Die Firma in der ich arbeite beschäftigt regelmäßig Praktikanten. Darunter v.A. auch welche, die zwischen Schule und Studium stehen und versuchen ihren Weg zu finden. Während der Monate bei uns dürfen sie in der Regal mit Unterstützung eine kleine App schreiben. Zwar gehöre ich nicht zu ihren Betreuern, aber mich interessiert das Thema Förderung sehr und ich engagiere mich bei „Diversity“ – also setze ich mich meistens in ihre Abschlussveranstaltung mit rein, in der sie zusammenfassen wie ihnen ihr Praktikum gefallen hat. Uns allen geht das Herz auf, wenn sie sagen, das sie eine tolle Zeit bei uns hatten. Dann kommt meistens die Gretchen-Frage. „Und … habt ihr denn jetzt Lust den Weg als Informatiker einzuschlagen?“ (Damit schwingt meistens ein „Haben wir unsere Arbeit mit euch gut gemacht?“ mit.) Und manche sagen: „Jupp. Ich hab mich gerade auf den Studienplatz beworben.“ Und dann gibt es noch die ebenso wichtige Erkenntnis: „Nee, das ist doch nix für mich.“ Und wenn man nach den Gründen fragt, fällt oftmals der Satz: „Das war mir zu frustrierend.“ Ist das so … ist Informatiker ein frustrierender Beruf?
Informatik-Früherziehung
Eine Sache vorweg: das ist kein Artikel darüber, wie gut das Praktikum in der Firma ist, in der ich arbeite. Mein Eindruck ist, dass es gut ist, aber ich habe keine Vergleichsmöglichkeiten. Während meiner Schulzeit und meines Studiums habe ich mehrmals versucht einen Praktikumsplatz in IT-Betrieben in Hinblick auf Softwareentwicklung zu bekommen und es hat nie geklappt, weil die Aufgaben, die man einem Praktikanten gegeben hätte für meinen Geschmack nie nach „echter Softwareentwickler-Arbeit“ klangen. Niemand wollte einen an echte Kundenprojekte ranlassen und sie hatten nie die Kapazität jemanden beim Schreiben einer „Übungs-App“ zu betreuen. Meistens hieß es: „Du kannst dich in den Laden stellen und Hardware verkaufen.“ Oder: „Du kannst ein bisschen die Excel-Tabelle pflegen. Und so.“ Oder: „Du kannst ein paar Testdaten in die Datenbank einpflegen. Sowas halt.“ So ein Praktikum wie wir es anbieten, hätte ich mir gewünscht. Was ein Programmierer wahrscheinlich macht und was nicht, habe ich gewusst, weil ich Glück hatte. Bereits in der 11. oder 12. Klassen haben wir in der Schule in meinem Informatik-Grundkurs programmiert. Das heißt ich hatte bereits vor dem Studium Zeit darüber nachzudenken, ob ich programmieren mag. Und ich mochte es. Studierte Informatik, wurde Softwareentwicklerin. Hatte ich es bis dahin als frustrierend empfunden? Im Gegenteil. Umso mehr war ich verblüfft bei der Antwort unserer jungen Padawane, dass sie das Programmieren als frustrierend empfanden.
Auf Nachfrage hieß es oftmals „Man programmiert. Dann geht was nicht. Dann sitzt du da. Googelst was, die Antworten verstehst du nicht. Dann bittest du deine Betreuer um Hilfe. Die erklären es dir. Dann klappt’s. Dann machst du weiter, machst was anderes, dann geht wieder was nicht. Und dann geht es wieder von vorne los.“ Um ehrlich zu sein: so unähnlich ist das gar nicht als Softwareentwickler. Es kommt eben darauf an wieviel Erfahrung man mit einer Technologie, Programmiersprache, etc hat. Wenn etwas neu ist, dann ist das ziemlich ähnlich. Man programmiert, etwas geht nicht, man schaut, ob man wo abgucken kann oder googelt. In mehreren Iterationen. Bis man die Lösung hat. Betreuer zum fragen gibt es nicht, aber vielleicht nette Kollegen. Wenn man die Technologie gut kennt oder ausreichend Berufserfahrung hat, dann kann man aus etwas schöpfen und muss weniger googeln oder fragen. Man hatte vieles schon mal irgendwie am Wickel und hat da so eine Ahnung. Meistens antworte ich den Padawanen dann: „Es ist immer frustrierend, wenn man etwas ganz Neues macht oder irgendwo neu ist. Das ist nicht nur beim Programmieren so.“ Und das stimmt. Ich fand meine Praktika meistens früher oder später frustrierend, auch wenn die dann in ganz anderen Bereichen waren. Aber die Praktikanten bringen noch eine weitere Schwierigkeit mit: sie haben oftmals vorher noch nie programmiert. Viele von ihnen kamen nie wirklich mit der Materie in Kontakt, hatten vielleicht nicht mal Informatikunterricht. Ich bin seit 10 Jahren aus der Schule raus: ich dachte es hätte sich etwas geändert. Aber nein, bei vielen kommt das Interesse alleine aus der Freizeit. Und sie fördern sich meistens selber, manchmal natürlich auch Familie oder Lehrer, die sagen: wäre nicht vielleicht Informatik was für dich? Aber das sind scheinbar Ausreißer.
Frustration, oder: wie geht der Spruch mit Weg und Ziel?
Warum erging es mir eigentlich nicht so wie unseren jungen Padawanen? Ich habe Programmierung in der Schule kennengelernt und danach Informatik studiert. Da hat mich eher die Mathematik frustriert. Aber wir wurden immer mit einem sehr aufgeräumten Umfeld begrüßt. Machbaren Programmieraufgaben, Lösungen wurden vorgestellt, es gab Kommilitonen, die man was fragen konnte. Und die Aufgaben waren leicht verglichen zu dem, was ich so heute manchmal auf dem Schreibtisch vor mir sehe. Denn ich kann es nicht ganz abstreiten – ja, manchmal ist Informatiker sein ein frustrierender Beruf. Wenn man das zulässt.
Die Krux ist: das Geschäft entwickelt sich schnell fort und man kann quasi nie alles kennen. Alleine die Anzahl der Programmiersprachen oder Optionen für Clients oder Datenbanksprachen und -modelle oder oder oder sind unzählig. Während es für viele Menschen in anderen Berufsfeldern ein Problem ist jeden Tag dieselben Handgriffe zutun und sie möglicherweise gegen Bore-Out statt Burn-Out steuern, weil ihr Job so eintönig und ohne neue Impulse ist, hört es bei der Informatik nie auf. Man kann nie alles kennen. Als ich angefangen habe zu studieren, wurde ich davor gewarnt und bis zu meinem etwa zweiten Jahr als Berufstätige habe ich nicht verstanden wo das Problem liegen soll. Ich hatte es was das betrifft gut. Ich kann zwei, drei populäre Programmiersprachen, die gefragt sind und kam in entsprechende Projekte. Aber man muss sich oftmals nach dem richten, was der Markt und die Kundenwünsche vorgeben – und schwupps, sitzt man da und soll COBOL programmieren. (Zufälliges Beispiel.) Und hat davon eigentlich keine Ahnung.
Don’t feed the Imposter-Syndrome.
Um einen herum sitzen dann, wenn man Glück hat, Menschen von denen man lernen und mit denen man gut zusammenarbeiten kann. Und dann klappt das auch mit den fremden Technologien. Aber wenn man Pech hat, dann hat man ganz schön zu knabbern. Jedes Mal zu schulen, wenn irgendetwas neues auf einen zukommt ist sicherlich vorbildlich, aber ein Versprechen, das die wenigstens Firmen halten können. Vor Allem weil ständig etwas neues auf einen zukommt. Die meisten setzen auf Hilfe aus den eigenen Kreisen. Wenn das nicht klappt, landet man ganz schnell vor dem heimischen Computer und probiert am Wochenende Zeug aus, um up-to-date zu bleiben. Das muss man abkönnen. Manche brauchen das auch nicht, weil sie Glück haben und mit einer irren Auffassungsgabe gesegnet sind. Oder oder oder. Wenn man aber nicht dazu kommt sich fehlendes Wissen anzueignen, dafür zu sorgen, dass man up-to-date bleibt oder noch schlimmer: mit einer so speziellen technischen Umgebung auf Arbeit konfrontiert ist, dass man sie gar nicht nachstellen kann, dann sitzt man da. Und es geht nicht. Und dann ist man ganz schnell in einer ähnlichen Situation wie die jungen Padawane. Ich habe keine anderen Berufe gelernt, aber wenn ich mit anderen Menschen rede, habe ich tatsächlich das Gefühl, das ihre Jobs einfach aus anderen Gründen für ein ähnliches Level an Frustration sorgen. Umgang mit Menschen – unberechenbar. Ein Tag okay, ein anderer voller frustrierender Erlebnisse. Menschliche Schicksale im Arztzimmer, die einen bis nach Feierabend verfolgen. Ein böses Telefonat. Ein Kunde, der einen versetzt. Kollegen, die stressen. Das sind aber Faktoren von außen. Wenn aber das „Nicht-Wissen“ die Frustration erzeugt und das „Nicht-Wissen“ sich nicht abbauen lässt, dann scheint das Problem von „innen“ zu kommen, von einem selber. Und das sorgt ganz schnell dafür, dass man sich wie ein Betrüger fühlt. Wie ein schlechter Programmierer. Ein Hochstapler, der sich durch den Alltag mogelt.
Dieses sogenannte „Imposter-Syndrome“ oder Hochstapler-Syndrom ist mir einmal in einem Artikel über das IT-Business begegnet und es wundert mich tatsächlich nicht, dass es in einem Atemzug mit diesem Berufsfeld genannt wurde. Schließlich ist es leicht die eigenen Fähigkeiten zu verkennen und sich für schlechter zu halten als man ist, wenn man von Arbeitskollegen umgeben ist, die mit ganz anderen Technologien arbeiten und es nach außen immer wirkt, als ob alles tutti ist, während man selber vielleicht gerade an der Einarbeitung in ein neues Projekt und fremden Code steckt. In Anbetracht all dessen, was man nicht weiß und wieviel man als Informatiker jeden Tag nachschlagen muss, kann schnell der Eindruck entstehen, dass man zuviel nicht weiß. Wer sich nicht vorstellen kann wie das aussehen mag: es gibt soviele Befehle im Standardbefehlssatz der Programmiersprache Java (nehmen wir mal SE8), das nicht mal irgendwo steht wieviele. Es interessiert einfach niemanden. Weil es eh soviele sind, dass man sie nicht alle wissen kann, sondern nachschlägt, wenn man sie gerade braucht. Und die populären, gängigen Dinge weiß man. Der Rest … pffft. Aber das gehört, behaupte ich einfach mal, zum Business dazu. Man darf Frustration an der Stelle also keinen Nährboden geben. Vergleichen ist das Grundübel: natürlich fällt anderen manches leichter. Einem selber dafür aber auch. Natürlich geht’s bei Kollegen mit mehr Berufserfahrung schneller. Und ja manchmal gibt es diese Genies, die alles können und scheinbar sofort alles verstehen. Die Kunst ist, das Hochstapler-Syndrom nicht zu füttern und an sich selber in Maßen Ansprüche zu stellen und auf eine gesunde Weise weiter zu streben. Und um zu der Frage im Titel des Artikels zurückzukehren: ja, ich denke der Job als Informatiker hat Potential für Frustration im Berufsalltag. Aber ich denke als Bombenentschärfer, Gehirnchirurg oder als Teil eines Anti-Terror-Sondereinsatzkommandos lächelt man darüber nur müde. Frustration gehört dazu. Überall, nur in anderen Schattierungen. Und lernt man den Umgang mit Frustration, dann hat man etwas für das Leben gewonnen. Zum Schluss noch eine gute Maßnahme für den Umgang mit Frustration, gesponsert von Kurt Vonnegut:
„Laughter and tears are both responses to frustration and exhaustion. I myself prefer to laugh, since there is less cleaning up to do afterward.“ Kurt Vonnegut
Seid ihr eventuell auch im IT-Sektor tätig und würdet ihr sagen, dass der Beruf frustrierender ist als andere? Wo seht ihr die Einstiegshürden in unserer Branche? Und wie geht man in euren Firmen mit neuen Technologien um? Schult ihr bis zum erbrechen oder werft ihr euch ins kalte Wasser? Falls ihr nicht aus der IT seid, in welcher Branche arbeitet ihr und welche Einstiegshürden gibt es dort? Schwingt nicht eigentlich in jedem Beruf Frustration mit angesichts der Herausforderungen? Und die Herausforderungen sind je nach Beruf nur eben andere?
Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen rund um IT, Forschung, Netzwelt, Internet und eben auch Gerüchten widme. 🙂
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