ausgelesen: Stefan Zweig „Schachnovelle“

Einer der vielen Gründe, aus denen ich so gern Blogs verfolge ist, dass ich durch die Artikel Autoren und deren Werke kennenlerne, die andernfalls eventuell nicht in meiner Blase auftauchen würden. Seitdem ich Blogs lese, und das sind inzwischen einige Jahre, haben viele Menschen, Autoren und Eindrücke meinen Weg gekreuzt, die mich schwer beeindruckt haben. Und erstaunlicherweise viele, von denen ich vorher nichts gehört habe. Wie konnte mir Stefan Zweig entwischen? Ein so bedeutender, österreichischer Autor? Was durch den Unterricht nicht abgedeckt wurde oder mir einfach nicht begegnete, haben die Beiträge aus der Blogosphäre gerichtet. Das erste, was ich von Zweig lesen wollte, war dann aber meine eigene Entscheidung. Die Schachnovelle sollte es sein. Nicht aber, weil sie als sein scheinbar bekanntestes Werk ist, sondern weil es mir zumindest als Kind, Teenager und Studentin ging wie dem Erzähler in der Schachnovelle:

„Ich ’spiele‘ Schach im wahrsten Sinne des Wortes, während die anderen, die wirklichen Schachspieler, Schach ‚ernsten‘, um ein verwegenes neues Wort in die deutsche Sprache einzuführen.“ p.25

Der namenlose Erzähler befindet sich an Bord eines Passagierschiffes und erfährt durch Zufall, dass der Schachweltmeister Mirko Czentovic an Bord sei. Während der Erzähler trotz seiner Neigung zum Schachspiel kein professionelles Interesse an Schach als Sport, Wettbewerb oder Geschäft empfindet und auch den amtierenden Meister nicht kennt, weiß ein Mitreisender einiges über Czentovic‘ Leben als ein Ausnahmetalent. Ein bisschen neugierig wird der Erzähler dann schon und versucht den Meister anzulocken. Ein bisschen Geld, Beziehungen und Übermut später sitzt dieser dann wirklich zusammen mit dem Erzähler und einigen anderen Schachbegeisterten vor dem karierten Quadrat, die Figuren sind aufgestellt, die Zeit läuft. Doch aus der Menge der bald aufgeschmissenen Amateure tut sich jemand hervor, der dem Meister die Stirn bieten kann. Und der hat eine erschütternde Geschichte, die durch die Begegnung wieder ans Tageslicht rückt.

Leidenschaft hinterlässt Spuren. Unendlich viel mehr als Schach gespielt, habe ich gezeichnet. Als ich nach jahrelanger Pause einst als Schülerin und Studentin wieder den Stift in die Hand nahm, habe ich soviel gezeichnet, dass ich erstmal von schlechter Haltung einen steifen Nacken bekam. Von der leichten Besessenheit wollen wir mal nicht reden. Aber im Wort Leidenschaft steckt eben leiden. Wie unendlich viel größer mögen diese Spuren und das Leiden sein, wenn man durchlebt hat, was der hier auftretende Herausforderer Czentovic durchgestanden hat? Er wird im Buch nur als Dr. B. bezeichnet. Wir bekommen die Gelegenheit uns seine Geschichte anzuhören, die uns in das Hotel Métropole nach Wien entführt, zu einer Zeit als die Gestapo dort ihre Leitstelle hatte. Menschen wurden dort verhört und auch inhaftiert, so wie Dr. B.

Es ist als ob der kühle, an Profit interessierte und arrogante Czentovic und der kultivierte, zurückhaltende Dr. B. wie Feuer und Wasser seien. Und als ob sie im Geiste den Konflikt zwischen ehemals Inhaftiertem und Peinigern auf dem karierten Quadrat des Schachbretts austragen. Das Schachspiel wird fiebrig, regelrecht manisch und wie ein Machtkampf zwischen zwei Köpfen. Frappierend ist dabei wieviel „Ballast“ Dr. B. mit in diesen Kampf in das Spiel der Könige mitnimmt, während Czentovics Charakter geradezu an Banalität kaum zu überbieten ist. Der letzte Satz des Buches ist ein Schlag ins Gesicht und führt zur unvermeidlichen Resignation. Einem Motiv, dessen Zweig sich offenbar oft bedient. Resignation in Anbetracht eines mächtigeren, privilegierteren, der vielleicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort war – mehr nicht. Vor dem die kultivierten zurückschrecken mussten, um ihre Kultur zu bewahren? Ein Sinnbild auf die Resignation gegenüber der Übermacht der Nationsozialisten? Man kann unendlich viel in die Schachnovelle hineininterpretieren oder herauslesen. In jedem Fall ist es für seine Kürze eine kraftvolle Auseinandersetzung mit den Spuren, die die Vergangenheit in den Seelen hinterlässt.

„[…] denn bekanntlich erzeugt kein Ding auf Erden einen solchen Druck auf die menschliche Seele wie das Nichts“ p.56

Fazit

beeindruckendes Buch – für das man übrigens kein Schach-Pro sein muss

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-596-21522-5, Fischer Taschenbuch Verlag

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

4 Antworten

  1. So geht es mir auch, durch Blogs bin ich schon auf einige interessante Bücher und Autoren gestoßen, wie z.B. Robert Seethaler oder Jonathan Franzen. Und die Schachnovelle werde ich eventuell jetzt auch auf meine Liste setzen 😉

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Ja cool! 🙂 Kannst ja mal deine Gedanken teilen, wenn du die Schachnovelle gelesen hast!? Von Robert Seethaler habe ich dafür noch nichts gelesen. Was empfiehlst du?

      1. Der Trafikant und Ein ganzes Leben sich wohl seine bekanntesten Werke und mehr als die beiden habe ich auch noch nicht gelesen. Aber beide sind auch sehr zu empfehlen!

  2. […] der Schachnovelle war es nun das zweite Buch, in dem mir das Hotel Metropol begegnet. Ich stelle mir vor wie die […]

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