ausgelesen: Frank Herbert „Dune“ (engl. Ausgabe)

Dune war für mich bisher immer nur dieses eine Fantasy-Franchise, das sehr viele Fans hat und zu dessen Verfilmungen es sehr hitzige Diskussionen gibt. Ich selber habe nur sehr vage Erinnerungen an den Fernsehmehrteiler. Die blauen Augen, die Dünen auf Arrakis, mehr hat es nicht in mein Langzeitgedächtnis geschafft. Zweierlei hat nun letztendlich dafür gesorgt, dass ich angefangen habe die Reihe zu lesen. Zum Einen, dass ein Regisseur, den ich sehr schätze die dritte (bzw vierte Adaption, wenn Jodorowsky’s Dune mitzählt) Adaption wagt und damit eine sehr vielversprechende. Gemeint ist natürlich Denis Villeneuve. Zum Anderen rumort es seit einigen Wochen schon im Buchclub. Eine Filmadaption kann also durchaus Staub aufwirbeln und ein Buch wieder ins Bewusstsein von Leser*innen rücken. Wie aufmerksame Leser*innen des Blogs aber wissen, gibt es zwei Dinge, mit denen ich mich etwas schwer tue. Erstens Fantasy und zweitens Reihen. War das zum Scheitern verurteilt?

„I can smell death in this place“

Dune spielt in einer Zukunft, in der die Menschheit schon einige Revolutionen hinter sich gelassen hat. Künstliche Intelligenzen sind out, der Kampf zwischen Mensch und Maschine ausgekämpft. Die Menschheit konzentriert sich trotz großer technologischer Fortschritte stark darauf sich selbst bis in die kleinste Faser zu kontrollieren und zu erforschen. Der menschliche Körper und Geist ist Gegenstand der Betrachtung. Und das Objekt materieller Begierde ist Spice. Der Rohstoff erweitert das Bewusstsein, macht aber stark abhängig und kann nur auf dem Planeten Arrakis, auch Dune genannt, abgebaut werden. Im feudalistischen, interplanetaren System dieser Zukunft schickt der Herrscher den Herzog Leto Atreides nach Arrakis um dort den Spice-Abbau anzuleiten. Was Leto von der ersten Minute an klar ist: er läuft in eine Falle. Und die geht keinesfalls von dem einheimischen Volk der Fremen aus.

Ob der Herrscher nun mit drinsteckt oder nicht, wer auf jeden Fall auf einen Fehltritt Leto Atreides wartet ist der verfeindete Baron Vladimir Harkonnen. Die Häuser Atreides und Harkonnen liegen schon lange miteinander im Clinch und der Wechsel des Hauses Atreides nach Arrakis ist eine Steilvorlage. Inmitten all dessen steht der fünfzehnjährige Sohn des Herzogs, Paul Atreides. Er hat in vielerlei Belangen eine harte Schule durchlaufen. Durch seinen ihn liebenden Vater, dessen Gefolge und v.A. auch seiner Mutter Jessica hat Paul aber auch ein Netz, dass ihn jederzeit auffängt. Während er von Vertrauten seines Vaters im Kampf unterrichtet wird, lernt er von seiner Mutter, einer sogenannten Bene Gesserit, viel über die Kontrolle der eigenen Emotionen, unbewussten Körperreaktionen, Deutung der Zukunft und vielleicht sogar wie man andere kontrolliert. Jessica ist es, die sagt „I can smell death in this place“ (p.12). Und sie soll Recht behalten.

„Fear is the mind-killer.“

Bald schon ist vom Haus Atreides augenscheinlich nicht mehr viel übrig. Paul und seine Mutter retten sich in die Wüste, denn so kam Arrakis zu seinem Beinamen Dune. Arrakis ist ein Wüstenplanet. Die Umgebung könnte kaum lebensfeindlicher sein. Wasser ist knapp und für die einheimischen Fremen quasi die Ressource in der alles gemessen wird. Hier werden nicht einmal unnötig Tränen vergossen. Riesige Sandwürmer erschweren den Abbau von Spice, werden aber von den Fremen sogar als Reittier genutzt. Da die Umgebung auf Arrakis so lebensfeindlich ist, müssen sich Paul und seine Mutter erstmal als würdig erweisen, um von den Fremen aufgenommen zu werden. Es ist nicht die letzte Herausforderung, die sie überleben müssen.

„Mistake? You think because I’m what you made me that I cannot feel the need for revenge?“ p.508, Paul

Und bei diesem Überleben ist die „Litanei gegen die Angst“ („[…] Fear is the mind-killer. […]“) ein häufig zitiertes Mantra um die eigenen Grenzen zu überwinden. Angst, Trauma, Verlust – Konzentration ist alles und kann alles überwinden. Und das spürt man. Frank Herbert gelingt es ein dichtes World Building zu schaffen, dass sich in allen Handlungen, dem Mindset der Charaktere, der Umgebung, Riten, Religionen und Requisiten wiederfindet. Alles ergibt Sinn im Kontext der Welt und reiht sich nahtlos ein. Während die Fremen alles in Wasser messen (Stichwort Körperflüssigkeiten), sind es die „Außerweltler“ die ihren Geist und ihren Körper absolut kontrollieren wollen. Im kämpferischen und physischen sind es die sogenannten Mentaten. Jessica hingegen gehört dem Orden der Bene Gesserit an, deren Fähigkeiten v.A. mental sind. Sie kann eingeschränkt Gedankenlesen und ihre Körperfunktionen so kontrollieren, dass sie wenn sie will, beeinflussen kann, welches Geschlecht das Kind haben wird, das sie zur Welt bringt. Sie entschied sich für Paul.

Von A wie Aba bis Z wie Zensunni

Frank Herbert hat sein World Building dabei offenbar aus immens vielen Kulturen und Sprachen abgeleitet. Man liest hebräische Begriffe heraus, muslimische und ab und zu tönt es vielleicht sogar Deutsch? Der Nachteil bei diesem dichten Worldbuilding: man kommt nur bedingt gut rein. Meine Ausgabe ist die 50th Anniversity Edition und verfügt über vier kurze Essays im Anhang, die beispielsweise über die Bene Gesserit aufklären und dazu noch ein Glossar, dass die wirklich vielen Begriffe der Welt erklärt. Ich kann es nicht empfehlen die Essays vor der Geschichte zu lesen, da sie Spoiler enthalten, aber das Glossar ist unverzichtbar. Beim ersten Aufschlagen des Buches bin ich kaum über die ersten zwanzig Seiten Roman herausgekommen, weil ich meine Nase über die Hälfte der Zeit ins Glossar stecken musste. Dort führt auch meist ein Begriff direkt zum nächsten, den man nachschlagen muss. Wenn man es dann aber einmal hat, dann liest sich Dune v.A. auch wegen seines dichten World Building und der Vielzahl an Charakteren und Motivationen sehr gut und sehr spannend.

Ist es bei all dem nicht faszinierend, dass es nur einen Buchstaben bräuchte, um aus „Fremen“ – „Free Men“ zu machen? Vielleicht war das von Frank Herbert beabsichtigt. Denn obwohl die Menschheit offenbar einige Wechsel des Mindsets überstanden hat, bleibt eine Sache immer noch gleich. Wir brandschatzen, was wir brauchen und unterdrücken, wen wir für niedriger halten. Ein Leben ist leider nicht soviel wert wie ein anderes. History’s repeating. Nichts dazugelernt. Es ist sogar einmal die Rede davon, dass an den Fremen Völkermord verübt werden soll, da sie dem Spice Abbau im Weg stehen. Was im Gegensatz dazu eine schöne Note ist: erstens haben die großen Häuser die Fremen gewaltig unterschätzt und zweitens wird am offenen Mindset des Hauses Atreides demonstriert, dass Kulturen sehr wohl kooperieren und miteinander leben, vielleicht sogar verschmelzen können. So vor Allem, wenn man das nötige Verständnis aufbringt und sich beide Seiten anpassen. Und dasselbe tut Dune mit den Leser*innen: Verständnis für die Kultur der Fremen aufbauen.

„I told you, […] My brother comes.“

Nachdem Frank Herbert an die zwanzig Absagen für seinen Stoff kassierte, wurde der erste Teil 1965 dann endlich veröffentlicht und direkt für Preise wie den Nebula Award vorgesehen. Tatsächlich ist der Roman literarisch modern. Neben dem World Building finde ich es auch beispielhaft wie Herbert der Spagat zwischen Reihe und alleinstehendem Roman gelingt. Man kann Dune getrost einzeln ins Regal stellen und trotzdem seinen inneren Frieden haben. Der Band ist „abgeschlossen genug“. Aber es gibt ein, zwei offene Handlungsfäden und Foreshadowing, die begeisterte Leser zu den weiteren Romanen der Reihe greifen lassen. Ebenso spannend und ein guter Motor für das Dranbleiben sind die vielen Charaktere, ihre Entwicklung und Reise. Auch nach über fünfzig Jahren liest sich Dune wie ein Roman, der heute geschrieben wurde. Mit einigen wenigen Ausnahmen: er ist weniger gesellschaftlich modern. Das das Buch nicht gerade neu ist, kann man das Frank Herbert verzeihen. Aber den stellenweisen Scham und das Bedauern über manche Entwicklungen und Ansichten kann es nicht beseitigen. Auf englisch gibt es ein Wort, das das gut beschreibt: cringe.

Beispielsweise lassen sich die patriarchalischen Strukturen nicht wegreden. So ist es in der Welt des Romans (offenbar galaxieweit) vollkommen normal, dass ein Mann neben seiner Ehefrau als Konkubinen bezeichnete, andere Frauen akzeptiert. Es gibt allerdings keine Erwähnung einer Frau, die mehrere Partner hat. Auch die Charakterisierung der Figuren ist ausgerechnet bei den Nebencharakteren mehrdimensionaler als bei den Hauptfiguren. Paul ist der Protagonist wider Willen. Baron Harkonnen bekommt viele Eigenschaften zugeschrieben, die in Verbindung mit dem Label „Bösewicht“ einen fiesen Beigeschmack hinterlassen. Er ist natürlich grausam, menschenverachtend und stets auf den eigenen Vorteil aus. Dafür betrügt er sogar seine Familie. Dann wird aber noch viel Wert darauf gelegt ihn als fettleibig zu beschreiben und nebenbei zu schildern, dass er sich an jungen Männern vergeht. Wirklich? Bodyshaming und Homo-/Bisexualität einzig einem Bösewicht zuschreiben? Frank Herbert beweist soviel Weitsicht, dass ich auch hier besseres erwartet hatte.

Wo Frank Herbert hingegen sehr gekonnt entgegen lenkt ist etwas, das fast dafür gesorgt hätte, dass ich den Roman als „eine weitere glorifizierte Heldenreise“ abgestempelt hätte. Zum Großteil ist es das auch (nicht negativ gemeint). Es ist definitiv eine klassische Heldenreise, aber keine überglorifizierte. Pauls anfängliche Hürden scheinen zu sein, dass er den Verlust seiner Familie und Freunde verkraften muss und dass er sehr jung ist. Ansonsten ist ihm seine Legendenbildung (dank des Evil Plotting anderer Personen) voraus. Es gibt mindestens 3 sagenhafte Beinamen, die Paul ohne jegliches zutun zugeschrieben werden. Er ist der Kwisatz Haderach, auch ist er Muad’Dib. Lisan al Gaib und „der Prophet“ ist er auch. Er ist quasi der Traum für junge, männliche Leser. Die schicksalhafte Identifikationsfigur schlechthin. Und damit genau das, was ich nicht gern lese.

Nicht weil ich mich mit einem männlichen Protagonisten nicht identifizieren kann. Weibliche Leser*innen und Gamer*innen sind das schließlich gewöhnt. 😉 Sondern weil es zu einfach ist. Frank Herbert tut aber etwas sehr schlaues. Er lässt Paul seine eigene Zukunft sehen und krampfhaft versuchen der entgegen zu wirken und „einen besseren Verlauf“ zu suchen. Paul will nicht die Symbolfigur werden, zu der künstliche, genetische Pfade gelegt wurden und allerlei politische Ränkespiele nötig waren. Andere haben zu seiner Legendenbildung beigetragen. Er will das gar nicht. Das macht ihn erstens zu einem sympathischen Helden, für den wir Mitgefühl aufbringen können. Zum Anderen stellt es die wohl interessanteste und in Band 1 noch nicht ausformulierte Frage: was war zuerst da – Prophezeiung oder Prophet, Henne oder Ei? Kann Paul seinem Schicksal entgehen? Ja, ich habe Lust weiterzulesen. Dazu tragen aber maßgeblich auch die vielen weiblichen Nebenfiguren bei, die gegen Ende des Romans diverser werden und nicht mehr dem trockenen Schema „Hure oder Heilige“ zuordbar sind.

„I must not fear.
Fear is the mind-killer.
Fear is the little-death that brings total obliberation.
I will face my fear.
I will permit it to pass over me and through me.
And when it has gone past I will turn the inner eye to see its path.
Where the fear has gone there will be nothing.
Only I will remain.“

Fazit

Die anderen lügen nicht, der Auftakt der Reihe ist klasse.

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-0-340-96019-6, Hodder & Stoughton

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

4 Antworten

  1. Ich übelege schon sehr lange, ob ich auch mal die weiteren Bände lesen soll, hab damals nur den ersten gelesen.

    1. Avatar von Miss Booleana
      Miss Booleana

      Wie kam es, dass du nicht weitergelesen hast? Warst du auch mit Ende des ersten „erstmal zufrieden“ oder hat es dich nicht so gekriegt?

  2. […] Auch Steffi war im Kino – aber natürlich nicht, ohne vorher die Vorlage zu lesen. Ob der futuristische Roman gut gealtert ist, erfahrt ihr bei Miss […]

  3. […] was an dem Film schwer nachvollziehbar ist. Aber ich habe auch das Buch gelesen. Ich kann das Buch nicht ungelesen machen, um nachzuvollziehen, ob der Film evtl ein Problem hat, wenn man mit weniger […]

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