Der dreiminütige Kurzfilm PUPARIA von Shingo Tamagawa entstand als Indie-Ein-Mann-Projekt. Es hat drei Jahre gedauert dieses surrealistische, erstklassig animierte Kleinod zu kreieren. Drei Jahre in drei Minuten. Und doch erweckt PUPARIA in dieser kurzen Zeit mehr Emotion, mehr Fragen und Sense of Wonder als es so viele abendfüllende Blockbuster tun. Und genau das war auch die Intention Tamagawas als er sich aus seinem normalen Berufsalltag herausnahm und PUPARIA als Beweis produzierte zu was handgemachte Animation fähig ist und als Gegenentwurf der Zeit- und Budget-effizienten Gangart der Animationsindustrie. Normalerweise ist es selten möglich hier einen „ganzen“ Film einzubetten. Oder wäre gar rechtlich fragwürdig. Aber PUPARIA ist da und ein wahrhaft fantastischer Film.
„PUPARIA“, via Shingo Tamagawa (Youtube)
Ein Mädchen, das komfortabel neben einer uns unbekannten Kreatur sitzt und uns wissend anschaut. Eine junge Frau, die auf etwas deutet, das außerhalb unseres Blickwinkels liegt. Ein Wesen dessen Blick über den Horizont driftet und ein Raum, in dessen Tiefe eine Larve auf uns zurast. Alle Charaktere in PUPARIA scheinen über ein Wissen zu verfügen, das wir nicht haben. Ihre Augen sind wach, lebendig; die Situationen geheimnisvoll und entwerfen Szenarien, die uns einladen sie zu ergründen. Und bevor man auch nur seine Fragen formuliert hat, ist der Film vorbei.
Tamagawa war sich bewusst, dass er ein abstraktes Werk schafft, dass mehr Fragen in den Raum stellt als beantwortet. Der Titel leitet sich aus dem Wort Puparium ab, dass die Haut einer Larve bezeichnet. Vielleicht ist es eine Metapher für die Transformation einer ganzen Kunstrichtung – oder seiner Zuschauer? In jedem Fall unterstützt der Wachsmal- und Buntstift-Look die Darstellung der natürlichen Texturen, Hintergründe, Membranen, lebhaften Farben und man meint die Wärme der Haut der Charaktere zu fühlen. Der Kurzfilm hat einiges an Symbolismus – nicht selten auch am Rande einer Szene. Tamagawa arbeite Jahre in der Animationsindustrie (u.a. an Mobile Suit Gundam Thunderbolt im Studio Sunrise) bis ihn das Gefühl überkam, das viele fürchten, die ihre Leidenschaft zum Beruf machen: er zeichnete nicht mehr gern.
In der Dokumentation des Youtube-Kanals Archipel (s.u.) spricht Tamagawa über den Werteverfall der Industrie, aber auch die Orientierungslosigkeit in unserer Welt allgemein. Man versucht im Animationsfilm das undarstellbare und nicht existente darstellbar zu machen. Aber billig muss es sein. Die Anime-Industrie in Japan scheint ohne Stillstand zu produzieren, aber die Künstler arbeiten teilweise auf Niedriglohnniveau. Vielleicht ist die Pandemie der Klick auf den Reset-Button, der uns erlaubt viele Dinge neu zu denken. Die handgezeichnete Animationskunst gerät in Vergessenheit. Renommierte Studios wie Studio Ghibli, die sich lange dagegen wehrten, veröffentlichen ihre ersten 3D-Animationsfilme. PUPARIA zeigt wie kaum ein anderer Animationsfilm wie lebhaft, enigmatisch, qualitativ hochwertig und anziehend handgezeichnete Animation sein kann, wenn man ihr das Budget, den entsprechenden Wert und die Zeit zum Gedeihen zuspricht.
PUPARIA, Japan, 2020, Shingo Tamagawa, 3 min
Zum Nachlesen:
„Animator Shingo Tamagawa Releases Incredible Short Film Puparia“, Otaku USA Magazine, 23. November 2020
„Shingo Tamagawa Reveals His Inspiration and Intent Behind ‘Puparia’“, comicon.com, 01.02.21
„Shingo Tamagawa – Three Minutes, Three Years: Making Puparia“, via Archipel (Youtube)
Header image uses a Photo by Kilyan Sockalingum on Unsplash
Jeden Monat stelle ich einen Film vor, den ich für einen fantastischen Film halte – losgelöst von Mainstream, Genre, Entstehungsjahr oder -land. Einfach nur: fantastisch. 😆
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