Das gehörte Wort … Hörbuch-Besprechung zu „Die Furcht des Weisen 1“ von Patrick Rothfuss

„[…] trotz all der guten Zutaten [halte ich es] wie mit „Das Lied von Eis und Feuer“ und werde vielleicht erst dann weiterlesen, wenn der letzte Band [der Königsmörder-Chronik] wirklich da ist.“ Zitat ich, 2020. Aber dann lächelten mich die Folgeteile der Fantasy-Reihe in meiner Hörbuch-App an. Und an diversen anderen Reihen merke ich, dass Erinnerung und Gefühl eben schwinden, lässt man zu viel Zeit verstreichen. Meine Grenze scheint so in etwa ein- bis eineinhalb Jahr zu sein. Und so führte ich mir kürzlich „Die Furcht des Weisen 1“ zu Gemüte. Stets etwas mit mir im Konflikt, ob ich beide Bände von „Die Furcht des Weisen“ zusammen besprechen soll. Dann aber wiederum ist im ersten Band allein eine Menge passiert.

Der 2011 veröffentlichte zweite Teil der Königsmörder Chronik getauften Reihe wurde in Deutschland in zwei Bänden veröffentlicht. Der Umfang lässt das auch zu, soweit ich das als Hörbuch-Konsumentin beurteilen kann. Denn auch dort ist der erste Band mit 27h Spieldauer schon ein auditives Schwergewicht. Die Handlung setzt nahtlos dort wieder an, wo wir in Der Name des Windes zurückgelassen wurden. Kvothe ist an der Universität an der Schwelle zum neuen Trimester und erwartet nach der Prüfung mit Spannung die Verkündung seiner Studiengebühren. Die sind so hoch, dass er sich weiter bei Devi verschulden muss, aber zumindest weiter studieren kann. Die Ursache für die hohen Gebühren liegen in den Eskapaden, die er sich geleistet hat.

Manche mögen heroischer gewesen sein als die Öffentlichkeit oder die Arkanisten wissen; andere waren aber schlichtweg leichtsinnig und dumm. Und Arkanisten genießen schon so nicht bei allen den besten Ruf. Wie sieht die Universität vor dem öffentlichen Auge aus, wenn einer freidreht – wenn auch manchmal aus Gründen der Fairness und des guten Willens!? Im neuen Trimester an der Universität schafft Kvothe es einige seiner Probleme zu lösen, während sich andere auftun. Sein Zwist mit Ambrose wird nicht mehr in der Öffentlichkeit ausgetragen, aber ist nicht beigelegt. Als Kvothe vergiftet wird und später sogar Opfer noch üblerer und noch gefährlicherer Attacken, muss er sich fragen, wen er sich eventuell noch zum Feind gemacht hat?

Das feine Gespür für Realismus und die Hürden des Lebens hat Patrick Rothfuss‘ Königsmörder Chronik schon im ersten Band ausgezeichnet, im zweiten bleibt der Bann ungebrochen. Wann läuft schon mal alles glatt im Leben? Das beweist, dass Kvothe im Namenskunde-Seminar nicht plötzlich zum Meister-Namenskundler wird. Stattdessen haben seine Kommilitonen (teilweise) mehr Erfolge zu feiern. Auch die Armut Kvothes wird hier nicht nur zu einem plot device. Und wer das denkt, war wahrscheinlich noch nie arm. Das ist kein Problem, das sich plötzlich löst und wie der Band anschaulich erklärt, auch nicht für einen Arkanisten. Es gibt hier auch keinen Dumbledore, der am Ende aus reiner Freundlichkeit zwinkernd die Regeln bricht und dem Haus Gryffindor doch noch fünfzig Punkte schenkt. Selbst, wenn es dann mal läuft, haben die Ursachen Wirkungen und die ziehen teilweise lange Schatten nach sich. An Kvothe wird ein Sympathie-Verbrechen begangen und seine Umstände bewirken, dass er das nicht als solches melden kann ohne selber in die Bredouille zu kommen. Welche Konsequenzen sich daraus für Kvothe im Folgenden ergeben, ist ein wesentlicher und spannender Teil des Buches, den ich nicht vorweg nehmen will. Nur soviel: es wird dazu führen, dass Kvothe nahegelegt wird für eine bestimmte Zeit die Universität zu verlassen, was er auch tut und damit kurzfristig ein komplett neues Kapitel seines Leben aufschlägt.

Und das trägt enorm dazu bei, dass sich Die Furcht des Weisen 1 wie ein Fortschritt in der Handlung anfühlt und zumindest die Illusion aufrecht erhält, dass wir ein bisschen näher an Kvothes Suche um die Chandrian heranrücken oder gar die Frage, welchen König Kvothe denn umbringen wird? Nach Beenden des Bandes kann ich sagen: es bleibt bei der Illusion. 😉 Aber nach einem Fortschritt fühlt es sich trotzdem an. Aus Sicht des Worldbuilding besonders interessant ist eine andere Region auf der Karte von Kvothes Welt zu entdecken. Eine, in der alle noch weitaus konservativer eingestellt sind und Edema Ruh mit noch mehr Stereotypen stigmatisieren, Arkanisten mit Argwohn, Aberglaube und Angst begegnen. Trotzdem sind die Bräuche und Riten spannend, kreativ, in sich schlüssig und laden ein, noch mehr entdeckt zu werden.

Nicht nur versteht es Rothfuss Kulturen mit spannenden Konzepten auszustatten, sondern er tut das mit einer charmanten Authentizität und Kreativität. Ich denke da v.A. an Kvothes Begegnung mit einem der Adem, der seine Emotionen ganz anders transportiert als alle anderen Völker. Die Raffinesse und das Genie Rothfuss‘ liegt darin, dass er all das offenkundig bereits im ersten Band anteasert, Namen der Völkergruppen fallen lässt und bewusst macht: das hat er sich nicht erst vor Kurzem ausgedacht. Das ist geplant, das ist gewollt, das hat Intention und Cleverness und deswegen fühlt es sich so rund an. Und das ist das, was viele andere erzählende Medien im Fiction-Bereich nicht hinkriegen.

Ein weiteres Merkmal von Rothfuss, das ich sehr schätze, ist sein empathischer Umgang mit neurodivergenten Charakteren, von denen er einige platziert hat. Während wir Auri schon kennen gelernt haben, gesellt sich u.a. auch noch Puppet dazu. Puppet ist klasse. Ich hätte gern merh von ihm gesehen. Stefan Kaminski ist erneut ein fabelhafter Sprecher, der es wie kein zweiter versteht den Charakteren Leben einzuhauchen und eigene Nuancen zu verleihen. 27 auf angenehmste Weise gestaltete Stunden. Irritierend ist aber der Klappentext des ersten Bandes, bei dem man sich wohl nicht bewusst war, wo erster endet und zweiter Band aufhört. Der enthält nämlich Spoiler. Wie passiert denn sowas?

Dass Rothfuss auch mal mit Mustern bricht, erleben Lesende oder in diesem Fall Hörende, weil er sich auch erlaubt zu sagen „Nein, diese Geschichte erzähle ich jetzt nicht, weil ich nicht will.“ Wir erinnern uns: die Geschichte wird rückblickend aus Sicht des älteren, inzwischen versteckt lebenden Kvothe einem Chronisten erzählt. Und ein düsteres Kapitel hebt er sich eben einfach mal auf. Rothfuss lässt Kvothe dem Chronisten sogar eine kleine Lehre erteilen, dass man diesen Wunsch respektiert. Die Geschichte erzählt er dann in der Tat nicht und bleibt konsequent. Naja. Wer kann der kann. Und mit den Chancen, die sich Kvothe eröffnen als er der Universität mehr oder weniger freiwillig den Rücken kehrt, kommt es zur Realisierung: jetzt geht es um was und alles könnte sich ändern. Ab der Hälfte konnte ich das Hörbuch kaum pausieren, es sei denn das Leben erforderte es. Selbst, wenn sich nun rückblickend zeigt, dass wir in der Handlung nicht so weit vorangekommen sind wie ich gehofft hatte. Ich weiß immer noch nicht wie Kvothe zum Kingkiller wird. Nicht mal ansatzweise. Aber das macht mir auch nicht besonders viel aus – ich freue mich auf den zweiten Band von „Die Furcht des Weisen“.

Obwohl ich voll des Lobes bin, ist aus mir nicht plötzlich eine begeisterte Reihen-Leserin geworden. Richtig toll finde ich es nicht, dass mich nur noch ein Band von einem „TBD“ trennt. Einem „to be done“, einem unveröffentlichten Band. Andererseits ist offenkundig, dass Rothfuss selber darunter leidet, dass der dritte und geplant letzte Teil auf sich warten lässt. Und wer würde ihm schon Stress machen wollen? Ich versuche es so zu sehen: kommt dann der dritte Band, bin ich mal live beim Hype dabei. Zumindest wenn ich bald mal „Die Furcht des Weisen 2“ lese und Rothfuss den dritten Band rausbringt. Stand heute halte ich „Die Königsmörder Chroniken“ für den besten Fantasy-Mehrteiler, den ich gelesen habe. Da ich nun aber mit den Hörbüchern angefangen habe, bleibe ich auch mindestens für „Die Furcht des Weisen 2“ dabei. Wie gefällt euch die Reihe? Und insbesondere „Die Furcht des Weisen 1“?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert