaya Gadde, dass sich maßgeblich gegen Hassrede einsetzt (Quelle auch: Die Twitter-kalypse – erste Schritte in Musks Everything-App X, heise.de). Ferner hat Musk den Begriff „verifiziert“ ad absurdum geführt, Home Office von heute auf morgen für viele abgeschafft und eine Menge Nutzer:innen und Werbekunden verloren. Erst heute als ich den Artikel schreibe, wird schon wieder daran rumgenummert, was eine Parodie ist und von der Twitter-Pleite gesprochen. Wow. Für die Einen ist es die Wiedergeburt der Meinungsfreiheit. Ich sehe hier einfach nur die Hütte brennen. Und es tut mir sehr leid um eine Plattform, die für mich sehr schnell die einzige wurde, die ich täglich frequentieren möchte.
Tatsächlich zählte auch ich zu denjenigen, die erleichtert waren als Musk vor Wochen das Interesse verloren zu haben schien. Dann war da aber der unsägliche „Let that sink in“-Tweet und der Rest ist Geschichte. Noch verfalle ich nicht in die Phasen der Trauer, aber ich ahne auch nichts Gutes. Cancel Culture ist real. Schon als über Elon nur gemunkelt wurde, tweeteten schon viele in meiner Timeline ihre Mastodon-Handles. Nicht alle verabschiedeten sich aber. Irgendwie ist es ja auch etwas spannend beim Brennen zuzuschauen, oder? Es hat schon etwas witziges und irgendwie krankes, dass jetzt ein Mann einen Tech-Konzern leitet, der wie folgt über Versionsverwaltung denkt. Ich erspare mir dazu jeglichen Kommentar. Weil sein Meme könnte ja auch Ironie sein. ^^ Richtig?
— Elon Musk (@elonmusk) November 5, 2022
Die einen nennen es Freiheit, die anderen Größenwahn
Twitter has had a massive drop in revenue, due to activist groups pressuring advertisers, even though nothing has changed with content moderation and we did everything we could to appease the activists.
Extremely messed up! They’re trying to destroy free speech in America.
— Elon Musk (@elonmusk) November 4, 2022
Tatsächlich sieht sich Musk als einen Messias der Meinungsfreiheit und entscheidet damit kurzerhand die Debatte über Freiheit oder Sicherheit. Denn… wo es genug Menschen gibt, die sich respektvoll verhalten, da reguliert sich doch ganz einfach das System von selbst, nicht wahr? Nein. Weil dann die Verletzten alle schon längst ausgestiegen sind und die nicht respektvollen bleiben. Gamergate, Querdenker-Hashtags, you name it. Wenn das dann besser ist? Schaut man unter seine Tweets, hagelt es dort Kritik. Genauso wie in der Öffentlichkeit. Aber es gibt auch jede Menge Zuspruch von denen, die in der Vergangenheit reportet wurden. Quelle? Einfach mal unter die verlinkten heise-Artikel in die Kommentarspalte schauen. Musk gibt Nutzer:innen das Gefühl eine Art Mitspracherecht zu haben, auch wenn das nicht stimmt. Und das kommt an.
Twitter is
— Elon Musk (@elonmusk) November 12, 2022
Nilay Patel hat auf The Verge (Welcome to hell, Elon) eine Annahme getroffen, die ich teile: „I say this with utter confidence because the problems with Twitter are not engineering problems. They are political problems. Twitter, the company, makes very little interesting technology; the tech stack is not the valuable asset. The asset is the user base: hopelessly addicted politicians, reporters, celebrities, and other people who should know better but keep posting anyway. You! You, Elon Musk, are addicted to Twitter. You’re the asset. You just bought yourself for $44 billion dollars.“
Weiterhin heißt es in dem Artikel „The essential truth of every social network is that the product is content moderation, and everyone hates the people who decide how content moderation works.“ Es hat letzten Endes nur zwei Wochen gedauert bis große Werbekunden abgesprungen sind. Weil niemand in einem Netzwerk bleiben will, das den Anschein erweckt, dass Rassismus, Diskriminierung, anderer Ableism und Desinformation möglich ist. Weil nur wenn laute Gruppen den Anschein erwecken sie seien die Mehrheit, sind sie nicht die Mehrheit. Diejenigen, die den Trend haben kommen sehen, nannte Musk in einem Tweet „Aktivisten“, die Werbekunden beeinflussen und die Plattform defamieren würden. Naja, was gibt es da zu defamieren, wenn es reicht die Lage darzustellen? Stündlich rollen Informationen über eine prekäre Arbeitslage innerhalb Twitters rein. Aus verschiedenen Quellen. Darunter ist kein Lob für Musks Management-Handhabe. Dass Musk aber Begriffe gern dehnt oder kreativ verwendet, zeigt schon sein Verifikations-Streich.
Was heißt schon „verifiziert“?
Native speaker bin ich nicht, deswegen konsultiere ich mal welche, die es besser wissen. Das Oxford Learner’s Dictionary sagt über den englischen Begriff „verification“: „the act of showing or checking that something is true or accurate“. Die Funktion wurde vor Äonen eingeführt, um eine Identität zu verifizieren und somit zu garantieren, dass hier kein „fake“ Profil unter dem Namen einer Person schädigende Meinungen verbreitet – um nur einen Fall zu nennen, aus dem Verifikation Sinn macht. Wer verifiziert ist, hat ein blaues Häkchen im Profil. Das blaue Häkchen zu bekommen erforderte bisher eine Identifikationsprüfung.
Eine der ersten großen Amtshandlungen Musks war das das blaue Häkchen von der Prüfung zu entbinden und statt Verifikation in ein Abo-Modell umzuwandeln. Jetzt bekommt man das Häkchen für 8$ im Monat. Das einzige, was es verifiziert ist, dass du in der Lage bist 8$ im Monat für Twitter zu erübrigen. Wahrheit ist käuflich geworden. Zig Fake-Profile von Personen des öffentlichen Lebens und gar Firmen haben in kürzester Zeit demonstriert wie absurd das ist. (Quelle: Twitter will am Freitag Entlassene schon wieder zurückholen, Heise.de | Twitter bans comedian Kathy Griffin for impersonating Elon Musk, The Guardian)
Cancel Culture oder Abwartehaltung?
Ob man Twitter schon abschreiben muss? Das ist sowieso eine Individualentscheidung. Ich persönlich bin nicht bereit dazu, weil ich einfach das Netzwerk aus Menschen, die ich kenne; anderen Bloggenden, Film- und Buchbubble wie auch Künstler:innen, Info-Seiten und schlauer machenden Profilen, aber auch Fun-Profilen auf Twitter nicht verlieren will. Stattdessen denke ich eher, dass Musk in absehbarer Zeit sein Spielzeug langweilt wird. Oder eher, dass er Twitter wie eine heiße Kartoffel fallen lässt, weil es nicht so funktioniert wie er will. Hashtag big fail. Für mich heißt es bisher Abwarten. Und ich gestehe, dass ich die Hoffnung hege, das viele es aussitzen können und wollen. Fraglich ist nur: wird Twitter bis dahin pleite sein?
Alternativen
Wer doch dem Zwitschern den Rücken zukehren will, hat im Grunde die Wahl zwischen einer Menge sozialer Netze ohne Garantie, dass die vertrauten Profile dort auch vertreten sind. Leider ist es eher unwahrscheinlich alle unter einem Dach zu finden. Das Netz der Wahl ist für manche vielleicht Tumblr, für andere Instagram, Mastodon oder Discord. Über Facebook rede ich nicht mehr. WordPress könnte ein Go-To-Netzwerk sein. Wenn dann aber wohl eher für Bloggende und Blog-Leser:innen. Es wird erwartungsgemäß aber selten in dem Kontext erwähnt, weil der Community-Aspekt fehlt, wenn man nicht mindestens einen Feedreader in die Gleichung nimmt.
Tumblr leistet das als eine Art Microblog-Community. Wie bevölkert Tumblr noch ist, kann ich nicht sagen. Es litt an einem ähnlichen Imageverlust nach diversen Policiy-Anpassungen und Wechsel der Führung. Instagram ist so weit so bekannt ein sehr bildlastiges Netzwerk, das ich persönlich gerade deswegen als sehr ausschweifend, zeitraubend und zu werbelastig empfinde. Discord ist ein Chat-Tool mit in der Tat enorm vielen Funktionen und möglichen Add-Ons. Aber es ist auch „fenced“ in dem Sinne, dass man sich einen Server suchen (oder selber aufsetzen muss), dem man beitreten will. Man kann mehreren Communitys bzw. Servern beitreten. Das kann schon etwas unübersichtlich werden.
Die wohl relativ offensichtliche Wahl ist Mastodon, das im Grunde genauso funktioniert wie Twitter, werbefrei und selbstverwaltet ist. Selbstverwaltet = „federated“ ist auch die Bezeichnung für das sogenannte Fediverse, dessen Prinzipien Mastodon folgt. Ähnlich Discord wählt man einen Server und sieht allerdings sowohl die Nachrichten des Servers, mit dem man sich verbindet, als auch die von Hashtags und Profilen, denen man folgt, etc. Man ist also im Unterschied zu Discord nicht nur an die Profile gebunden, die auf demselben Server angemeldet bzw. diesem beigetreten sind. Die Begriffe sind anders (Tweet ist Trööt, retweeten ist boosten, etc.), der Look ist Twitter sehr ähnlich (siehe oben – Screenshot des Mastodon-Profils des Künstlers Simon Stålenhag) und der Einstieg einfacher als es klingt. Die größere Hürde ist wohl den Server zu finden, der zu einem passt und (für mich viel schlimmer) die Profile wiederzufinden, die man aus anderen Plattformen kennt. Mastodon ist großartig, entschleunigt, unabhängig und ich habe bisher nur von respektvollem Umgang gehört. Kleiner Haken: Direktnachrichten sind nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt und damit praktisch lesbar für Server-Inhaber. Hilfreiche Anleitungen haben diverse Webseiten aufgestellt, die ihr nachfolgend verlinkt findet. U.a. auch wie man Profile aus Twitter wiederfindet:
FAQ: Wie funktioniert die dezentrale Twitter-Alternative Mastodon?, heise.de
Umzug zu Mastodon: So schwer ist es nun auch nicht, Netzpolitik.org
Ausgezwitschert: Mastodon als dezentrale Alternative zu Twitter, heise.de
Auf Mastodon umzusteigen erscheint komplizierter als es dann tatsächlich ist, wenn man sich ein paar ruhige Stunden dafür nimmt. Letzten Endes steht und fällt der Umstieg aber wohl mit dem Netzwerk und Profilen, die man findet oder eben nicht. Was ich an Mastodon mag ist, dass jeder Server Regeln hat, die befolgt werden müssen. Aber ich gestehe auch, dass ich durch die andere Aufstellung von Profilen nicht das Gefühl habe einen Ersatz für Twitter darin gefunden zu haben. Wie steht ihr zu Elon und Twitter? Cancelt ihr oder beobachtet das ganze auch noch etwas aus der Ferne?
Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂
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