Dafür liebe ich unsere kleine Buchbubble so. ♥ Es war Ute, die mir auf Bluesky Chuck Tingles Roman „Bury Your Gays“ empfohlen hat. Ihr „das könnte dir gefallen“ passte – es hat mir sogar sehr gut gefallen! „Bury Your Gays“ verspricht Kritik an der Unterhaltungsindustrie, den Umgang mit der LGBTQ+ Community und Horror. 🎃
Bury Your Gays beginnt mit dem Drehbuchautoren Misha, der wenig Zeit hat sich über seine erste Oscar-Nominierung zu freuen. Denn zeitgleich bekommt er eine Ansage von ganz oben zu den Skripten, die er für eine lang laufende Horrorserie schreiben soll: Bury Your Gays! Bittere Ironie, dass er genau das tun soll, was seit Jahren, ach Jahrzehnten, in der Film- und Fernsehwelt als problematisches und verachtenswertes Trope angeprangert wird. Er soll die queeren Charaktere im Skript umbringen, die gerade erst ihr Coming Out erfahren haben bzw. zueinander gefunden haben. Super-Villain-Shit? Irgendwie schon. Findet auch Misha und weigert sich. Danach häufen sich aber seltsame Begebenheiten. Ein anderer Filmschaffender stirbt vor seinen Augen auf groteske Weise und auch Misha wird plötzlich von Personen verfolgt, die er anfangs für Stalker in Cosplay hält. Aber deren Cosplay erweist sich irgendwann als zu gründlich. Seine eigenen Charaktere scheinen ihn zu verfolgen. Und da Misha ein hervorragender Horrorautor ist, wird es nicht einfach denen zu entkommen. Erwartet ihn ein grauenvoller Tod?
In Bury Your Gays steckt viel. Zum Einen ist es verblüffend, dass Misha für sein erstes Short Film Script nominiert wird, das nicht dem Horror-Genre zuzuordnen ist. Eigentlich hat er sich einen Namen mit seinen Horrordrehbüchern gemacht. Dass dem Horrorgenre oftmals wenig außer Shock Value zugetraut wird, debattiert er und kontert im Laufe des Romans mit einer glühenden Rede Pro-Horrorgenre. Darin erwähnt er wie das Genre die Chance hat uns gegen den realen Horror des Lebens abzuhärten. Es geht nicht nur um Tod, sondern um so viel mehr. Im Laufe der Handlung erfahren wir außerdem, welche seiner Figuren und Skripte von Erfahrungen in seinem eigenen Leben inspiriert sind. Darin steckt viel der Horror des Realen. Und vieles steht in Zusammenhang mit der Diskriminierung und den Enttäuschungen, die er durch Mitmenschen erfahren hat, die seine Homosexualität nicht hinnehmen wollten.
Bury Your Gays zieht damit eine großartige Parallele zu Mishas bisherigem Unvermögen sich zu outen. Die Vergangenheit sitzt ihm einfach zu arg im Nacken wie auch die Frage: was passiert in der Industrie, wenn er das tut? Zusammen mit der gleichzeitigen Bedrohung durch sein eigenes Werk lastet auf Misha ein enormer Druck, den er mit zwei großartigen Sidekicks meistert. Seinem offenbar absolut perfekten Partner und seiner besten Freundin Tara, die asexuell ist und eine fähige Hackerin. Dass das sehr musterhaft wirkt: ein Pun. Man lernt schnell, dass das kein lauer schriftstellerischer Ausweg ist, sondern gewollte Satire – und dann auch noch sympathische. So wird es ein Running Gag Taras, dass man immer die asexuellen Personen vergisst und der wird konsequent bis zum Ende durchgezogen. Tara werde ich nicht vergessen. 😉
Zu den anderen Kniffen Tingles gehört, dass er trotz der stark im Vordergrund stehenden Kritik an der Unterhaltungsindustrie auch typische Horror-Tropen einbindet. „Death of a Security Guy“ beispielsweise, um nur eins zu nennen. Natürlich auch die Suche nach etwas, das den Fluch bricht. Misha sollte hier als gedanklicher Schöpfer der Kreaturen eigentlich die beste Anlaufstelle sein. Aber es wirkt so, als ob er und seine Herzensmenschen sabotiert werden. Alles spielt gegen sie. Die Auflösung ist bittere Satire und Kritik an der Unterhaltungsindustrie, die Gehör findet. Bury Your Gays ist mir seit Utes Empfehlung stets und ständig begegnet – zu Recht. Es macht Spaß, es ist eine überdeutliche Botschaft und ist guter Horrorstoff. Das einzige, was mich etwas zwiegespalten zurücklässt ist der Umstand, dass man vor Allem im letzten Drittel meint einige Male ein Ende zu erahnen, die Handlung aber weiterläuft und noch einen drauf setzt. Nach anfänglicher Verwunderung, empfand ich die alle aber am Ende doch als lohnenswert.
Wie so oft bei Autor:innen, von denen ich noch nichts kenne, habe ich mir den Stoff als Hörbuch genehmigt. Das erschien bei Macmillan Audio und wird von mehreren Sprechern vertont und macht Spaß. Sowohl komische, als auch dramatische und schaurige Momente kommen zur Geltung. Chuck Tingle ist übrigens ein (wie könnte es anders sein) Pseudonym. Tingle hat sich schon zuvor durch Horror und Queer Erotica einen Namen gemacht, reichlich Gesellschaftskritik und welche an der Unterhaltungsindustrie geübt und eine Donald Trump Fact Checking Webseite veröffentlicht. Tingle wird einem immer sympathischer, oder? 😊 Und Bury Your Gays ist einfach smart konzeptioniert. Wer bisher noch zu wenig Argumente hat, denjenigen gebe ich noch eins: man kann in den fiktiven erwähnten Filmen und Serien im (Hör)Buch einige sehr reale Hypes erkennen wie beispielsweise Akte X oder den Umstand, dass sich die Industrie tatsächlich selbst kannibalisiert. Siehe hierzu meinen Beitrag zu „Undeading“. Ich habe mit Sicherheit bei Weitem nicht alle Referenzen erkannt.
Ute, falls du das liest: vielen Dank nochmal für den Tipp. 😀 Kennt ihr „Bury Your Gays“ oder Chuck Tingle vielleicht schon?
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