Das gehörte Wort … Hörbuch-Besprechung zur „Die drei Sonnen“-Reihe von Liu Cixin

Lange Zeit hat es mir gereicht die Serie zu kennen. Es gab zu vieles, was mich an den Büchern schon im Vorfeld mit gespaltener Meinung erreicht und zurückgelassen hat. Dann aber schwärmte ein Mitglied meines Buchclubs von den Hörspielen. Fast wäre meine Wahl auch auf dieselben gefallen bis ich gesehen habe, dass die stark gekürzt sind. So landete ich bei den Hörbüchern von Random House Audio, gelesen von Mark Bremer. Die Besprechungen sind „in sich“ weitestgehend spoilerfrei – lest im Zweifelsfall nur die Besprechung des ersten Teils.

Teil 1: Die drei Sonnen

Der erste Teil der „Die drei Sonnen“-Reihe beginnt mit der Astrophysikerin Ye Wenjie, die unter den Umbrüchen und Repressalien im China zur Zeit der Kulturrevolution (ab den 1960ern) leidet. Währenddessen stolpert in der Gegenwart ein Nanowissenschaftler über einen beunruhigenden Effekt, der einen Hinweis darüber gibt, warum überall in der Welt Personen aus Wissenschaft und Forschung umkommen. Darüber hinaus nimmt er am Virtual-Reality-Game Three Body teil und entdeckt einen unerwarteten Zusammenhang, der das Leben auf der Erde und die Sicht auf das Universum für immer verändern wird.

Die verschiedenen Handlungsstränge (es gibt noch mehr als die aufgezählten) laufen alle irgendwann zusammen und bieten bis dahin ein ansprechendes Rätsel darüber, worauf das Ganze hinausläuft. Dabei wechseln sie sich ab und haben (am Ende betrachtet) eine faszinierende Prämisse, die Lust auf die kommenden Teile der Reihe macht. Da alles was hier vorbereitet wird globale Auswirkungen katastrophaler Natur hat, ist es eher unglaubwürdig das alles in einem exklusiv China-zentrierten Setting zu lesen und wirkt einfach sehr biased. Die Konstrukte und Ideen sind faszinierend und Reichen von Ausflügen in die (Astro-)Physik, Materialwissenschaften und Informatik, um nur einige Zweige zu nennen. Manche der Ideen werden aber schmerzhaft über-erläutert bis sie stellenweise langweilen (der menschliche In-Game-Computer, Sophon, der Plan mit dem Schiff). Anderes folgt strikt chinesischer politischer Norm (Kulturrevolution kritisieren ok, Kommunismus natürlich nicht) – zumindest soweit ich das einschätzen kann. In Summe ist Die drei Sonnen wirklich gute Science-Fiction, hat aber viele Fußnoten, an denen sich die Geister sicherlich scheiden und die hier und da vor den Kopf stoßen.

Teil 2: Der dunkle Wald

Der dunkle Wald beginnt in einer Gegenwart, die in ca. 400 Jahren der Ankunft der Trisolarier entgegensieht und auf verschiedene Weise damit umgeht. Händeringend Lösungen suchen – oder aufgeben und abhauen? Die Gesellschaft schließt sich endlich international zusammen, um das Wandschauer-Programm zu starten. Darin sollen vier strategisch bewanderte Personen einen Plan zur Rettung der Menschheit bzw. dem Vereiteln der trisolarischen Pläne geschaffen werden, für die unbegrenzt Mittel bereitstehen, die aber nicht nach außen gelangen dürfen. Diesen Plänen zu folgen ist ein essentieller und großer Bestandteil des Buches. Allerdings auch die Strömung des Eskapismus bzw. Defätismus, d.h. der Versuch von Personen, die Erde zu verlassen.

Im Gegensatz zum Vorgänger richtet der zweite Band der Reihe das Science in Science-Fiction mehr in andere Bahnen wie Soziologie und gesellschaftlichere Themen, denn naturwissenschaftliche. Am ehesten finden sich noch naturwissenschaftliche Aspekte als es einen kleinen Blick in die Zukunft der Menschheit gibt. Liu Cixin trifft dabei einige riskante Entscheidungen wie einen gewaltigen Zeitsprung mitten ins Buch zu schreiben. Insgesamt hadere ich aber immer noch mit den Ausschweifungen so mancher Storyline. Das mit den drei Alten – wozu? Um drei Beispiele von Sichtweisen und Arten mit der unsicheren Zukunft umzugehen zu zeigen? Warum dann aber so demografisch gleichförmig? Und die Weltraumflotten? Wie auch schon im Vorgänger (nur in anderen Aspekten) empfunden, hätte ich das alles nicht in der Ausführlichkeit gebraucht. Wo es stattdessen mangelt ist die emotionale Aufarbeitung vieler Charaktere. Man kann wenig Nähe zu ihnen aufbauen oder mit ihnen mitfiebern, da sie häufig blass bleiben und mehr eine Aufzählung ihrer Lebensstadien stattfindet, denn eine tiefe Charakterisierung. So gibt es auch per se keinen „interessanten Gegenspieler“ – außer durch die hier fast unsichtbar bleibenden Trisolarier.

Andererseits gilt mein Respekt Liu Cixin für die vielen verschiedenen Ideen, die er sich erdacht hat. Dazu zählen die „öffentlichen“, aber auch „geheimen“ Strategien der Wallfacer/Wandschauer. Die gehen in so unterschiedliche Richtungen und weisen so viel taktisches Abwägen (in punkto Autorenschaft sowie in realweltlichen Szenarien) auf, dass ich schon beeindruckt war.

Teil 3: Jenseits der Zeit

Der dritte und letzte offizielle Teil der „Drei drei Sonnen“-Reihe, der von Liu Cixin selber stammt, macht eine spannende und wieder sehr riskante 360°-Wendung. Anders als die Vorgänger setzt er aber sehr stark auf theoretische und spekulative Physik. Damit begibt er sich in das Fahrwasser von „mehr Fiction als Science“, während Teile 1-2 durchaus „Mehr Science als Fiction“ waren. Oder zumindest Gleichauf in ihrer Bedeutung. Mitdenken wird also im dritten Teil nicht mehr belohnt, weswegen man auch einfach über alles drüberweglesen kann, was sich nicht sofort erschließt. Ebenso was die vielen Zeitsprünge betrifft.

Cixin Liu „Jenseits der Zeit“, gelesen von Mark Bremer – Hörprobe, RandomHouseAudio Online, Youtube

Während Liu Cixin früher nicht so sehr an seinen Protagonisten hing (außer einem 😉), bleibt er dieses Mal bei den zwei, drei Hauptcharakteren und verfolgt ihr Schicksal. Es befremdet etwas, dass es sich hierbei größtenteils um Personen handelt, denen man in Teilen 1 und 2 nicht begegnete und wirkt gerade daher so als ob er sich entschied ein bedeutendes, vergessenes Element nachträglich aus dem Ärmel zu zaubern. Ihr Leben wird nun rückblickend erzählt und lose verwoben mit einigen Details, Zahlen und Fakten der vorherigen Bände, um es zeitlich einordnen zu können. Nun aber rückblickend all den Zeitaltern zu folgen, passt wunderbar zu dem Thema „Zeit ist relativ“, nur nicht gut zu Lesegewohnheiten. Ich konnte nicht all diesen Zeitaltern folgen, mich erinnern, was wann war und der Effekt der Verquickung der Bücher bleibt aus.

Darüber hinaus tut er in dem Band etwas, das interessant, aber schwierig ist. Mangelte es in den früheren Bänden an weiblichen Perspektiven und Charakteren, baut er diese hier gefühlt mit der Brechstange ein. Anfangs eckt er damit ordentlich an („das feminine Zeitalter“ kennzeichnet er zuerst als ein friedliches, dann konsequent als eines, das scheitern muss), später findet er hier eine bescheidenere Stimme. Auch erzählt Liu Cixin die wohl (zweite) große Liebesgeschichte der Reihe auf eine ähnlich unromantische Weise wie die vorherige.

Zu der Hörbuchreihe allgemein

Von Mark Bremer wurde das Hörbuch gut eingelesen. Alle Personen bekommen eine eigene Stimmen, weibliche Stimmen erscheinen dabei nicht karikaturesk peinlich. Mit dem Nachvollziehen der chinesischen Namen habe ich wie viele Leser:innen es in Reviews beschreiben Probleme mir die zu merken Namen, auseinanderzuhalten und wiederzugeben. Ein klassisches Problem, dass davon zeugt, dass ich zu wenig chinesische Literatur lese und durch die Wahl des Hörbuchs nun zwar ganz wunderbar weiß wie man die ausspricht (ein Plus!), aber nicht wie man die schreibt. Selbst, wenn ich nochmal was zu einem Buchcharakter nachlesen will, kann ich in den wenigsten Fällen direkt per Namen suchen.

Abgesehen davon eilte der Buchreihe der Ruf voraus sehr komplex, wissenschaftlich und schwer verständlich zu sein. In Teilen 1-2 habe ich das nicht so empfunden, in Teil 3 schon. Andererseits ist alles darin so spekulativ, dass ich in Sekundärliteratur recherchieren müsste, um einen Eindruck zu gewinnen, ob das Science oder Fiction ist. Und an der Stelle habe ich mich irgendwann „damit abgefunden mich damit abzufinden“ und gut ist.

Zu den Gründen, warum ich mich anfangs nicht auf die Reihe einlassen wollte, zählen Einstellungen und diverse Meinungen des Autors bezüglich der Uiguren (Quelle: Netflix faces call to rethink Liu Cixin adaptation after his Uighur comments, The Guardian, 25.09.202) so wie die Einstellung zu Kommunismus und das chinazentrische. Dann bin ich auch außerdem keine begeisterte Reihenleserin. Trotz des Lobs in der Presse und unter Bloggerkolleg:innen konnte ich mich also nicht so recht dazu aufraffen bis der Hörtipp kam. Wenn ich hin- und hergerissen bin, ist das für mich immer ein guter Kompromiss. Letzten Endes hat mich die Reihe dann tatsächlich nicht gerade überwältigt, hatte aber aus Science-Fiction-Sicht interessante Aspekte.

Vieles an der Kritik der Reihe sehe ich auch nach dem Lesen bestätigt wie den chinazentrischen, ersten Band und die zahlreichen Stereotypen rund um bestimmte Nationen und Frauen im Allgemeinen. Ich finde die dargestellten Beziehungen leider alles andere als romantisch, sondern ziemlich cringy, schräg und erzwungen. Außerdem hätte ich jedes der Bücher gern um mindestens eine Hörstunde gekürzt, weil ich vieles nicht so ausschweifend gebraucht hätte. Die Vorworte waren wir ein Graus. Aber nun bin ich am Ende meiner Reise mit den drei Sonnen angekommen. Den letzten Band von Baoshu werde ich nicht lesen, auch nicht hören. Meinen Ausflug in Liu Cixins Reihe bereue ich aber nicht.

Jetzt kann ich endlich mit den Personen in meinem Umfeld über die Reihe abnerden, was uns darin gefallen hat, was nicht. Oder mit euch! Wie ist eure Haltung zur so gehypten Reihe? An der Stelle noch meine letzte, wahrscheinlich unpopuläre Meinung dazu: die reduzierte und verknappte Version der Netflix-Serie genügt mir tatsächlich in vielen Aspekten.

6 Antworten

  1. Ach herrje, von Liu Cixins Statements zu den Uiguren hatte ich noch gar nichts gehört… Ich hab Teil 1 vor Jahren gelesen, aber nie weitergemacht, und jetzt weiß ich nicht, ob es nicht schon zu lange her ist. Vielleicht greife ich auch zum Hörbuch, mal sehen.

  2. Habe nur den ersten Band damals als Hörbuch gehört und fand es ganz spannend, aber auch sehr anstrengend aus den diversen genannten Gründen. Hatte nie das Bedürfnis die beiden Folgebände zu hören oder zu lesen, auch die Serie hat mich bislang nicht gereizt.

    Sehr empfehlen kann ich die Novelle „Spiegel“ von ihm, die fand ich richtig gut.

    Liebe Grüße, Sabine

  3. Spannend, wie du die Bücher wahrgenommen hast. Im ersten Roman kam ich damals zum Stocken, habe dann aber nachdem ich ihn erst weggelegt hatte, weitergelesen und danach auch die zwei weiteren Bände. Und ich liebe die Trilogie. Die „Unromantik“ ist mir gar nicht so aufgefallen, auch nicht die von dir angesprochenen Missstände hinsichtlich der Frauenfiguren. Vermutlich lag mein Fokus anders, immer wieder total spannend, wie unterschiedlich wir alle lesen. Und dabei bin ich ja durchaus sensibilisiert, was die von dir kritisierten Inhalte geht.

    Daher nochmal: Danke für deinen Text und liebe Grüße
    Sandra

  4. Mich hat die Reihe damals unglaublich fasziniert. Vor allem deshalb, weil ich so etwas zuvor noch nicht gelesen hatte und ich viele der Konzepte einfach wild und bemerkenswert originell fand. An Figuren usw. kann ich mich kaum noch erinnern, aber an Zeitsprünge über mehrere Jahrhunderte, viele Genrewechsel und fast schon episodische Erzählung. Von der Kontroverse um die Aussagen des Autors habe ich bisher auch noch nichts gehört. Danke fürs Erwähnen!

  5. […] gehen z.Zt. etwas einfacher, aber beide im Januar Gehörte waren für mich so-so. Zu Jenseits der Zeit (letzter Teil der Trisolaris-Reihe) gibt es meine Gedanken schon im Blog. Dörte Hansens Zur See […]

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