Es ist nun so ungefähr ein Jahr her, dass ich angefangen habe Saxophon spielen zu lernen. Und es ist mein erstes Instrument. Das letzte Mal habe ich im Schul-Musikunterricht Noten gelesen und das ist so um die fünfzehn Jahre her. Jackpot, oder? Aber ich wollte es gern. Und wie war das so rückblickend betrachtet?
So als Nicht-Musikerin …
„Warum muss es aber unbedingt ein Saxophon sein?“ Das habe ich mehrmals gehört. Ich weiß nicht, ob das Saxophon wirklich als ein verhältnismäßig schwer zu erlernendes Instrument gilt. Vielleicht ist es nicht einfach und es kann böse quietschen. Aber wenn man es nicht gut beherrscht, kann man sicherlich mit jedem Instrument Töne erzeugen, die in den Ohren weh tun. Tatsächlich ist zum Großteil der Anime Cowboy Bebop Schuld daran, dass es ein Saxophon sein muss. Da fing die Liebe zum Jazz und Blues an. Als Teenager ging das los. Allen voran hat es mir der Song Goodnight Julia angetan. Vorher habe ich das Saxophon hauptsächlich bei Lisa Simpson wahrgenommen. Der Gedanke selber ein Instrument zu lernen war aber damals noch ganz weit weg. Und das obwohl mein Cousin Profi-Musiker ist. Ich selber hatte immer nur das Zeichnen im Kopf und wollte da besser werden.
„Cowboy Bebop in „Goodnight Julia“ (full version)“, via YakusokuNono (Youtube)
Aber mit den Jahren habe ich es immer mehr bereut nicht so früh wie möglich damit angefangen zu haben. Denn Musik … läuft immer bei mir. Ich liebe Musik. So sehr, dass ich mich nicht mal ansatzweise auf ein Genre oder eine Richtung festlegen könnte, wenn man mich fragt, was mein Lieblingsgenre ist. Und mit den Jahren und gehörten Stunden Jazz wurde der Wunsch größer vielleicht doch selber spielen zu können. Nicht für Fame. Für Musik! Als die Band meines Cousins 15-jähriges Bühnenjubiläum feierte und sich als Gäste u.a. auch zwei Saxophonistinnen dazuholte, dachte ich „So. Nächstes Jahr machst du es einfach.“ Und so meldete ich mich Anfang 2020 für Musikunterricht an.
Ich glaube mein Lehrer war am Anfang ein bisschen skeptisch, dass ich Saxophon spielen lernen will. Als erstes Instrument und ohne Noten lesen zu können. So haben wir das erstmal übersprungen und versucht herauszukriegen, ob mir das überhaupt gefällt. Da bekommt man dann so ein Saxophon in die Hand und merkt: jetzt wird es ernst. Nach der ersten Stunde kam mit Hilfe der erste Ton raus, nach der zweiten Stunde ohne Hilfe, nach der dritten Stunde waren es drei Töne. Ob das schnell oder langsam gelernt ist … keine Ahnung. Ich war stolz! Auch wenn es so wenig erscheinen mag. Ich bekam ein Leihinstrument, spielte zuhause meine drei Töne. Dann die G-Dur-Tonleiter und dann kam der Lockdown.
Über verständnisvolle Nachbarn und interessantes Vokabular
So mäanderte ich erstmal vor mich hin. Sicherlich hätten die Fortschritte größer sein können. Die wurden einerseits durch Corona und Lockdowns gedämpft, andererseits dadurch, dass ich Vollzeit arbeiten gehe und ehrlich gesagt abends vor dem Musikschulunterricht einfach fertig im Kopf bin. Das reicht sicherlich für vieles. Für Bloggen. Für Lesen. Für TODOs. Für Haushalt. Ganz bestimmt für die Couch. Aber Lernen fordert einem ein anderes Maß an Konzentration ab, dass ich an manchen Tagen nicht wirklich gut aufbringe. So schaffe ich auch nur eine Unterrichtseinheit pro Woche, mehr ist einfach nicht drin. Ich bin knapp über 30, aber ich finde Lernen jetzt schon nicht mehr so einfach. Das musste ich auch vor ein paar Jahren im Sprachunterricht an der Volkshochschule merken. Und dass obwohl ich früher (behaupte ich mal) sogar eine schnelle Lernerin war.
Zu den größeren Überraschungen beim Lernen gehörte für mich 1. dass das Saxophon ein Holzblasinstrument ist. Das liegt daran, dass das tonerzeugende Element ein Rohrblatt (Rohr wie Schilfrohr) am Mundstück ist. Wegen der Optik könnte man denken, dass es ein Blechblasinstrument ist. Ist aber nicht der Fall. Der Instrumentenkörper ist übrigens aus Messing. Apropos Körper … 2. Fakt, der mir so nicht bewusst war: das Vokabular klingt, ähm, speziell. Blasinstrument, Instrumentenkörper, Mundstück nass machen, blasen, Zungenstoß, Zungenschlag, Zungentechnik, jaja … . Muss ich noch mehr sagen? Das hat man aber nach der ersten Unterrichtsstunde auch überwunden denke ich. Es ist übrigens tatsächlich wichtig das Mundstück oder viel mehr Blatt nass zu machen, sonst kommt da kein Ton. Achtet mal auf der Bühne darauf wie oft Saxophonisten zwischendurch an ihrem Saxophon nuckeln – damit es nicht austrocknet. Wenn man dann ein bisschen gelernt und das Ohr geschult hat, hört man plötzlich auch Details in Saxophon-Solos, die einem früher nie aufgefallen wären. Die Klappen zum Beispiel! Man fängt an auf die Pausen zu achten. Es ist total faszinierend. Lernen ist total faszinierend!
Beitrag in der arte Mediathek über das Saxophon und Adolphe Sax – Saxophon: Instrument des Jahres 2019
„Dave Brubeck – Take Five“, via buckinny (Youtube)
Was auch faszinierend ist: was für ein Glück ich mit meinen Nachbarn habe. Ich habe versucht das ganze transparent zu halten. Früher oder später hören sie es wohl selber, dass jemand Saxophon spielt. Also gab es einen Aushang, bei einigen habe ich mich mal persönlich erkundigt, bis jetzt scheint es niemanden zu stören. Und darüber bin ich sehr froh. Denn: ein E-Saxophon gibt es nicht und damit entfällt die Option das Instrument zu spielen und nur über Kopfhörer zu hören wie bei der E-Gitarre und einigen anderen Instrumenten.
„PIPELINEFUNK – ARMIN KÜPPER spielt Saxophon mit dem verrückten Echo von der Pipeline“, via Armin Küpper (Youtube)
Über Bindung und sich selbst kennen lernen
Worauf ich gehofft habe war auch mal was ganz neues zu machen und wer weiß … dadurch sogar wieder andere Leute kennen zu lernen. Nicht, dass mir meine Homies nicht reichen. Aber durch die Arbeit kommt man häufig mit denselben Leuten zusammen, die ähnliche Dinge gut finden und schon ist man in seiner kleinen Bubble und bleibt auch dort. Das ist sehr komfortabel. Aber manchmal will man auch raus. (Blogs helfen dabei unter Umständen auch ganz gut 😉 ) Worauf ich gehofft habe, hat sich zum Teil auch eingestellt. Die Nachbarn fragen öfter mal wie es läuft mit dem Lernen. Fällt irgendwo das Wort Saxophon kommen manchmal Unterhaltungen zustande, die sonst vielleicht ausgeblieben wären. Mit Freunden die Instrumente beherrschen, plant man nun Jam Sessions und kann rumnerden über Fort- oder Rückschritte. Es gibt Lob aus Ecken, die ich nicht mal annähernd vermutet hätte. Manchmal finden mich auch Leute komisch und halten nicht damit hinter dem Berg, dass sie Jazz für „unrhythmisches Gequietsche“ halten, von denen sie nur Kopfschmerzen kriegen. ^^‘ Bekomme ich übrigens auch manchmal. Und manchmal bleibt die Luft weg. Einmal bin ich fast umgekippt. Es ging mir an dem Tag nicht gut und als ich lange einen Ton halten sollte, wäre ich fast umgekippt. Auch das gibt es.
Aber so findet man sich plötzlich dabei wieder nach 32 Jahren die man sich so kennt mit dem Profi-Musiker-Cousin das erste Mal zu Weihnachten ein Ständchen zu spielen und Mutter und Tante die Tränchen in die Augen zu treiben. Mit Mindestabstand wegen Corona natürlich. Ich finde es selber immer noch unglaublich. Hätte mir das vor zehn Jahren einer gesagt, hätte ich das definitiv für einen Scherz gehalten – ich und Saxophon spielen!? So hatte 2020 nicht nur blöde Entwicklungen. Auch wenn man selber dafür sorgen und lernen und Zeit und Geld investieren muss. Denn ja: ewig lohnt sich ein Leih-Instrument rechnerisch nicht.
Inzwischen habe ich mir ein Saxophon angeschafft. Fragen vor denen man nie dachte, dass man sie sich stellen würde: wie sucht man das richtige Saxophon für sich aus!? Gute Frage, nächste Frage. Das war mehr Bauchgefühl. Auch Bauchgefühl: sich selber kennen lernen. Ich hatte seit Jahren nicht mehr den Effekt nervös zu sein, weil man im Unterricht zeigen will, dass man was gelernt hat. Dass man es dieses Mal richtig macht. Es ist mir nicht egal, wenn ich keine Fortschritte mache. Ich brenne ein bisschen dafür. Deswegen ist es mir auch peinlich daneben zu liegen. Das ist auch der Grund, warum dieser Beitrag hier keine Videos von mir, sondern von Menschen enthält, die das wirklich können. 😉 Die Kunst ist es so zu sehen: immerhin habe ich erkannt, was ich falsch gemacht habe. Darüber zu lächeln und es nächstes Mal besser zu machen.
„Henry Mancini – The Pink Panther Theme (From The Pink Panther) (Audio)“, via HenriManciniVEVO (Youtube)
Und der Spaß?
Ungebrochen. Nun ja … gerade ist das alles durch den Lockdown nicht unbedingt einfach. Das meiste mache ich im Selbststudium, was auch ganz schön ist, weil man nach dem eigenen Zeitplan leben und lernen kann. Aber die Qualität leidet. Wenn man neben dem Lehrer steht und spielt, kriegt man zahlreiche Beobachtungen und Verbesserungen und Hinweise zu Dingen, die man alleine nicht beobachtet, weil man sich gerade stark auf die Griffe konzentriert. Kiefer zu verspannt, Haltung schlecht, falsch geatmet (ja ehrlich) und so weiter … . Aber inzwischen habe ich doch schon einige Songs in Übung. Es fing mit Alle meine Entchen und Happy Birthday an, dann kamen die Weihnachtslieder und danach Sound of Silence und das Pink Panther Theme. Careless Whisper ist soso. Das hohe Cis, oh mein Gott! Püh. Noten lesen ist so „naja“. Ich lerne immer weiter, aber stolpere ständig über irgendetwas, das ich nicht kenne oder verstehe. Bis zu einem bestimmten Grad kommt man dank Musiklehrer oder Youtube auch einfach nur mit Griffe lernen weiter statt Notenblätter lesen. Ich weiß wo das e ist, der Lehrer sagt das e an … . Geht schon. Aber nicht immer.
Natürlich werden auch die Hochs weniger. Anfangs ist man über jeden Ton, den man gehalten hat froh. Später ist man dann zermürbt, weil man wieder die Griffe von Sound of Silence vergessen hat oder das hohe c nicht geschafft hat zu spielen. Und so setzt sich das fort. Mit einer gewissen Frustrationstoleranz lebt es sich leichter, musste ich schon als Informatikstudent lernen. Es ist selten ransetzen und können im Leben. Keine schlechte Lehre und gut sich das mal wieder vor Augen zu führen. Klar, ich sehe andere Schüler, die schon ein anderes Instrument beherrschen und mit dem Lehrer abnerden über Quintenzirkel und Notenblätter. Die nehmen das Saxophon in die Hand und sind in einigen Unterrichtseinheiten so weit wie ich. Aber ehrlich – vielleicht bin ich über mich am Ende des Tages glücklicher, gerade weil ich es in irgendeiner Weise schwerer hatte. Und wenn es dann das erste Mal gelingt das hohe h zu spielen oder Sound of Silence von Anfang bis Ende durch oder auch einfach wenn der erste Ton beim Üben gelingt, das Blatt vibriert und der Ton heute so klingt wie er gestern schon hätte klingen sollen, dann macht das echt verdammt glücklich. Und mache ich nun weiter? Natürlich.
„BEATBoX SAX -„Stand By Me“- Solo Sax and Voice (no overdubs)“, via Beatbox Sax (Youtube)
Spielt ihr ein Instrument? Und wenn ja, in welchem Alter habt ihr angefangen zu lernen? War es eine Herzensentscheidung oder wurde die euch abgenommen? Da ich ein bisschen gehyped bin, dass ich nun schon seit einem Jahr lerne, musste dieser kleine Erfahrungsbericht raus. Vielleicht macht er einigen Leser*innen Mut, die noch nicht wissen, ob sie anfangen sollen ein Instrument zu lernen. Ich kann nur sagen, dass es eine der coolsten Sachen war, die ich 2020 gemacht habe und froh bin, dass ich meinen inneren Schweinehund überwunden habe. Auch wenn ich aus mir noch kein zweiter Ornette Coleman oder keine zweite Candy Dulfer geworden ist. Wo wir gerade über Musik reden, kann nicht verschweigen bleiben, dass Lockdown und COVID Musiker*innen sowie Künstler*innen allgemein vor eine Schaffens- und sogar Existenzkrise stellen. Es gibt Initiativen wie Ohne Kunst und Kultur wird’s still oder die Corona-Künstlerhilfe bei denen man spenden kann. Wenn ihr euch aber umhört, gibt es vielleicht auch direktere Methoden um eure Lieblingskünstler zu unterstützen. Auf dass es nicht still wird!
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