Im vergangenen Jahr haben wohl wir alle gelernt wie wir uns besser organisieren können – oder müssen. Sei es stimmungstechnisch, sei es was die Motivation betrifft oder auch die Produktivität. Wenn nichts mehr muss und wenig kann und wir an uns selber sparen, kann das belasten. Es gibt tausende Tools, die uns das Leben einfacher oder auch schwerer machen. Und gerade wer im Home Office sitzt oder seine Produktivität und Motivation im vergangenen Jahr überdenken musste, kann ein Lied davon singen. Gamification kann helfen – aber auch schaden.
Was ist Gamification?
Gamifikation (auch: Gamifizierung) oder im schönsten Denglisch Gamification bezeichnet die Verwendung von Motivationsmechanismen bekannt aus Spielen in anderen Bereichen des Lebens. Solche Mechanismen können beispielsweise Fortschrittanzeigen (auch bis hin zu Leveling-Konzepten) sein oder auch Belohnungssysteme, Multiplayer-Funktionen um sich mit Freunden zu vergleichen (bis hin zu Ranglisten) und noch vieles mehr. Der Grundgedanke wurde anfangs v.A. auf Lernsituationen angewendet, um neben dem bloßen Lernen Erfolge sichtbarer zu machen und eben zu animieren „weiter zu machen“. Die Vorteile dieses Prinzips sind inzwischen aber auch durchaus in Business-Modelle eingeflossen und sind in zahlreichen anderen Apps und Anwendungsbereichen zu finden.
Die Vorteile
Gamification kann nahezu überall angewendet werden. Ein simples, „analoges“ Belohnungssystem kann schon „gamifiziert“ sein. Wenn ich am Wochenende die Fenster putze, leihe ich diesen einen Film aus, den ich schon immer mal sehen wollte und der nirgends sonst gestreamt wird. Oder bestelle mir das Buch, das schon so lange in meinem virtuellen Einkaufswagen beim Buchhandel meines Vertrauens liegt. Dafür brauch es also grundsätzlich keine Apps. Durch die Nähe zur Entertainment und Games-Industrie, machen Apps aber quasi schon von Anfang des Smartphone-Booms an Gebrauch davon. Produktivitäts-Apps boomen – nicht nur seit der Pandemie. Ob man sich gern mit anderen messen will, weiß ich persönlich nicht – ich finde das meistens weniger anspornend. Aber zu leveln und Erfolge freizuschalten kriegt auch mich durchaus.
Beispiele
Auf drei Beispiele von Gamification, die ich benutze oder kennen gelernt habe, kann ich hier eingehen. Zum Einen gamifiziere ich mich selber. D.h. ich belohne mich, wenn größere TODOs erledigt sind. Die TODOs pflege ich in Apps. Außerdem stelle ich mir Meilensteine in meinem Bullet-Journal dar. Das motiviert mich, weil es viele Dinge, die gewesen sind ansprechend darstellt und ich blättere an einem langen Tag gern durch das Ding. Das zu schreiben ist etwas Aufwand, aber idR nur einmal pro Woche oder wann ich daran denke.
Als App um TODOs zu pflegen nutze ich seit einer Weile Habitica. Die App ist auch zur Selbstorganisation und um Gewohnheiten zu bilden da. Habitica ist wie eine Art Rollenspiel mit Quests, Items als Belohnungen, einem Avatar-Prinzip und wer das will auch als Multiplayer-Spiel um mit Freunden an Quests zu arbeiten. Durch das Erledigen der TODOs und Einhalten der von mir festgelegten Gewohnheiten, bekomme ich Fortschritt bei den Quests und Belohnungen. Morgens hake ich ab, ob ich am Vortag meine Gewohnheiten eingehalten habe: 2l Minimum getrunken habe, ob ich an der frischen Luft war, ob ich meine Rückenübungen gemacht und irgendwas am Blog gemacht habe. Habe ich das, bekomme ich so und soviel Fortschritt für eine Quest, komme bei genug gesammelten Punkten aufs nächste Level und vielleicht bekomme ich ein Item. Das Belohnungssystem erlaubt es coole Klamotten für den Avatar zu kaufen oder tierische Companions aus Eiern auszubrüten. Alles ist in einem pixellastigen 2D-Retro-Game-Look gehalten.
„Habitica: Gamify Your Life“, via Habitica (Youtube)
So schaue ich dann also jeden Tag ein Mal in Habitica und in mein BulletJournal. In letzterem pflege ich beispielsweise Listen für Filmchallenges, die ich dort dann nur zu gern abhake. 🙂 Es gibt auch ein Beispiel für Gamification, das komplett von dem Produktivitätsgedanken weggeht: GISH. Vor Kurzem habe ich darüber einen eigenen Artikel geschrieben. TLDR; GISH ist ein Beispiel dafür wie man seinen Alltag und/oder gemeinnützige Aktionen gamifiziert. Charity wird hier zu einer lustigen Teamaufgabe und damit ein Beispiel für das gamifizieren von Aktionen, die „mal“ stattfinden, aber nicht den „normalen Alltag“ adressieren. Leider. Manchmal denke ich, dass jeder Tag ein bisschen GISH-Feeling vertragen könnte.
Die Nachteile
Gamification kann so oder so gehandelt werden. Nehmen wir mal das Beispiel einer Fitness-App, die dir nach dem Joggen anzeigt wie schnell du warst und wieviel du gelaufen bist. Sie kann nun 1. anzeigen, dass deine Freunde auch joggen waren. Sie kann 2. wertungsfrei anzeigen, wieviel oder wie schnell deine Freunde gelaufen sind und dir überlassen, ob du dich damit vergleichst oder nicht. Und 3. kann sie anzeigen „Ätsch, dein Kumpel war schneller“. Ranglisten können einen motivieren, aber auch demotivieren – das kommt ganz auf den kompetitiven Gedanken der Teilnehmer an. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass alles was motivierend wirken soll auch demotivieren kann. Das gleich wie für Ranglisten und Multiplayer-Ansätze gilt für Fortschrittsbalken, Leveling-Systeme, usw. Motiviert der mich noch, wenn es nur noch langsam vorangeht, weil ich ziemlich fortgeschritten bin?
Werden diese Mechanismen monetär ausgeschlachtet, dann stellt das nicht nur für den Spaß, sondern auch den Geldbeutel eine Gefahr dar. In Habitica beispielsweise kann ich bestimmte Items für meinen Avatar nur als Subscriber bekommen, also als monatlich zahlender Nutzer. Es gibt zuhauf Szenarien in Apps, in denen „Leben verbraucht sind“ und ich auf „Aufladung“ warten muss um weiterzumachen. Zahle ich, darf ich sofort weitermachen. Hier muss jede*r Nutzer*in selber die Spielmechanik erkennen und ggf. dem Business-Modell nicht nachgeben – oder zahlen, wenn man das kann und möchte.
Das Modell zu erkennen und eine gewisse Resilienz zu entwickeln ist allerdings wichtig. Gamification wird also durchaus auch zweckentfremdet und eng in ein Business-Modell verwoben. Dazu gehört auch den Nutzer durch den Spielspaß (und ggf Suchtfaktor) dazu zu animieren öfter in die App zu schauen. Beispielsweise indem die App mir Benachrichtigungen anzeigt, wenn „meine Leben wieder aufgefüllt“ sind und ich jetzt weitermachen kann. Oder mich durch Belohnungen für einen täglichen Check-In ködert. Hier kann sogar der entgegengesetzte Effekt eintreten: dass ich mehr abgelenkt werde und weniger produktiv bin.
Das Fazit
Letzten Endes ist es wie so oft jedem von uns überlassen, ob man sich Gamification aussetzt und welche Form von Gamification man mag. Es gibt definitiv sehr viele Spielarten (Pun intended) zwischen hilfreich und spaßig wie weniger hilfreich und irgendwann weniger spaßiger. Wenn man damit zufrieden ist, kann das Abhaken der Einträge einer TODO-Liste das einfachste und genügsamste Belohnungssystem sein. 🙂 Natürlich kann man Apps wie Habitica nutzen und sich beispielsweise gegen bestimmte Funktionen wehren, indem man die links liegen lässt. Wichtig ist zu erkennen, was die Mechanismen sind und zu hinterfragen, ob die Apps jetzt noch hilfreich ist und einen weiter bringt. Also wie so oft liegt es an unserer Fähigkeit kritisch zu hinterfragen. 😉
Nutzt ihr Apps in denen der Gamification-Ansatz verwendet wurde? Oder gar Produktivitätsapps? Wie hat euch das beeinflusst? Hat es wirklich eure Produktivität gesteigert? Wann habt ihr euch schon mal durch Apps zu etwas genötigt gefühlt?
Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂
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