Netzgeflüster: Softwareentwickler*in sein in Zeiten der Pandemie

Ein Arbeitskollege von mir meinte zu Beginn der Lockdowns im Frühjahr 2020, dass die IT-Industrie zu den „Gewinnern der Pandemie“ gehört. Auch wenn ich die Bezeichnung nicht mag, stimme ich teilweise zu. Denke dabei aber hauptsächlich daran, dass Webmeeting-Produkte, Apps für Produktivität, Kommunikation und verteiltes Arbeiten boomen. Und dass die meisten IT-Unternehmen (hoffentlich?) bereits vor der Pandemie die nötige Hard-, Software und Expertise hatten, um Home Office Arbeit zu gewährleisten. Denn wer, wenn nicht wir, können das ab? Das ist kein Jammerbeitrag, aber auch keiner über Trümpfe. Trotz der Nähe zu IT-Infrastruktur hat sich das Arbeiten für ITler wie für soviele andere Branchen verändert.

„Mit Webcam oder ohne?“

Die Arbeit als IT-Dienstleister sieht erstmal (solange man nicht an Hardware ran muss) aus wie für viele Schreibtischtäter. Webmeetings, Webcam an oder nicht, „Du bist noch stumm geschalten“ und so teilen wir auch dieselben Probleme. Das Heim-Netz sollte nicht schwächeln, Internet stabil vorhanden sein. Wer einigermaßen viele Interessen hat, für die man eine gute Leitung braucht, hat idR vorher schon dafür gesorgt, dass die Bandbreite stimmt (Streaming, etc.). Sofern es die Infrastruktur lokal hergibt. (Deutschland so: „Digitalisierung? Was ist Digitalisierung??“) Worauf meines Erachtens nach die wenigsten vorbereitet waren ist aber einen ergonomischen Arbeitsplatz zu haben – oder überhaupt einen Arbeitsplatz. Den hat man ja schließlich im Büro. So finden sich Kolleg*innen auf der Couch oder am Küchentisch wieder und Rücken und Nacken grüßen spätestens nach ein paar Wochen (un)freundlich. Autsch.

Auch ich bin ein Opfer davon, obwohl ich wegen einiger Hobbys, die sich am Computer abspielen (siehe das hier), sehr wohl einen Arbeitsplatz zu Hause habe. Der hält aber keinen 8-9 Stunden Arbeit pro Tag mit der Option auf Verlängerung nach Feierabend für privates stand. Wie ich zu spüren bekommen habe. Ist das eine Problemchen korrigiert („doch lieber ein höhenverstellbarer externer Bildschirm“), kommt das nächste dazu („doch lieber eine externe Webcam als die schräg rechts am Laptop“). Das ist kein Jammern (naja, vielleicht ein bisschen), man muss sich eben anpassen. Und wenn man wie ich empfindlich für Rückenprobleme ist, gegenwirken (Sport/Bewegung, notfalls Physiotherapie).

despair

Es hat sich bewährt während Meetings in denen niemand seinen Screen sharen muss rumzulaufen oder wenigstens zu stehen. All das ist managebar im Gegensatz zu so vielen Berufen, die während Lockdowns gezwungen sind dicht zu machen und um ihr Überleben bangen müssen. Aber ist es auch managebar bei Isolation und psychischen Problemen? Waren oder sind die Kolleg*innen für viele die einzigen Kontakte? Seit über einem Jahr ist klar: auch wenn wir es manchmal leid sind, darüber zu reden, die Frage „Wie geht es dir?“ ist wichtiger denn je. Zumal ich auch immer mal wieder aus anderen Projekten und Branchen höre, dass das Gefühl stets und ständig erreichbar sein zu müssen steigt, das Gefühl abschalten zu können sinkt. Auch wenn ich das bisher sehr gut von mir wegschieben kann (nämlich mit dem Schließen des Arbeitslaptops und dem Ausschalten des Diensthandys), ist das ein nicht von der Hand zu weisendes Problem. Ebenso wichtig ist der inzwischen piefig anmutende Begriff der Achtsamkeit. Denn darin verbirgt sich: Anzeichen erkennen, Pausen machen, überdenken um langfristig zufrieden und gesund zu bleiben.

Die Home-Office-Mentalität

Ich habe das ja schon einige Male anklingen lassen – ich komme ganz gut mit dem Home Office klar, weil ich dann meine Work-Life-Balance besser austariert empfinde. Schon vor der Pandemie hätte ich lieber öfter von Zuhause aus gearbeitet, habe aber 80% der Zeit darauf verzichtet um beim Team sein zu können. Denn Überraschung: das Bild von einsamen, im Keller sitzenden Codern, deren fahles Antlitz nur vom Blau des Bildschirms beleuchtet wird, ist recht überholt. Softwareentwicklung ist Teamarbeit. Und so geht ein wichtiger Bestandteil für das Miteinander, aber auch für die Arbeit an sich flöten. Zum Beispiel mal in den Raum reinrufen zu können: „Hat den Fehler schon mal eine*r von euch gesehen?“ Bei der Fülle an Technologien, die beim Programmieren zusammen kommt, ist es manchmal unerlässlich sich zusammensetzen zu können, denn: nicht jeder weiß alles.

Das kollektive Köpfe zusammen stecken fehlt. Und die Lösungen dafür sind vielfältig. Ich kenne Teams, die machen nun Dailys statt Weeklys, machen mehrmals täglich Kaffeerunden-Calls, machen längere Dailys und auch welche, die gar den ganzen Tag über Webmeetings (mit oder ohne Webcam) mitlaufen lassen, um den Effekt zu haben zu einem beliebigen Zeitpunkt in die Menge fragen zu können. Aber ich kenne auch Webmeeting-Fatigue. Einer der Gründe, warum ich an letzterem nicht teilnehmen würde. Das Gefühl ständiger Beobachtung und ständig darauf achten zu müssen, ob jetzt gemutet ist, wenn man gerade schimpft oder Kekse mampft, nein danke. Die ideale Lösung um das Büro-Gefühl zu simulieren (zumindest wenn man das haben will), ist nicht gefunden, obwohl die Lösungsansätze da sind.

Long time no see …

Photo by Giu Vicente on Unsplash

Erfinderisch AF?

Mit dem plötzlich steigenden Bedarf an Webmeetings wurden die Tools schlauer (und kupferten mehr beieinander ab). Die Hintergründe ausblurren zu können wanderte recht schnell von Tool zu Tool. IntelliJ bietet seit kurzem mit Code With Me die Möglichkeit, dass mehrere Programmierer*innen innerhalb einer Session an derselben Code-Base kollaborativ arbeiten können und löst damit (vielleicht?) das Problem des fehlenden kollektiven Brains. Sich also gegenseitig am selben Code zeitgleich arbeiten sehen. Zumindest erstmal nur für 30 Minuten… . Cool ist das aber erstmal schon. Auch wenn es nicht alle Probleme und Herausforderungen löst. Sicherlich können noch mehr solche netten Tools und Optionen aus dem Boden gestampft werden, aber ich denke die größte Hürde liegt in Mentalitäten und darin Lösungen zu finden, die für viele unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen passt.

Der Artikel resultiert ein wenig daraus, dass ich schon ewig auf meinem Notizzettel stehen habe, mal einen Beitrag à la „Software Developer: A Day in the Life“ zu schreiben. Naja. In Zeiten der Pandemie drängt sich auf das etwas anders aufzuziehen. Noch ein Nachtrag zum Thema „Gewinner der Pandemie“ – ich sehe zwar die oben genannten Vorteile, wegen derer wir nicht jammern müssen und auch sicherlich gut vorbereitet waren, aber: auch bei uns stellt sich die Frage wie lange. Wie groß sind die Umsatzeinbrüche unserer Kunden nach der Pandemie? Das heißt gewinnen ist halt immer nur ein vorübergehendes Erfolgsgefühl und kein Grund für Arroganz. Wie hat sich euer Arbeitsleben verändert? Und welche Techniken und Methoden nutzt ihr um solche Teamarbeitsprobleme zu lösen? Oder die Mentalität in den Griff zu kriegen?

Netzgeflüster ist eine Kategorie meines Blogs in der ich mich immer zwischen dem 10. und 15. eines jedes Monats Themen aus IT, Forschung, Netzwelt und Internet widme genauso wie Spaß rund um die Arbeit mit Bits und Bytes. 🙂

7 Antworten

  1. Danke für diesen Einblick in die Remote-Softwareentwicklung! 🙂

    Ich erkenne ganz Vieles wieder, auch wenn ich „nur“ im Marketing eines Softwareunternehmens arbeite. Seit einem Jahr fast nur noch Home Office (bis auf einzelne Tage) und es hat sich alles sehr gut eingespielt. Ist eben sehr effizient geworden. Mit allen Vor- und Nachteilen. Sprich manche Tage gibt es Back-to-Back-Meetings und ich sitze 10 Stunden auf meinem Hintern. Was ich doch die Wege zwischen den Meeting-Räumen vermisse! Wenn ich nicht ganz bewusst jeden Mittag laufen gehen würde (wenn es auch nur irgendwie hinhaut), käme ich auf maximal 500 Schritte pro Tag. Gruselig.

    Die Zoom- bzw. Teams-Fatigue kommt dazu. So gut private Videocalls im Team auch gemeint sind, habe ich nach 18 Uhr einfach keine Energie mehr für sowas. Schließlich sitze ich seit 7 Uhr am Rechner. Bin jetzt gespannt, wenn irgendwann die Hybrid-Phase anläuft und die Kolleg*innen so 2-3 Tage die Woche ins Büro zurückkehren. Da freue ich mich tatsächlich schon drauf. Die Flexibilität des HO möchte ich aber nicht mehr missen.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Gerne 😉 irgendwie war mir mal nach so einem Schwatz-Beitrag.

      Oh da sagst du was … 10 Stunden auf dem Hintern sitzen. Wer hätte gedacht, dass man nochmal den Weg zur Straßenbahn (die mir aktuell wegen der Enge und Dichte der Menschen meist eher ein Graus ist) oder zwischen den Etagen bei uns auf Arbeit fehlen würde!?
      Ich habe ja kein Lauf-Hobby, nur ein allgemeines Sport-Hobby und das hat sich im Laufe der Pandemie dann auch nochmal verändert. 1. mich zu erinnern spazieren zu gehen und 2. eher mal Yoga machen statt dem üblichen Sport. Dabei war das nie mein Ding. Aber jetzt ruft der Rücken danach. Ich fühle mich alt … und auf meinen Schrittzähler mag ich an manchen Tagen gar nicht gucken …

      Was die privaten Videocalls angeht, geht es mir ähnlich. Ich hätte schon längst mal welche unter der Bloggergemeinschaft in der Pandemie angeleiert, aber dachte mir dann: wer hat denn aber noch Lust nach x Stunden in Webmeetings!?
      Es ist mir inzwischen ein Graus, wenn jemand Meeting sagt XD
      Tatsächlich werde ich aber wohl das HO nicht mehr aus meiner DNA rauskriegen. Ich kann mir nicht mehr vorstellen 80-100% der Arbeitszeit im Büro zu sitzen. Ich weiß überhaupt auch gar nicht mehr wie ich das mal zu Zeiten von Großraumbüros gemacht habe … die Konzentration …

  2. Das kann ich alles so mehr oder weniger unterschreiben. Und: Ich bewundere alle, die während der Pandemie mit einem Job angefangen haben – wenn man nur online Kontakt zum Team hat, ist weder die Einarbeitung noch das persönliche Kennenlernen mit den Kolleg*innen einfach.

    Was den Kontakt zu Kolleg*innen im Allgemeinen angeht, läuft es bei uns extrem gut. Wir waren schon vorher ein sehr gutes Team, das sich auch übers berufliche hinaus sehr gut verstanden und hin und wieder etwas in der Freizeit unternommen hat. Auch gab es schon vor der Pandemie jede Woche eine große Frühstücksrunde. Das kam uns in der Pandemie zu Gute: Die Frühstücke wurden von der ersten Woche an ins Netz verlagert, wir haben aller paar Monate gemeinsame Online-Events wie Kochen oder Backen und wir haben am ersten Tag einen privaten Kolleg*innen-Chat erstellt, um einfach mal plaudern zu können oder Fragen offen in die Runde zu stellen, die nicht bis zum nächsten Jour Fixe warten können. Gerade bei Fehlersuche oder wenn man inhaltlich mal nicht voran kommt, hat sich dieser Chat bewährt. Trotzdem fehlt so ein bisschen dieser Austausch auf dem Flur, va. mit Kolleg*innen aus anderen Abteilungen – seit der Pandemie bekommen wir viel weniger mit, was bei anderen Abteilungen gerade so läuft.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Das geht mir ähnlich – mir würde da echt was fehlen, wenn ich während der Pandemie in einem Job anfange. Allein, wenn ich überlege wieviele Freunde ich durch die Arbeit gefunden habe, die auch heute noch meine Kolleg*innen sind. Hätte dieser Kontakt so überhaupt stattgefunden und sich die Freundschaft entwickelt, wenn man „nur“ telefoniert, zoomt etc? Ich habe zwar neulich einen Gegenbeweis bekommen, aber das ist eben „einer“.

      Euer Zusammenhalt auf Arbeit klingt echt toll! 🙂 Mir wäre ein Mix aus Austausch auf dem Flur und Home Office für die Zeit nach der Pandemie wohl am liebsten … wie geht es dir damit?

      1. Bei uns ist es tatsächlich gelungen, dass eine Kollegin in der Pandemie dazu kam und sie mit uns in der Freizeit Events gemacht hat und wir uns über Privates ausgetauscht haben. Das geht also schon, aber hängt am Ende auch viel von den Personen und der Gruppendynamik ab und vielleicht auch davon, dass wie viel man zusammenarbeit.

        Wir werden vermutlich auch alle eine Mischung aus Präsenz und Homeoffice umsetzen. Ich will dauerhaft weder 100% im Homeoffice noch 100% im Büro sein. Aktuell favorisiere ich 2 Tage im Büro, 3 Tage im Homeoffice. Bis September sind wir erst mal noch von jeglicher Präsenzpflicht befreit und angehalten, selten ins Büro zu kommen. Wie ist es bei euch gerade und wie sieht die für dich optimale Lösung aus?

        1. Avatar von Miss Booleana
          Miss Booleana

          Geht mir genauso wie dir – auch zahlentechnisch. Ich denke schon eine Weile darüber nach wie es danach aussehen wird, aber komme immer wieder bei 2 Tage Büro und 3 Tage HO raus. Auch wenn neulich sehr viel Gegenwind von einem meiner Kollegen kam, der meinte, dass Teams dazu da sind, sich f2f zu sehen. Aber ich denke, dass wir im vergangenen Jahr den Gegenbeweis geliefert haben, dass die Menschen die Kommunikation gestalten und das durchaus gelang und auch weiter gelingt. Letzten Endes ist ein Team auch nicht mehr funktional, wenn sich alles nach den Bedürfnissen eines einzelnen richtet.

          Bei uns bleibt erstmal alles wie es ist (HO) mit der Klausel, dass ins Büro kann, wer möchte und sich zuvor anmeldet, damit die Zahlen etwas im Blick behalten werden.

          1. Puh, das ist halt auch so ein engstirniges Argument. Soziales/ kollegiales Miteinander geht auch online. Natürlich gibt es Aufgaben und Themen, die von Angesicht zu Angesicht, mit Mimik und Gestik besser und leichter zu führen sind. Aber kein Team muss jede Arbeitsstunde, jeden Arbeitstag miteinander verbringen. Es gibt auch einfach etliche Aufgaben, die sich zu Hause besser erledigen lassen. Ich schaffe im HO grundsätzlich mehr, weil die vielen kleinen Wege durchs Bürogebäude zB wegfallen (Kaffee machen dauert im Büro locker 10 min) und sich die Mitarbeitenden nicht ablenken, weil sie grad an deinem Büro vorbei kommen und ihnen deshalb spontan etwas einfällt, worüber sie mit dir sprechen wollen. Mitunter hat sich online sogar eine neue Höflichkeit entwickelt: Wo du früher spontan und unangekündigt ins Büro der anderen bist, um was in Erfahrung zu bringen, ohne zu überlegen, ob sie gerade in einer wichtigen Aufgabe stecken, schreibst du heute kurz eine Nachricht, ob/wann man telefonieren kann oder schilderst den Sachverhalt schnell schriftlich. So reißt man niemanden aus den aktuellen Aufgaben raus und man kann sich den Fragen und Bitten der anderen dann widmen, wenn es gerade passt.

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