Ein Glück, dass ich mich an fast nichts mehr aus der Verfilmung mit Keira Knightley aus dem Jahr 2005 erinnern kann. Am Ende war ich sehr angefixt und ein bisschen verzaubert. Und das Ende vergaß ich auch nicht. Nur alles bis dahin. Jahre später sah ich irgendwo im Regal einer Buchhandlung meines Vertrauens die blumige, edel aussehende Ausgabe von Stolz und Vorurteil aus dem dtv Verlag und gab meiner ganzen Oberflächlichkeit (also quasi wortwörtlich Stolz und Vorurteil) nach und kaufte das Buch. Einfach nur weil es so schön ist. Inzwischen war die Neugier es doch endlich mal zu lesen groß genug. Ich konnte es gar nicht erwarten. Vorrangig weil es ein so oft zitierter und adaptierter Klassiker ist. Das Vorhaben ist gefährlich, schließlich sind Liebesromane normalerweise nicht mein Fall. Und so war ich doch etwas überrascht als der erste Satz einer der größten und bekanntesten Liebesromane wenig romantisch lautet:
„Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, daß ein alleinstehender Mann, der ein beträchtliches Vermögen besitzt, einer Frau bedarf.“ p.5
„Wie mag es wohl begonnen haben?“
Diese „Weisheit“ stammen von Mrs Bennet, Mutter von fünf Töchtern. Was hier schon durchklingt sind ihre Bestrebungen ihre fünf Töchter möglichst gut zu verheiraten. Darunter die älteste – die gutmütige Jane, die mannstolle Lydia, der Bücherwurm Mary und Kitty. Unsere Protagonistin ist Elizabeth, die zweitälteste. Gebildet, nicht auf den Mund gefallen und manchmal etwas aufmüpfig. Sie begegnet ihrer Umgebung mit sehr wachen Augen und scheint ihrer Zeit voraus. Dementsprechend hat sie einen gewissen Stolz und fühlt sich mächtig auf den Schlips getreten, als da so ein Mr Darcy daherkommt, der ebenso stolz ist und über sie sagt
„[…]; ich bin nicht in der Stimmung, Damen Bedeutung zuzumessen, die von anderen Männern nicht beachtet werden.“ p.15
Besonders frech ist; dass er es so sagt, dass sie es hören kann. Wer wäre da nicht beleidigt und würde den Typ für ein totales Arschloch halten? Spitzfindigkeiten unter feinen Menschen – das beschreibt vieles in dem Buch überraschend gut. Im Verlauf der Handlung werden Elizabeth und Darcy einige Male aufeinander treffen. Und wie wahrscheinlich hinlänglich bekannt ist, ändern sich ihre Meinungen voneinander. 😉 Bis dahin passiert allerdings viel. Denn wie man schon dem unromantischen, ersten Satz entnehmen kann, ist Stolz und Vorurteil ein (idealisiertes) Zeugnis der Zeit, in der Jane Austen lebte. Und da sah man das mit dem Verlieben und der Ehe eher so wie Elizbaths Freundin Charlotte es ausdrückt:
„Glück in der Ehe ist alleine eine Sache des Zufalls.“ p.28
Stolz, Vorurteil, erste Eindrücke
An Elizabeth wie auch ihrer Freundin, Mutter und ihren Schwestern wird die Situation der Frau zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschildert. Ihre Mutter ist vor Allem deswegen so fixiert darauf ihre Töchter unter die Haube zu bringen, um auch ihren eigenen Lebensabend zu sichern und sich möglichst angenehm einzurichten. Da sie nämlich keinen Sohn hat, geht all ihr Besitz bzw der ihres Mannes nach dessen Tod an einen entfernten männlichen Verwandten. Haus, Hof und Pension wären weg und die Bennets würden wortwörtlich auf der Straße landen, denn Frauen hatten damals per se keinen eigenen Besitz. Was sie erwirtschafteten gehörte stets ihren Ehemännern, Vätern, Brüdern – wem auch immer, aber definitiv nicht ihnen selbst. Eine Schande – aber so war es. Deshalb waren Vernunftehen nicht selten.
Möglichst lukrativ soll die Verbindung sein. Aber nicht alle sehen das so. Jane und Elizabeth beispielsweise sehen das alles etwas weniger eng. Sie hoffen einfach auf eine Liebesheirat und wer weiß, vielleicht erwischen sie es ja zufällig nebenbei auch noch gut. Als der nicht gerade mittellose Junggeselle Mr Bingley ein Anwesen in der Nähe erwirbt und seinen Freund Mr Darcy mitbringt, diverse Offiziere einer nahe gelegenen Kaserne den Bennets schöne Augen machen und auch noch ein Cousin auf Brautschau vorbeikommt, tritt das eine ganze Reihe von Geschehnissen und Verwicklungen los. Zu Beginn ist das alles etwas schwer zu lesen. Man merkt, dass die damalige Gesellschaft Frauen klein gehalten hat. Frauen galten damals als (gut aus)gebildet, wenn sie sich in Konversation verstanden, eine angenehme Erscheinung hatten, singen und tanzen konnten. Nimmt man die Konversation weg, hat man ein Zirkusbärchen. So beschränken sich viele Unterhaltungen in der Gesellschaft auf Lästereien und kleine Spitzfindigkeiten. Man fragt sich, was die Frauen in ihrem Leben haben außer in ihrer privilegierten Gesellschaftsschicht stets auf den nächsten Ball zu warten oder mal einen Brief zu schreiben. Gibt es da nicht mehr im Leben? So weit war die Gesellschaft eben nicht.
Sieht man dann noch das Dilemma des nicht vorhandenen Besitzes ist es auch kein Wunder, dass der eine oder andere Herr denkt, dass nur weil er eine gute Stellung und Verdienst hat, die Frauen ihm förmlich hinterherrennen müssten. Wenn Elizabeth einen Heiratsantrag zurückweist und derjenige, der ihn gestellt hat, ihr das einfach nicht abnimmt, zeigt das wie wenig eigenen Charakter damals Frauen zugetraut wurde. Es wurde wortwörtlich gar nicht angenommen, dass sie eine eigene Meinung hätten. So ist es zu Beginn des Buches mitunter schwer den Inhalt mit Genuss zu lesen. Zu behäbig die Einführung der Geschehnisse, zu weich die Themen (heiraten hier und da tralalala), zuviel Geläster, zuviel Zur-Schau-Stellung von Werten, die heute keine mehr sind. Aber das ändert sich.
Denn schließlich ist das Buch gerade deswegen geschrieben, um all diese Rollenbilder aufzuweichen und anzuprangern. Vor Allem dank Elizabeth, Darcy, Jane und einigen anderen Charakteren wird die Moral hoch- und den impertinenten Charakteren der Spiegel vorgehalten. Die Dialoge werden amüsant und spitzfindig. Man schenkt sich hier nichts, es folgt der eine oder andere verbale Schlagabtausch mit sehr gewitzten und cleveren Dialogen. Bald schon macht es Spaß Stolz und Vorurteil zu lesen und man ertappt sich dabei mitzufiebern, ob doch noch zusammen findet, was zusammen gehört. In der Art und Weise wie Jane Austen die vielen Charaktere, Liebschaften, Hoffnungen und Intrigen miteinander verwoben hat, steckt schon eine kluge Planung und das Ergebnis ist ein mitreißender Roman. Man findet eben allzu schnell seine Lieblinge und schaut zu gern Intrigenspinnern dabei zu wie sie gehörig auf die Schnauze fallen.
„Ich pflege Enttäuschungen nicht hinzunehmen.“
In der Charakterisierung der Personen liegt aber auch ein wenig die Schwäche des Buches. Sie sind alle etwas eindimensional geraten. Scheinbar sind die durchtriebenen einfach nur durchtrieben (Bingleys Schwester), die schüchternen einfach nur schüchtern (Darcys Schwester), die verwöhnten einfach nur verwöhnt (Lady Catherine) und die netten einfach nur nett (Jane). Die einzigen Charaktere, die einen Wandel vollziehen oder deren Charakter Schattierungen aufweist, scheinen Elizabeth und Darcy zu sein. Natürlich kann man sich an ihren cleveren Dialogen erfreuen und sich über eine schonungslos verwöhnte, verzogene und verblendete Lady Catherine aufregen („Ich bin nicht gewohnt, den Launen anderer Personen nachzugeben. Ich pflege Enttäuschungen nicht hinzunehmen.“ p.413), aber das wirkt ebenso künstlich und leicht überholt wie die Vorstellung, dass die Bennet-Schwestern und ihre Zeitgenossinnen ihre Tage mit sticken und gegenseitigen Besuchen verbringen.
Das ist kein Verriss: ich habe das Buch nachdem die Beziehungsgeflechte an Fahrt aufnahmen sehr gern gelesen und wollte es gar nicht mehr aus der Hand legen. Was überraschend ist, da ich doch keine Ader für romantische Stoffe habe. Aber man soll wissen, worauf man sich einlässt; falls man aus den Augen verliert, dass das Buch vor über zweihundert Jahren geschrieben wurde. In Anbetracht dessen halte ich Jane Austen für eine Vordenkerin. Und eine smarte Strickerin von Handlungen mit vielen Charakteren und Beziehungsgeflechten. 1813 erschienen, zählt Stolz und Vorurteil als ihr Debütwerk, nicht jedoch als ihr zuerst veröffentlichtes. Zuvor erschien bereits Verstand und Gefühl, auch wenn sie Stolz und Vorurteil vorher schrieb.
Jane Austen veröffentlichte Zeit ihres Lebens anonym, teilweise unter der Phrase „by a lady“. Ihre Stoffe wurden unfassbar oft adaptiert und zählen noch heute zu viel gelesenen und geliebten Büchern. Auch wenn ich etwas Startschwierigkeiten mit dem Buch hatte, habe auch ich ihr Stolz und Vorurteil sehr schnell lieben gelernt. Es ist auch einfach es zu lieben. In der Übersetzung von Helga Schulz findet Jane Austen hier eine Sprache, die weder zu hermetisch-abgehoben, noch zu modern ist und uns die Regency-Atmosphäre auf eine sehr angenehme Weise einatmen lässt. Liebe Miss Austen, es ist ein Jammer, dass sie so früh gehen mussten.
„Wir können uns jeder Neigung zu Anfang ganz ungezwungen hingeben – eine leichte Vorliebe ist ganz natürlich; aber es gibt sehr wenige von uns, die genügend Mut haben, sich ohne eine Ermunterung wirklich zu verlieben.“ p.27
Fazit
Zu recht ein Klassiker, der zu Beginn allerdings etwas Ausdauer erfordert
Besprochene Ausgabe: 978-3-423-14160-4, dtv
„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂
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