ausgelesen: Stephen King „Wolfsmond“ (Der Dunkle Turm #5)

Zwischenzeitlich bekam ich während des Lesens der Dunkler-Turm-Reihe fast das Gefühl, dass hier die Star-Trek-Regel anzuwenden ist. Hier aber: jeder Band mit einer geraden Zahl ist nix. Was zu beweisen wäre. Nach der Formel hätte mich der fünfte Band wieder mit der Reihe versöhnen müssen, nachdem ich den vierten Teil „Glas“ einfach nicht gut fand. Und wie war es wirklich? Ein Auf und Ab.

„Er fühlte sich neunzehn“

Nachdem Roland seinem Ka-Tet von seiner Zeit in Mejis erzählt hat und sie eine Begegnung hatten, die man wohl gut und gern als Vorwarnung interpretieren kann, bekommen sie dieses Mal ganz unerwartet und und undramatisch einen Auftrag. Einwohner*innen aus der Calla Bryn Sturgis treten mit einem Hilfegesuch an die Revolvermänner und -frau heran. In der Calla kommen fast nur Zwillinge zur Welt. Eine bewaffnete Horde schnappt sich regelmäßig einen der Zwillinge, egal welchen Geschlechts und bringt sie geistig behindert zurück. Die Einwohner*innen sprechen von diesen Geschwistern stets als die „Minderen“. Sie haben Grund zur Annahme, dass die „Wölfe“ genannte Horde bald wieder in das Dorf einfällt.

Das Ka-Tet beschließt sich des Falls der Calla Bryn Sturgis anzunehmen und vorerst ihre Reise auf dem Balken zum Dunklen Turm zu unterbrechen. Hierzu müssen sie in erster Linie das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen, denn viele befürchten, dass wenn die Revolvermänner und -frau scheitern, sie die doppelte Quittung bekommen. Die Wölfe scheinen zudem starke Gegner zu sein. Da sie nur ca. ein Mal pro Generation in Erscheinung treten, gibt es wenige Informationen über sie. Während sie sich tagsüber mit der Recherche in der Calla beschäftigen und versuchen einen Plan gegen die Wölfe zu schmieden, sind es nächtliche Träume, die dem Ka-Tet vermitteln, dass in einer anderen Welt eine Gefahr lautert, gegen die sie auch etwas unternehmen müssen. Die Truppe macht den einen oder anderen Ausflug nach New York um die Rose zu beschützen.

„Das hier war Ebene neunzehn des dunklen Turms. Das spürte Eddie deutlich. Darüber würde er später nachgrübeln, aber nicht jetzt.“ p.690 (Und wir offensichtlich auch … vielleicht im nächsten Band?)

„Mia, niemands Tochter“

Im inzwischen fünften Band der Dunkler Turm Reihe wird das Ka-Tet inzwischen ganz offiziell als Revolvermänner bzw -frau angesprochen und bekommt einen Auftrag, was ihre bisher scheinbar selbstgewählte Berufung bestätigt. Es wirkt ein wenig wie ein Abzeichen oder ausgesprochene Anerkennung, auch wenn sie sich noch beweisen müssen. Bisher sind sie in ihre Abenteuer und misslichen Lagen eher einfach reingestolpert. Hier nehmen sie gezielt eine Aufgabe an. Mehr noch: Menschen sprechen sie an und bitten um Hilfe. Es ist sehr lohnenswert und abwechslungsreich das erstmalig so zu lesen und dass sich ein gemeinsames Ziel zugunsten von Mitmenschen, das gemeinsame Ziel des Ka-Tets (den Dunklen Turm erreichen) und sogar persönliche Ziele mischen und konfliktieren. Es wird nicht selten brenzlig, weil sie alle noch ein ganz persönliches Päckchen mit sich rumtragen. Gut abgemischt. Spannend für Lesende, schlecht für die Gruppe.

Roland leidet scheinbar unter Arthritis und fürchtet bald nicht mehr so gutes Reaktionsvermögen und Beweglichkeit zu haben. Das könnte schlimmstenfalls ein Todesurteil für Roland sein, vielleicht für die ganze Gruppe. Jake gewinnt während seiner Zeit in der Calla Bryn Sturgis einen Freund und kostet vom Leben „eines normalen Jungen“. Normaler Junge bedeutet hier: einer der nicht mit seinem Ka-Tet bewaffnet durch die Lande reist um die Welt zu retten. Fraglich ist, ob das seine Einstellung zum Ka-Tet verändert. Eddy wird mehr als Sprecher der Gruppe etabliert und muss sich bald einer schwierigen Wahrheit stellen, die unmittelbar mit Susannah zutun hat. Susannah ist infolge ihrer Begegnung mit einem Dämon schwanger und kompensiert das mit einer weiteren Persönlichkeit: Mia. Und Mia ist unheimlich stark und würde ihr Kind um alles in der Welt beschützen. Plötzlich geht von Susannah, die sich der Anwesenheit von Mia ebenso wenig wie ihrer Schwangerschaft bewusst ist, eine Gefahr aus.

Highways im Verborgenen

Das hat der Stephen King echt schlau gemacht. Die drei großen Baustellen aus Wölfe – Turm – persönliche Belange kollidieren auf feine Art und Weise. Aber was wäre die Dunkler Turm Reihe ohne ein längliches Palaver? Ich fühlte mich sehr stark an „Glas“ erinnert als die Gruppe auf den Geistlichen Don Callahan trifft, der ihnen recht bald zu verstehen gibt, dass er aus der Welt von Eddie, Susannah und Jake stammt. Genauer aus dem Ort Jerusalems Lot. Und dann erzählt er ihnen seine Lebensgeschichte und wie er in der Calla landete. Stephen King hat hier dazugelernt. Er lässt Callahan die Geschichte stückweise erzählen, immer mal wenn das Ka-Tet dafür Zeit hat. Und seine Geschichte wird noch sehr wichtig für sie, denn sie enthält einige Bezüge zu dem, was sie und die Calla bedroht. Dummerweise enthält sie aber auch Callahans Geschichte in deutlich zu ausführlicher Form. Insbesondere wer Stephen Kings Brennen muss Salem nicht gelesen hat, dürfte sich ratlos am Kopf kratzen bei der ausführlichen Erzählung um Vampire und Callahans Schwank aus der Jugend.

Er hat es schon wieder gemacht! King lädt uns erneut ans Lagerfeuer ein und fängt mal an zu erzählen. Mir war Callahans Geschichte zuviel, zu detailiert, zu detailverliebt und dadurch v.A. zu in sich selbst verloren. Es gab soviele spannende Details in Wolfsmond, von denen ich mir stattdessen mehr gewünscht hätte. Selbst in Callahans Geschichte. Beispielsweise über die Jagd der niederen Männer bzw. „Regulatoren“ und deren bedrohliche Kreide-Suchmeldungen oder die Highways im Verborgenen. So gut! Stattdessen hält sich King ewig an Kleinigkeiten auf.

Stattdessen wird es an anderer Stelle des World Building und der Reihen-Logik unübersichtlich. Ich weiß selber noch nicht, ob ich alle richtig einordne, aber es gibt inzwischen überraschend viele Weisen zwischen den Welten zu wechseln. Die Highways, mit einer der Regenbogen-Kugeln, durch das Flitzen, die Schwachstellen und auch die Türen? Hier fehlt mir ein roter Faden, eine Abgrenzung oder das irgendwas zu Ende erklärt wird. Oder auch einfach nur, dass sich die Charaktere dessen bewusst(er) werden. Gefühlstechnisch war das Buch also eine Achterbahnfahrt. Ein Hoch, wenn die spannenden Aspekte erwähnt werden. Ein Tief, wenn das Palaver weitergeht oder Konzepte eingeführt werden, die halt einfach „da“ sind, aber weniger Bezug nehmen zu allem was davor passiert ist. Foreshadowing gibt es genug. Warum die Zahl 19 so wichtig ist, erfahren wir vielleicht!? Es ist kryptisch. Aber das muss noch was kommen. Oder? ODER?

Dabei lässt King sein World Building inzwischen weitaus weniger unkommentiert als früher. Ähnlich wie bei Mejis nimmt er sich bei der Calla Zeit um lokale Besonderheiten zu beschreiben, ganze Legenden. Beispielsweise den von Riza, der Abhängigkeit von Reis als Hauptnahrungsmittel und dem Fruchtbarkeits- und Kriegerinnenkult. Einiges davon ist jetzt nicht so wirklich mein Ding, inklusive das Tellerwerfen, aber ok. Man spürt jedenfalls World Building. Ein bisschen hat es aber schon das Geschmäckle von „wann es dem King eben passt“. Ansonsten ist es erstaunlich dissonant wie divers Stephen King seine Dunkler Turm Reihe einerseits anlegt und seine Charaktere trotz und gerade wegen ihrer Herausforderungen über sich wachsen lässt (psychische Erkrankung, Rollstuhl, Sucht, …).

Wie er aber das mit den „Minderen“ handhabt hinterlässt einen unangenehm Beigeschmack. „Minder“ klingt zumindest in meinen Ohren so als ob jemandem etwas fehle um ein kompletter Mensch zu sein oder als ob die „Minderen“ weniger wert wären als die Nicht-Minderen. Auch in der etwas raueren Mittwelt hätte King die Möglichkeit gehabt hier eine etwas empathischere Wortwahl zu benutzen oder es zumindest anders zu verpacken. Zum Beispiel den Begriff „minder“ damit zu erklären, dass sie leider auch eine kürzere Lebenserwartung haben als die anderen. Mich interessiert dazu eure Sicht in den Kommentaren.

6 Jahre liegen zwischen der Veröffentlichung von Glas und Wolfsmond. In dieser Zeit lag u.a. Kings schlimmer Unfall. Ich lese nicht heraus, ob der sich inhaltlich auf das Buch ausgewirkt hat. Aber man merkt, dass King weiter reift. Wolfsmond ist zwar immer noch schrecklich künstlich aufgebläht, aber auch voller spannender Gedanken und man spürt mehr Konzept als in allen anderen Bänden davor. Die Geschichte verdichtet sich und wird gegen Ende wahnsinnig meta. Bücher werden bei der Rettung des Universums offenbar noch eine signifikante Rolle spielen! 🙂

Mit manchen Aspekt bin ich schwer zu versöhnen: die „Minderen“; die Rolle der Frau (von Riza über Susannah bis hin zu Ausdrücken wie „Zeit, Männer zu sein“). Ach ja und dann gab es ja noch einen weiteren ellenlangen Rückblick. Aber es gibt auch jede Menge gute Konzepte wie das Fortschreiten der Pläne um zum Turm zu gelangen, einen waschechten „Einsatz“ für die Revolvermänner und -frauen und es ist insgesamt meist spannend zu lesen. Außerdem tanzt Roland. Roland … tanzt. Ich wiederhole … er tanzt! Nebenbei gibt es Literaturbezüge zu We have always lived in the castle (p.53), Dickens (p.116), Henleins „Die Tür in den Sommer“ (p.675), Harry Potter (p.899) – außerdem referenziert sich King selbst und macht, dass ich sehr gespannt bin auf den sechsten Band. Er hat aber auch gemacht, dass ich nach dem vielen „Palaver“ wieder erstmal eine Pause braucht bis zum sechsten Band. Eine Pause von mindestens einem halben Jahr … .

„Ha!“ sagte Susannah. „Wieder genau die gleichen bösen Kerle! Das könnte aus einem Roman von Dickens sein.“
„Wer ist Dickens und was ist ein Roman?“ fragte Roland.
p.116

Fazit

Besser mit der Tendenz zu cool. Aber einfach zu lang und an den falschen Stellen zu ausführlich.

Besprechung zu Teil 1 „Schwarz“
Besprechung zu Teil 2 „Drei“
Besprechung zu Teil 3 „tot.“
Besprechung zu Teil 4 „Glas“

Besprochene Ausgabe: ISBN 978-3-453-53023-2, Heyne Verlag

„In dieser Geschichte ist nichts sicher, aber …“ p.771

„ausgelesen“ ist eine Kategorie meines Blogs, in der ich immer zwischen dem 15. und 20. eines jeden Monats ein Buch unter die Lupe nehme. Der Begriff „ausgelesen“ ist sehr dehnbar. So wie die Themenvielfalt meines Blogs. Ein „Buch unter die Lupe nehmen“ schließt Belletristik, Sachbücher, Manga, Comics unvm mit ein. 🙂

4 Antworten

  1. […] lächelten mich die Folgeteile der Fantasy-Reihe in meiner Hörbuch-App an. Und an diversen anderen Reihen merke ich, dass Erinnerung und Gefühl eben schwinden, lässt man zu viel Zeit verstreichen. Meine […]

  2. […] meiner Besprechung des fünften Bandes der Reihe urteilte ich, dass ich sehr gespannt bin, aber auch eine Pause von mindestens einem […]

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