Wie bereits in meiner Review (s. Links am Ende des Artikels) angedeutet, empfinde ich es nicht als schlimm, dass Buch 3 der Reihe so einige Fragen offen läßt. Viel mehr wirkt das auf mich wie ein Stilmittel. Offene Fragen – das ist die Realität in dem kunterbunten Durcheinander, das wir Leben nennen. Und hier sticht das ganze wunderbar hervor im Gegensatz zu den surrealistischen Ausführungen über Little People und Receiver und Monde. Wären wir in 1Q84 gefangen, ich bezweifle wir würden alles rauskriegen ;). Nichtsdestotrotz stelle ich gern Vermutungen über die offenen Fragen an – und ihr hoffentlich auch ❓ – der Artikel enthält – selbstverständlich – massive Spoiler für die gesamte Reihe.
Ja … ist das nun ein offenes Ende?
Ausgangsposition: Wir erfahren, dass die Vorreiter Ushikawas Leiche abholen und dabei bemerken, dass er höchstwahrscheinlich Tengo beschattet hat. Daraus schlussfolgern die Gorillas, dass Tengo in Verbindung zu Aomame stehen muss und geben seine weitere Beschattung in Auftrag. Wir wissen also, dass Tengo höchstwahrscheinlich verfolgt wird, als er sich auf den Weg zu Aomame macht. Beide fliehen scheinbar, schaffen es auch in eine Welt, die offensichtlich nicht 1Q84/Die Stadt der Katzen ist. Wobei aufgrund Aomames Äußerung über den Esso-Tiger auf dem Werbeplakat nicht ganz klar ist, ob sie in dem „richtigen“ 1984 angekommen sind. Wir bekommen auch mit, dass die Little People allwissend sind. Die „Hoho“-Zwischenrufe waren ein eindeutiges Zeichen und geschahen in früheren Kapiteln meist dann, wenn unsere Protagonisten bei einer Aussage über die Little People richtig lagen. In jedem Fall sind die Little People erschienen und haben aus Ushikawa eine Puppe aus Luft gebastelt. Oder irgendwas in der Art … .
Ich habe nun 2 Theorien. Als die Little People das letzte Mal eine Puppe aus Luft gebaut haben, war das im Frauenhaus der alten Dame. Dort gab es dann eine Exlosion und Tamarus Schäferhündin ist dabei draufgegangen. Ihnen stand damals auch nur eine Nacht zur Verfügung. Ushikawas Leiche wurde von den Vorreitern abtransportiert und sie hatten höchstwahrscheinlich auch nur eine Nacht. Haben die Little People vielleicht wieder eine Bombe gebaut, um die Vorreiter aufzuhalten und damit die Verfolgung von Tengo verhindert? Das ist aber ein reichlich subtil angedeutetes Ende. Aber ich mag diese Theorie XD. Das würde heißen, dass sie unser Lieblings-Liebespärchen laufen ließen. Stellt sich nur die Frage warum sie das tun sollten?
Die Theorie ist etwas dünn. Wenn ich aber weiter nachdenke, komme ich auf keinen grünen Zweig. Gibt es die Vorreiter und die Little People in beiden Welten? Die Vorreiter auf jeden Fall. Aber auch die Little People? Ich erinnere mich, dass der Leader erwähnte, dass 1984 und 1Q84 im Prinzip dieselbe Welt sind. Dass man in 1Q84 ist, zeigen nur die Monde an. Die Menschen sind die gleichen und doch kann ihr Leben in 1Q84 in fundamental anderen Bahnen verlaufen, allein durch das Wissen über 1Q84. Angenommen, 1Q84 ist die Version der Realität, in der sich die Little People bewegen können, so wären sie in dem Moment machtlos, wenn Aomame und Tengo hinüberwechseln. Die Vorreiter sind ja aber „normale Menschen“ und könnten ihnen trotzdem gefolgt sein. Sie würden keinen Unterschied zwischen 1984 und 1Q84 erkennen. Und somit sind die Beiden immer noch in Gefahr? Aber es ist wohl vielmehr so, dass es keine Rolle mehr spielt, ob Tengo und Aomame in Gefahr sind – solange sie zusammen sind. Liebe ist das, was zählt. Hat das nicht selbst der Leader gesagt?
Das Gerede vom Leader … wtf?
Jetzt mal abgesehen von der ganzen Missbrauchsgeschichte und den Little People … der Leader hat einige Dinge gesagt, die so nicht eingetreten sind bzw. nicht stimmen. So hat er deutlich gesagt, dass man nicht zurück nach 1984 kann. Außerdem hat er gesagt, dass entweder Tengo oder Aomame überleben können, aber nicht beide. Das passt mit dem Geschehen nicht zusammen, oder ich habe was fundamentales übersehen. Helft mir! In den Kommentaren 😉
Von wem ist Aomames Kind?
In der stürmischen Nacht, in der Aomame den Leader umbringt, haben Tengo und Fukaeri Sex. Das geht wahrscheinlich in meine Geschichte als begeisterte Leserin als „die Sexszene um die ich nicht gebeten habe“ ein. XD Durch die Receiver-Perceiver-Begriffe drängt sich der Verdacht auf, dass Tengo entweder als Platzhalter für den Leader gedient hat oder sogar ein Kandidat für den Posten des Leaders ist. Zumindest konnte er sich auch nicht bewegen, so wie es der Leader Aomame geschildert hat. Fukaeri diente wohl als eine Art Bindeglied und hat das gemacht, was wohl auch in der Sekte ihre Aufgabe war. Tengo und Fukaeri hatten Sex, wovon Aomame schwanger geworden ist. Mir schießen gerade 20 Seitenkommentare durch den Kopf, die ich uns jetzt mal erspare. 😉 Wer ist aber wirklich der Vater des Kindes?
Sofern Tengo ein möglicher Anwärter für den Posten des Leaders ist, hat er wohl in einem bestimmten Maß die Fähigkeiten des Leaders und hat vielleicht wirklich Aomame geschwängert. Was aber, wenn er fremdgesteuert wurde? Kann es dann nicht eventuell das Kind des Leaders sein? In beiden Fällen entstand das Kind durch den Receiver/Perceiver-Akt und ist somit das, wonach die Vorreiter die ganze Zeit gesucht haben und weswegen sie das mit dem Leader und den kleinen, minderjährigen Mädchen erzwungen haben … . Dann müssten die Little People aber ein gewisses Interesse an dem Kind haben und hätten nicht zugelassen, dass Aomame und Tengo abhauen und meine oben geschilderte erste Theorie ist Mist.
Wer ist der unheimliche NHK-Gebührenkassierer?
Das fand ich wirklich gruselig, muss ich sagen. Diese Momente sind einer der Gründe, warum ich bei der Reihe am Ball geblieben bin. Das und die quälende Frage, ob sich Tengo und Aomame wohl noch irgendwann begegnen 😉 . Der bedrohlich wirkende Kassierer taucht zuerst bei Tengo auf, als dieser zwar außer Haus ist, aber Fukaeri da ist. Danach taucht er mehrmals bei Aomame auf. Im Buch äußert Tengo seinem schlafenden Vater gegenüber, dass er denkt, dass es sein Geist ist. An der Art und Weise wie der Kassierer laut Fukaeris Bericht geredet und sich verhalten hat, erkennt Tengo seinen Vater. Und ich finde die Idee irgendwie plausibel und spannend. Aus dem Gedanken kann man viel machen. War es der Geist von Tengos Vater, der vernarrt in seine Aufgabe war und weitergemacht hat? Oder kann man das ganze im Nachhinein sogar als eine Warnung oder einen Wachrüttler für Aomame und Fukaeri verstehen? Nachdem Tengo das seinem Vater gegenüber geäußert hat, taucht der Kassierer nur noch einmal auf und macht Ushikawa zur Schnecke, der darüber wahrscheinlich von allen am erstauntesten ist. Demnach habe ich fast das Gefühl, dass es der „Geist“ gut gemeint hat. In einer Review die ich las, wurde der Geist als „Überbleibsel einer Ansammlung verpasster Gelegenheiten und nicht formulierter Gefühle“ bezeichnet, was ich schön formuliert finde.
Was ist die Verbindung zwischen Adachi und Tengos Mutter?
Wir erfahren in Buch 3 von Ushikawa, dass Tengos Mutter umgebracht wurde. Sie wurde erwürgt und als Tatverdächtiger gilt ein Mann, mit dem sie gesehen wurde. Zusammen mit Tengos Vermutung, dass sie mit einem anderen durchgebrannt ist, würde das eventuell Sinn machen. Tengo selber vermutete, dass dieser andere Mann auch sein Vater ist. Das würde Sinn machen, denn sie und der Mann sind wahrscheinlich mit Tengo im Schlepptau abgehauen. In Buch 3 berichtet Ushikawa nämlich, dass Kawana (der ältere) den kleinen Tengo nach dem Tod seiner Mutter abholen musste und mit nach Hause nahm. Ich muss ehrlich sagen, ich konnte den Gedanken nicht abwehren, dass der Mann mit dem Tengos Mutter gesehen wurde vielleicht der Leader ist. Das wäre nun natürlich etwas … grenzwertig. Schließlich wären Fukaeri und er dann Geschwister. :-/ Ähm. Ja. Aber es ist tatsächlich so, dass recht viele im Umfeld von Tengo und Aomame oder viel mehr im Umfeld der Vorreiter durch Erdrosselung gestorben sind. Tengos Mutter, Aomames Freundin und auch Ushikawa.
Was aber noch viel krasser ist: Ushikawa erzählt es Tengo nicht. Nur kurze Zeit später erfährt Tengo aber von Kumi Adachi, dass diese in einem früheren Leben gewaltsam umgebracht wurde. Ein Mann hat sie erdrosselt. Durch die enge Verbindung zu Tengo, drängt sich der Verdacht auf, dass sie vielleicht im früheren Leben Tengos Mutter war!? Da kommt man ins Grübeln, wenn man überlegt, dass damit die Little People etwas zutun haben könnten. Und ich erinnere mich wie sie in den letzten Zügen von Buch 3 anfingen aus Ushikawa irgendwas zu basteln. ich weiß nicht … schreit das jetzt etwa nach Fortsetzung? 😉 Würde es als besser erachten, wenn nicht. Aber diskutieren möchte ich darüber trotzdem gern.
Was sind die Little People?
Das ist glaube ich, die einzige Frage, die ich unbeantwortet lassen will und zu der ich auch keine Theorie entwickelt habe. Die Stärke des Buchs (und von Murakami?) ist es doch letztendlich, dass er den Wahnsinn und das Surreale in den Alltag einbettet. Und im realen Leben gibt es einfach soviele Dinge die einem verborgen bleiben. Egal, ob es die String-Theorie ist, die man nicht versteht oder einfach die Gründe, warum der Ex Schluss gemacht hat. Es gibt sie: die Dinge, die wir nie erfahren.
Ist Tengo der nächste „Leader“?
Der Gedanke hat sich tatsächlich in meinem Kopf manifestiert. Ich hatte die ganze Zeit den Gedanken, dass Tengo ein natürlich berufener Leader sein könnte. Einfach weil er in so vielen Dingen perfekt ist: Judo, Mathe, Schreiben, … vieles eben. Er erwähnt selber, dass er ganz anders ist als sein Vater. Vielleicht ist es auch gar nicht sein Vater, sondern – wie ich oben schon mal erwähnt – der „Leader“? Scheinbar ist er ja auch in der Lage an den Ritualen teilzunehmen … siehe die verhängnisvolle Nacht mit Fukaeri.
Und jetzt ihr!
Was sind eure Theorien zu den oben genannten Punkten? Wie deutet ihr das Ende? Denkt ihr, dass sich Murakami die Option für eine Fortsetzung offen läßt oder ist das nicht sein Stil? Und was denkt ihr über die vielen offenen Aspekte wie die Frage nach den „Little People“? Sind das Dinge, die man beantworten muss oder haltet ihr es da ähnlich wie ich? Und was mochtet ihr an dem Buch am meisten und was am wenigstens? Eine meiner liebsten Szenen ist die, als der Stolz von Tengos Vater anhand der gesammelten Zeitungsartikel durchschimmert. Aber auch der Moment, in dem sich Tengo und Aomame treffen. Am wenigstens mochte ich die lange Passage am Anfang mit Tengo und seinem Kollegen und Aomames schleppende Taxifahrt zu Beginn von Buch 1.
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