Serien-Besprechung: „Interview with the Vampire“ Season 1

Als die erste Meldung publik wurde, dass „Interview mit einem Vampir“ nochmal als Serie aufgelegt werden würde, hielt ich das für höchst unnötig. Jetzt habe ich sie gesehen und halte sie für absolut nötig! Die Besprechung ist spoilerfrei.

Die Serie beginnt mit dem Journalisten Daniel Molloy (Eric Bogosian), dessen Glanzzeiten zu Ende zu sein scheinen. Krankheitsbedingt hat er sich weitestgehend zurückgezogen. Da erreicht ihn eine Einladung nach Dubai von einem alten Bekannten. Louis de Pointe du Lac (Jacob Anderson) will das Interview zu Ende bringen, dass sie vor fast fünfzig Jahren begonnen haben. Als Molloy der Einladung folgt, ist Louis wie bereits erwartet, um keinen Tag gealtert. Sehr wohl aber wurde er geerdet, hat nun eine etwas andere Sicht auf die Dinge – was auch Molloy nicht entgeht. Louis erzählt ihm noch einmal die Geschichte wie er Lestat de Lioncourt (Sam Reid) begegnete und zu einem Unsterblichen, einem Vampir, wurde.

Anne Rice’s Interview With The Vampire – Official Trailer (2022) Jacob Anderson, Sam Reid, IGN Movie Trailers, Youtube

„The Devil is in New Orleans.“

Und das lebt die Serie sehr ausführlich und in einer Form in der sich der Film gar nicht die Zeit nehmen konnte. Wir erleben New Orleans 1910 als einen Ort von Rassentrennung, in wirtschaftlichen schwierigen Zeiten. Aber auch als einen mit flirrenden Festen und Mardi Gras. New Orleans ist hier ein heimlicher Protagonist, nicht nur Kulisse. Während Louis im Buch ein weißer Plantagenbesitzer ist, der somit auch selber Sklaverei betrieb/billigte, ist Louis hier selber afrokaribischer Herkunft. Er hat es erwartungsgemäß schwer in der damaligen Zeit ein Geschäft in New Orleans aufzubauen. Vom Plantagenbesitzer wurde er hier zum Chef mehrerer Bordelle. Ihm ist bewusst, das wegen seiner Hautfarbe auf ihn herabgesehen wird und er verschweigt, dass er homosexuell ist. Louis ist damit als intersektionaler Charakter in der damaligen Zeit umso mehr eine Figur, die vor dem Gesicht der Öffentlichkeit versucht eine Maske zu tragen und sich zu verstecken, aber doch nach Anerkennung und Wahrnehmung lechzt.

Gefundenes Fressen für Lestat, der all diese Begierden lesen kann und ihm die ersehnte Aufmerksamkeit schenkt. Es beginnt eine Liebesgeschichte, eine Leidenschaft, aber auch eine Abwärtsspirale. Molloy wird fünfzig Jahre später in Dubai einer der größten Kritiker von Louis, der nicht zu Unrecht den Vergleich zu einer Abhängigkeitsbeziehung oder gar häuslicher Gewalt zieht. Nichtsdestotrotz kostet Louis Macht – spätestens als er Lestat nachgibt und selber ein Vampir wird. Was passiert mit einem Mann, der nun die Machtverhältnisse in New Orleans umkehren kann?

„We’re a family.“

Lestat gibt Louis viel, aber fordert auch viel. Somit kann die Serie alles: Leidenschaft genauso wie Blutfontänen in opulente Bilder packen, aber auch Fucked Up Ideen von Liebe formulieren. Und diese kritisieren. In vielerlei Hinsicht hat die Serie damit einen wachen Blick, einen der die Charaktere sieht und gesellschaftliche Faktoren adressiert, die auch heute noch Gewicht haben. Beispielsweise missbräuchliche Beziehung, Diskriminierung und Identität in Verbindung mit Intersektionalität. Und nach der Romanze … folgt der Krimi. In dem spielt Bailey Bass als Claudia eine größere Rolle und ich habe sehr genossen das zu sehen.

Fans der Bücher werden sicherlich die Stirn runzeln und sich sagen: schon wieder eine nicht ganz buchgetreue Verfilmung, wenn man alleine hört, dass die Handlung einige Jahrhunderte nach vorn verlagert wurde. Aber andererseits sind viele Aspekte hier deutlich mehr im Sinne der Vorlage. Seine Charaktere scheint die Serie viel mehr gesehen zu haben und in sie zu investieren. Was die Beziehung zwischen Lestat und Louis betrifft, gibt es hier keine vorsichtigen, angehauchten Andeutungen, sondern Cast & Crew scheut sich nicht Lestat und Louis als offen bi- und homosexuell zu zeigen und zumindest in dem Punkt vorlagengetreuer zu sein. Auch das rückwärtige Betrachten des ersten Aufeinandertreffens von Molloy und Louis hat einen netten Blickwinkel, der den Film oder das Buch dezent als eine mögliche Sicht auf die Dinge einbezieht. Und Sichtweisen ändern sich. Die letzte Episode wartet zudem mit einer Überraschung auf, die ich einfach nur sehr gelungen finde. Die Serie bildet zusammen mit Mayfair Witches eine Adaptionsreihe aus Anne Rice Romanen unter dem Titel Immortal Universe.

Mein einziger Kritikpunkt ist, dass die Qualität der einzelnen Episoden schwankt. In manchen hat sie spannend inszenierte Schlüsselmomente, ein tolles Spiel mit Farben – erwartungsgemäß v.A. mit Blutrot. Das Intro vermittelt ein Gefühl von Bedrohlichkeit. Die darin dargestellten zwei Skylines (USA und Dubai?) wirken wie ein Mund, der uns zwischen seinen Zähnen verschlingen will. Bei all dem gibt es aber einige Episoden, die dagegen gerade inspirationsfrei inszeniert sind. Glücklicherweise wenige. (9/10)

Sternchen-9

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Wer das oben noch nicht rausgelesen hat: ich bin gehyped und warte schon auf die zweite Staffel, die 2024 erscheinen soll. Habt ihr die Serie geschaut und wie hat sie euch gefallen? Seid ihr Fans der Bücher? Oder des Films? Die Besprechung ist Teil des „Booleantskalenders“ – der Link führt zu allen Beiträgen und am Ende hoffentlich jeder Menge Lesestoff für Dezember.

6 Antworten

  1. Ahh spannend – wäre an mir vorbeigegangen. Habe mir die Anne Rice Romane für 2024 schon mal bereit gelegt, die möchte ich noch mal lesen und dann Film und Serie dazu schauen. Bin sehr gespannt – danke für den Tipp 🙂

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Uuuuh gib mir Bescheid, falls du eine lockere Leserunde machen willst. Ich plane auch zumindest den ersten Band der Reihe zu lesen. Eben gerade wegen der Adaptionen von „Interview with the Vampire“ und weil ich neugierig bin wie es weitergeht. Es hat ja doch bei Weitem mehr Teile als man aus bisherigen Verfilmungen kennt.
      Das wird dann also Themenjahr bei dir? Wenn du noch mehr Vampir willst, kann ich den Manga #DRCL sehr empfehlen. Erst dieses Jahr in Deutschland erschienen.

      Bei mir wird es vielleicht auch Themenjahr! Ich schleiche schon so lange um „Der Historiker“ rum.

      1. Ich gebe Dir Bescheid! Leserunde klingt super 🙂
        Falls Du dieses hier meinst – das fnad ich klasse!
        https://bingereader.org/2021/12/15/15-turchen-the-historian-elizabeth-kostova/

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Ja, das meine ich! Danke, das beflügelt mich gleich nochmal mehr mir den Wälzer vorzunehmen 😀

  2. […] es wohl eine der überflüssigsten Neu-Verfilmungen. Habe ich auch mal gedacht. Aber ich fand die erste Staffel großartig und kann die zweite kaum […]

  3. […] Interview with the Vampire Season 1 […]

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