Früher schlummerte in mir der Wunsch Anne Rices Interview with the Vampire zu lesen. Dann wurden Vampire aber dank Twilight uncool und ich bemerkte, dass ich eh nicht gern Reihen lese. Die Chronik der Vampire sollte ein Olymp sein, den ich nie besteigen würde – da war ich mir sicher. Bis ich letztes Jahr die erste Staffel der Serienadaption schaute. Zwar sollte ich später erfahren, dass die auch recht anders als Buch und Film sind, aber das Interesse war wieder da. Wer ein TLDR; braucht: mir hat das Buch nach anfänglichen Gewöhnungsschmerzen sehr gut gefallen. Aber die Reihe lese ich mit großer Wahrscheinlichkeit trotzdem nicht weiter. Übrigens hatte ich tatkräftige Unterstützung – Sabine und ich haben das Buch in einer kleinen, spontanen Leserunde zusammen gelesen. 😊
„I don’t believe I want to give simple answers.“ (p. 5)
Das ist das Motto des Buches, das nicht zufällig heißt wie es heißt. Wahrscheinlich kennen die meisten von uns die Handlung. Ein Mann namens Louis de Pointe du Lac gibt sich als Vampir aus und beginnt einem Reporter seine Geschichte zu erzählen. Der ist anfangs skeptisch, nach einer kurzen Machtdemonstration aber glaubt er ihm und hört fasziniert zu. Louis erzählt von seiner Zeit als Plantagenbesitzer in New Orleans, davon wie ein Vorfall in seiner Familie ihn erschütterte und er lebensmüde wurde. Wie ein Vampir namens Lestat auf ihn zukam und ihm seinen Todeswunsch erfüllen wollte. Wie Louis zustimmte, aber nicht ahnt, dass er dem ewigen Leben einwilligt und sich in einer (mehr oder weniger) Wahlfamilie mit Lestat wiederfindet, angewidert von den eigenen Fähigkeiten und stets bemüht sich zu verstecken. Wie ihre Wahlfamilie größer wird, sie umziehen müssen, Antworten über ihre Existenz suchen. Es ist eine Reise aus der Louis anders hervorgehen wird als er anfing und die ihn aus Gründen dazu bringt davon zu erzählen, was es wirklich bedeutet ewig zu leben.
„Evil is always possible. And goodness is eternally difficult.“ p.13
Das klingt toll, aber warm geworden bin ich damit anfangs nicht, obwohl ich sehr motiviert an das Buch ranging und mir mantra-artig sagte „es wird nicht wie die Serie sein, weil es nicht die Serie ist“. Der Anfang erschien mir dennoch zäh. Nicht, weil er langsam war, sondern weil er zu schnell abgespult wurde. Kaum liest man von Louis Todeswunsch, da wird er schon ein Vampir. Ich kam nicht aus dem Modus das Buch mit der Serie vergleichen zu wollen, wo alles etwas mehr Raum einnimmt. Zwischen Louis und Lestat schien wenig Anziehung oder Sympathie zu herrschen und es war mir anfangs schleierhaft warum sie zueinander halten. Dass Louis in der Rahmenerzählung seinen Interviewer „Boy“ nennt, wirkt sehr distanziert und von oben herab. In der Theorie erschließt sich mir das alles. Natürlich hat er sich über Jahrhunderte von Menschen distanziert. Es macht deutlich: er sah sich lange als einen, hat sich seine Menschlichkeit bewahrt, sie ist ihm aber am Ende verloren gegangen. Es gibt eine Distanz zwischen ihnen. Langsam verstand ich – auch warum er so an Lestat klebt, obwohl er ihn offenkundig auch nicht ausstehen kann („I disliked him intensely!“ p. 32). Es ist einfach niemand anders da, der versteht, was er durchmacht, wie er lebt, was er braucht, wer er war. Und ab dann war es auch einfacher das Buch als das Buch und nicht nur als die Vorlage zu sehen.
„Evil is a point of view“ (p. 87)
Nach dem (für mich holprigen) Einstieg, schien der Roman aber voller Oneliner und weiser Zeilen zu sein, die ich mir irgendwo (hier) aufschreiben möchte. Und überraschend brutal. Ist man aus den Vampir-Fantasy-Stoffen um die 2000er Jahre eher Bilder von schönen Vampiren gewöhnt, bringt es den Akt des Mordes, des Raubes und des Raubtierhaften zurück. Es gab stellen, da taten mir die Opfer der Vampirclique tatsächlich leid. Auch andere Aspekte des Vampirseins bekommen durch Anne Rices Wortwahl Gestalt. Sie vermittelt das Gefühl mit der Zeit nicht mehr mitzukommen, in der Gegenwart nicht mehr daheim zu fühlen. All das gibt der Müdigkeit gegenüber dem ewigen Leben Profil, die v.A. aber nicht nur Louis empfindet.
„What can the damned really say to the damned?“ p.165
V.A. vermittelt es glaubhaft wie sehr die wenigen ihrer Art versuchen zusammenzubleiben und sich aneinander festzukrallen. Die Unwissenheit über das Entstehen ihrer Art ist etwas eigenes, schreckliches und hier in Worten greifbares. Für Louis stellt es persönlichen Horror dar wenig Wissen über die Welt zu haben und doch später zu erlangen: hat denn wirklich niemand eine Idee, ob sie Kinder Gottes oder Satans sind? Ob es Gott gibt? Wo doch einige von ihnen so alt wie die Welt zu sein scheinen? In all diesen Aspekten erkennt man die Faszination, die Anne Rice mit ihrem Buch ausgelöst hat. Und kann sie dank der moralisch aufgeladenen Gedankenwelt Louis und der Begegnungen, die er im Laufe der Zeit macht, nur zu gut nachvollziehen.
Interview with the Vampire wird v.A. auch als ein erotisches Buch beschrieben – ist es das? Auf die eine oder andere Weise schon. Zum Einen habe ich selten ein Vampirbuch gesehen, dass den Akt des Blutsaugens als so körperlich, lebensspendend, teilweise aber auch brutal beschreibt. Erotisch hatte ich bis dahin immer mit der Vorstellung verbunden, dass es zwischen Lestat und Louis körperlich werden würde. Das waren ganz falsche Vorstellungen des Buches und ihrer Beziehung. Zwischen ihnen ist alles viel subtiler, schwieriger und verzweifelter auf einer Ebene der Verbundenheit und „gemeinsamen Geschichte“. Aber ja: es gibt Beziehungen in dem Buch, nur andere. Und ja, es ist erotisch. In der Weise wie sie von Blut, von Chancen und widerwillig vom Überlebensinstinkt angezogen werden. Louis verwehrt sich aus moralischen Gründen lange der Jagd und allem, was damit einhergeht. Irgendwann aber nicht mehr erfolgreich.
„Let the flesh instruct the mind“ p.120
„Life in death – it was monstrous“ (p. 195)
Anne Rices Art und Weise all diese Aspekte zu beschreiben macht fast besoffen vor Onelinern über Moral, Überleben und dieses dekadente Leben der Vampire. Es hat Spaß gemacht es zu lesen und mir wurden alle Charaktere, selbst Lestat, nahbar. Sabine und ich hatten gefühlt in unserer Leserunde ein sehr ähnliches Empfinden über die Geschehnisse. Zwei Paar Augen sehen mehr, so sahen wir manchmal gemeinsam das Queer Coding, manchmal erhellte mich Sabine über die einen oder anderen Passagen aus ihrer Sicht. Wir waren uns auch einig, dass Lestat ein schwieriger Charakter ist und er nicht die Sympathie oder Faszination greifbar macht, die Anne Rice wohl dazu bewegt hat ihm in den „Chroniken“ noch so viele weitere Bücher zu widmen. Er erschien hier über weite Strecken eher wie ein unreifes Kind. Später sollten wir lernen, dass das vielleicht auch so beabsichtigt ist. Dass Lestats Reise eine längere ist.
Und doch muss ich sagen: wenn ich lese, dass ein Teil der Reihe Prince Lestat und ein anderer Prince Lestat and the Realms of Atlantis heißt, dann möchte ich am liebsten Reißaus nehmen. Zu sehr erscheint es mir wie das Ausstaffieren eines Mythos (und einer Geldmaschine) mit Hängen und Würgen und noch so hanebüchenen Ideen. Finde ich Atlantis faszinierend? Klar. Aber Lestat in Atlantis? What the … nein? Es würde mir helfen, wenn mir jemand erzählt, dass die Bücher dann so sind wie ich dieses hier erlebt habe und nicht so kitschig wie das Bild, was mein Kopf zeichnet, wenn ich die Titel höre. So ist das erste Buch für mein Empfinden seinem Ruf gerecht geworden, aber die Reihe löst bei mir immer noch Fragezeichen aus.
Fazit
Wird seinem Ruf gerecht: es ist ein Abgesang auf Unsterblichkeit, eine Abrechnung mit der schwarzweiß-gemalten Vorstellung von Gut und Böse in einem sinnlichen Kleid.
Besprochene Ausgabe: ISBN 978-0-345-40964-5, Ballantine Books
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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